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Was kann in Apotheken getan werden, um die negativen Auswirkungen von Arzneimitteln in der Umwelt zu reduzieren? Ein Gespräch mit Patrick Neumann, Apotheker aus Nordrhein-Westfalen, zeigt Perspektiven auf.

Foto: © Patrick Neumann

Wie nehmen Sie das Thema „Arzneimittel und Umweltauswirkungen“ wahr?

Der Gesundheitssektor trägt mit 5,2% zu den CO2 Emissionen in Deutschland bei. Das ist mehr als der Flugsektor mit knapp 3%. Die WHO sieht die Klimakrise als größte Gesundheitskrise an. Vielen Apothekerinnen und Pharmazeutisch-technischen Assistentinnen ist die Klimakrise ein Begriff. Das Ausmaß ist den meisten aber vermutlich nicht bewusst. Die Problematik findet in der aktuellen Beratung der öffentlichen Apotheken aber kaum Beachtung.

Nach Vorträgen oder in Gesprächen auf Messen fällt im Kontakt mit Personen aus dem Pharmasektor auf, dass das Wissen zum Thema Arzneimittel in der Umwelt oder zum Thema Hitze noch sehr gering ist. Hier ist noch einiges an Aufklärungsarbeit und Fortbildungen zu leisten, damit in der Apotheke auch entsprechend beraten werden kann.

Gerade in Bezug auf Arzneimittel ist die Politik gefragt. Solange die Honorierung der Apotheken packungsbezogen ist, fehlt auch der finanzielle Anreiz, von Medikamenten abzuraten oder auch eine entsprechende klimasensible Beratung anzubieten.

Welche Arzneimittel sind besonders problematisch?

Keine Wirkung ohne Nebenwirkungen. Dies gilt auch für die Umwelt. Folgen bestehen für das gesamte Ökosystem. Egal ob als Salbe oder als Tablette, der Körper verstoffwechselt Arzneimittel und am Ende wird immer etwas ausgeschieden oder muss anderweitig entfernt (Pflaster) oder abgewaschen werden. Generell kritisch sind Verbindungen mit Fluor. Beispielhaft dafür steht Sitagliptin, ein Diabetesmedikament. Dabei handelt es sich um sogenannte “forever chemicals”, also chemische Produkte, die in der Umwelt nicht abbaubar sind.

Was kann getan werden?

Die Apotheke dient als niederschwellige Ansprechstation für viele Menschen. Um sich den Arzttermin zu ersparen, suchen viele Menschen zunächst die Apotheke auf. Das Apothekenpersonal kann an dieser Stelle Patient*innen beraten und entsprechend aufklären. Hier kann die richtige Anwendung von beispielswiese Diclofenac Gel erläutert werden oder im besten Falle direkt davon abgeraten werden, da die Wirksamkeit fraglich ist.

Aber auch die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen1 (pDL) können genutzt werden, um Arzneimittel in der Umwelt zu reduzieren. Die Dienstleistungen werden von den Krankenkassen vollständig übernommen und bieten einen guten Zusatznutzen für die Patientinnen. Beispielsweise gibt es Medikationsanalysen. Hierbei können Patientinnen, die fünf oder mehr Arzneimittel einnehmen, diese auf ihre Plausibilität prüfen lassen. In einem Gespräch darüber könnte dann auch über den umweltfreundlichen Gebrauch sowie die richtige Entsorgung beraten werden. Die Zusammenarbeit mit den Ärzt*innen für die bestmögliche Therapie darf hier nicht fehlen.

In der Inhalationsberatung können Fachleute mit einbezogen werden. In einer neuen S2K-Leitlinie spielen Dosieraerosole kaum noch eine Rolle und sollten nur noch im Notfall eingesetzt werden. Das Kontrollieren von Asthma ist meist durch klimafreundliche Pulverinhalatoren ebenfalls möglich. Mit der pDL sowie Inhalationsberatung kann das Apothekenpersonal auch hier gemeinsam mit Ärztinnen und Patientinnen eine nachhaltige, gute Therapie sicherstellen.

Wo hakt es?

Derzeit mangelt es vor allem an Daten. Bekannt sind zwar die Werte aus Gewässern und auch die CO2-Emissionen sind messbar, aber die Auswirkungen gerade von Arzneimitteln auf die Umwelt sind noch nicht hinreichend erforscht. Hier ist die Politik gefordert, denn das Thema Umwelt sollte mehr bei den Zulassungen von Arzneimitteln berücksichtigt werden. Derzeit wird zwar die Umwelttoxikologie geprüft, spielt bei den Zulassungen aber keine Rolle. Aber auch auf die Produktion muss geschaut werden, gerade in asiatischen Ländern werden die Abfallprodukte der Produktionsstätten in die Flüsse geleitet und landen somit ungefiltert in der Umwelt. Firmen in Europa sind dann zwar hier verhältnismäßig nachhaltig. Schaut man allerdings auf den gesamten Prozess, sind diese dann weder ökologisch noch sozial nachhaltig.

In den Apotheken mangelt es zum einen an Wissen, zum anderen aber auch am Willen. Die Pharmazie ist gerade stark im Wandel und da bleibt für Nachhaltigkeit kaum Platz. Auch das Thema Deprescribing ist für Apotheken im aktuellen System nicht finanziert. Zurzeit werden Apotheken nach verkaufter Packung und nicht nach Beratungsleistung bezahlt, wodurch der Verkauf der klimasensiblen Beratung vorgezogen wird. Der aktuelle Fachkräftemangel verschärft die Situation.

Gibt es ein gelungenes Praxisbeispiel, von dem Sie uns berichten können?

Ein paar Apotheken versuchen, nachhaltiger zu werden, sei es durch das Einsparen von Papier und Wasser bis hin zu digitalen Kassenbons oder LED Beleuchtung. Auch die Botendienste zur Medikamentenlieferung werden teils schon mit E-Autos oder in Innenstädten mit Rädern durchgeführt.

Einen weiteren Weg ist Anja Thijsen mit ihrer Apotheke in Niedersachsen gegangen. Mit der Aktion “Wir helfen Ihnen aufräumen” wurden die Bürger*innen dazu aufgerufen, Arzneimittel bei der Apotheke zu entsorgen. Die Aktion ist wichtig, denn die Entsorgung von Medikamenten ist teils von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich – es gibt also kein zentralisiertes, sicheres System.

Viele Wirkstoffe werden im Globalen Süden hergestellt – ist das ein Thema hierzulande?

Im Rahmen der Lieferengpässe wird dies immer wieder bemängelt. Leider fehlt in Apotheken der Weitblick auch für die Umwelt im globalen Kontext. Das Problem ist dabei, dass Arzneimittel trotzdem günstig sein sollen. Mit Umweltauflagen und einer Produktion in Europa würden viele Arzneimittel vermutlich teurer werden. Hier müssen sowohl die EU als auch die Länder gegensteuern. Gesundheit muss finanzierbar sein. Ebenfalls müssen hier die Krankenkassen in Hinblick auf die Rabattverträge mit in die Verantwortung genommen werden. Erste Kassen haben sich entschieden, bei den Ausschreibungen auch auf die nachhaltige Produktion von Medikamenten zu achten. Dies könnte ein größerer Hebel sein, um eine Produktion in Europa zu realisieren.


Vielen Dank für das interessante Gespräch! (EF)


  1. Pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen insbesondere Maßnahmen der Apotheken zur Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie. ↩︎
  2. DAZ (2019) Was genau versteht man unter „Deprescribing“? www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2019/03/11/was-genau-versteht-man-unter-deprescribing [Zugriff 26.6.2024] ↩︎

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