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Gesetzliche Rahmenbedingungen
18. Juli 2024
Nichts Halbes und nichts Ganzes
Arzneimittel können lebensrettend sein. Doch bergen ihre Produktion, ihr Gebrauch und ihre Entsorgung Risiken für Mensch und Umwelt. Was ist in Sachen Umweltschutz gesetzlich geregelt, was ist nur empfohlen und wo fehlen Regularien?
Im Zulassungsverfahren von Medikamenten wird zwar eine Umweltrisikobewertung durchgeführt, doch hat das Ergebnis dieser keine Relevanz für die Zulassung des Arzneimittels, „da niemandem ein wirksames Medikament vorenthalten werden soll.“1
Auch nach der Zulassung müssen seitens des deutschen Arzneimittelgesetzes keine Daten zu möglichen Rückständen des Medikaments in der Umwelt erhoben werden. Zudem sind bisher keine nachträglichen Umweltprüfungen von Medikamenten, die schon vor 2006 zugelassen wurden, vorgesehen.2
Abwasseraufbereitung und Klärschlammverbrennung
Arzneimittelrückstände können im Abwasser durch die gängigen Kläranlagen nicht vollständig gefiltert werden, sodass diese wieder in Oberflächengewässern landen. Die kommunale Abwasserrichtlinie der EU sieht je nach Einwohner*innenzahl eine Verpflichtung zu einer zusätzlichen vierten Reinigungsstufe vor, welche auf das Herausfiltern von Mikroschadstoffen abzielt.3
Die Überreste des Reinigungsprozesses in Kläranlagen bilden den Klärschlamm. Früher wurde dieser fast ausschließlich als Dünger in der Landwirtschaft verwendet. Die letzte Klärschlammverordnung von 2017 schränkt die landwirtschaftliche Nutzung des Klärschlamms stark ein. Die Verordnung zielt auf eine Reduzierung von Schadstoffen in Böden und Gewässern ab. So soll die landwirtschaftliche Nutzung von Klärschlamm aus Kläranlagen, die das Abwasser von mehr als 50.000 Menschen reinigen, bis 2032 komplett entfallen. Bis dahin darf der Klärschlamm weiter als Dünger genutzt werden. Klärschlamm aus Kläranlagen, die für weniger als 50.000 Einwohner*innen zuständig sind, darf weiterhin bodenbezogen verwertet werden. 80% des in Deutschland anfallenden Klärschlamms wird inzwischen in Verbrennungsanlagen thermisch behandelt.4
Was sind Verordnungen und Richtlinien?
Verordnungen und Richtlinien sind Rechtsvorschriften. EU-Verordnungen müssen von allen EU-Ländern in vollem Umfang umgesetzt werden. Sie sind verbindlich und gelten somit unmittelbar. EU-Richtlinien hingegen müssen von den Mitgliedsstaaten in nationale Gesetze umgesetzt werden.5
Kaum Umweltschutz bei der Produktion
Mikroschadstoffe wie Arzneimittelrückstände gelangen nicht nur über Privathaushalte und die Kanalisation ins Abwasser, sondern auch als Produktionsabfall von Pharmaproduktionsstätten.
Deutschland erließ 2006 die Verordnung über die Anwendung der Guten Herstellungspraxis bei der Herstellung von Arzneimitteln, die auch für importierte Wirkstoffe gilt. Sie enthält allerdings keine Anforderungen zum Umweltschutz.6 Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland fordert, die Verordnung zu ändern, sodass transparente Mindeststandards entlang der gesamten pharmazeutischen Lieferkette gewährleistet sind.7
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Foto: © gopixa, iStock
Das 2023 verabschiedete Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – bekannt als das Lieferkettengesetz – macht in diesem Kontext einen Schritt in die richtige Richtung. Es ordnet die Verantwortung eines Unternehmens für die Einhaltung von Menschenrechten in weltweiten Lieferketten an. Dazu zählt die Vermeidung von Kinderarbeit, fair bezahlte Arbeit genauso wie der Schutz der Umwelt. Seit 2024 gilt es für deutsche Betriebe mit mindestens 1.000 Mitarbeitenden. Die Pflicht, Menschenrechte in der gesamten unternehmerischen Kette zu beachten, besteht nicht nur für die Unternehmen hierzulande, sondern auch für Zulieferer von weit her.8 Das Lieferkettengesetz, soll die Arbeitsbedingungen von Menschen vor allem im Globalen Süden verbessern.9 Menschenrechtsverletzungen wie vergiftetes Wasser, aber auch Stoffe, die für Mensch und Umwelt Gefahren bergen, sollen vermieden werden.10
Dass das Lieferkettengesetz noch überarbeitungsbedürftig ist, zeigt die Lage im Globalen Süden. Es ist kein Geheimnis, dass deutsche Pharmafirmen aus Kostengründen große Teile der Produktion nach Indien oder China auslagern. Dort gelten geringere Umweltstandards und häufig fehlt den Fabriken eine geordnete Abwasserentsorgung.11 Kläranlagen mit den Klärstufen, wie wir sie aus Europa kennen, gibt es selten. Das liegt nicht an den indischen Gesetzen. „Sie existieren nur auf dem Papier. Das Problem ist die Korruption“, heißt es aus Indien.12
Abwassermonitoring
Mit der EU-Richtlinie 2000/60/EG, auch bekannt als Wasserrahmenrichtlinie, wird angestrebt, Oberflächengewässer und das Grundwasser bis 2027 in einen „guten Zustand“ zu überführen und Verschlechterungen zu verhindern.13 Die Richtlinie war im Jahr 2000 die erste ökologisch orientierte Richtlinie im Gewässerschutz.14 Die regelmäßig ermittelten Wasserdaten dienen als Handlungsgrundlage für Maßnahmen.15 Sie sollen die gefundenen Belastungen reduzieren und den guten Zustand wiederherstellen.14 Verantwortlich für die Umsetzung der Richtlinie sind in Deutschland die Bundesländer. Zu den Maßnahmen zählen der Ausbau von Kläranlagen, um Arzneimittelrückstände durch den Reinigungsprozess zu reduzieren.15 Die Wasserrahmenrichtlinie sieht Messungen zur Priorisierung von Schadstoffen vor. Für diese Stoffe werden dann auf europäischer bzw. nationaler Ebene sogenannte Umweltqualitätsnormen festgelegt.16 Bisweilen taucht hier allerdings kein einziger Arzneimittelwirkstoff auf.17
Die EU-Watch-List bildet ebenfalls eine Liste von zu beobachtenden Stoffen ab, darunter auch Arzneimittelwirkstoffe. Auf dieser Liste landen potenziell problematische Stoffe, für die es an ausreichenden Daten fehlt und deren Vorkommen in Gewässern überwacht werden soll. Durch die Beobachtung sollen Umweltgrenzwerte erarbeitet werden. Überraschenderweise tauchte das Schmerzmittel Ibuprofen erstmals 2022 in einem Überarbeitungsvorschlag auf. Die EU-Watch-List enthält „nur“ 14 Stoffe und muss im Zweijahresrhythmus aktualisiert werden. Der Verbleib eines Stoffes auf der Liste ist auf vier Jahre begrenzt.18 Leider ist weitgehend intransparent, ob für Stoffe, die aus der Liste fallen, bereits Grenzwerte festgelegt werden konnten.
Rücknahme in Apotheken freiwillig
Der Entsorgungsweg für Medikamente ist hierzulande je nach Region verschieden. Dabei ist Deutschland als EU-Mitgliedsstaat dazu verpflichtet, ein bundesweites Sammelsystem für Medikamente einzuführen.19 Die Annahme von alten Arzneimitteln durch Apotheken geschieht auf freiwilliger Basis.20 Apotheken, die diesen Service anbieten, müssen die Entsorgungskosten tragen – Arzneimittelreste aus Apotheken sind Gewerbeabfall und gebührenpflichtig.21
Die Deutsche Umwelthilfe fordert eine verpflichtende Einführung eines bundesweiten Rücknahmesystems in Apotheken. Vorzeigeland ist Spanien. Schon seit 2001 gibt es dort ein einheitliches Sammelsystem. Die Nichtregierungsorganisation mit dem Namen SIGRE kümmert sich seitdem um die Verwertung von nicht gebrauchten Medikamenten.22 Die Dienstleistung ist sowohl für Privathaushalte als auch für die annehmenden Apotheken kostenfrei.23 (CK)
- BMUV (2023) FAQ: Werden Umweltauswirkungen bei der Zulassung von Medikamenten für den Menschen berücksichtigt? www.bmuv.de/faq/werden-umweltauswirkungen-bei-der-zulassung-von-medikamenten-fuer-den-menschen-beruecksichtigt [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- UBA (2021) Arzneimittel und Umwelt. www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/arzneimittel/humanarzneimittel/arzneimittel-umwelt [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- Zantke M (2024) Abwasseraufbereitung: Produzenten sollen mindestens 80 Prozent zahlen. DAZ, 15. April www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2024/04/15/produzenten-sollen-mindestens-80-prozent-zahlen [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- DESTATIS (2023) 80 % des Klärschlamms aus kommunalen Kläranlagen im Jahr 2022 thermisch verwertet. Pressemitteilung 18. Dez. www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/12/PD23_485_32214.html [Zugriff 2.7.2024] ↩︎
- Bundesregierung (2024) Wie entsteht ein EU-Gesetz? www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/europa/eu-gesetzgebung-370498 [Zugriff 26.6.2024] ↩︎
- BMJ (2019) AMWHV. www.gesetze-im-internet.de/amwhv/AMWHV.pdf [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- BUND (2020) Arzneimittel in der Umwelt. www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/bund/position/position_arzneimittel.pdf [Zugriff 11.6.2024] ↩︎
- CSR (o. J.) Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten. www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/gesetz-ueber-die-unternehmerischen-sorgfaltspflichten-in-lieferketten.html [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- BMZ (2023) Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. www.bmz.de/resource/blob/154772/lieferkettengesetz-faktenpapier-partnerlaender-deu-bf.pdf [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- BAFA (2024) Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz. www.bafa.de/DE/Lieferketten/FAQ/haeufig_gestellte_fragen.html [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- Pharma-Brief (2020) Resistente Erreger. Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt. Spezial Nr. 1 www.bukopharma.de/antibiotika-resistenzen-ausstellung/images/PDFs/PHB-Seiten-34-37.pdf [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- Nickoleit K (2023) Apotheke der Welt auf Kosten der Natur. Deutschlandfunk Kultur, 25. April www.deutschlandfunkkultur.de/pharmaindustrie-in-indien-die-apotheke-der-welt-auf-kosten-der-natur-dlf-kultur-e4e6c20e-100.html [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- EUR-Lex (2000) Richtlinie 2000/60/EG. eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A32000L0060 [Zugriff 24.6.2024] ↩︎
- UBA (2017) Gewässer in Deutschland: Zustand und Bewertung. www.bergwaldprojekt.de/sites/default/files/gewasser_in_deutschland_zustand_und_bewertung_2017.pdf [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- UBA (2022) Die Wasserrahmenrichtlinie. Gewässer in Deutschland 2021. Fortschritte und Herausforderungen. www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/221010_uba_fb_wasserrichtlinie_bf.pdf [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- UBA (2022) Messnetze – Chemisches Monitoring. www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/fluesse/ueberwachung-bewertung/messnetze-chemisches-monitoring [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- Stein A (2023) Immer mehr Arzneimittelrückstände in der Umwelt – doch die Daten zu Risiken sind Geheimsache. GEO Wissen, 16. Februar www.geo.de/wissen/gesundheit/immer-mehr-arzneimittelrueckstaende-in-der-umwelt-33202740.html [Zugriff 24.6.2024] ↩︎
- UBA (2022) Chemische Qualitätsanforderungen und Bewertung. www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/gewaesser/fluesse/ueberwachung-bewertung/chemisch [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- Die EU-Richtlinie 2004/27/EG (Artikel 127B) sieht die Einrichtung eines geeigneten Sammelsystems für abgelaufene oder ungenutzte Medikamente vor. Deutsche Umwelthilfe (o. J.) Problemabfälle. www.duh.de/altmedikamente/ [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- ABDA (2023) Faktenblatt: Entsorgung von Altmedikamenten. www.abda.de/fileadmin/user_upload/assets/Faktenblaetter/Faktenblatt_Entsorgung_von_Altmedikamenten.pdf [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- ABDA (2019) Gewässer schützen: Medikamente nicht über Toiletten entsorgen. Pressemitteilung 27.7.2019 www.abda.de/aktuelles-und-presse/pressemitteilungen/detail/gewaesser-schuetzen-medikamente-nicht-ueber-toiletten-entsorgen/ [Zugriff 19.6.2024] ↩︎
- www.sigre.es/en ↩︎
- Deutsche Umwelthilfe (2013) Altmedikamente verantwortungsbewusst entsorgen! www.duh.de/uploads/media/Altmedikamente_Hintergrundpapier_12S_01.pdf [Zugriff 19.6.2024] ↩︎