
Risiken und Nebenwirkungen - Auch für die Umwelt
18. Juli 2024
Ob Diclofenac, die Anti-Baby-Pille oder Diabetes-Medikamente – sie alle haben ihren hohen Verbrauch gemeinsam, ebenso belasten allesamt die Umwelt. Sie gelangen nach Einnahme durch den Menschen über das Abwasser oder durch die falsche Entsorgung in die Umwelt.

Schmerzmittel:
Gefährliche Überschreitungen bei Diclofenac
Schmerzmittel gehören zu den fünf häufigsten Arzneimitteln, die in der Umwelt gefunden werden. Neben dem bekannten Ibuprofen sind Schmerzmittel mit dem Wirkstoff Diclofenac bereits in niedriger Konzentration umweltschädlich und können aktuell nicht vollständig von Kläranlagen bereinigt werden.2 3 Häufig wird der Wirkstoff bei Schmerzen und Entzündungen – typischerweise bei Erkrankungen des Bewegungsapparates eingesetzt. Besonders bekannt ist das Präparat Voltaren®. Aber auch bei Fieber, Regelschmerzen und anderen Beschwerden findet der Wirkstoff Anwendung.4 Sowohl Gels, Salben, Sprays sowie Tabletten, Tropfen, Zäpfchen oder Pflaster sind mit diesem Wirkstoff meist ohne Rezept erhältlich.
Der Verbrauch von Diclofenac lag im Jahr 2020 bei 85 Tonnen pro Jahr und gelangte in großen Konzentrationen über das Abwasser in die Umwelt. Der Wirkstoff stand 2015 auf der ersten EU-Watch-List.5 6 Die Nachweisgrenze7 für Diclofenac liegt bei 0,01 Mikrogramm pro Liter und die vorhergesagte Konzentration, bei der keine Wirkung auftritt (PNEC), liegt bei 0,05 Mikrogramm pro Liter. Der PNEC-Wert ist die Konzentration, bei der noch keine Effekte auf das Ökosystem auftreten. Bei dem hohen Verbrauch und der bekannten Toxizität ist es nicht verwunderlich, dass der PNEC-Grenzwert an 21 der 24 Messstellen der EU überschritten wird.8
Cremes von fraglichem Nutzen
Es gibt ca. 160 Präparate mit dem Wirkstoff Diclofenac. Während der Wirkstoff bei der Einnahme als Tablette im Körper verstoffwechselt wird und die Umweltgefahren geringer sind, gelangt der Wirkstoff über Gels oder Cremes auf direktem Wege und in hoher Konzentration ins Abwasser. Oft wird die Anwendung durch Verbraucherinnen ohne medizinisch bestätigte Indikation vorgenommen.
Studien konnten zeigen, dass der Nutzen zum Beispiel bei Athrose gegeben ist, bei vielen anderen Beschwerden jedoch kein Vorteil im Vergleich zum Placebo besteht. Obwohl Diclofenac-Tabletten umweltverträglicher sind, sollten mögliche Nebenwirkungen bei der Wahl Beachtung finden.
Auch die Bundesärztekammer rät von der Verwendung bei unspezifischen Kreuzschmerzen ab. Nur ca. 4% des Wirkstoffs wird beim Auftragen von der Haut aufgenommen und das wird sogar von den Herstellern so angegeben. Der Großteil gelangt also in die Umwelt, ohne vorher medizinisch wirksam zu sein. Breitensportlerinnen nehmen Präparate mit dem Wirkstoff bekanntlich präventiv ein oder, um bestehende Beschwerden zu unterdrücken.9
Cremes und Gels mit Diclofenac werden häufig beworben – auf die Umweltschädlichkeit wird jedoch kaum verwiesen. Zwar sinkt der Gesamtverbrauch des Wirkstoffs leicht, doch der Verbrauch an rezeptfreien Cremes und Gels nimmt zu.8
Konsequenzen für Tiere und das gesamte Ökosystem
In den 90er Jahren kam es auf dem indischen Kontinent zu einem Massensterben einer Geierart. Die Vögel sind Aasfresser und haben über das Fressen toter Tiere, die mit dem Wirkstoff Diclofenac behandelt wurden, geringe, dennoch tödliche Mengen aufgenommen.7 Ein Aussterben konnte in diesem Fall durch ein Verbot des Wirkstoffes für Tiere verhindert werden. Auch in Deutschland ist der Wirkstoff in der Tiermedizin verboten. Trotz Alternativen werden Tiere in Italien und Spanien weiterhin damit behandelt. Fische leiden unter Schäden an den Kiemen, der Leber und Nieren. Diclofenac reichert sich in den Organen an und erreicht eine bis zu 900-fach höhere Konzentration als bisher in Gewässern nachgewiesen. Effekte auf das Gesamtökosystem wurden ebenfalls gemessen, beispielsweise wurden Rückstände in Muscheln nachgewiesen. In Schweden sind Präparate nur auf Anfrage und sinnvollerweise mit einer Aufklärung zur Umweltverträglichkeit erhältlich. Zudem werden mögliche alternative Vorgehensweisen empfohlen.8

Was kann ich tun?
Grundsätzlich sollte hinterfragt werden, ob die Verwendung von einem Präparat mit dem Wirkstoff Diclofenac medizinisch notwendig und sinnvoll ist. Der Nutzen und die Sinnhaftigkeit der Anwendung sollte im besten Fall mit Ärzt*innen besprochen werden.
Wischen statt waschen – Die mit Diclofenac behandelte Körperstelle sollte nach dem Einziehen der Creme mit einem Papiertuch abgewischt werden. Auch die Hände sollten mit einem Papiertuch gesäubert werden. Dies sollte im Hausmüll entsorgt werden. Auf diese Weise gelangt nachweislich 60% weniger Wirkstoff ins Abwasser und somit auch weniger in die Umwelt.8
Hormone: Unerwünschte Wirkung bei Fischen
Arzneimittel mit endokriner Wirkung – also solche, die das Hormonsystem beeinflussen – wirken sich bereits in geringer Dosierung negativ auf die Umwelt und Lebewesen aus. Die Anti-Baby-Pille ist häufig die erste Wahl unter den Verhütungsmitteln. Weltweit nehmen über 100 Millionen Frauen täglich die Pille ein.11 Die Pille enthält das Hormon Östrogen namens Ethinylestradiol.12 Das Hormon Östradiol wird beim Menschen zur Regulation des Hormonhaushaltes eingesetzt.7 Ca. 9% der Frauen, die sich kurz vor der Menopause befinden, nehmen das Hormon gegen erste Beschwerden ein.13 Über den natürlichen Ausscheidungsweg gelangen Rückstände und Transformationsprodukte14 in die Umwelt.
Nicht nur bei Menschen zeigen Hormone Wirkung. Auch Tiere reagieren auf die Stoffe. Bei Fischen sind unerwünschte Folgen festzustellen. Bei allen Wirbeltieren ist das Hormonsystem ähnlich strukturiert. Aus diesem Grund reagieren auch Fische besonders sensitiv auf Hormone und hormonaktive Substanzen. Es kommt zu einer Verweiblichung der männlichen Tiere und einer gestörten Fortpflanzung. Grund für die starke Anfälligkeit der Tiere ist, dass die Geschlechterausbildung bei Fischen im Vergleich zu Säugetieren und Vögeln eher geringer ausgeprägt ist und deshalb die Anti-Baby-Pille besonders „effektiv“ wirkt.7, 15Studien konnten ebenfalls eine Verweiblichung bei männlichen Amphibien feststellen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz vermutet, dass die Rückstände im Wasser auch unerwünschte Effekte auf den Menschen haben könnten.16
Sowohl Östradiol als auch Ethinylestradiol standen auf der ersten und zweiten EU-Watch-List.4 17 Für beide Stoffe sowie für deren gemeinsames Abbauprodukt Östron wurde der PNEC-Grenzwert an diversen Messstellen überschritten. Entsprechend finden sich diese in der Umwelt wieder.7 Die höchsten gemessenen Werte für Ethinylestradiol lagen laut Forscher*innen zwischen 10 und 40 Nanogramm pro Liter, während bekannt ist, dass bereits bei 5 und 6 Nanogramm pro Liter die Population einer ganzen Fischsorte kollabieren kann.11
Was kann ich tun?
Personen, für die ein Wechsel des Verhütungsmittels in Frage kommt, können sich bei ihrer Frauenärztin oder ihrem Frauenarzt über alternative Verhütungsmittel informieren, die weniger umweltschädlich sind.
Diabetesmedikamente: Auch umweltschädlich

Das Bundesministerium für Umwelt Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV), listet das Diabetesmedikament Metformin als für die Umwelt schädlich auf.18 Dieser Wirkstoff gelangt über Ausscheidungen über das Abwasser in die Umwelt. Metformin, eingesetzt bei Patient*innen mit Diabetes, um den Blutzuckeranstieg zu verhindern, gilt als eines der weltweit am häufigsten verschriebenen Arzneimittel. Entsprechend häufig ist es in der Umwelt zu finden. In der Kläranlage entsteht das Transformationsprodukt12 Guanylharnstoff, das in diversen deutschen Gewässern sowie nachweislich im Trinkwasser vorkommt. Seit 2022 steht Metformin auf der EU-Watch-List.19 20
Metformin sowie Guanylharnstoff wirken sich laut Studien bei Fischen auf die Glucoseproduktion aus. Ergänzend zeigen Studienergebnisse, dass durch dieses Arzneimittel auch der Hormonhaushalt von Fischen und Säugetieren gestört wird. Genauer gesagt kommt es bei Fischen zu einer negativen Beeinflussung der hormonellen Regulation. Zudem wurde eine verstärkte Intersexualität, eine kleinere Körpergröße bei männlichen Fischen und eine allgemein verringerte Fruchtbarkeit erforscht.18
Was kann ich tun?
Durch eine gesunde und ausgewogene Ernährung, ausreichend Bewegung, den Verzicht auf Rauchen und Alkohol, kann einer Diabetes Typ 2 – Erkrankung vorgebeugt werden. Bereits durch präventive Ansätze kann die Verschreibungsmenge verringert und der Eintrag in die Umwelt reduziert werden.
Besonders vernachlässigt in der Debatte um Arzneimittelrückstände erscheint das Thema der Kombination. Teilweise wurden die einzelnen Stoffe sowie deren Auswirkung auf Pflanzen und Tiere nachgewiesen. Bisher kaum erforscht ist, wie die Kombination mehrerer Stoffe in der Umwelt sowie angereichert in Lebewesen und Pflanzen wirken. Welche Auswirkungen diverse Wirkstoffe für Pflanzen, Tiere, ganze Ökosysteme und letztendlich auch den Menschen haben, ist nicht hinreichend geklärt. (EF)
Wo finde ich Informationen?
Arzneimittelreste oder abgelaufene Arzneimittel sollten nicht in die Toilette gespült, sondern entweder im Hausmüll entsorgt oder in der Apotheke abgegeben werden. Hier können Sie nachlesen, welche Möglichkeiten ihr Bundesland zur Entsorgung von Arzneimitteln anbietet:
www.arzneimittelentsorgung.de
Eine Übersicht der bisher bekannten umweltschädlichen Arzneimittel bietet das BMUV auf seiner Website unter „Umweltauswirkungen unterschiedlicher Medikamente“.17 Einen Überblick über Arzneimittelrückstände in Gewässern gibt das Umweltbundesamt auf seiner Website unter „Arzneimittelwirkstoffe“.7 Ergänzend können Messwerte der UBA Datenbank „Arzneimittel in der Umwelt“ entnommen werden.21
- BMUV (o. J.) Medikamente in Flüssen und Seen: Die Nebenwirkungen. Welche Auswirkungen haben Medikamente auf die Umwelt? www.bmuv.de/richtig-entsorgen-wirkt/welche-auswirkungen-haben-medikamente-auf-die-umwelt [Zugriff 20.6.2024] ↩︎
- Stegner L (2023) Arzneimittelrückstände in der Natur. Warum politische Maßnahmen dringend erforderlich sind. Apotheken und Beruf; 4, S. 14 ↩︎
- Moll D (2023) Umweltschutz – diese Arzneimittel müssen überwacht werden. Grenzwerte für Ibuprofen im Wasser?: Umweltschutz – diese Arzneimittel müssen überwacht werden (deutsche-apotheker-zeitung.de) [Zugriff 20.6.2024] ↩︎
- Gelbe Liste. Pharm Index (o. J.) Diclofenac. www.gelbe-liste.de [Zugriff 21.6.2024] ↩︎
- Europäische Kommission (2015) Durchführungsbeschluss (EU) 2015/495 der Kommission vom 20. März 2015. eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015D0495 [Zugriff 20.6.2024] ↩︎
- Darauf sammelt die EU-Kommission Daten zu Substanzen, die europaweit relevant sind und bei denen potentiell Überschreitungen der UQN-Vorschläge vorliegen könnten, um daraus ggf. Umweltqualitätsnormen (UQN) abzuleiten und diese in die entsprechende Rechtsnorm aufzunehmen. ↩︎
- Ab dieser Konzentration kann der Wirkstoff gemessen werden. ↩︎
- UBA (2020) Arzneimittelwirkstoffe. www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/fluesse/zustand/arzneimittelwirkstoffe [Zugriff 20.6.2024] ↩︎
- Maack G et al. (2023) Diclofenac: Kleine Wirkung für den Menschen – großer Schaden für die Umwelt. Umid; 1, S. 5 www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/4031/publikationen.pdf ↩︎
- BMUV (o. J.) Medikamente in Flüssen und Seen: Die Nebenwirkungen. Welche Auswirkungen haben Medikamente auf die Umwelt? www.bmuv.de/richtig-entsorgen-wirkt/welche-auswirkungen-haben-medikamente-auf-die-umwelt ↩︎
- Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (2020) Deutsche Hormonwoche: Nutzen und Risiken der Antibabypille. www.mri.tum.de/news/deutsche-hormonwoche-nutzen-und-risiken-der-antibabypille [Zugriff 20.6.2024] ↩︎
- Deutsches Grünes Kreuz e. V. (o. J.) Antibabypille dgk.de/gesundheit/frauengesundheit/sexualitt-verhtung/verhtungsmethoden/antibabypille.html [Zugriff 20.6.2024] ↩︎
- Lipp HP, Tipp A (2022) Arzneimittelrückstände in Gewässern. Status quo und Perspektiven. Die Urologie; 11, S. 1208 doi.org/10.1007/s00120-022-01934-0 ↩︎
- Transformationsprodukte sind alle möglichen chemischen Umwandlungen eines Stoffes, die direkt in der Umwelt stattfinden ↩︎
- Beschreibt einen Stoff, der in das Hormonsystem von Umweltorganismen eingreift. ↩︎
- BUND (o. J.) Arzneimittelrückstände – unerwünschte Nebenwirkungen. www.bund-bawue.de/themen/mensch-umwelt/trinkwasser/arzneimittelrueckstaende-unerwuenschte-nebenwirkungen/ [Zugriff 20.6.2024] ↩︎
- Europäische Kommission (2018) Durchführungsbeschluss (EU) 2018/840 der Kommission vom 5. Juni. eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32018D0840 [Zugriff 20.6.2024] ↩︎
- Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (o. J.) Umweltauswirkungen unterschiedlicher Medikamente. www.bmuv.de/richtig-entsorgen-wirkt/welche-auswirkungen-haben-medikamente-auf-die-umwelt/umweltauswirkungen-unterschiedlicher-medikamente [Zugriff 20.6.2024] ↩︎
- Europäische Kommission (2022) Durchführungsbeschluss (EU) 2022/1307 der Kommission vom 22. Juli 2022. eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32022D1307 [Zugriff 20.6.2024] ↩︎
- Müller M, Witte K (2019) Arzneistoffe im Abwasser. www.pharmazeutische-zeitung.de/arzneistoffe-im-abwasser/ [Zugriff 20.6.2024] ↩︎
- Umweltbundesamt (2022) Die UBA Datenbank – „Arzneimittel in der Umwelt“. www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/arzneimittel/die-uba-datenbank-arzneimittel-in-der-umwelt [Zugriff 9.6.2024] ↩︎