2020-artikel
WTO: Patente wegen Covid-19 aussetzen?
Konflikte in der Welthandelsorganisation um geistige Eigentumsrechte
Die Covid-19-Pandemie hat bestehende Konflikte innerhalb der WTO verschärft. Das zeigen jüngste interne Diskussionsprozesse rund um das Thema geistige Eigentumsrechte. Das zähe Ringen um die neue Führung der Organisation erschwert die Situation.
Die Kämpfe um einen angemessenen Zugang zu medizinischer Versorgung weltweit entscheiden sich nicht zuletzt auf den Fluren der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf. Eine Betrachterin zog dabei die anschauliche Parallele, die Zugangsdebatte sei dort wie ein brodelnder Vulkan, der ab und an ausbreche.[1] Die globale Covid-19-Pandemie sorgte zuletzt gleich mehrfach für Eruptionen.
Indien und Südafrika preschen vor
Am 15. und 16. Oktober tagte das u.a. für Patente zuständige TRIPS Council[2] der WTO. Bereits am 2. Oktober hatten Indien und Südafrika einen vielbeachteten Vorschlag eingebracht, zeitweilig für alle Produkte, die zur Vorbeugung, Eindämmung und Behandlung von Covid-19 notwendig sind, den Schutz geistigen Eigentums (Intellectual Property/IP) auszusetzen.[3] In der Sprache der Organisation heißt so eine Ausnahmeregelung „Waiver“. 1994 war im sogenannten Marrakesch-Abkommen festgelegt worden, dass Staaten unter besonderen Umständen spezielle Ausnahmeregelungen beantragen können.
Hauptargument von Indien und Südafrika bei dem Vorstoß war, dass IP die Fähigkeit von Staaten verringere, die Versorgung mit Impfstoffen aber auch Medizinprodukten sicherzustellen, die zur Bekämpfung von Covid-19 notwendig sind. Haupthindernis sind Patente auf Wirkstoffe und Technologien. Aber auch der Verwertungsschutz für klinische Daten aus Studien kann den Zugang erschweren. Der Waiver soll den WTO-Mitgliedern ermöglichen, den Schutz geistigen Eigentums in derlei Fällen zeitlich befristet auszusetzen. Er soll solange gelten, bis weltweite Impfkampagnen gegen das Virus durchgeführt und weitreichende Immunität erzielt wurde.
Kenia und Eswatini (Swasiland) traten als Co-Sponsoren der Initiative auf. Darüber hinaus setzten sich wichtige UN-Akteure offen dafür ein. UNAIDS-Direktorin Winnie Byanyima ließ etwa verlauten, man dürfe nicht die Fehler der frühen Jahre im Kampf gegen Aids wiederholen. Damals hätte man in reichen Ländern gesunden können, während in ärmeren Ländern Millionen Menschen keine Behandlung erhielten.[4] Auch die Weltgesundheitsorganisation begrüßte den Vorschlag für einen Waiver.[5]
Im Vorfeld der Verhandlungen gab es zudem eine breite zivilgesellschaftliche Unterstützung dafür. So forderten 379 NGOs aus aller Welt, darunter auch die BUKO Pharma-Kampagne, in einem offenen Brief alle WTO-Mitglieder auf, dem eingebrachten Text zuzustimmen.[6]
Gespaltene WTO
Nach mehrstündiger Debatte im TRIPS Council zeichnete sich jedoch kein ausreichender Konsens für die Annahme des Vorschlags ab. Dafür stimmten die Gruppen der afrikanischen Länder und der „am wenigsten entwickelten Länder“ (LDC), aber auch Pakistan, Indonesien, Argentinien und weitere Nationen. Dagegen sprachen sich sowohl die EU als auch die USA aus, zudem u.a. noch Großbritannien, Kanada und Brasilien. Eine größere Gruppe von Staaten wiederum signalisierte Unterstützung, bat aber um Zeit für einen Austausch über Details. Hierzu zählten etwa China, Ecuador und Nigeria.[7]
Nach WTO-Reglement hat das TRIPS Council bis 31. Dezember Zeit, über seinen Report zu der Initiative zu entscheiden. Allerdings wird das Thema wohl bereits deutlich vorher in inoffiziellen Austauschen diskutiert werden. Der finale Bericht geht laut Reglement an die höchste Ebene, die WTO Ministerialkonferenz. Deren nächstes offizielles Treffen stände nach aktueller Planung erst im Juni 2021 in Kasachstan an. Bis dahin wird ihre Funktion jedoch vom General Council übernommen.
TRIPS zum Zweiten
Im Schatten des Ringens um die von Indien und Südafrika eingebrachten Ausnahmen wegen Covid-19 stand eine zweite wichtige TRIPS-Entscheidung: Eine Verlängerung des generellen Waivers für die ärmsten Länder der Welt, die die TRIPS-Regeln noch nicht anwenden müssen. Der Tschad hatte für die sogenannten LDC die Forderung eingebracht, ihre festgelegte Transitionsphase bis zur vollständigen Übernahme der TRIPS-Regelungen zu verlängern. Dies war in der Vergangenheit zwei Mal gewährt worden, derzeit läuft die Frist nur noch bis 1. Juli 2021.[8]
Die Länder verlangen, dass sie IP-Rechte solange nicht beachten müssen wie sie ihren Status als LDC behalten. Darüber hinaus möchten sie anschließend eine Übergangsfrist von 12 Jahren, bis sie die TRIPS-Regeln vollständig umsetzen.[9] Denn durch die wirtschaftlichen, finanziellen und administrativen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie würde den LDCs die Umsetzung deutlich erschwert, so der Tschad. Bangladesch untermauerte diese Ausführungen mit Aussagen aus einem UNCTAD10[10]-Bericht von 2016, der feststellte, dass LDCs, die ihren Status überwinden, noch lange nicht in der Lage sind, wirtschaftlich mit deutlich reicheren Ländern mitzuhalten und deshalb noch Sonderregeln brauchen.[11]
Für diesen Vorstoß Tschads kam auf der Council-Sitzung ebenfalls noch keine ausreichende Mehrheit zustande. Allerdings signalisierten in diesem Falle zumindest auch viele reiche Länder aus dem globalen Norden mögliche Unterstützung. Die LDCs wurden angeregt, weitere Informationen bereitzustellen und zeitnah einen Konsens herbeizuführen.[12]
Viele schlechte Argumente
Der Waiver zu IP und die LDC-Initiative weisen auf das gleiche Problem hin: IP-Rechte erschweren den Zugang zu Arzneimitteln. Dies erklärt auch, warum Argumente der Gegenseite – fast ausschließlich reiche Staaten – in beiden Fällen ähnlich klangen.
Mantra-artig wurde etwa wiederholt, IP sei nicht das Problem und kein Hemmschuh im Kampf gegen Covid-19. Zudem beständen mit den existierenden TRIPS-Flexibilitäten – also den Ausnahmeregeln zum Schutz der öffentlichen Gesundheit (Zwangslizenzen u.a.) – bereits wirksame Instrumente für Härtefalle. Beide Punkte machte z.B. die EU in ihrem Statement gegen den Waiver von Indien und Südafrika geltend. Man darf davon ausgehen, dass dies unter starkem deutschen Einfluss geschah.[13]
Ein näherer Blick offenbart aber ein ziemlich anderes Bild der Lage. Tatsächlich hat sich in den vergangenen Monaten bereits mehrfach gezeigt, dass IP-Rechte Hindernisse in der Covid-19-Bekämpfung darstellen können, von medizinischer Schutzkleidung (PPE) über Bauteile von Ventilatoren zur Beatmung bis hin zu Medikamenten.[14]Gerade im Bereich der Impfstoff-Forschung und -Produktion wächst zudem die Sorge vor einem unübersichtlichen Patent-Dickicht. Hervorzuheben ist außerdem, dass die meisten Patente bezüglich Covid-19 überhaupt erst in den kommenden Monaten lanciert werden dürften.
Auch das Argument, dass der Verzicht auf Patente wenig hilfreich sei, wenn technisches Knowhow und Produktionskapazitäten fehlten, spricht nicht dafür, IP als Problem auszuschließen. Ganz im Gegenteil, es spricht lediglich für flankierenden Technologietransfer und die Verbesserung von Daten-Austausch und -Transparenz. Und auch hier stellt IP ein erhebliches Hindernis dar.
Die Behauptung, dass Maßnahmen wie der Waiver sich negativ auf die Innovationsbereitschaft der Industrie auswirken könnten, ist in einer Situation beispielloser staatlicher Geldausschüttungen an die Pharmaindustrie mit sehr schwachen Accountability-Vorgaben geradezu grotesk. Und auch das Vertrauen darauf, dass sich die Industrie angesichts einer extremen globalen Notlage am Allgemeinwohl orientiert, ist fehl am Platz. Für die großen Pharma-Akteure standen Profite, ob bei HIV, Hepatitis C, Diabetes oder Krebs, stets über dem Wohl der PatientInnen – warum sollte das nun plötzlich anders sein?
Mangelhafte Alternativen
Der Waiver von Indien und Südafrika zielt darauf, dass betroffene Länder schnelle Schritte zur Beschaffung von benötigten Produkten einleiten können statt auf Zwangslizenzen zu setzen. Denn diese erfordern zeitraubende und komplizierte „Von Fall zu Fall“-Entscheidungen. In der Vergangenheit wurden Zwangslizenzen deshalb selten wahrgenommen, obwohl sie ein im TRIPS-Abkommen verbrieftes Recht sind. Die Regierung eines Landes kann im Fall eines Gesundheitsnotstands dringend benötigte Arzneimittel unter einer Zwangslizenz generisch produzieren lassen. Der Patentinhaber kassiert lediglich eine Gebühr. Doch die begründete Sorge, dass Länder mit großen Pharmakonzernen unter Lobby-Druck mit „Vergeltungsmaßnahmen“ reagieren, sorgte für Zurückhaltung. Als zum Beispiel vor wenigen Jahren Kolumbien laut über eine Zwangslizenz für das Krebsmittel Imatinib (Glivec©) nachdachte, hatte das zur Folge, dass die USA und die Schweiz schwere diplomatische Geschütze auffuhren: Der OECD-Beitritt Kolumbiens wurde in Frage gestellt, Kürzungen von Militärhilfen und die mögliche Aufnahme eines internationalen Schiedsgerichtsverfahrens angedroht.[15]
Nun ließe sich einwenden, dass doch erst kürzlich neue, freiwillige Strukturen geschaffen wurden, um bspw. zukünftige Covid-19-Impfstoffe besser global verteilen zu können: die COVAX-Fazilität und C-TAP (wir berichteten[16]). Beide führen aber aus unterschiedlichen Gründen derzeit nicht zum Ziel.
Südafrika bezeichnete COVAX in seinem Statement zum Waiver als ungenügend, da begrenzt im Ansatz und kurzfristig ausgerichtet.[17]Weder werden perspektivisch ausreichende Mengen von Impfstoffen bereitgestellt noch profitieren Länder mittleren Einkommens, die zu arm sind, um die Impfstoffe selbst zu bezahlen. Die Fazilität ist zudem ein reiner Verteilungsmechanismus, ohne Transfer von Eigentumsrechten oder Technologie.
C-TAP bietet dem gegenüber eine umfangreichere und nachhaltigere Perspektive: Patente sollen in einen bei der WHO angesiedelten Pool eingebracht werden, Wissens- und Technologietransfer soll gezielt gefördert werden. Die WHO hat das Projekt bislang jedoch nur zögerlich ausgerollt. Kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft führen dies auch auf den hemmenden Einfluss der Gates-Stiftung zurück, die sich intensiv für COVAX einsetzt. Lediglich vierzig Staaten haben sich bislang zu C-TAP bekannt,[18]Deutschland ignoriert die Option hartnäckig. Des Weiteren schlägt dem Vorhaben deutliche Ablehnung aus der Pharma-Industrie entgegen, noch kein einziger Hersteller hat sich konkret interessiert gezeigt.[19] Es ist also nicht verwunderlich, dass gerade ärmere Länder mit dem WTO-Waiver nach anderen Hebeln suchen.
Zweikampf um die Führung
Inmitten dieser Spannungen erschwert ein weiterer Faktor die Entscheidungsfindung innerhalb der WTO: Die Organisation befindet sich auf den letzten Metern ihrer Entscheidung über eine neue Führung. Dabei stehen sich noch zwei Kandidatinnen gegenüber.
Als Favoritin gilt die Vorsitzende des GAVI-Vorstandes Ngozi Okonjo-Iweala, früher u.a. Finanzministerin Nigerias. Trotz sehr breiter Unterstützung für diese Kandidatin machen die USA stattdessen ihren Einfluss für Yoo Myung-hee geltend, früher u.a. Südkoreas Handelsministerin. Die WTO setzt auf einen Konsens aller 164 Mitgliedstaaten. Eigentlich wollte das WTO General Council schon am 9.11.2020 über die neue Führung entscheiden, doch wurde dies vertagt.[20] Nach der Wahl könnte sich das US-Verhalten ändern, allerdings wird Joe Biden erst am 20. Januar 2021 vereidigt.
Das Timing für diese Führungsquerelen ist denkbar schlecht. Es wäre misslich, wenn neue Covid-19-Impfstoffe auf den Markt kommen sollten, bevor die WTO eine Entscheidung zum erleichterten Zugang getroffen hat. (MK)
Artikel aus Pharma-Brief 8-9/2020, S. 9
Bild Medikamente © Wilfredor
[1] Fletcher E (2020) WTO enters Covid pandemic fray with dispute over patent rights. https://genevasolutions.news/global-health/wto-enters-covid-pandemic-fray-with-dispute-over-patent-rights [Zugriff 30.10.2020]
[2] TRIPS: Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights
[3] WTO (2020) Waiver from certain provisions of the TRIPS Agreement for the prevention, containment and treatment of Covid-19. https://docs.wto.org/dol2fe/Pages/SS/directdoc.aspx?filename=q:/IP/C/W669.pdf&Open=True [Zugriff 05.11.2020]
[4] UNAIDS (2020) UNAIDS supports a temporary WTO waiver from certain obligations of the TRIPS Ag-reement in relation to the prevention, containment and treatment of COVID-19. www.unaids.org/en/resources/presscentre/pressreleaseandstatementarchive/2020/october/20201015_waiver-obligations-trips-agreement-covid19 [Zugriff 30.10.2020]
[5] WHO (2020) WHO Director-General’s opening remarks at the media briefing on COVID-19 - 16 October 2020. www.who.int/director-general/speeches/detail/who-director-general-s-opening-remarks-at-the-media-briefing-on-covid-19---16-october-2020 [Zugriff 30.10.2020]
[6] Civil Society Letter (2020) Supporting proposal by India and South Africa on waiver from certain provisi-ons of the TRIPS agreement for the prevention, containment and treatment of Covid-19. https://msfaccess.org/civil-society-wto-members-support-india-and-south-africas-proposal-waiver-ip-protections-covid-19 [Zugriff 5.11.2020]
[7] Business Today (2020) No consensus on India-South Africa´s WTO proposal to waive off patent rights for Covid-19 innovations. www.businesstoday.in/current/economy-politics/no-consensus-on-india-south-africas-wto-proposal-to-waive-off-patent-rights-for-covid-19-innovation/story/419292.html [Zugriff 30.10.2020]
[8] WTO (2020) Members discuss intellectual property response to the COVID-19 pandemic. https://www.wto.org/english/news_e/news20_e/trip_20oct20_e.htm [Zugriff 01.11.2020]
[9] WTO(2020) Extension of the transition period under TRIPS article 66.1 for least developed country members. 1 Oct. IP/C/W/668
[10] United Nations Conference on Trade and Development
[11] South Centre (2020) WTO TRIPS Council discusses major proposals from developing and least develo-ped countries for waiving certain TRIPS obligations and extension of transition period for LDCs. https://us5.campaign-archive.com/?u=fa9cf38799136b5660f367ba6&id=a9b27dc5a8 [Zugriff 01.11.2020]
[12] WTO (2020) Members discuss intellectual property response to the COVID-19 pandemic. www.wto.org/english/news_e/news20_e/trip_20oct20_e.htm [Zugriff 1.11.2020]
[13] Pharmabiz.com (2020) Fate of joint proposal of SA & India seeking waiver of patents for COVID-19 me-dical supplies hangs in balance. www.pharmabiz.com/NewsDetails.aspx?aid=132985&sid=1 [Zugriff 30.10.2020]
[14] MSF (2020) India and South Africa proposal for WTO waiver from intellectual property protections for COVID-19-related medical technologies Briefing Document. https://msfaccess.org/india-and-south-africa-proposal-wto-waiver-ip-protections-covid-19-related-medical-technologies [Zugriff 30.10.2020]
[15] Weiß S (2019) Streit um Patente: Fortsetzung folgt. Welt-Sichten 25. Mai www.welt-sichten.org/artikel/36154/streit-um-patente-fortsetzung-folgt [Zugriff 30.20.2020]
[16] Pharma-Brief (2020) Wer bleibt außen vor? Nr. 5. S. 4 https://bukopharma.de/images/pharmabrief/2020/Phbf2020_05.pdf [Zugriff 30.10.2020]
[17] Third World Network (2020) South Africa, India strongly rebut arguments against TRIPS waiver. www.twn.my/title2/wto.info/2020/ti201021.htm [Zugriff 1.11.2020]
[18] WHO (2020) Endorsements of the Solidarity Call to Action. www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/global-research-on-novel-coronavirus-2019-ncov/covid-19-technology-access-pool/endorsements-of-the-solidarity-call-to-action [Zugriff 01.11.2020]
[19] Health Gap (2020) South Africa and India’s Proposal to Waive Recognition and Enforcement of Intellec-tual Property Rights for COVID-19 Medical Technologies Deserves Universal Support, But Countries Also Have to Take Domestic Measures. https://healthgap.org/south-africa-and-indias-proposal-to-waive-recognition-and-enforcement-of-intellectual-property-rights-for-covid-19-medical-technologies-deserves-universal-support-but-countries-also-have-to/ [Zugriff 01.11.2020]
[20] Partington R (2020) Appointment of WTO chief in doubt after key meeting cancelled. Guardian 8 Nov
Win-win oder win-loose?
DPGG-Tagung zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften
Am 11.11.2019 veranstaltete die Deutsche Plattform für globale Gesundheit (DPGG) in Berlin unter dem Titel „Win-win oder win-loose?“ eine gut besuchte Veranstaltung zu den Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften in der Globalen Gesundheit. Die Pharma-Kampagne hatte die Fachkonferenz mitorganisiert.
Damit wurde ein Thema auf die Agenda gesetzt, das gewöhnlich von Parteien, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen gleichermaßen lieber hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Mit der Frage „Win-win oder Win-lose?“ beleuchteten wir die Wucht, mit der private AkteurInnen, allen voran die großen philanthropischen Stiftungen, die Agenda der globalen Gesundheit beeinflussen. Der Einführungsvortrag von Prof. Dr. Anna Holzscheiter, Wissenschaftszentrum Berlin, die dort die Forschungsgruppe Governance for Global Health leitet, machte pointiert den massiven Einfluss deutlich, den einzelne private Akteure bereits heute haben.
Danach gab es zwei moderierte Gespräche. Die erste Runde mit einer Journalistin, die die engen Kooperationen von staatlichen und privaten Akteuren seit längerem kritisch verfolgt, einer Vertreterin des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und einem ehemaligen Vertreter des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria.
In der zweiten Runde stellten sich PolitikerInnen von CDU, SPD, Grünen und Linken der Diskussion. Die zusammenfassende Dokumentation der Tagung ist jetzt erschienen (JS)
Artikel aus Pharma-Brief 2/2020, S. 6
DPGG (2020) Win-win oder win-loose.
www.bukopharma.de/images/aktuelles/DPGG-win-lose.pdf
Wer bleibt außen vor?
Zugang zu Covid-19-Produkten nicht gesichert
Gegenwärtig gibt es weder eine Impfung noch eine spezifische Behandlung für Covid-19. Einige bereits existierende Medikamente werden auf ihre Wirksamkeit gegen das Virus getestet, vor allem in die Impfstoffforschung fließt jetzt viel öffentliches Geld. Doch wie gut werden die Ergebnisse der Forschung verfügbar sein? Derzeit werden von der UN, der WHO und vielen Staatschefs große Versprechen gemacht, dass alle Zugang zu Impfungen bekommen, wenn sie zugelassen sind. Doch das ist keineswegs sicher.
Auf der Weltgesundheitsversammlung (WHA) wurde am 19. Mai 2020 eine Resolution zur Bekämpfung von Covid-19 verabschiedet. Die Europäische Union hatte den ersten Entwurf eingebracht und letztendlich unterstützten über 100 Staaten den Text, der einstimmig verabschiedet wurde.[1] Eine künftige Impfung wird explizit als „Globales öffentliches Gut“ bezeichnet. Die Resolution räumt dem „schnellen universellen Zugang zu notwendigen Medikamenten und Technologien und ihren Vorprodukten hohe Priorität“ ein.
Dabei wird ausdrücklich auf die Flexibilitäten des TRIPS-Abkommens der WTO Bezug genommen. Diese Schutzklauseln erlauben die Vergabe von Zwangslizenzen für Arzneimittel und Impfstoffe, wenn die öffentliche Gesundheit bedroht ist. Lediglich die USA distanzierten sich von dieser Formulierung.[2]
Auch die Nutzung eines Patentpools wird von Vielen befürwortet. Eine solche Plattform, die Patente bündelt und die Lizenzvergabe erleichtert, wurde von der WHO am 29. Mai 2020 als COVID-19 Technology Access Pool aus der Taufe gehoben. Das kurz C-TAP genannte Modell hat ein deutlich breiteres Mandat (siehe unten) als der existierende Medicines Patent Pool (MPP), der ursprünglich für HIV-Medikamente gegründet wurde. 38 Länder unterstützen C-TAP, darunter fünf EU-Staaten – Deutschland gehört nicht dazu.[3]
Fehlendes Interesse
Bis zum Covid-19 Ausbruch gab es kaum kommerzielle Forschungsprojekte zu Corona, obwohl mit SARS (2002) und MERS (2012) schon zwei Corona-Virenstämme zirkulierten, die schwere Verläufe auslösten.[4] Investitionen kamen fast ausschließlich von öffentlicher Seite. So steckten z.B. die US-National Institutes of Health seit 2003 fast 700 Millionen US$ in die Corona-Forschung, davon flossen rund 100 Mio. direkt an Firmen. Auch die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) investierte erhebliche Summen.
Die Industrie zeigte vor dem aktuellen Ausbruch wenig Interesse an der Entwicklung von Corona-Impfstoffen. 2017 beantragte die EU-Kommission bei der Innovative Medicines Initiative (IMI) ein Projekt zur schnelleren Entwicklung von Impfstoffen gegen Erreger wie Coronaviren. Die Industrie lehnte das 2018 ab, obwohl das Geld für IMI aus dem EU-Haushalt kommt – die Industrie bringt „Sachleistungen“ ein.[5] Das Public Private Partnership IMI wurde wegen seines geringen öffentlichen Nutzens öfters kritisiert.[6] [7] [8] Selbst der europäische Pharmaverband EFPIA räumte ein, IMI habe der Industrie „erhebliche Kosteneinsparungen ermöglicht, da IMI Projekte macht, die einzelne Firmen ansonsten selbst durchgeführt hätten.“[7] Dieser Kommentar auf der EFPIA-Website wurde später gelöscht.
Goldgräberstimmung
Seit hohe staatliche Zuschüsse und ein großer Markt winken, herrscht Goldgräberstimmung bei den Pharmaunternehmen: Die WHO zählte am 5. Mai 2020 Versuche mit acht Impfstoffen an Menschen und weitere 100 Projekte in der vorklinischen Phase.[9] Neben den USA dürfte CEPI der wichtigste Geldgeber für die Covid-19 Impfstoffforschung werden.[10] Dabei sind auch zahlreiche öffentliche Institute (weiterhin) in der Forschung aktiv. Eine vom deutschen Pharmaverband Vfa veröffentlichte Übersicht macht deutlich, dass bei der Mehrzahl der fortgeschrittenen Impfstoffentwicklungen[11] Universitäten, staatliche Institute und/oder öffentliche Gelder mit im Spiel sind.[12]
Am 4.5.2020 lud die EU-Kommission im Rahmen der Accelerator Initiative (ACT) zu einer internationalen “Coronavirus Global Response” Geldsammelkonferenz, bei der 7,4 Mrd. € für Impfstoffe, Medikamente und Tests zugesagt wurden.[13] Inzwischen wurden noch weitere Summen angekündigt. Dabei ist nicht gesichert, dass die mit dem Geld entwickelten Produkte später weltweit zur Verfügung stehen werden.[14] Zwar gab es vor und auf der Geberkonferenz vollmundige Versprechen, dass ärmere Länder gleichberechtigten Zugang bekommen sollen. Aber die EU-Kommission betonte, dass von den Herstellern nicht erwartet würde, ihre Patentrechte aufzugeben. Es werde auf „Anreize“ gesetzt.[15]
Staatsgeld für private Fabriken?
Die internationale Pharmaindustrie hat derweil bereits zusätzliche Forderungen gestellt: Der Staat solle nicht nur in die Forschung investieren, sondern den Firmen auch die benötigten Impfstofffabriken bezahlen.[16] Sanofi-Chef Hudson drohte kürzlich, der Impfstoff seiner Firma werde nach Zulassung nur in den USA erhältlich sein, die dortigen Behörden hätten schon Gelder zugesagt. Sollte Europa ebenfalls Interesse an dem Produkt haben, müsse es die Massenproduktion des Impfstoffs finanziell unterstützen.[17] Das wirft die Frage auf, ob unter solchen Bedingungen eine staatliche Produktion nicht rentabler wäre.
Wer hat das Sagen?
Der Mangel an Governance ist (nicht nur) bei Corona ein Kernproblem. Eigentlich sollte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Fäden in der Hand halten. Doch in etlichen Arbeitsbereichen erschweren unklare Strukturen und zersplitterte Zuständigkeiten eine gute Führung und Steuerung bei der Pandemie-Bekämpfung.
Beim Einsammeln der Gelder und der Verteilung der Covid-19-Mittel spielt die “Accelerator Initiative”, kurz ACT, eine zentrale Rolle.[18] Die WHO ist beteiligt, aber es gibt mindestens neun weitere Akteure wie Stiftungen, Global Fund und mehrere Industrieverbände.[19] Auch einige PolitikerInnen sind mit im Boot: WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus dankte bei der Vorstellung der ACT am 24. Mai 2020 besonders dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, EU-Präsidentin Ursula von der Leyen und Bill und Melinda Gates für ihr „Leadership“. Als Sonderbeauftragte für ACT nannte er den Ex-Pharmamanager Andrew Witty (GSK) und Dr Ngozi Okonjo-Iweala, längjährige Mitarbeiterin der Weltbank und ehemalige Finanzministerin von Nigeria.[20] Von der Leyen betonte „Wir müssen eine Impfung entwickeln, wir müssen sie produzieren und sie in jede Ecke der Welt liefern und zu bezahlbaren Preisen zugänglich machen. Dieser Impfstoff wird unser universelles Gemeinschaftsgut […].“ Doch genau das ist nirgendwo rechtlich verbrieft.
Es ist also ein ziemlich gemischter Haufen, der dabei mitreden wird, wie die Gelder eingesetzt werden. Die EU betonte nach der Geberkonferenz vom 4. Mai, dass es bei den gegenwärtigen Strukturen bleiben wird. Die jeweiligen Geldgeber, also Staaten und Stiftungen, schütten ihre Mittel direkt an die Empfänger aus. Die EU führt lediglich Buch, ob die Zahlungen tatsächlich stattfinden.[21] Das bedeutet aber nicht nur, dass es keine wirkliche Kontrolle über die Verfügbarkeit der Produkte gibt, auch die Forschungs-Prioritäten setzt der jeweilige Geldgeber.
Poor track record
Ein anderer wichtiger Akteur bei der Verteilung der (zusätzlichen) Forschungsmittel zu Covid-19 ist CEPI. Diese öffentlich-private Forschungsinitiative wird schon seit längerem wegen ihrer unklaren Zugangspolitik kritisiert.
Trotz mehrfacher Interventionen von NGOs[22] will CEPI in den Kooperationsvereinbarungen mit privaten Firmen keine rechtsverbindlichen Regeln formulieren, um den Zugang sicherzustellen. Dabei zeigt eine interne Revision, die CEPI, als Reaktion auf die Kritik an der Zugangspolitik durchführte, dass das dringend notwendig wäre. Der Vertrag mit der Firma Moderna zu Covid-19-Impfstoffen enthielt z.B. „keinerlei [Zugangs-]Vereinbarungen“. Die Revision bemängelt, dass die Klauseln zum Patentschutz unzureichend seien und dass „klare Regeln in die Verträge geschrieben werden müssen, damit die geistigen Eigentumsrechte an einen gerechten Zugang gekoppelt werden.“[23] Aus diesen Erkenntnissen hat CEPI jedoch offensichtlich keine Konsequenzen gezogen.
GAVIs großzügige Geschenke
Die Verantwortung für die Beschaffung und Verteilung von Covid-19-Impfstoffen soll schließlich bei der Impfallianz GAVI liegen, einem weiteren Public-private-Partnership. Neben der allgemeinen Kritik an der Prioritätensetzung und den Entscheidungsstrukturen von GAVI[24] sind auch sogenannte „advance marketing commitments“ (AMC) bedenklich, die zur Geschäftspolitik der Impfallianz zählen.[25] Ein AMC ist das Versprechen, große Mengen eines noch nicht verfügbaren Produkts zu einem festgelegten Preis abzunehmen. Das soll einen Anreiz für die Erforschung und Entwicklung fehlender Medikamente und Impfstoffe bieten.
Das erste AMC erwies sich allerdings als Subventionsprogramm für die Pharmaindustrie. Denn die Gelder flossen für einen bereits auf dem Markt befindlichen Pneumokokken-Impfstoff, für den GAVI einen Preis zahlte, der die Produktionskosten deutlich überstieg.[15] [26] Am Rande sei erwähnt, dass GAVI einen Teil seiner Maßnahmen mit dem Verkauf von Bonds der „International Finance Facility for Immunisation“ vorfinanziert und damit letztlich staatliche Mittel an private Kapitalanleger fließen.
Für Corona hat GAVI das COVAX-AMC angekündigt. Dabei behält die Industrie die Patentrechte für ihre Impfstoffe und kann diese außerhalb der Kontingente, die GAVI abnimmt, beliebig teuer verkaufen. Es lässt sich aber weder beurteilen, ob der vereinbarte Einkaufspreis fair ist, noch ist gesichert, dass GAVI die Ärmsten in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen tatsächlich angemessen versorgen kann.[27]
Europe first
Obwohl Kanzlerin Merkel im Vorfeld und bei der Weltgesundheitsversammlung ausdrücklich erklärt hatte, dass Covid-19-Impfstoffe ein globales öffentliches Gut seien, das allen weltweit zugänglich sein müsse, zeigen die konkreten politischen Handlungen in eine andere Richtung.[28] [29] Deutschland und andere große EU-Mitgliedsstaaten haben bislang dem WHO Patentpool C-TAP keine Unterstützung zugesagt.
Statt auf global gerechten Zugang setzen viele europäische Staaten offensichtlich auf eigene Interessen und auf Schonung der Pharmaindustrie. Dafür sprechen auch die von Deutschland gemeinsam mit Italien, den Niederlanden und Frankreich direkt mit dem Impfstoffhersteller AstraZeneca geführten Verhandlungen um ein Kontingent von 300 Mio. Impfstoffdosen für Europa. „Viele Länder der Welt haben sich schon Impfstoffe gesichert, Europa noch nicht. […] Durch das zügige koordinierte Agieren einer Gruppe von Mitgliedsstaaten entsteht in dieser Krise Mehrwert für alle EU-Bürger“, rechtfertigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn das Vorgehen.[30]
Winnie Byanyima, Chefin von UNAIDS, und eine entschiedene Befürworterin des weltweit gerechten Zugangs zu Arzneimitteln, hatte für diese Taktik bittere Worte. Erst hieß es “America first”, jetzt heißt es “Europe first” „und für Afrika fallen ein paar Krümel ab.“[31]
Angesichts der Kritik der Bundesregierung an der Absicht des US-Präsidenten Donald Trump, den deutschen Impfstoffhersteller Curevac zu kaufen, ist es schwer verständlich dass sich Deutschland jetzt mit 300 Millionen € selbst an der Firma beteiligt. Wirtschaftsminister Altmaier betont dabei, auf Geschäftsentscheidungen wolle der Staat keinen Einfluss nehmen. Der weltweite Zugang zu einem Impfstoff spielt ganz offensichtlich keine entscheidende Rolle.[32]
Da tröstet es auch wenig, dass die deutsche Regierung im Juni bei der Geberkonferenz von GAVI 100 Millionen Euro zusätzlich versprochen hat, die explizit für die Corona-Bekämpfung in armen Ländern vorgesehen sind (bzw. für den Einkauf von Impfstoffen zu überhöhten Preisen, s.o.).
Deutschland muss WHO Pool stützen
Selektive Verhandlungen mit einzelnen Herstellern, Abnahmegarantien zu überhöhten Preisen oder freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie werden keine global gerechte Versorgung mit Arzneimitteln und Impfstoffen sicherstellen. Dafür ist ein Patent-Pool das sinnvollere Instrument. Denn um die maximal möglichen Mengen eines Medikaments herstellen und alle Regionen der Welt kontinuierlich beliefern zu können, bedarf es der Nutzung möglichst vieler Produktionsstätten (und der Schaffung neuer Kapazitäten). Das ist aber nur möglich, wenn Patentrechte gebündelt und Lizenzen zu fairen Konditionen an viele verschiedene Hersteller vergeben werden. Genau das kann aber nur der WHO Patentpool sicherstellen.
Mit ihrer Ablehnung des Patentpools blockiert die deutsche Regierung wichtige Weichenstellungen für eine global gerechte Versorgung. Denn als potenter Geldgeber für GAVI und CEPI könnte Deutschland dafür sorgen, dass die Vergabe von Mitteln an kommerzielle Hersteller mit klaren Auflagen für faire Preise verknüpft werden und die geistigen Eigentumsrechte an den WHO Pool übertragen werden. Auf dem Papier unterstützt die Bundesregierung die Führungsrolle der WHO – jetzt muss sie auch liefern.
Last but not least
Schließlich sollte nicht vergessen werden, dass Covid-19 nur eines von vielen gravierenden globalen Gesundheitsproblemen ist. Deshalb sollten die gegenwärtigen Strukturen kritisch überprüft werden. CEPI, GAVI und viele andere krankheitsbezogene Programme (Aids, Malaria, TB usw.) führen zu vertikalen Interventionen, die viele Ressourcen fressen. Sie sind stets auf einzelne Erkrankungen ausgerichtet und bergen die Gefahr, dass eine umfassende Gesundheitsversorgung der Bevölkerung auf der Strecke bleibt.
Die Direktorin des Stop TB Partnership, Lucica Ditiu, brachte ihre Frustration angesichts der wegen der Corona-Pandemie zusammenbrechenden Testung und Versorgung von TB-Kranken auf den Punkt: „Seit 100 Jahren haben wir einen TB-Impfstoff und vielleicht zwei, drei neue Kandidaten in der Pipeline. […] Wir schauen mit Erstaunen auf eine Krankheit, die 120 Tage alt ist und für die 100 Impfstoff-Kandidaten in der Pipeline sind. Ich meine, diese Welt ist wirklich aus den Fugen.“ [33] [34] (JS)
Dieser Artikel nutzt Vorveröffentlichungen auf unserer Website zum Thema und gibt den Stand vom 23. Juni wieder. Da sich die Situation sehr dynamisch entwickelt, empfehlen wir für aktuelle Entwicklungen einen Blick auf www.bukopharma.de
C-TAP – Der COVID-19 Technology Access Pool der WHO
Der COVID-19 Technology Access Pool (C-TAP) hat sich fünf Ziele gesetzt, die für eine schnelle Produktentwicklung und Versorgung wichtig sind:[34]
- Gensequenzen und Daten öffentlich verfügbar zu machen, um die Forschung zu beschleunigen;
- Transparenz bei den Studienergebnissen herzustellen, damit es Klarheit über die besten Produkte gibt;
- Regierungen und andere Geldgeber sollen ihre Zahlungen an Firmen und ForscherInnen an Bedingungen knüpfen: gerechter Zugang, günstige Preise und eine vollständige Veröffentlichung wissenschaftlicher Daten;
- Produktentwickler sind aufgefordert, ihre Covid-19-Technologien, geistigen Eigentumsrechte und Daten freiwillig in den Patentpool einzubringen, um eine schnelle und kostengünstige Generikaproduktion zu ermöglichen;
- Offene Innovationsmodelle und Technologietransfer zu fördern, um eine lokale Produktion zu ermöglichen und lokale Versorgungsstrukturen zu stärken.
Die Federführung für den Access Pool liegt bei der WHO. Dabei wird auf etablierte Strukturen wie den Medicines Patent Pool zurückgegriffen, der 2010 gegründet wurde und inzwischen eine ganze Reihe von Patenten für etliche lebenswichtige Therapien gegen HIV, TB, Malaria u.a. bündelt. Ebenfalls beteiligt ist TAP, das Technology Access Partnership, eine Kooperation von vier UN-Organisationen, darunter die United Nations Technology Bank, eine UN-Organisation zur Stärkung von Wissenschaft, Technologie und Innovation in den am wenigsten entwickelten Ländern. Bei ihr ist seit dem 12. Mai eine Covid-19-Plattform angesiedelt, die für Technologietransfer und den Aufbau lokaler Produktionskapazitäten sorgen soll.[35]
Bild WHO-Generaldirektor © WHO/Christopher Black
Artikel aus dem Pharma-Brief 5/2020, S.4
[1] WHA 73 Covid-19 response. Draft resulation Albania et al. Stand 18.5.2019, 23.38h https://t.co/PMyJ9cwRk6?amp=1 [Zugriff 19.5.2020]
[2] WHA 73 United States of America Explanation of Position “COVID-19 Response” Resolution. https://apps.who.int/gb/statements/WHA73/PDF/United_States_of_America2.pdf [Zugriff 19.5.2020]
[3] Argentinien, Bangladesch, Barbados, Belgien, Belize, Bhutan, Brazil, Chile, Costa Rica, Dominikanische Republik, Ecuador, Egypt, El Salvador, Honduras, Indonesien, Libanon, Luxemburg, Malaysia, Maldiven, Mexico, Mongolei, Mosambik, Norwegen, Oman, Pakistan, Palau, Panama, Paraguay, Peru, Portugal, Sant Vincent und die Grenadinen, Südafrika, Sri Lanka, Sudan, Niederlande, Osttimor, Uruguay, Zimbabwe
[4] Public Citizen (2020) Blind spot. www.citizen.org/article/blind-spot [Zugriff 20.4.2020]
[5] Boffey M (2020) Exclusive: big pharma rejected EU plan to fast-track vaccines in 2017 Guardian 25 May www.theguardian.com/world/2020/may/25/exclusive-big-pharma-rejected-eu-plan-to-fast-track-vaccines-in-2017 [Zugriff 21.6.2020]
[6] Pharma-Brief (2012) Propaganda für Patienten öffentlich bezuschusst. Nr. 5, S. 3
[7] Pharma-Brief (2014) Neue Sterne am Horizont. Nr. 5, S. 2
[8] CEO (2020) In the name of innovation. S. 8 https://corporateeurope.org/en/in-the-name-of-innovation [Zugriff 21.6.2020]
[9] WHO (2020) Draft landscape of COVID 19 candidate vaccines. 5 May www.who.int/who-documents-detail/draft-landscape-of-covid-19-candidate-vaccines [Zugriff 7.5.2020]
[10] CEPI wird von Staaten und privaten Stiftungen finanziert. www.cepi.net
[11] Projekte, bei denen Studien an Menschen unmittelbar bevorstehen oder bereits begonnen wurden.
[12] Vfa (2020) Impfstoffe zum Schutz vor Covid-19, der neuen Coronavirus-Infektion. Stand 23. Juni www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/impfstoffe-zum-schutz-vor-coronavirus-2019-ncov [Zugriff 23.6.2020]
[13] 4 Mrd. sollen in die Impfstoffe gesteckt werden, 2 Mrd. in die Entwicklung von Medikamenten und 1,5 Mrd. in Tests
[14] ‘t Hoen E (2020) The € 7.4 billion for Covid-19 product and vaccine development needs a few strings attached. Medicines law & policy, 5 May https://medicineslawandpolicy.org/2020/05/the-e-7-4-billion-for-covid-19-product-and-vaccine-development-needs-a-few-strings-attached
[15] Wintour P (2020) World leaders pledge €7.4bn to research Covid-19 vaccine. Guardian 4 May www.theguardian.com/world/2020/may/04/world-leaders-pledge-74bn-euros-to-research-covid-19-vaccine [Zugriff 8.5.2020]
[16] Jack A (2020) Big Pharma calls for ‘billions’ in upfront coronavirus funding. Financial Times 21 April www.ft.com/content/000a129e-780e-11ea-bd25-7fd923850377 [Zugriff 8.5.2020]
[17] Spiegel (2020) „Gut vorstellbar, dass Amerikaner zuerst geimpft werden“ 25. April www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/corona-impfstoff-pharmakonzern-warnt-us-buerger-koennten-zuerst-geimpft-werden-a-a45b9528-d637-4608-8d30-666e08856090
[18] Access to COVID-19 Tools (ACT) Accelerator
[19] Ein Papier der WHO nennt folgende Akteure: Bill&Melinda Gates, Foundation, Developing Countries, Global Fund, Welcome Trust, CEPI, GAVI, Unitaid, WHO und drei Pharmaverbände (dcvmn, IGBA, IFPMA) www.who.int/who-documents-detail/access-to-covid-19-tools-(act)-accelerator [Zugriff 11.5.2020]
[20] WHO (2020) COVID-1) ACT Accelerator launch 24 April 2020. Transcript www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/transcripts/transcript-who-actlaunch-24apr2020.pdf [Zugriff 11.5.2020]
[21] EU (2020) Corona virus global response. Hintergrund https://global-response.europa.eu/about_de [Zugriff 9.5.2020]
[22] Pharma-Brief (2019) Musterknabe auf Abwegen. Nr. 2, S. 1
[23] CEPI (2020) Equitable Access Committee (EAC) meeting – 13 February 2020 https://cepi.net/wp-content/uploads/2020/04/Minutes-13-02-2020-EAC-Meeting.pdf [Zugriff 21.6.2020]
[24] Pharma-Brief (2015) GAVI: Mehr Geld allein reicht nicht. Nr. 1, S. 1
[25] GAVI (2020) GAVI’s proposal for an advance market commitment for Covid-19 vaccines. 1 May www.gavi.org/sites/default/files/covid/Gavi-proposal-AMC-COVID-19-vaccines.pdf [Zugriff 8.5.2020]
[26] Pharma-Brief (2010) Multis mit Hilfegeldern füttern. Nr. 2, S. 1
[27] MSF et al. (2020) Open letter to the GAVI Board 23 June
[28] www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/pressestatement-von-bundeskanzlerin-merkel-im-rahmen-der-who-spenden-videokonferenz-1746960 [Zugriff 3.6.2020]
[29] www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/videobotschaft-von-bundeskanzlerin-angela-merkel-anlaesslich-der-world-health-assembly-2020-am-18-mai-2020-1753676 [Zugriff 3.6.2020]
[30] DPA (2020) Vertrag sichert EU 300 Millionen Impfdosen. 13. Juni https://sz.de/dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200613-99-413122 [Zugriff 21.6.2020]
[31] African-European Parliamentarians Initiative (2020) The People‘s Vaccine: Will a COVID-19 Vaccine be Available to People North and South? Webinar 15 June 2020
[32] DPA (2020) Bund steigt bei Corona-Impfstoff-Entwickler Curevac ein. 15. Juni https://sz.de/dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200615-99-434512 [Zugriff 21.6.2020]
[33] Ford L (2020) Millions predicted to develop tuberculosis as result of Covid-19 lockdown. Guardian 6 May www.theguardian.com/global-development/2020/may/06/millions-develop-tuberculosis-tb-covid-19-lockdown [Zugriff 8.5.2020]
[34] Im Original: “So I think this world, sorry for my French, is really fucked up”
[35] WHO (2020) International community rallies to support open research and science to fight COVID-19. News release 29 May www.who.int/news-room/detail/29-05-2020-international-community-rallies-to-support-open-research-and-science-to-fight-covid-19
Viele Facetten der Beeinflussung – Interessenkonflikte in der Medizin
Bewusst oder unbewusst verzerrte Studienergebnisse beeinträchtigen eine optimale Behandlung von PatientInnen. Mit einer qualitativen Untersuchung versuchen acht WissenschaftlerInnen den Ursachen und Folgen von Interessenkonflikten in der Medizin genauer auf die Spur zu kommen.[1]
Dass kommerzielle Interessen die Ergebnisse von klinischen Studien positiver aussehen lassen als sie wirklich sind, gilt als gesicherte Erkenntnis. Wie ist aber die Innensicht derjenigen, die Studien durchführen, wo sehen sie Probleme und welche Lösungen schlagen sie vor? Für die Befragung wurden 20 WissenschaftlerInnen gewonnen, die AutorInnen von mindestens zehn Studienveröffentlichungen waren. Die meisten verfügten sowohl über Erfahrungen mit industriegesponserten als auch mit öffentlich geförderten Studien. Die große Mehrheit stammte aus Europa oder Nordamerika. 40% hatten aktuell selbst Interessenkonflikte angegeben. Die meisten arbeiteten an Universitäten oder Krankenhäusern, nur eine Person für eine kommerzielle Einrichtung. Es handelt sich um keine repräsentative Befragung, aber das Ziel war primär auch ein anderes: möglichst viele Facetten von Interessenkonflikten zu erkennen.
Bewusste Verfälschung
Acht der Befragten hatten selbst miterlebt, dass in einer Studie, an der sie beteiligt waren, Interessenkonflikte zu dem Versuch führten, die Ergebnisse zu manipulieren. Bei einer Studie zu chirurgischen Verfahren wurden in mehreren Zentren die Umschläge mit der Zuordnung zu den Versuchsarmen vorher geöffnet. Dann wurden die jüngeren PatientInnen mit der neuen Methode behandelt und ältere mit der etablierten Methode – weil die ChirurgInnen an die neue Behandlungsmethode glaubten. In einem anderen Fall verlangte der Studienleiter von den StatistikerInnen eine ungeplante Zwischenanalyse der Daten mit der expliziten Begründung, nur wenn „man etwas [positives] zeigen kann“, komme man in eine angesehene Fachzeitschrift. Bewusste oder unbewusste Vorlieben für den einen oder anderen Behandlungsarm einer Studie seien nicht ungewöhnlich und verleiteten häufiger dazu, etwas an den Ergebnissen zu drehen. Dabei könnten sowohl finanzielle Interessen als auch Karrierewünsche eine Rolle spielen.
Zwei Befragte berichteten über Studien, die der Hersteller vorzeitig beenden wollte, weil die Ergebnisse für das Produkt wenig vorteilhaft waren. Um dies zu erkennen, hätten die Firmen die Verblindung der Daten vorzeitig durchbrochen und dann die Förderung eingestellt. Und die WissenschaftlerInnen hatten dann alle Mühe, an die Daten heranzukommen, um die Ergebnisse öffentlich machen zu können.
Geht eine Studie positiv aus, bieten die Firmen Geld für weitere Studien mit demselben Produkt. Geht sie negativ aus, gibt es nichts. Dabei stehen dann auch weitere Förderungen der Firma für die Institutionen auf dem Spiel. Das sind Anreize für die Manipulation von Ergebnissen oder den Versuch, schlechte Ergebnisse schönzureden. Bedauerlicherweise scheinen auch manche öffentliche Förderer gegen solche Beeinflussungsversuche der Wissenschaft nicht immun zu sein.
Das größte Problem bei der kommerziellen Forschung sei allerdings, dass Firmen entschieden, welche Art von Studien überhaupt gemacht würden. Deshalb blieben viele wichtige Fragen unbeantwortet.
Gegenwehr
Alle Interviewten waren sich einig, dass eine vollständige Offenlegung von Interessenkonflikten eine wichtige Voraussetzung für eine Verbesserung der Situation sei. Eine strenge Prüfung, ob ein Studiendesign überhaupt die Antwort auf relevante medizinische Fragen erlaube, sei ein weiterer Schutzschild. Als medizinische Institution müsse man bei Studien, bei denen es „nur um kommerzielle Interessen geht,“ nicht mitmachen.
Institutionen sollten darauf achten, dass die an der Forschung Beteiligten weder finanzielle Interessen an dem untersuchten noch an Konkurrenzprodukten haben.
Was ist ein Konflikt?
Während finanzielle Interessenkonflikte noch relativ klar definiert sind, könnten auch weitere Störfaktoren die Ergebnisse verfälschen: So seien manche ForscherInnen ignorant gegenüber der Tatsache, dass Rosinenpickerei bei den Ergebnissen problematisch ist. Andere dagegen manipulierten im vollen Bewusstsein, damit das „gewünschte“ Ziel zu erreichen.
Die Einschätzung, was einen Interessenkonflikt darstellt, divergieren zwischen den Befragten erheblich. Während eineR das vorzeitige Stoppen einer Studie bei unvorteilhaften Zwischenergebnissen klar als Interessenkonflikt klassifizierte, bezeichnete eine andere Person solch eine Entscheidung als verständliche „Geschäftsentscheidung“, die keinen Interessenkonflikt darstelle.
Manchmal seien die Konflikte nicht auf den ersten Blick zu erkennen. So war eine ForscherIn an einer Studie der WHO beteiligt, fand aber erst später heraus, dass das Geld dafür von der Pharmaindustrie stammte.
Mehr Klarheit darüber, was relevante Interessenkonflikte sind und warum sie schädlich sein können, ist sicher wünschenswert. Keine Frage ist, dass kommerzielle Interessenkonflikte eine schwere Bedrohung für die Verlässlichkeit von Studienergebnisse darstellen. Aber es gibt weitere Faktoren, die ebenfalls zu Verfälschungen führen können. Dazu hat die vorliegende Untersuchung einige neue Hinweise geliefert. Vor allem aber scheint es für viele WissenschaftlerInnen noch Lernbedarf darüber zu geben, was zu diesem Thema alles schon bekannt ist. Das zeigen die unterschiedlichen Einschätzungen zu identischen Sachverhalten deutlich. (JS)
[1]Østengaard L et al. (2020) Influence and management of conflicts of interest in randomised clinical trials: qualitative interview study. BMJ 2020; 371, p m3764 http://dx.doi.org/10.1136/bmj.m3764
Ungesunde Eile
Vorschnelle Zulassung schadet PatientInnen
Wir haben schon häufiger kritisiert, dass die europäische Medikamentenbehörde EMA[1] Arzneimittel auf Basis dürftiger Daten zulässt. Vor einem Jahr wurde ein unwirksames Mittel gegen Weichteilsarkome vom Markt genommen. Jetzt stoppt die EMA ein Mittel, das eigentlich Hautkrebs verhindern soll, ihn aber eher fördert. Es scheint aber zweifelhaft, ob die Behörde aus den Vorfällen lernt.
Vor einem Jahr berichteten wir über das Krebsmedikament Olaratumab,[2] das entgegen den vollmundigen Versprechungen bei der Zulassung im Jahr 2016, den PatientInnen keinerlei Nutzen brachte. Das stellte sich aber erst drei Jahre später heraus, nachdem eine von der EMA geforderte weitere Studie abgeschlossen war. Da der Wirkstoff als Zusatztherapie gegeben wurde, war der Nutzen Null – die Jahrestherapiekosten lagen bei fast 200.000 €.
Das zweite Verbot
Im Januar 2020 hat die europäische Zulassungsbehörde EMA die Anwendung von Ingenolmebutat untersagt.[3] Das Mittel sollte verhindern, dass sich Hautveränderungen (aktinische Keratosen) im Gesicht und auf der Kopfhaut zu weißem Hautkrebs weiterentwickeln. Jetzt zeigen Studien, dass Hautkrebs bei PatientInnen, die diesen oder einen nah verwandten Wirkstoff verwendet haben, sogar deutlich häufiger auftritt. Das gilt sowohl im Vergleich zu Placebo[4] als auch zu einem anderen Medikament.[5]
Ingenolmebutat war 2012 auf Basis dünner Daten zugelassen worden. Die Wirkung des Mittels wurde nach acht Wochen beurteilt. Als Kriterium galt, dass sich die Hautveränderungen
bei einem größeren Prozentsatz der PatientInnen zurückbildeten als im Vergleichsarm der Studien.[6] Das ist ein Surrogat, das keine zuverlässigen Aussagen über die Wirksamkeit gegen Krebs erlaubt. Außerdem war die Beobachtungszeit viel zu kurz: Aktinische Keratosen entwickeln sich nur manchmal und erst nach längerer Zeit zu Hautkrebs. Was außerdem fragwürdig
ist: Ingenolmebutat wurde nur mit Placebo verglichen, nicht aber mit etablierten Verfahren wie mit anderen Medikamenten oder Kryotherapie.
Nichts dazugelernt
Ob die EMA aus diesen Vorfällen gelernt hat, ist aber mehr als fraglich. Aktuell hat gerade ein Hersteller bei der europäischen Behörde für genau das gleiche Anwendungsgebiet den Zulassungsantrag für einen neuen Wirkstoff eingereicht. Dabei teilt das Pharmaunternehmen Almirall stolz mit, dass die EMA die Studien, die der Hersteller vorgelegt hat, für die Bewertung für ausreichend hält.[7] In den Studien von Almirall wurde exakt das Gleiche wie bei Ingenolmebutat gemessen: Bei welchem Prozentsatz der PatientInnen verschwanden die Hauterscheinungen nach acht Wochen im Vergleich gegen Placebo?
Es wird wirklich Zeit, dass die Zulassungsbedingungen in Europa verschärft werden. Eine Debatte, welche Maßstäbe an neue Medikamente gelegt werden, ist überfällig. Vergleiche gegen Placebo, wenn es eine etablierte Therapie gibt, gehören ebenso wenig dazu wie Surrogat-Ergebnisse. Für Patientinnen und Patienten zählt, was ihre Krankheitssymptome verringert oder beseitigt, das Leben verlängert oder die Lebensqualität erhöht. (JS)
Artikel aus Pharma-Brief 2/2020, S. 6
[1] European Medicines Agency mit Sitz in Amsterdam
[2] Pharma-Brief (2019) Zu früh ist unzuverlässig. Nr. 1, S. 4
[3] EMA (2020) Pressemitteilung vom 17. Jan. www.ema.europa.eu/en/news/ema-suspends-picato-precaution-while-review-skin-cancer-risk-continues [Zugriff 5.3.2020]
[4] Hautkrebs trat in einer 8-Wochen Studie bei 1% der mit Ingenolmebutat behandelten PatientInnen auf, unter Placebo bei 0,1%, in einer Zusammenfassung von vier Studien unbekannter Dauer 7,7% versus 2,9%.
[5] Bei 3,3% der PatientInnen, die mit Ingenolmebutat behandelt worden waren, entwickelte sich nach drei Jahren Hautkrebs, mit Imiquinod waren es nur 0,4%.
[6] EMA (2012) EPAR Picato, S 43, 70 www.ema.europa.eu/documents/assessment-report/picato-epar-public-assessment-report_en.pdf [Zugriff 5.3.2020]
[7] Almirall (2020) Almirall announces EMA acceptance for filing of Marketing Authorization Application (MAA) for tirbanibulin in actinic keratosis. Press release, 2 March
Unbezahlbar krank?
BUKO-Projekt blickt auf Zugang zu Krebspräparaten
KrebspatientInnen in armen Ländern haben kaum eine Chance auf Behandlung. Schuld daran sind auch die hohen Preise der benötigten Präparate. Ein neues Projekt der Pharma-Kampagne nimmt die Zugangsprobleme in den Blick und zeigt Lösungsmöglichkeiten auf.
„Unbezahlbar krank? Krebserkrankungen im globalen Süden und das Gesundheitsziel einer universellen Versorgung“, heißt ein neuer Arbeitsschwerpunkt, dem wir uns bis Juni 2022 widmen werden. Denn die Versorgungslücken sind erschreckend: Die Zahl der Krebserkrankungen steigt im globalen Süden seit Jahren rasant an und die Sterblichkeit ist dort besonders hoch: Rund 70% der jährlich knapp 10 Millionen Todesfälle durch Krebs ereignen sich in Ländern niedrigen und mittleren Einkommens. Zwar sind die Erkrankungsraten dort insgesamt noch niedriger als in reichen Teilen der Welt, doch PatientInnen in armen Ländern haben im Fall einer Krebserkrankung wenig Aussicht auf eine frühe Diagnose und effektive Therapie und viel schlechtere Überlebenschancen. Während in 90% der Länder mit hohem Einkommen gute Behandlungsmöglichkeiten existieren, stehen solche Behandlungsoptionen nur in knapp 30% der armen Länder zur Verfügung.[1] Die Therapien sind meist hochpreisig und sprengen die schmalen Gesundheitsbudgets.
Umweltaspekte der Antibiotikaresistenz
Interview mit Amit Khurana, Indien
Wir sprachen mit Amit Khurana, er ist Direktor des Programms für Lebensmittelsicherheit und Gifte am Centre for Science and Environment (CSE). Die am Gemeinwohl orientierte Organisation in Neu Delhi betreibt selbst Forschung, mischt sich aber auch in politische Debatten ein.
Was genau macht CSE zum Thema Antibiotika?
Zusammen mit meinem Team dränge ich auf eine Politik, die antimikrobielle Resistenzen (AMR) einzudämmen hilft, mit Fokus auf Tiere und Umwelt. Außer in Indien selbst, helfen wir auch Sambia, den nationalen AMR Aktionsplan umzusetzen und teilen die Erkenntnisse mit anderen afrikanischen Ländern. Wir teilen auch unsere Gedanken über notwendige weltweite Pläne, die die Interessen der Länder des globalen Südens berücksichtigt.
Was sind die Umweltauswirkungen von Antibiotika?
Die Umwelt kann Resistenzen verstärken: Antibiotischer Wirkstoffe, die in die Umwelt gelangen, resistente Bakterien, oder Gene, die Resistenzen übertragen können. Sowohl punktuelle als auch diffuse Quellen können dazu beitragen, dass Resistenzen auf den Menschen übertragen werden, direkt oder durch die Nahrungskette.
So können zum Beispiel Abfälle von Landwirtschafts- und Tiermastbetrieben, von Fabriken, die Antibiotika herstellen oder von Futtermittelfabriken, die Antibiotika beimischen, Abwässer aus Gesundheitseinrichtungen, in die Umwelt wie zum Beispiel in das Oberflächenwasser oder ins Grundwasser gelangen und zur Verbreitung von Resistenzen beitragen.
Wenn wir des Weiteren berücksichtigen, dass Fäkalien eine Menge vom Körper nicht verstoffwechselte Antibiotika und Bakterien enthalten, tragen Kläranlagen, die nicht dafür ausgerüstet sind, möglicherweise zur Antibiotikaresistenz beitragen.
Welches sind die Konsequenzen für die menschliche und die Tiergesundheit?
Antibiotika werden wirkungslos. Optionen für die Behandlung von bakteriellen Infektionskrankheiten verringern sich. Sogar gewöhnliche Infektionen werden problematisch oder gar unbehandelbar. Es ist davon auszugehen, dass all dies zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und sehr hohen wirtschaftlichen Belastungen für Familien und Staaten führen wird. Sogar Tiergesundheit und die Produktion können darunter leiden und so Lebensmittelsicherheit und Existenzgrundlagen beeinträchtigen. Länder mit niedrigen oder mittleren Einkommen und mit begrenztem Fokus auf die Abfallentsorgung, besonders diejenigen, die mehr Medikamente und Fleisch produzieren, werden wahrscheinlich in größerem Maße zum Ansteigen der AMR über die Umwelt beitragen. Diese Länder werden auch stärker betroffen sein, da sie weniger darauf vorbereitet sind, das Problem AMR anzugehen, insbesondere was die Bedeutung des Tier- und Umweltbereichs betrifft.
Worin sehen Sie die größten Herausforderungen?
Eine der größten Herausforderungen ist der geringe Stellenwert und Unterstützung, die allgemein das Thema Umwelt politisch bekommt; und im Fall von AMR erhält sie verglichen mit den gravierenden Problemen, die sie bei Mensch und Tier auslöst, nur eine minimale Aufmerksamkeit. Überdies sind die Abfall- und Umweltaspekte von AMR bereichsübergreifend, und es bedarf eines größeren Verständnisses und Knowhows in verschiedensten Sektoren, um sie erfolgreich anzugehen. Dann ist da noch die Herausforderung verschiedener Determinanten, für die die meisten Umweltbehörden nicht gewappnet sind. Meist lag ihr Fokus historisch bedingt auf Pestiziden, Schwermetallen usw. Das spiegelt sich auch darin wider, dass es vielerorts bis heute keine Grenzwerte für Antibiotika in Abfällen gibt.
Was muss getan werden?
Die AMR Agenda muss wirklich eine Agenda für „One-Health“ (siehe Kasten) werden. Die Umweltdimension muss beachtet werden und braucht Unterstützung von allen AkteurInnen, besonders von denen auf höchster Ebene. Sie sollte Teil des Mainstreams in den weltweiten Kampf gegen Antibiotikaresistenz werden. Auf der politischen Ebene sollte AMR und Umwelt in den Mittelpunkt gestellt werden, insbesondere wenn es sich um die Quellen von Abfall und anderer AMR-Verschmutzung handelt.
Zum Beispiel sollte Antibiotikaabfall in Pharmafabriken wie gefährliche Chemikalien behandelt werden. Das Gebot der Stunde ist es, das Vorsorgeprinzip anzuwenden, auch wenn es noch viele Jahre brauchen wird, bis wir die Bedeutung von Resistenzen in der Umwelt umfassend verstehen.
Was hat das CSE in Indien bisher getan?
Das CSE hat eine führende Rolle darin gespielt, das notwendige Augenmerk auf die Tier- und Umweltaspekte von AMR in Indien zu richten; das spiegelt sich wider im Aktionsplan des Landes und mehrerer Bundesstaaten, mit denen das CSE zusammengearbeitet hat. Es arbeitet auch darauf hin, dass die notwendige Strategien entwickelt werden, damit diese Pläne auch umgesetzt werden können. Auch teilen wir die Erkenntnisse, die wir in Indien gewonnen haben, mit anderen Entwicklungsländern z.B. in Afrika.
Wie steht es Ihrer Meinung nach um das Bewusstsein in Bezug auf Antibiotika und Antibiotikaresistenz in der Umwelt in der indischen Öffentlichkeit und unter Politikern?
Das Bewusstsein in der Bevölkerung und unter den Politikern ist nicht so hoch wie es wünschenswert wäre. Jedoch ist es in den vergangenen Jahren unter den Wissenschaftlern gewachsen. Aber es muss noch viel mehr getan werden, da Lebensmittel, Viehhaltung, Umwelt und Gesundheit auf der Ebene der Bundesstaaten verwaltet werden. Das Bewusstsein und die Antworten sind von Ort zu Ort unterschiedlich. Die indische Zentralregierung arbeitet an einigen Aspekten von AMR in der Umwelt. Einer davon ist die Entwicklung von Standards für Antibiotika in Pharmaabwässern. Das zuständige Ministerium für Umwelt, Wald und Klimawandel hat kürzlich den Entwurf für solche Standards herausgebracht. Wir haben eine aktive Rolle dabei gespielt, und wenn er verabschiedet wird, wäre es vielleicht der erste solche Standard weltweit.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
AMR wird erfolgreich als ein wirkliches „One-Health“-Thema angegangen. Sein negativer Einfluss auf das Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele wird auf ein Minimum reduziert, Antibiotika werden „gerettet“ und weiterhin wirksam sein.
Das Interview führte Hannah Eger, Übersetzung: Margit Urhahn.
Artikel aus Pharma-Brief 2/2020, S. 4
* RKI (2020) www.rki.de/DE/Content/Infekt/Antibiotikaresistenz/One-Health/One_Health-Konzept.html [Zugriff 4.3.2020]
Studientransparenz Fehlanzeige
Deutsche Unis hängen hinterher
Die Ergebnisse von klinischen Studien zu Arzneimitteln müssen 12 Monate nach Abschluss im europäischen Register EudraCT hinterlegt werden. Seit 2014 gilt diese Regel in der EU. Aber deutsche Unis haben nur bei 6,7% der fälligen Studien die Ergebnisse berichtet, in Großbritannien liegt die Quote dagegen bei 72,1%.[1] Das zeigt eine von TranspariMED und BUKO Pharma-Kampagne gemeinsam veröffentlichte Studie.[2]
Arzneimittelstudien an Menschen sind nicht ohne Risiken und deshalb streng reguliert. Ein klar benannter Sponsor trägt die Verantwortung für die korrekte Durchführung – und die anschließende Veröffentlichung. Hier geht es einmal nicht um die Pharmaindustrie, zumindest die großen Firmen kommen dieser Pflicht meist nach,[3] sondern um die deutschen Universitäten als Transparenzbremse.[4] In der europäischen Datenbank EudraCT[5] finden sich 477 klinische Studien deutscher Unis, die länger als 12 Monate abgeschlossen sind.[6] Aber nur von gerade einmal 32 Studien sind dort die Ergebnisse tatsächlich hinterlegt, 445 fehlen.[7] Es gibt allerdings große Unterschiede: während die Uni Münster deutlich über die Hälfte aller Resultate zugänglich gemacht hat, gibt es auch Unis von denen keinerlei Daten vorliegen (Ergebnisse im Detail siehe Kasten auf S. 3).
445 mal Ergebnis unbekannt
Klinische Studien sind ein Kernelement des medizinischen Fortschritts. Das gilt aber nur, wenn die Forschungsergebnisse auch lückenlos veröffentlicht werden. Ansonsten drohen falsche Behandlungsentscheidungen, weil Risiken oder Fortschritte unbekannt bleiben. Mit 68 unveröffentlichten Studienergebnissen ist die Berliner Charité Spitzenreiter bei der Intransparenz. Zum Beispiel wurde eine Studie zu grünem Teeextrakt bei Multipler Sklerose (MS) bereits im Februar 2016 abgeschlossen, die Resultate aber nicht in EudraCT eingestellt.[8] Auf Nachfrage teilte ein Mitglied des Forschungsteams mit, dass die statistische Auswertung gegenwärtig abgeschlossen würde und ein Eintrag in die Datenbanken und eine Publikation in Vorbereitung seien.[1] Bereits jetzt ist Eintrag in die EU-Datenbank um fast drei Jahre verzögert. Das ist unakzeptabel, da der Sinn des Registers ja gerade ist, dass wissenschaftliche Ergebnisse möglichst schnell bekannt werden. Die Publikation in Fachzeitschriften erfolgt häufig deutlich später als die für EudraCT gesetzte Frist von 12 Monaten.
Außerdem sind Artikel schon deshalb kein Ersatz für den Eintrag ins Register, weil sie Ergebnisse selektiv und häufig verzerrt berichten. ForscherInnen der Universität Oxford überprüften 2015/16 die Veröffentlichungen zu Studien in fünf großen Fachzeitschriften . Nur 9 von 67 Studien wurden korrekt dargestellt. Insgesamt wurden die Ergebnisse zu 354 in der Studienplanung festgelegten Endpunkten nicht berichtet. Dagegen wurden 357 nachträgliche Auswertungen der Daten präsentiert, häufig ohne das kenntlich zu machen.[9]
Die Universität Mainz untersuchte, ob die zusätzliche Gabe von Sunitinib die Prognose für PatientInnen mit Magenkrebs verbessert. Die Studie wurde sowohl in EudraCT[10] als auch im US-Register Clinicaltrials.gov registriert und endete im Juni 2013. Abgesehen davon, dass davon abgeraten wird, eine Studie in zwei Registern anzumelden, waren Ende 2018 in keinem von beiden die Ergebnisse hinterlegt. Immerhin gab es im August 2016 eine Zeitschriftenveröffentlichung: das Ergebnis der Studie war negativ.[11] Im US-Register ist immerhin erkennbar, dass der Sponsor versucht hatte, im August 2018 die Daten hochzuladen. Wegen Inkonsistenzen hatte Clinicaltrials.gov am 24.1.2019 an den Sponsor Nachfragen geschickt, die offensichtlich bis heute nicht beantwortet wurden.[12] Offensichtlich hat unser Bericht etwas bewegt: Im Januar 2020 hat die Uni Mainz die Studienergebnisse im europäischen Register eingestellt.
Die Universität Hannover erforschte, ob Botulinumtoxin gegen Depressionen hilft. Die Studie wurde im Dezember 2011 beendet. Bis heute wurde das Ergebnis weder in EudraCT hinterlegt,[13] noch gibt es eine Veröffentlichung zu den Resultaten in einer medizinischen Fachzeitschrift.1 Angesichts der unklaren Evidenzlage, ob Botulinumtoxin eine Therapieoption bei Depressionen sein kann, ist die fehlende Veröffentlichung besonders bedauerlich.
Flaue Ausreden
Bei einer weiteren Charité-Studie zu MS mit dem Wirkstoff Fingolimod, deren Ergebnisse spätestens im August 2019 in EudraCT hätten stehen müssen,[14] rechtfertigten sich die ForscherInnen damit, dass vorläufige Ergebnisse bei Kongressen vorgestellt worden sein. Das ist zwar ein erster Schritt, ersetzt aber keinesfalls die rechtzeitige Veröffentlichung im EU-Register.
Einige Universitäten, aber auch das für die Arzneimittelzulassung mit zuständige Paul Ehrlich Institut (PEI) vertraten die Auffassung, dass die Veröffentlichung der Studienergebnisse gar nicht rechtlich vorgeschrieben sei. Denn die seit 2014 gültige Vorschrift der Einstellung in das EU-Portal 12 Monate nach Abschluss der Studie sei nur in einer EU-Leitlinie von 2012 verankert.[15]
Die deutsche Zulassungsbehörde BfArM teilt dagegen die Auffassung der EU-Kommission, der Konferenz der europäischen Behörden und der EMA, dass diese Leitlinie rechtlich bindend ist. Denn sie regelt die praktische Umsetzung von zwei EU-Verordnungen von 2002 und 2004. Beide hatten eine Veröffentlichungspflicht bereits im Grundsatz festgeschrieben.[16] EU-Verordnungen aber haben unmittelbare Rechtskraft in allen Mitgliedsstaaten.
Müßige Debatte
Abgesehen davon, dass es im Sinne des PatientInnenwohls nicht zu rechtfertigen ist, Studienergebnisse zu verschweigen, lässt die EU-Verordnung zu klinischen Studien von 2014 künftig gar keinen Spielraum mehr.[17] Sie schreibt die Pflicht zur Veröffentlichung der Zusammenerfassung der Ergebnisse vor. Darüber hinaus gilt für alle Studien, die bei einem Zulassungsverfahren eingereicht wurden, dass die Clinical Study Reports, die die vollständigen Ergebnisse einer Studie enthalten, einen Monat nach dem Abschluss (oder der Einstellung) des Verfahrens in eine öffentliche EU-Datenbank eingestellt werden muss.
Dass diese neuen weitergehenden Regelungen noch nicht gültig sind, hat mit einer Kuriosität in der Verordnung zu tun. Eigentlich sollte sie frühestens am 28. Mai 2016 in Kraft treten, allerdings nicht bevor das EU-Datenportal voll funktionsfähig ist.[18] Das sollte nach den Planungen der EMA ursprünglich Dezember 2017 fertig sein, jetzt sieht es eher danach aus, dass das erst Ende 2020 der Fall sein wird,[19] – ein Armutszeugnis für die EMA und die EU-Kommission.
Forschungsmüll
Wenn die Ergebnisse öffentlich geförderter Forschung nicht zeitgerecht oder gar nicht veröffentlicht werden, ist das nicht nur eine Verschwendung von Steuergeldern, es schadet auch PatientInnen, da Gefahren oder fehlende Wirksamkeit nicht bekannt werden. Außerdem kann die Nichtveröffentlichung zur unnötigen Wiederholung von Studien mit den gleichen Wirkstoffen führen. Prof. Jürgen Windeler, Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) fordert deswegen, den Berichtsverweigerern die öffentliche Förderung zu sperren.
Untersuchung zeigt Wirkung
Zum Glück scheint bei einigen Universitäten die Botschaft angekommen zu sein. Nicht zuletzt aufgrund der Nachfragen von TranspariMED und der Presse im Rahmen der hier vorgestellten Untersuchung sind einige Unis aktiv geworden. Während die Uni Hannover zum Stichpunkt für die Datenerhebung Anfang November 2019 keine einzige der 26 fälligen Studien eingestellt hatte, waren einen Monat später bereits für 5 Studien die Ergebnisse hochgeladen. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung „verwiesen die Charité und die Kliniken der Universitäten in München und Freiburg darauf, dass sie derzeit Strukturen etablieren, die sich der besseren Koordination klinischer Studien und ihrer Veröffentlichung widmen.“ [20]
Aufgrund der Kritik von TranspariMED und der Pharma-Kampagne hat das PEI jetzt immerhin deutlich gemacht, dass es die zeitgerechte Veröffentlichung von Studienergebnissen für eine wichtige Sache hält. „Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, unterstützt diese Forderung ausdrücklich“, ließ das Institut am 2.1.2020 die Öffentlichkeit wissen.[21]
Dr. Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, dem größten deutschen ÄrztInnenverband, reagierte ebenfalls auf unsere Untersuchung: „Die Ergebnisse klinischer Forschung müssen öffentlich zugänglich sein. Es ist völlig inakzeptabel, wenn Universitäten dieser Verpflichtung zur Transparenz nur unzureichend nachkommen. […] Die betroffenen Universitäten müssen sich fragen lassen, ob sie insbesondere negative Studienergebnisse zurückhalten. Mit ihrem Verhalten schaden sie auch sich selbst. Die Universitäten enttäuschen Patienten und Probanden, die für klinische Studien auch mit dem Argument gewonnen werden, dass sie zur Weiterentwicklung von Therapien beitragen können.“[22] (JS)
Artikel aus dem Pharma-Brief 1/2020, S.1
Screenshot: https://www.bukopharma.de/images/aktuelles/CT_Transparency_German_Uni_2019.pdf
[1] Die genannten Prozentzahlen beziehen sich auf die tatsächlich gemeldeten Ergebnisse, diese sind in nicht wenigen Fällen aber nicht zeitgerecht, also nach 12 Monaten berichtet worden.
[2] TranspariMed und BUKO Pharma-Kampagne (2019) Clinical trials transparency at German universities. Bielefeld and Bristol. 30. Nov. www.bukopharma.de/images/aktuelles/CT_Transparency_German_Uni_2019.pdf
[3] Bei mittleren und kleinen Firmen sieht es europaweit auch eher schlecht aus. Fehlende Ergebnisse in EudraCT: Mittlere Firmen 23%, kleine Firmen 66%. Bruckner T (2019) Most clinical trials run by small companies are missing results. TranspariMED. 1 Nov. www.transparimed.org/single-post/2019/11/01/Most-clinical-trials-run-by-small-companies-are-missing-results [Zugriff 14.1.2020]
[4] Nach Angaben der EU lag im April 2019 die Berichtsquote bei kommerziellen Sponsoren bei 77,2% gegenüber 23,6% bei nicht-kommerziellen Sponsoren. www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelzulassung/KlinischePruefung/news/Ergebnisberichte.html [Zugriff 9.1.2020]
[5] www.clinicaltrialsregister.eu/ctr-search/search
[6] Besser durchsuchbar und auswertbar sind die Daten von EudraCT im EU Trials Tracker der Uni Oxford: http://eu.trialstracker.net/
[7] Stand 8. November 2019. Details zur Datenerfassung siehe Fußnote 1
[8] www.clinicaltrialsregister.eu/ctr-search/trial/2008-005213-22/DE [Zugriff 7.1.2020]
[9] https://compare-trials.org/ [Zugriff 14.1.2020]
[10] www.clinicaltrialsregister.eu/ctr-search/search?query=2009-014336-38 [Zugriff 27.1.2020]
[11] Moehler et al. (2016) BMC Cancer; 16, 699 https://bmccancer.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12885-016-2736-9
[12] https://clinicaltrials.gov/ct2/show/results/NCT01020630 [Zugriff 27.1.2020]
[13] www.clinicaltrialsregister.eu/ctr-search/search?query=2009-015125-36 [Zugriff 27.1.2020]
[14] www.clinicaltrialsregister.eu/ctr-search/search?query=2012-000411-91 [Zugriff 27.1.2020]
[15] Leitlinie 2012/302 03/EG
[16] Umsetzung von Artikel 57 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 und Artikel 41 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006
[17] Verordnung (EG) Nr. 536/2014
[18] Die EU-Verordnung tritt in Kraft sechs Monate nachdem die Funktionsfähigkeit des EU-Portals bestätigt und im Amtsblatt der EU veröffentlicht ist.
[19] EMA (2019) EMA Management Board: highlights of December 2019 meeting www.ema.europa.eu/en/news/ema-management-board-highlights-december-2019-meeting [Zugriff 27.1.2020]
[20] Bernd C und Grill M (2019) In Deutschland erforscht, im Nirwana versunken. Süddeutsche Zeitung 29. Dez. www.sueddeutsche.de/gesundheit/veroeffentlichung-studien-1.4737316
[21] PEI (2020) Gemeinsames Schreiben der Europäischen Kommission, der EMA und der HMA an die Verantwortlichen von klinischen Prüfungen zu den Erfordernissen, die Ergebnisse ihrer genehmigten klinischen Studien in EudraCT bereitzustellen (Juni 2019). Positionen 2. Jan. www.pei.de/DE/newsroom/positionen/200102-veroeffentlichung-ergebnisse-klinischer-studien.html [Zugriff 9.1.2020]
[22] Marburger Bund (2020) Ergebnisse klinischer Studien müssen transparent sein. Pressemitteilung 3. Jan. www.marburger-bund.de/bundesverband/pressemitteilung/ergebnisse-klinischer-studien-muessen-transparent-sein [Zugriff 10.1.2020]
Resistent durch Glyphosat?
Interview mit Agrarwissenschaftlerin Prof. Dr. Maria Finckh
Die gesundheitsschädliche Wirkung des Herbizids Glyphosat wurde in den vergangenen Jahren viel diskutiert. Weniger bekannt ist, dass etliche Studien den Unkrautvernichter mit der Verbreitung resistenter Bakterien in Zusammenhang bringen. Der massive und dauerhafte Gebrauch des Mittels könne u.a. Kreuzresistenzen bei wichtigen Antibiotika wie Penizillin und Ciprofloxacin hervorrufen, befürchten WissenschaftlerInnen. Agrarwissenschaftlerin Dr. Finckh gibt dazu Auskunft.
Prof. Dr. Maria R. Finckh ist Agrarwissenschaftlerin und Fachgebietsleiterin Ökologischer Pflanzenschutz an der Universität Kassel. Seit Jahren forscht sie zu den Risiken des Herbizids Glyphosat für Mensch, Tier und Umwelt und hat diverse wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema publiziert. Unter anderem ist sie Mitautorin der Publikation „Environmental and health effects of the herbicide glyphosate“, die 2018 erschienen ist. Ein internationales Team von Forscherinnen und Forschern unter der Leitung der Pflanzenpathologin Ariena van Bruggen von der University of Florida hatte damals 220 Studien zu Glyphosat ausgewertet. Die Übersichtsarbeit lieferte umfassende Erkenntnisse zu den Risiken von Glyphosat. Die ForscherInnen fanden auch Indizien dafür, dass der massive Einsatz des Herbizids Antibiotika-Resistenzen befördern könnte: „Veränderungen in der mikrobiellen Zusammensetzung – hervorgerufen durch den Selektionsdruck durch Glyphosat – könnten zur Verbreitung pathogener Erreger bei Pflanzen und Tieren beigetragen haben. (...) wir stellen die Hypothese auf, dass der Selektionsdruck für Glyphosat-Resistenzen bei Bakterien die mikrobielle Zusammensetzung verändern und zu Resistenzen gegenüber klinisch wichtigen antibiotischen Wirkstoffen führen könnte.“ Weitere Forschung zur Thematik sei daher dringend geboten.[1]
Orphan Drugs: Lukrative Nische
Viel Geld für die Industrie, wenig Nutzen für PatientInnen
Vor 20 Jahren trat in der EU die Orphan Drugs-Verordnung in Kraft. Sie sollte die Entwicklung von Medikamenten gegen seltene Erkrankungen fördern. Doch der Erfolg ist bescheiden, die Mitnahmeeffekte enorm. Der ohnehin lange Patentschutz wird extrem verlängert, Wettbewerb verhindert.
Das belegt jetzt eine Evaluation der Europäischen Kommission.[1] Von 2001 bis 2017 wurden 131 Orphan Drugs zugelassen.[2] Aber nur bei einem kleinen Teil von ihnen (18 bis 24) hat die Einführung der Medikamente mit den günstigeren Rahmenbedingungen zu tun, die die Gesetzgebung geschaffen hat (Beratung, einfachere Zulassung und längere exklusive Vermarktung). Der Rest wäre nach Einschätzung der Kommission also auch ohne diese zusätzlichen Anreize auf den Markt gekommen. Der Versuch, bessere Behandlungsmöglichkeiten für seltene Erkrankungen gezielt zu fördern, ist weitgehend gescheitert.
Wenig Lücken gefüllt
Anders als man erwarten könnte, bieten die meisten Orphans nicht die erste Möglichkeit, eine Krankheit überhaupt mit einem Medikament zu behandeln, also eine Behandlungslücke zu schließen. Drei Viertel aller Zulassungen von Orphans betreffen seltene Erkrankungen, für die es schon eine Behandlungsmöglichkeit gibt. Die häufigste Indikation ist dabei Krebs.
Das ist möglich, weil ein Medikament auch den Orphan-Status bekommen kann, wenn es zwar eine Behandlungsmöglichkeit gibt, diese aber nicht zufriedenstellend ist. Dann wiederum sollte der neue Wirkstoff „besser“ sein als bereits auf dem Markt befindliche Medikamente. Diese Klausel wird allerdings recht großzügig ausgelegt.
Orphans nicht lohnend?
Eine der Grundannahmen der Orphans-Gesetzgebung, dass Medikamente gegen seltene Erkrankungen nicht profitabel seien, hat sich in vielen Fällen als falsch erwiesen. Ein Grund dafür ist, dass die Definition für „selten“ mit 1 von 2.000 Personen ziemlich großzügig gesetzt ist. Das bedeutet als Obergrenze allein in der EU [3] einen Markt von über 200.000 PatientInnen. Nur jedes dritte zugelassene Orphan Medikament hat eine Zielgruppe von weniger als 20.000 Betroffenen.
Theoretisch gibt es noch die Möglichkeit, auch für andere Medikamente, bei denen es mehr PatientInnen gibt, den Orphan-Status zu erreichen. Der Hersteller muss dafür glaubhaft machen, dass das Produkt ansonsten unwirtschaftlich sei. Das könnte zum Beispiel für neue Antibiotika zutreffen, die ja nur sehr selten verordnet werden sollten. Bei diesem Verfahren ist es nach einiger Zeit eine Überprüfung vorgesehen: Werden dann Gewinne erzielt, geht der Schutzstatus verloren.[4] Diese Klausel wurde aber letztlich kein einziges Mal in Anspruch genommen.
Im Entwurf der Orphan-Gesetzgebung war für seltene Erkrankungen ursprünglich ebenfalls eine Preisbremse vorgesehen. Mitgliedsstaaten hätten dann gegen den Status Einspruch einlegen könnten, wenn der Hersteller „einen Preis verlangt, der nicht zu rechtfertigen ist.“ Eine solche Klausel wäre allerdings sinnvoll. Es gibt 20 Orphans, die 2019 einen Jahresumsatz von über einer Milliarde € erzielten. Diese sind alles andere als besonders schutzbedürftig.
Krasse Gewinne
Extremstes Beispiel ist das Krebsmedikament Revlimid® (Lenalidomid), das seit Markteinführung einen Umsatz von über 55 Milliarden € erzielt hat. Der Wirkstoff ist chemisch ein enger Verwandter von Thalidomid (Contergan®), das Ende der 1950er Jahre bis Anfang der 1960er Jahre für zahlreiche mit Missbildungen bei Neugeborenen verantwortlich war.[5] Lenalidomid wurde mit zeitlichem Abstand für drei Krebsarten als Orphan zugelassen und bekam so insgesamt 19 Jahre zusätzliche Marktexklusivität.[4] Das bedeutet faktisch eine erhebliche Verlängerung des Patentschutzes. Dieses Monopol gilt für alle Indikationen, also auch für ältere, für die der Schutz ansonsten längst abgelaufen wäre.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Eine weitere Fehlentwicklung sind neue Orphan-Indikationen für alte Präparate, die längst keinen Schutz mehr genossen. Das trifft auf 19% aller zugelassenen Orphans zu. Damit verbunden sind krasse Preissteigerungen, die – so die EU-Kommission – in keinem Verhältnis zu den Forschungskosten stehen.[1]
Chenodeoxycholsäure (CDCA) wurde 1974 zur Behandlung von Gallensteinen eingeführt und gilt als medizinisch überholt. 2010 kaufte Leadiant [6] die Rechte und beantragte später bei der europäischen Kontrollbehörde EMA eine Zulassung des Wirkstoffs gegen eine seltene Stoffwechselkrankheit.[7] Dabei hatte die Firma diese Anwendungsmöglichkeit gar nicht selbst entdeckt. Das hielt Leadiant nicht davon ab, den Preis auf das 450-fache anzuheben. Dadurch kostet die Behandlung pro PatientIn jetzt knapp 300.000 € pro Jahr.
Zugang für wen?
Selbst nach Ablauf der Marktexklusivität setzt selten Wettbewerb ein. Bei 70 Orphans ist der Schutz inzwischen abgelaufen. Doch nur bei jedem fünften davon ist ein Konkurrenzprodukt [8] auf den Markt gekommen, für den Rest gibt es immer noch ein De-facto Monopol.[4]
Ein weiteres gravierendes Problem: Der Orphan-Status für den Hersteller bedeutet erhebliche finanzielle Vorteile, verpflichtet ihn aber nicht, das Medikament auch EU-weit bereitzustellen. So waren 2016 in Deutschland 126 Orphans verfügbar, in Finnland 75 und in Litauen gerade einmal 32. Vielen PatientInnen in Europa bleibt der Zugang zu den Produkten also verwehrt.
Kosten als Black Box
Ein wesentlicher Schwachpunkt in der Analyse der EU ist die schwache Datenlage zu den Kosten der Medikamentenentwicklung. Die Hersteller weigerten sich oder waren unfähig, entsprechende Zahlen zu liefern. So bleibt die Behauptung der Industrie, Orphans zu entwickeln bedürfte zusätzlicher Förderung, eine unbelegte Aussage. Als sicher gilt, dass die klinischen Studien – also der teuerste Teil der Forschung – für Orphans mit viel weniger PatientInnen durchgeführt werden, die Kosten also deutlich geringer sind. Ebenfalls nicht ermitteln konnte die Kommission Zahlen zum öffentlichen Forschungsinput. Dabei gibt es durchaus Hinweise: Bei den neuen extrem teuren Gentherapien wird derzeit die Hälfte aller klinischen Studien ausschließlich von öffentlichen Geldgebern finanziert.[9]
Die Kommission hat versucht, sich mit der Ermittlung von Umsatzzahlen und Daten von Wirtschaftsanalysten zu behelfen. So kam eine ältere Modellrechnung von 2008 zu dem Ergebnis, dass die Kapitalrendite für Orphan Drugs doppelt so hoch ist wie für andere Medikamente.
Es ist also dringend an der Zeit, das Fördersystem für die Erforschung seltener Krankheiten zu überdenken. Denn ein sinnvolles System muss dafür sorgen, dass mehr PatientInnen, für die es bislang gar keine Behandlung gibt, eine Chance auf die Entwicklung wirksamer Medikamente erhalten, Mitnahmeeffekte verhindern und für bezahlbare Preise sorgen. (JS)
Artikel aus dem Pharma-Brief 7/2020, S.1
Bild Patente töten © medico international
[1] European Commission (2020) Joint evaluation of Regulation (EC) No 1901/2006 of the European Parlia-ment and of the Council of 12 December 2006 on medicinal products for paediatric use and Regulation (EC) No 141/2000 of the European Parliament and of the Council of 16 December 1999 on orphan medi-cinal products. Brussels 11 August. https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/files/paediatrics/docs/orphan-regulation_eval_swd_2020-163_part-1.pdf
[2] Eigentlich 142, aber 11 sind wieder vom Markt verschwunden
[3] EU 27 Staaten (also ohne Vereinigtes Königreich) am 1.1.2020: 447.706.209 EinwohnerInnen https://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&init=1&plugin=1&language=de&pcode=tps00001 [Zugriff 27.9.2020]
[4] Marselis D and Hordijk L (2020) From blockbuster to “nichebuster”: how a flawed legislation helped create a new profit model for the drug industry. BMJ; 370, p m2983 www.doi.org/10.1136/bmj.m2983
[5] Lenalidomid kann ebenfalls solche Schäden auslösen, die Verschreibung unterliegt deshalb starken Restriktionen.
[6] Früher Sigma Tau
[7] arznei-telegramm (2017) Preistreiberei bei Orphan Drugs; 48, S. 57
[8] Da es sich meist um Biologika handelt, wären das in der Regel Biosimilars.
[9] Pharma-Brief (2020) Allgemeinheit zahlt – Firmen machen Kasse. Nr. 6, S. 8
Nutzloses Covid-19 Medikament an EU vertickt
Gileads Remdesivir-Deal im Zwielicht
Der US-Pharmakonzern Gilead hat mit der EU einen milliardenschweren Vertrag über Remdesivir geschlossen. Dabei wusste die Firma zu diesem Zeitpunkt schon, dass eine große Studie mit dem Medikament negativ ausgegangen war.
Am 16. Oktober 2020 verkündete die WHO, dass Remdesivir gegen Covid-19 praktisch nutzlos ist. Das hat eine Zwischenauswertung der großen von der WHO geleiteten Solidarity-Studie ergeben.[1] WHO Generaldirektor Dr. Tedros Ghebreyesus: „Remdesivir und Interferon tragen kaum etwas oder gar nichts dazu bei, den Tod durch Covid-19 zu verhindern oder den Krankenhausaufenthalt zu verkürzen.“[2] Die Untersuchungsarme mit diesen Medikamenten wurden gestoppt. Bereits im Sommer waren zwei Wirkstoffe wegen Unwirksamkeit aus der Studie geflogen.[3] Die WHO-Studie wird mit anderen Arzneimitteln fortgesetzt.
Nutzen von Covid-19 Impfungen
Wissensstand noch unbefriedigend
Mehrere Impfstoffe gegen Covid-19 stehen kurz vor der Zulassung oder haben schon eine Notfallzulassung erhalten. Aber was wissen wir überhaupt über Nutzen und Risiken?
Die Medien berichten über eine hohe Wirksamkeit der Impfstoffe von 90% und mehr.[1],[2] Die Meldungen suggerieren, dass damit die Verhinderung schwerer Erkrankungen und die Unterbrechung der Übertragung von Covid-19 gemeint sind. Das ist ein Missverständnis, vermutlich ausgelöst dadurch, dass die kursierenden Zahlen im Wesentlichen auf kurzen Pressemitteilungen der Hersteller beruhten, nicht aber auf unabhängig begutachteten wissenschaftlichen Veröffentlichungen über die Impfstoffe.
Was gemessen wird
Nach erheblichem Druck von WissenschaftlerInnen haben vier Impfstoffhersteller[3] ihre Studienprotokolle öffentlich gemacht. Deshalb kann man genau sehen, was tatsächlich geprüft wird. Peter Doshi, Mitherausgeber des British Medical Journal (BMJ) hat die Protokolle durchgesehen. Seine Schlussfolgerung: „Keine der Impfstudien ist so angelegt, dass sie eine signifikante Verringerung der Krankenhauseinweisungen, der Aufnahmen in die Intensivstation oder der Todesfälle entdecken kann.“[4] Als ausreichendes Kriterium für den Erfolg der Impfung gilt eine Reduktion des Auftretens von Symptomen wie Husten und Fieber, verbunden mit einem Labornachweis von Covid-19. Die Schwere der Erkrankung spielt
Interview zum Corona-Impfstoff
„Nicht auf die Gutwilligkeit der Industrie setzen“
Das Ringen zwischen Pharmaindustrie und Industriestaaten, den Ländern des Südens und der Weltgesundheitsorganisation ist in vollem Gange. Anne Jung von medico international sprach darüber mit Jörg Schaaber von der BUKO Pharma-Kampagne.
Anne Jung: Es ist sicherlich nicht zu hoch gegriffen, wenn man sagt, dass die Entwicklung eines Impfstoffes sowie die Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung von Covid-19 ein Weltinteresse darstellen. Und dass der Zugang zu wirksamen und sicheren Impfstoffen ein ganz wichtiger Beitrag zum Menschenrecht auf den bestmöglichen Zugang zu Gesundheit sein wird. Wenn Milliarden von Steuergeldern weltweit auch an die Pharmaindustrie gegeben werden, mit dem Auftrag einen Impfstoff zu entwickeln, was passiert dann, wenn ein Impfstoff da ist? Wem gehört er, wie wird er verteilt? Und wer bekommt ihn zuerst?
Ja, das ist die entscheidende Frage. Vielleicht sollte man damit einsteigen, dass die Fakten eine andere Sprache sprechen als der Schönsprech von Big Pharma und Politik, dass alle etwas bekommen würden. Die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam hat ermittelt, dass sich die Industrieländer bereits über die Hälfte aller Impfdosen die jetzt potenziell auf den Markt kommen, gesichert haben. Also das heißt, 13 Prozent der Weltbevölkerung haben sich schon den Zugriff auf über die Hälfte aller potenziell in den nächsten Jahren verfügbaren Impfdosen gesichert. Daran sieht man schon, dass das Bild vom Zugang für alle nicht stimmt. Als Erste haben die USA damit angefangen, sich Optionen auf Impfdosen zu sichern. Die Europäische Union hat dann mit kräftiger Beteiligung von Deutschland nachgezogen.
Gifte und Gene
Neue Forschung zu Antiseren
Schlangenbisse sind ein weit verbreitetes aber vernachlässigtes Problem. Gegengifte sind oft nicht verfügbar, zu teuer oder ungeeignet. Einige positive Impulse kamen zuletzt von der WHO und aus der Forschung.
2020, das chinesische Jahr der Ratte, begann ausgerechnet mit Neuigkeiten aus der Welt der Schlangen. Ein internationales Forscherteam vermeldete Anfang Januar, das vollständige Genom der Asiatischen Kobra (Abbildung) entschlüsselt zu haben.[1] Ihr Fokus galt dabei der Giftproduktion des Tieres, die eine besondere Relevanz hat: Die Kobra gehört zu den sogenannten „Big Four“, die vier Giftschlangen, auf die nach Schätzungen die meisten Bisse in Indien entfallen.
Vergiftungen durch Schlangenbisse, ein uraltes Problem, haben global erst in jüngster Zeit größere Aufmerksamkeit erhalten. Noch 2013 hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Schlangenbisse von ihrer Liste vernachlässigter Tropenkrankheiten entfernt, 2017 kehrten sie darauf zurück.[2] Auch wegen des Einsatzes zivilgesellschaftlicher Akteure begann die WHO das Thema stärker zu bearbeiten. 2019 präsentierte sie dann eine ambitionierte Bekämpfungsstrategie mit dem Ziel, bis 2030 die Zahl von Todesfällen und Invalidität durch Schlangenbisse bis 2030 zu halbieren.[3] Im Vorfeld der Veröffentlichung kündigte zudem der Wellcome Trust ein Investment von über 100 Mio. US-Dollar für ein siebenjähriges Forschungsprogramm für bessere Antiseren an.[4]
Menschen und Tiere gefährdet
Weltweit gibt es mehrere hundert giftige Arten des Reptils. Schätzungen zufolge, werden täglich über 7.000 Menschen von Schlangen gebissen, pro Jahr sterben zwischen 81.000 und 138.000 am Gift.[5] Das Problem ist besonders in Afrika und Asien drängend, Indien ragt dabei hervor.
Es trifft zumeist die ärmsten Bevölkerungsteile, etwa Erwachsene bei der Ernte oder beim Fischen, sowie Kinder beim Spielen. Überleben sie, tragen sie häufig schwerwiegende Folgeverletzungen davon, da sie etwa erblinden oder Amputationen notwendig werden. Neben den sozialen Implikationen hat dies für viele Familien auch ökonomische Konsequenzen. Dies gilt umso mehr, bedenkt man gemäß des One Health-Ansatzes, dass auch Nutztiere häufig gebissen werden.[6] Im Übrigen gefährdet diese Situation auch die Schlangen selbst, da sie, wenn gesichtet, oft direkt getötet werden.
Marktversagen im Fokus
Verfügbarkeit, Bezahlbarkeit und Eignung von Antiseren, die im Falle einer Vergiftung Anwendung finden könnten, sind teils massiv eingeschränkt. Dies hat vielfältige Ursachen.
Eine Wurzel des Problems liegt im Marktversagen.[7] Zwar besteht ohne Zweifel umfangreicher Bedarf an Antiseren und einige Gifte werden beispielsweise auch seit Längerem getestet – allerdings in der Krebsforschung. Es mangelt an finanzierbaren Präparaten. Für die Pharma-Industrie sind die von Bissen Betroffenen als Kundenkreis nicht zahlungskräftig genug. Auch viele Länder scheuen vor den hohen Anschaffungskosten zurück, was für Firmen wiederum weniger Abnehmer bedeutet.[8]
So nehmen Produktionskapazitäten ab. Für Aufsehen sorgte 2015 das Ende der Herstellung des gut erprobten Fav-Afrique durch Sanofi. Import ist zudem teuer, Produktion vor Ort selten – die in Kenia eingesetzten Gegengifte etwa kommen aus Mexiko und Indien.[9]
Kobra ist nicht gleich Kobra
Verschärfend zu den Preishürden und letztlich auch mit dem Marktversagen zusammenhängend, kommt die oftmals geringe (lokale) Eignung. Zum einen sind in vielen Ländern Produkte auf den Markt gelangt, die wenig getestet, teils sogar unnütz oder gefährlich sind. Ein Umstand, der auch Misstrauen in der Bevölkerung schürt. Zum anderen unterscheidet sich die Wirkweise von Giften nicht nur zwischen Schlangenarten in verschiedenen Regionen, sondern mitunter auch national und teils sogar zwischen einzelnen Exemplaren derselben Art. Eine 2019 veröffentlichte Studie zeigte, dass in Indien, Heimat von über 60 verschiedenen Giftschlangenarten, routinemäßig ein auf die „Big Four“ zugeschnittenes Gegengift verwendet wird, obwohl es für viele andere Arten ungeeignet ist.[10] Umso größer kann der Effekt öffentlicher Forschungsförderung sein, entsprechende Projekte sind weltweit zu finden.
Hier setzt die Arbeit der eingangs genannten Genom-Analyse an. So besteht die Hoffnung, dass durch mehr solcher Mappings der an der Giftherstellung beteiligten Gene und Prozesse auf lange Sicht die Herstellung zielgerichteter, synthetischer Antiseren befördert wird. Diese könnten im besten Falle sogar als „Breiband-Antivenom“ gegen mehrere Arten wirken und günstiger sein.[11] Voraussichtlich ließen sich auf diesem Wege zusätzlich die Risiken allergischer Reaktionen vermindern. Sie entstehen bei PatientInnen infolge der seit über hundert Jahren genutzte Technik, Antikörper aus immunisierten Tieren zu gewinnen.
Communities einbeziehen
Abseits der medizinischen Lösungen und der Verfügbarkeit von Antiseren selbst, bedarf es für die Zukunft auch Bemühungen, die Infrastruktur zu verbessern. Bessere Basisversorgung im Sinne von Universal Health Coverage und geschultes Gesundheitspersonal sollten dann begleitende Behandlung ermöglichen, beispielsweise wenn infolge später Diagnose eine Operation unausweichlich wird. Auch Aufklärung ist vonnöten, sie muss breit ansetzen. Prävention ist ein Aspekt, etwa das Tragen von Schuhen oder die Bekämpfung von Nagetieren in Siedlungen. Auch das Bestimmen von Schlangenarten und das richtige Reagieren auf Bisse ist wichtig. Letztgenanntes vor allem zur Vermeidung nicht intendierter Selbstverletzungen und möglicher negativer Auswirkungen von traditioneller Medizin. Der Einbezug von Communities ist elementar, um Mitbestimmung zu gewähren, aber auch um lokales Wissen zu nutzen und eine bessere Datenlage zu schaffen.
Die Zeit für adäquate Lösungen drängt. Vieles spricht dafür, dass sich das Problem in zahlreichen betroffenen Gegenden in Zukunft verschärfen wird. Bevölkerungswachstum, das weitere Eindringen in natürliche Habitate der Reptilien mit Abholzung, Siedlungsbau und intensivierte Landwirtschaft sind dabei wichtige Aspekte. Auch Klimaveränderungen können sich negativ auswirken, im globalen Süden, wie auch im Norden. So haben Urbanisierung und erhöhter Regenfall auch in US-Bundesstaaten wie Georgia und Texas die Fallzahlen bei Schlangenbissen zuletzt nach oben getrieben.[12] (MK)
Artikel aus dem Pharma-Brief 1/2020, S.4
Bild © Dr. Raju Kasambe
[1] Zwar war bereits 2013 ähnliches für die Königskobra gelungen, allerdings weniger detailliert.
[2] Chippaux J-P (2017) Snakebite envenomation turns again into a neglected tropical disease! Journal of Venomous Animals and Toxins including Tropical Diseases; 23, p 38
[3] WHO (2019) Snakebite envenoming: a strategy for prevention and control. www.who.int/snakebites/resources/9789241515641/en/ [Zugriff 20.01.2020]
[4] Schiermeier Q (2019) Snakebite crisis gets US$100-million boost for better antivenoms. Nature news 16 May https://doi.org/10.1038/d41586-019-01557-0 [Zugriff 20.01.2020]
[5] Minghui R et al. (2019) WHO’s Snakebite Envenoming Strategy for prevention and control. Lancet Global Health; 7, p e837 http://dx.doi.org/10.1016/S2214-109X(19)30225-6
[6] Bolon I et al. (2019) Snakebite in domestic animals: First global scoping review. Preventive Veterinary Medicine; 170, 104729 https://doi.org/10.1016/j.prevetmed.2019.104729
[7] Habib AG and Brown NI (2018) The snakebite problem and antivenom crisis from a health-economic perspective. Toxicon; 150, p 115 https://doi.org/10.1016/j.toxicon.2018.05.009
[8] MSF (2019) Antivenom, not frogs, needed to cure snakebite. www.msf.org/antivenom-not-frogs-needed-cure-snakebite-south-sudan [Zugriff 20.01.2020]
[9] Reuters (2019) Kenyan team aim to fight fatal snakebite. www.reuters.com/article/us-kenya-snakes/kenyan-team-aim-to-stop-fatal-snake-bites-idUSKBN1X813Y [Zugriff 20.01.2020]
[10] Senji Laxme RR et al. (2019) Beyond the ‘big four’: Venom profiling of the medically important yet neglected Indian snakes reveals disturbing antivenom deficiencies. PLoS Negl Trop Dis; 13, p e0007899 https://doi.org/10.1371/journal.pntd.0007899
[11] Willems W (2019) Todbringende Gene. Süddeutsche Zeitung 13. Januar www.sueddeutsche.de/wissen/schlangen-todbringende-gene-1.4754644 [Zugriff 20.01.2020]
[12] Bauerlein V (2019) Snakebites Hit Record Highs in Southern States as Suburbs Expand. Wall Street Journal, 5 Aug. www.wsj.com/articles/snakebites-hit-record-highs-in-southern-states-as-suburbs-expand-11565006405 [Zugriff 20.01.2020]
Falsche Antwort für Fälschungen
Lomé-Initiative greift zu kurz
Am 18. Januar 2020 zeichneten sieben afrikanische Staatschefs die Lomé Declaration gegen Arzneimittelfälschungen. Auch wenn es Handlungsbedarf gibt, wird Kritik an der Zielrichtung der Erklärung laut: Mehr Kontrollen und härteren Strafen allein werden die Probleme nicht lösen.
Das Ausmaß von Arzneimittelfälschungen ist unklar. Die WHO spricht davon, dass in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen jedes zehnte Medikament Qualitätsmängel hätte oder gefälscht sei. Doch genaue Daten fehlen. Das macht Änderungen schwierig, da unklar bleibt wo die größten Probleme liegen und wo man am besten ansetzt.
WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus erwähnte in seiner Ansprache anlässlich der Verabschiedung der Erklärung immerhin, dass der Mangel an erschwinglichen Arzneimitteln, Korruption im Gesundheitswesen und unsichere Lieferketten wichtige Faktoren seien.[1] In der Lomé Declaration spielt das eine untergeordnete Rolle. Sie konzentriert sich voll auf strengere Überwachung und härtere Strafen.
Hier setzt die Kritik von Denis Kibira von der ugandischen Gesundheits-NGO HEPS an. „Gefälschte Medikamente gedeihen, weil der afrikanische Kontinent und seine Gesundheitssysteme das perfekte Einfallstor für diesen illegalen Handel sind. Afrikanische Regierungen geben viel zu wenig Geld für die Gesundheit aus. Das führt zur Knappheit von Medikamenten im öffentlichen Sektor. PatientInnen werden dadurch gezwungen, sich im Privatsektor zu versorgen, was oft an zu hohen Preisen scheitert.“ [2]
Kibira kritisiert, dass die im Umfeld der Lomé-Initiative verwendeten Begriffe für Medikamentenfälschungen wie „illegal, gefälscht, nachgeahmt, Substandard“ teilweise undifferenziert verwendet werden. Es sei jedoch extrem wichtig, die Probleme zu unterscheiden, weil sich auch die Lösungsmöglichkeiten unterscheiden.
Initiator der Lomé Declaration ist die private Brazzaville Foundation mit Sitz in London, die die Pläne entwickelt hat und auch eine zentrale Rolle bei der Umsetzung spielen soll – gleich zwei der acht Aktionspunkte heben ihre Bedeutung hervor. Geschäftsführer[3] und Stiftungsrat der Brazzaville Foundation[4] sind Weiße, Schirmherr ist His Royal Highness Michael of Kent.[5] Im Beirat sitzen mehrere ehemalige afrikanische Staatsoberhäupter, aber auch Vertreter anderer Stiftungen, ein Banker und ein philanthropischer Unternehmer. Auch wenn man unterstellen kann, dass die Absichten der Stiftung wohlmeinend sind und in die Vorbereitung das Harvard Global Health Institute und die London School of Hygiene and Tropical Medicine einbezogen waren, bleibt ein Geschmäckle. Denis Kibira: „Das alles sieht ziemlich nach einer Anti-Fälschungskampagne aus, die die Probleme Afrikas wahrscheinlich nicht lösen wird. Deshalb sollten unserer Regierungen vorsichtig sein, dass diese Initiative nicht unter Flagge ‚Förderung der öffentlichen Gesundheit‘ als Plattform für die Durchsetzung strengerer geistiger Eigentumsrechte missbraucht wird, und damit den Zugang zu legitimen unentbehrlichen Arzneimitteln behindert.“ (JS)
Artikel aus dem Pharma-Brief 2/2020, S.3
[1] www.who.int/dg/speeches/detail/launch-of-the-lom%C3%A9-initiative [Zugriff 17.2.2020]
[2] Kibira D (2020) Lomé Initiative is not the answer to the problem of fake medicine. The Observer, 5. Feb https://observer.ug/viewpoint/63418-lome-initiative-is-not-answer-to-africa-s-problem-of-fake-medicine [Zugriff 17.2.2020]
[3] http://brazzavillefoundation.org/en/our-people#chief-executive [Zugriff 17.2.2020]
[4] http://brazzavillefoundation.org/en/our-people#board-of-trustees [Zugriff 17.2.2020]
[5] http://brazzavillefoundation.org/en/our-people#royal-patron [Zugriff 17.2.2020]
Entwicklungshilfe (einmal mehr) kritisch hinterfragt
Untenstehend findet sich die „Kampala-Erklärung“ zur internationalen Hilfe. Thomas Schwarz von Medicus Mundi International erzählt wie es dazu kam und warum eine kritische Auseinandersetzung mit dem Hilfe-Paradigma auch heute so wichtig ist.
In Zeiten von Covid-19 zeigt sich in aller Deutlichkeit die Notwendigkeit der international Zusammenarbeit. Aber es zeigen sich auch die ungleichen Bedingungen und Chancen und die immanente Ungerechtigkeit einer von Wirtschaftsinteressen und Eigennutz bestimmten „Weltunordnung“. Viele Staaten und Gesellschaften, die sich mit dem Zugang zu Gesundheitsversorgung abmühen, sind weiterhin auf die Gelder und Leistungen aus der Entwicklungshilfe angewiesen, ob sie dies nun wollen oder nicht. „Nothilfe“ bleibt vorderhand eine Realität – und es ist weiterhin nötig diese Realität und ihre Akteure, Strukturen, Paradigmen und Programme kritisch zu beleuchten und zu hinterfragen. Das oft angekündigte „Ende der Entwicklungszusammenarbeit“ ist nicht in Sicht, auch nicht im neoliberalen Sinne des globalen Marktes, der dann schon alles regeln wird.
Sich kritische Fragen zu Legitimation, Relevanz und Wirksamkeit der Entwicklungshilfe zu stellen, gehört wohl zur politischen Sozialisation aller, die sich für Solidarität und Gerechtigkeit einsetzen. Und mit ihrer Kombination von Selbstgefälligkeit und Ahnungslosigkeit haben es viele „Helfer“ und „Helferinnen“ ihren KritikerInnen denn auch einfach gemacht. Was haben die Älteren unter uns doch seinerzeit gelacht beim Lesen von Isolde Schaads Buch „Knowhow am Kilimandscharo“, und wie haben wir genervt von Bob Geldofs „Band Aid“ Konzert im Wembley-Stadion auf die Sportschau gezappt.
Nicht nur haben sich in den Achtzigerjahren die Bücherregale mit kritischen Analysen und Forderungen zur Entwicklungszusammenarbeit gefüllt. Ich erspare Ihnen eine Literaturliste, Google genügt. Auch die Hilfswerke und andere Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit haben seither viel hinzugelernt. Zumindest auf Diskursebene kommt die Entwicklungshilfe oder „internationale Zusammenarbeit“ heutzutage viel selbstkritischer, viel bewusster daher. Das ist auch notwendig, denn die Herausforderungen sind noch immer dieselben.
In Deutschland hat etwa medico international das Konzept der „kritischen Nothilfe“ auf den Punkt gebracht und die Kritik der „Wohltätigkeit“ mit einer fundierten Globalisierungskritik und der Forderung nach echter Solidarität verbunden.[1] Die Beiträge von medico sind gerade deshalb so relevant und herausfordernd, weil sie aus einer kritischen Innensicht geschrieben sind. Das ist keine souveräne Abrechnung mit dem „Entwicklungsbusiness“ aufgrund akademischer oder journalistischer Recherche, da geht es um das Ringen um Sinn aus der Perspektive des solidarischen Handelns.
Ein solches Ringen um Sinn findet in vielen „Hilfswerken“ und Institutionen statt, auch im Bereich der Gesundheitszusammenarbeit. So hat sich das Netzwerk Medicus Mundi International (MMI), dem auch medico international und action medeor angehören, in den letzten Jahren in Publikationen und Anlässen vertieft mit Fragen der Relevanz, Legitimation und Wirksamkeit der Gesundheitszusammenarbeit auseinandergesetzt – ein nicht einfacher Prozess der Selbstreflektion, dem sich auch nicht alle Mitglieder des Netzwerks gleichermaßen gestellt haben. Nach Diskussionsanlässen bei den Versammlungen des „People’s Health Movement“ in Kapstadt (2012) und Dhaka (2018) hat das Netzwerk im letzten Jahr einmal mehr den Schritt über die kritische Innensicht und den Austausch im geschützten Bereich hinaus unternommen. Im Herbst 2019 lud MMI gemeinsam mit Organisationen aus Ostafrika zu einem zivilgesellschaftlichen Workshop in Kampala ein. Das Thema lautete: „How to advance cooperation and solidarity for health equity within and beyond aid.“ Eine gemeinsame Planungsgruppe bereitete die Konferenz vor und setzte sich im Vorfeld mit vier politischen Leitfragen und einer Reihe von ausgesuchten Fallstudien auseinander, die dann in einer Serie von Webinaren und im Workshop beleuchtet wurden.
Eine unerwartete Erkenntnis aus dem Workshop bestand darin, dass es auch für die zivilgesellschaftlichen Akteure aus verschiedenen afrikanischen Ländern keineswegs selbstverständlich und einfach ist, sich mit der Entwicklungszusammenarbeit und ihren Akteuren kritisch auseinandersetzen. Viele Organisationen sind selbst ein Teil des Systems geworden. Nationale „Dialogplattformen“ werden von smarten, hochprofessionellen NGOs dominiert, und eine Interessensharmonie zwischen Regierungen, internationalen Programmen und nichtstaatlichen Akteuren erstickt kritische Fragen im Ansatz. Und ja, die Hand die Dich füttert...
Beim Workshop selbst stand die „politische“ oder grundsätzliche Analyse und Debatte aber nicht im Vordergrund. Die Frage, was denn eigentlich das Problem ist, wurde konsequent ergänzt mit der Frage, was getan werden kann und auf einzelne Geschichten und Fälle „heruntergebrochen“. Am Ende des Workshops waren sich die Teilnehmenden einig, dass es tatsächlich einiges zu tun gibt.
So entstand aus dem „Kampala-Workshop“ die „Kampala-Initiative“[2] als Versuch, ein demokratisches zivilgesellschaftlichen Forum von unabhängigen, kritisch denkenden AktivistInnen und Organisationen aus dem globalen Süden und Norden zu schaffen. Ihr Ziel: Im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit und darüber hinaus Solidarität und Zusammenarbeit neu zu definieren und einzufordern. Mit der „Kampala-Erklärung“ (siehe nächste Seite) hat sich die Kampala-Initiative einen programmatischen Rahmen gesetzt. Über 80 Organisationen, darunter auch die BUKO Pharma-Kampagne, haben die Erklärung seit ihrer Lancierung im Januar 2020 unterzeichnet.
„Einmal mehr, hatten wir doch schon“, werden wohl einige einwenden. – Ja, einmal mehr. Weil es halt immer noch nötig ist.
Thomas Schwarz ist Geschäftsführer des Netzwerks Medicus Mundi International: www.medicusmundi.org
Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2020, S.5
Bild © privat
[1] Beyond Aid Dokumentation: Von Wohltätigkeit zu Solidarität. www.medico.de/von-wohltaetigkeit-zu-solidaritaet-14673/
[2] Wir sind noch auf der Suche nach etwas Startkapital für eine minimale Struktur (Sekretariat, Kommunikation) für die Kampala-Initiative, und deshalb ist ihre Website vorläufig noch zu Gast bei Medicus Mundi International: www.medicusmundi.org/kampalainitiative
Erklärung von Kampala über Zusammenarbeit und Solidarität für gerechte Gesundheit in der internationalen Hilfe und darüber hinaus
Überall auf der Welt wird Gesundheitsgerechtigkeit verwehrt, und gesundheitliche Entwicklungshilfe verstärkt oft die Machtungleichgewichte, die die gesundheitlichen Ungleichheiten verursachen. Die Prioritäten der Geber aus dem Norden diktieren die Hilfsagenda, die von den von ihnen finanzierten NGOs und „Partnern“ aus dem Süden umgesetzt wird. Diese Prioritäten kollidieren oft mit den Bedürfnissen und Anliegen von Gemeinschaften, Regierungen und der Zivilgesellschaft in vielen Ländern der Welt.
Der Raum der Hilfe wird von mächtigen Interessen dominiert, während die Stimmen derer, die am stärksten von gesundheitlicher Ungleichheit betroffen sind, regelmäßig instrumentalisiert werden oder aus der Konversation ausgeschlossen werden. Viele Akteure innerhalb des Sektors – selbst unter den Gemeinschaften und der Zivilgesellschaft – stellen die der Gesundheitshilfe zugrunde liegenden Prämissen und Strukturen nicht in Frage. Ihre eigenen Ideen und Weltanschauungen wurden von und für die Hilfe und der Industrie, die sie unterstützt, geprägt. Die Infragestellung der Entwicklungshilfe stellt die Berufsbilder, den Lebensunterhalt und die Machtposition derjenigen, die in diesem Sektor arbeiten, vor Herausforderungen.
Darüber hinaus ist Gesundheitshilfe zwar in manchen Situationen wichtig, aber allein kann sie nie zu einer Welt führen, in der alle Menschen gesund leben können. Um dies zu erreichen, müssen wir die zugrunde liegenden Ursachen bekämpfen, die für schlechte Gesundheit verantwortlich sind und sie aufrechterhalten. Dazu gehören u.a. unfaire Handelsabkommen, Steuerungerechtigkeit, die Klimakrise, die Schwäche der bestehenden Leitlinien für die Gesundheitshilfe, die unkontrollierte Ausbeutung und Gewinnung von natürlichen Ressourcen, unterfinanzierte Gesundheitssysteme und die politisch-ökonomischen Anreize, die diese krankheitserzeugenden Kräfte stärken. Diese sozialen, kommerziellen, wirtschaftlichen und politischen Determinanten der Gesundheit wurden von der Hilfe toleriert oder ignoriert. Dadurch verstärken sie die gesundheitlichen Ungleichheiten, die durch die Hilfe behoben werden sollen.
Wir glauben, dass kollektives, solidarisches und soziales Handeln als eine globale Gemeinschaft, die sich gemeinsam mit den Gründen unseres Kampfes für Gesundheit befasst, die Hilfe in ein faires Mittel zur Sicherung des Rechts auf Gesundheit verwandeln kann. Dies bedeutet, dass wir aus Mitgefühl im Streben nach Gerechtigkeit handeln und uns umeinander sorgen, zuhören und helfen, um so Verbundenheit und Gerechtigkeit in der ganzen Welt zu fördern.
Mit der Kampala-Initiative verpflichten wir uns, die Gesundheitshilfe durch Dialog, Fürsprache, Aktivismus und Aktionen zu exponieren, zu erforschen, in Frage zu stellen und zu transformieren. Wir verpflichten uns, Zusammenarbeit und Solidarität für die Gesundheit aufzubauen, innerhalb und über die Praxis der Hilfe hinaus, um eine Zukunft zu schaffen, in der das Recht auf Gesundheit und Gesundheit für alle verwirklicht werden und Hilfe nicht länger notwendig ist.
Konkret werden wir:
- eine kritische Analyse der Hilfe vorantreiben und ihren Missbrauch in Frage stellen;
- die Machtdynamik im Herzen der Hilfsstrukturen in Frage stellen;
- die Ursachen von Gesundheitsproblemen zur Kenntnis nehmen und auf sie reagieren, wobei wir niemals so tun werden, als sei Hilfe die Lösung;
- schädliche Narrative der Hilfe und Nächstenliebe in Frage stellen, wo sie existieren;
- die schädlichen Machtdynamiken korrigieren, wo sie in unseren eigenen Organisationen existieren;
- solidarisch als Partner im globalen Süden und Norden zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die internationale Gesundheitsfinanzierung auf sozialer Gerechtigkeit und nicht auf neokolonialen Ideen und Praktiken beruht.
Kampala/Genf, 27. Januar 2020
Die BUKO Pharma-Kampagne hat die Kampala-Erklärung mit unterzeichnet.
Übersetzung: Jörg Schaaber
Die Ärmsten trifft es am härtesten
Corona als globale soziale Katastrophe
Wie viele Menschen an der Corona-Pandemie sterben werden, ist derzeit noch unklar. Doch die gesellschaftlichen Folgen reichen weit über die unmittelbar durch Covid-19 verursachten Todesfälle hinaus. Eine kritische Überprüfung von Nutzen und Schaden von Eindämmungsmaßnahmen ist ebenso nötig wie ein globaler sozialer Ausgleich.
Allmählich dämmert es so manchem, dass der vielerorts verhängte radikale Shutdown zwar die Anzahl der täglichen Neuinfektionen mit Covid-19 reduziert hat, aber auch erhebliche wirtschaftliche und soziale Probleme schafft. Deren Ausmaß ist noch gar nicht abzusehen. Die OECD schätzt, dass für die Dauer des Shutdowns das Bruttosozialprodukt in den reichsten Ländern um 20-30% sinken wird. Dabei sind die indirekten und längerfristigen Folgen noch nicht mit eingerechnet.[1] Hierzulande werden zwar viele Menschen Einbußen erleiden, aber die meisten an der Krise nicht zugrunde gehen.
Wen scheren die Klamotten?
Wir können es vorübergehend verschmerzen, wenn wir keine neue Kleidung kaufen können, für die Näherinnen in Asien bedeutet das aber eine Katastrophe. Allein in Bangladesch wurden internationale Aufträge im Wert von über 3 Mrd. US$ storniert oder verschoben.[2] Die großen Handelsketten nehmen teils nicht einmal die schon gefertigte Ware ab.[3] Zwischen einem Viertel und der Hälfte der vier Millionen ArbeiterInnen wurden entlassen oder in Zwangsurlaub geschickt[2] [4] – die meisten ohne Bezahlung.[3] Da sie im Schnitt weitere fünf Familienangehörige versorgen, kann man das Ausmaß des Elends erahnen.[4] Die fehlende Nachfrage nach Textilien und anderen Produkten hat in vielen weiteren Ländern ähnliche dramatische Folgen.
Abstand halten, aber wie?
Abstand zu halten gilt – neben der Isolierung von Kranken und Personen, die Kontakt mit Infizierten hatten – als eine der wichtigsten Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19. Dabei sind ExpertInnen sich nicht einmal einig, wie viel Distanz es sein soll: 1 m (Weltgesundheitsorganisation), 1,5 m (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) oder 1-2 m (Robert-Koch-Institut). Da wenig auf Vernunft gesetzt wird, gibt es in Deutschland und anderswo teils starke Restriktionen, bis hin zu totaler Ausgangssperre für über 65-jährige wie in Serbien.
Manche Verbote leuchten unmittelbar ein, wie zum Beispiel die von Massenveranstaltungen, die derzeit ein sehr hohes Ansteckungsrisiko bergen. Andere Restriktionen sind möglicherweise wenig effektiv oder haben mehr negative als positive Folgen. Wie soll die Krankenschwester mit Kind noch arbeiten gehen, wenn Kindergärten und Schulen geschlossen sind und die Betreuung durch die Großeltern nicht angeraten ist? Wo sollen Wohnungslose bei einer Ausgangssperre bleiben?
Über Sinn und Unsinn von Einschränkungsmaßnahmen zu sprechen, ist derzeit schwierig, weil Diskussionen oft emotional werden. Wer Bedenken äußert, gerät schnell in den Verdacht, das Leben von besonders gefährdeten Personen leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Trotzdem ist eine Debatte überfällig. Denn jede Maßnahme muss sich daran messen lassen, ob sie tatsächlich schwere Erkrankungen oder Todesfälle verhindern kann und welche gesundheitlichen Kollateralschäden sie verursacht. Dabei lohnt auch der Blick über den Tellerrand.
Rückzug wohin?
In anderen Gegenden der Welt erhöht der erzwungene Rückzug ins Häusliche oft sogar das Risiko oder ist nicht umzusetzen. So zum Beispiel in Südafrika, wo derzeit eine strikte Ausgangssperre mithilfe des Militärs durchgesetzt wird. In den Townships leben häufig ganze Familien in nur einem einzigen Raum zusammen, ohne Toilette oder fließend Wasser. Der Gang zum Job würde diesen Menschen nicht nur das Einkommen sichern, er würde meist auch mehr Distanz erlauben. Der südafrikanische Philosophieprofessor und Medizinethiker Alex Broadbent formuliert es so: „Wenn die Leute nichts mehr zu Essen haben, werden sie sich nicht an einen Lockdown halten. Es gibt auch keinen praktischen oder moralischen Grund, das zu tun.“ Er fordert deshalb an den sozialen Kontext angepasste Maßnahmen. Ältere Menschen in Afrika zögen häufig aufs Land zurück. Dort sei die physische Distanzierung auch viel leichter umzusetzen. Übrigens ein Vorschlag, der von lokalen Führern aus ländlichen Regionen stamme. „[…] und das ist die beste von allen Ideen – die Leute zu fragen, wie sie ihre Probleme selbst lösen wollen.“[5]
Auch in Indien mit seinen rund 40 Millionen WanderarbeiterInnen ist die Lage desaströs. Diese Menschen bestreiten ihr mageres Einkommen als StraßenverkäuferInnen oder mit Gelegenheitsjobs in den Städten und sind jetzt arbeitslos geworden. Hungrig und verzweifelt versuchen sie sich nun in ihre Heimatdörfer durchzuschlagen, die oft mehrere hundert Kilometer entfernt sind. „Hunderttausende sind in jedem Bundesstaat gestrandet“, beschreibt Gopal Dabade von der indischen Hilfsorganisation Jagruti die derzeitige Lage. „Sie kommen nicht weiter und können nicht heim und haben auch nichts zu essen. Wir sehen Mütter oder Väter mit Kindern, die am Verhungern sind und können nicht allen helfen. In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nicht so schlecht gefühlt.“[6] Ganz abgesehen von der sozialen Misere trägt die Massenflucht aus den Städten aber auch zur weiteren Verbreitung des Virus bei.[7]
Der Journalist P. Sainath ( People‘s Archive of Rural India) fällt ein vernichtendes Urteil über die Politik der indischen Regierung: „Sich auf Covid-19 zu konzentrieren, ohne die größeren Zusammenhänge zu beachten – das ist wie der Versuch, den Boden trockenzuwischen und dabei alle Wasserhähne voll aufgedreht zu lassen. Wir brauchen einen Ansatz, der Ideen voranbringt, die das öffentliche Gesundheitssystem und Rechte und Ansprüche stärken.“ [6]
Sinn von Maßnahmen
Als wichtigster Grund für den Lockdown wird immer genannt, unnötige Todesfälle wegen Überfüllung der Krankenhäuser zu verhindern. Es geht also nicht primär darum, die Erkrankung mit Covid-19 zu verhindern, sondern den zeitlichen Verlauf der Infektionen zu strecken. Todesfälle durch die Erkrankung werden verzögert, aber zum großen Teil nicht verhindert. Es fehlen derzeit wichtige Zahlen zur Infektionsrate und Sterblichkeit, um die Ausbreitung und den weiteren Verlauf einschätzen zu können (siehe Kasten). Diese sind aber für die Entwicklung einer wirksamen – aber das Alltagsleben und die Wirtschaft möglichst wenig einschränkenden – Strategie unentbehrlich. Ebenso wichtig ist es, die Effektivität und negativen Folgen verschiedener Maßnahmen zu bewerten, von Spielplatzschließungen bis zum Verbot, sich im Freien aufzuhalten.
Der Shutdown allen öffentlichen Lebens wurde zuerst in Wuhan, dem Ausgangspunkt der Epidemie in China, praktiziert und dann mit einigen Abweichungen auch in vielen europäischen Ländern kopiert. Für den Erfolg der Einschränkungen spielte aber wohl weniger die Radikalität der Maßnahmen eine Rolle, sondern eher der richtige Zeitpunkt (früh genug) und die Zielgerichtetheit. Für sehr begrenzte Einschränkungen stehen so verschiedene Länder wie Südkorea[8] oder Schweden, die mit unterschiedlichen Strategien bislang ohne Lockdown auskamen.
Die politischen Entscheidungen zu Einschränkungen mussten auf Basis einer unklaren Faktenlage getroffen werden (siehe Kasten). Aber dass sie hierzulande und in einigen anderen Industrieländern hauptsächlich auf der Modellierung der Ansteckungsrate durch Virologen und Epidemiologen basierte, war ein Schwachpunkt. Weder gesundheits-, wirtschafts- oder sozialwissenschaftliche Expertise wurde herangezogen.
Eine kritische Bewertung der Sinnhaftigkeit von Freiheitsbeschränkungen und eine Modellierung der wirtschaftlichen Folgen wäre nicht nur möglich, sondern angezeigt gewesen. Risikoanalysen und Pandemiepläne, die schon seit Jahren existieren, wurden übrigens interessanterweise kaum zur Kenntnis genommen.[9] Stattdessen lautete das Motto: „Viel hilft viel“. Ein Luxus, den wir hierzulande mit viel Geld bezahlen werden und der andernorts zahlreiche Menschenleben kostet.
Schaden für den Globalen Süden
Nicht nur die unmittelbaren gesundheitlichen Folgen von Corona könnten wegen des häufig schlechteren Gesundheitszustands und der schwachen medizinischen Infrastruktur in ärmeren Ländern schlimmer ausfallen. Auch die Kollateralschäden könnten dort wesentlich größer sein und mehr Menschen töten als Covid-19 selbst.
UNCTAD prognostiziert, dass der wirtschaftliche Schaden durch die Maßnahmen gegen Corona für ärmere Länder gravierender sein wird als die Folgen der Bankenkrise 2008, die einen schweren globalen Wirtschaftseinbruch auslöste.[10] Die Weltbank warnt vor einem weiteren Problem, das durch den Lockdown verursacht wird: Die Überweisungen von ArbeitsmigrantInnen in Industrieländern an ihre Verwandten im globalen Süden könnten um rund 20% sinken. Damit gingen Einnahmen in Höhe von 445 Mrd. US$ verloren. Das bedeute „den Verlust einer entscheidenden finanziellen Lebensader für prekäre Haushalte,“ so die Weltbank.[11] Einen solch krassen Rückgang der Transferzahlungen habe es noch nie gegeben.
David Beasley, Direktor des World Food Programme der UN, warnte, dass durch Covid-19 eine Verdoppelung der Zahl der Hungernden droht, von 135 auf 265 Millionen Menschen. Die Welt sehe „zahlreichen Hungersnöten biblischen Ausmaßes“ entgegen, die zu 300.000 Todesopfern am Tag führen könnten – eine „Hunger-Pandemie“.[12]
Es trifft nicht alle gleich
Aber auch in reichen Ländern trifft es arme Menschen am härtesten. Während Bessergestellte sich oft in das Homeoffice zurückziehen können und ihr Gehalt weiter beziehen, wurden viele Menschen im Dienstleistungsgewerbe arbeitslos. In den USA haben 9,2 Millionen mit ihrem Job auch ihren Krankenversicherungsschutz verloren, weil der an ihren Arbeitsplatz gekoppelt war. Diejenigen, die – oft schlecht bezahlt – in krisenwichtigen Branchen arbeiten, von medizinischem Personal bis zu Versandzentren, haben ein erhöhtes Ansteckungsrisiko.[13] Und wer einer Minderheit angehört, hat ein höheres Risiko, an Covid-19 zu sterben: In Michigan waren 40% der Verstorbenen AfroamerikanerInnen, obwohl sie nur 14% der Bevölkerung ausmachen.[14]
Italienische Verhältnisse?
Als schlimmstes Bedrohungsszenario wird immer wieder Italien genannt – auch zur Rechtfertigung drastischer Maßnahmen.. Tatsächlich gab es in Italien mit 24.648 im Zusammenhang mit Covid-19 gemeldeten Todesfällen (Stand 22.4.2020) die höchste Zahl von Opfern in Europa.[15] Dabei lohnt aber ein genauerer Blick: Die Epidemie konzentriert sich auf wenige Regionen: Allein in der Lombardei wurden 39% aller registrierten Covid-19-Fälle gefunden, zusammen mit den drei angrenzenden Regionen in der Po-Ebene sind es 72% aller Fälle in ganz Italien.[16]
Der folgenschwerste Ausbruch fand in Bergamo nach einem Champions League-Spiel am 19.2.2020 statt. Ein Drittel der Bevölkerung soll das Spiel besucht und/oder anschließend in der Stadt gefeiert haben. Das war noch zu Beginn der Epidemie und das Wissen um die Gefahren von Covid-19 war noch nicht weit verbreitet.[17] In der Folge brach die Versorgung zusammen.
Obwohl Bergamo über ein gut ausgestattetes Krankenhaus verfügt, konnten nicht mehr alle Erkrankten behandelt werden. Schlimmer noch, die Einrichtungen trugen selbst zur Verbreitung des Virus bei,
weil notwendige Schutzausrüstungen fehlten und das Personal überarbeitet war. Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen machten italienweit ein Zehntel der Covid-19 PatientInnen aus.[12] Ein strategischer Fehler war auch, leichtere Fälle ins Krankenhaus aufzunehmen, statt sie zu Hause zu versorgen, wie ÄrztInnen des Krankenhauses in Bergamo in einem Artikel selbstkritisch anmerken.[18]
Es gibt in Italien aber noch weitere Besonderheiten, die zur hohen Todesrate beitrugen und die Übertragbarkeit auf andere Länder einschränken. Das Land hat nach Japan die zweitälteste Bevölkerung der Welt. Die im Zusammenhang mit Covid-19 Gestorbenen waren im Median 80 Jahre alt. Auch andere Risikofaktoren, die einen schweren Verlauf wahrscheinlicher machen, sind häufig: Italien hat eine hohe Raucherquote, mancherorts schlechte Luft und in der Folge leiden viele Menschen an chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen und Herz-Kreislauferkrankungen.[17]
Das Land hat zudem relativ wenige Intensivbetten (Italien 8,6 pro 100.000 EinwohnerInnen, Deutschland 33,9[19]) – auch eine Folge des durch die Banken- und Eurokrise ab 2010 ausgelösten Sozialabbaus. Das gilt übrigens auch für das ebenfalls stark betroffene Spanien (9,7 Intensivbetten pro 100.000).
Vorbild Europa?
Während in Mitteleuropa rund 20% der Bevölkerung über 64 Jahre sind und deshalb mit relativ vielen schweren Krankheitsverläufen bei Covid-19 zu rechnen ist, macht diese Bevölkerungsgruppe in Afrika südlich der Sahara gerade einmal 3% aus.[20] Schutzmaßnahmen, die in reichen Ländern greifen mögen, unhinterfragt auf andere Weltregionen zu übertragen, ist schon deshalb äußerst fragwürdig. Alex Broadbent kommt zu dem bitteren Schluss: „Die größte Bedrohung für die Gesundheit in Afrika ist nicht Covid-19, sondern die Folgen der regionalen und globalen Maßnahmen, die eigentlich den Effekt [von Covid-19] auf die öffentliche Gesundheit reduzieren sollen.“ [5]
Dabei ist nicht die Frage, ob bei schneller Zunahme der Erkrankungsfälle keine Maßnahmen zur Senkung der Infektionsrate getroffen werden sollten, sondern ob sie das gewünschte Ziel erreichen, ohne die Todesfälle aus anderen Ursachen kurz- oder langfristig stark ansteigen zu lassen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte schon am 3. Februar 2020 in ihrem „Coronavirus Strategic preparedness and response plan“, dass die Beschränkung von Bewegungsmöglichkeiten von Menschen und Gütern Hilfe erschweren und die Wirtschaft national wie international schädigen könnte. Ländern sei deshalb angeraten, „Risiko- und Kosten-Nutzenanalysen durchzuführen, bevor sie Restriktionen umsetzen, damit sie abschätzen können, ob die Vorteile die Nachteile aufwiegen.“[21] Angesichts schnell steigender Infektionszahlen geriet diese Mahnung in Vergessenheit. Erst seit kurzem gibt es alarmierende Meldungen.
Sonst keiner krank?
Ein negative Bilanz könnte es z. B. bei Malaria geben. Denn vielerorts wurde wegen Covid-19 die Verteilung von Malarianetzen unterbrochen und Erkrankte teils nicht mehr behandelt. Schlimmstenfalls könnte sich deshalb die Zahl der Malariatoten in Subsahara-Afrika auf 769.000 verdoppeln. Damit würden die Erfolge der letzten 20 Jahre zunichte gemacht.[22]
Weltweit unterbleiben wegen des Lockdowns Standardimpfungen von Kindern.[23] Ein Problem, das keineswegs nur den Globalen Süden betrifft. Die Verbände der KinderärztInnen in Deutschland warnen vor einem Rückgang der Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen und Impfungen.[24]
Nicht nur hierzulande unterbleiben viele Behandlungen und es besteht die Gefahr, dass Erkrankte zu spät ärztliche Hilfe suchen und so ihre Chancen auf Heilung verringern. In Krankenhäusern werden geplante Operationen verschoben, ein Zustand, der nur begrenzt aufrecht erhalten werden kann.
Ecuador ist gemessen an seiner Bevölkerungszahl das am stärksten von Covid-19 betroffene Land Lateinamerikas. Hier trifft die Krise auf ein Gesundheitssystem, dem wegen Kreditauflagen des Internationalen Währungsfonds 2019 mehrere Tausend Stellen gestrichen wurden.[25]
Dicke Luft
Auch Umweltfaktoren dürfen nicht aus dem Blick geraten: In Italien konzentrieren sich die Corona-Opfer auf die Po-Ebene mit ihren Ballungs- und Industriezentren. Die Gegend, in der über 15 Millionen Menschen leben und annähernd gleich viele Autos und Lastwagen ihre Abgase ausstoßen, zählt aufgrund ihrer Geographie zu den am schwächsten belüfteten Regionen Europas mit hoher Schadstoffbelastung.[26] Das gilt übrigens gilt auch für die Region Madrid, ein weiterer Corona-Hotspot mit vielen Erkrankten. Auch viele Metropolen des Globalen Südens haben eine miserable Luftqualität.
Last but not least
Covid-19 ist durchaus ein gravierendes Gesundheitsproblem. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass viele andere Erkrankungen Jahr für Jahr wesentlich mehr Menschenleben fordern – weitgehend ohne öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Luftverschmutzung bedeutet z. B. jedes Jahr für 4,2 Millionen einen frühen Tod. 91% der Opfer lebten in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.[27]
Jährlich sterben weltweit 1,5 Millionen Menschen an Tuberkulose, obwohl die Krankheit behandelbar ist und die Zahl der Neuansteckungen durch frühe Erkennung und Behandlung sowie bessere Lebensbedingungen drastisch reduziert werden könnte.[28] 525.000 Kinder unter fünf Jahren sterben jährlich an Durchfall, weil es an sauberem Trinkwasser und Hygiene mangelt und alle 10 Sekunden stirbt ein Kleinkind an den Folgen von Hunger.[29] 295.000 Schwangere sterben jährlich unter oder nach der Geburt, die allermeisten dieser Todesfälle wären vermeidbar.[30]
Es wäre zu hoffen, dass die gegenwärtige Krise nicht nur dazu führt, kurzzeitig ärmeren Ländern bei der Bewältigung von Covid-19 unter die Arme zu greifen, sondern eine bessere globale Gesundheit insgesamt als globale Aufgabe zu verstehen. Dazu gehört die Umsetzung von universeller Gesundheitsversorgung ebenso wie der Zugang zu bezahlbaren Diagnostika, Arzneimitteln und Impfstoffen und auch die Beseitigung der krassen sozialen Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten.
Um die wirtschaftlichen Folgen der aktuellen Krise meistern zu können, braucht es erhebliche Finanztransfers aus den Industrieländern. Es darf nicht sein, dass die einheimische Wirtschaft mit hunderten von Milliarden gestützt wird, der Globale Süden aber mit Peanuts abgespeist wird. (JS)
Artikel aus dem Pharma-Brief 3-4/2020, S.1
Bild © Screenshot Pharma-Brief
[1] OECD (2020) Evaluating the initial impact of Covid-19 containment measures on economic activity. https://read.oecd-ilibrary.org/view/?ref=126_126496-evgsi2gmqj&title=Evaluating_the_initial_impact_of_Covid-19_containment_measures_on_economic_activity [Zugriff 17.4.2020]
[2] Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association (2020) Stand 16. April www.bgmea.com.bd [Zugriff 17. April]
[3] Anner M (2020) Abandoned? The Impact of Covid-19 on Workers and Businesses at the Bottom of Global Garment Supply Chains. Center for Global Workers’ Rights. PennState www.workersrights.org/wp-content/uploads/2020/03/Abandoned-Penn-State-WRC-Report-March-27-2020-1.pdf [Zugriff 17.4.2020]
[4] Kelly A (2020) Primark and Matalan among retailers allegedly cancelling £2.4bn orders in ‘catastrophic’ move for Bangladesh. Guardian 4 April www.theguardian.com/global-development/2020/apr/02/fashion-brands-cancellations-of-24bn-orders-catastrophic-for-bangladesh
[5] Broadbent A (2020) Lockdown is wrong for Africa. The Mail & Guardian.pdf 20 April https://mg.co.za/article/2020-04-08-is-lockdown-wrong-for-africa [Zugriff 22.4.2020]
[6] Persönliche Nachricht an die Pharma-Kampagne vom 24.4.2020
[7] Sainath P (2020) What we should do about Covid-19, People‘s Archive of Rural India, 27 March https://ruralindiaonline.org/articles/what-we-should-do-about-Covid-19
[8] Tae Hoon Kim (2020) Why is South Korea beating coronavirus? Its citizens hold the state to account. Guardian, 11 April www.theguardian.com/commentisfree/2020/apr/11/south-korea-beating-coronavirus-citizens-state-testing
[9] Braun B 82020) Anmerkungen zur aktuellen Krise und was lernen wir daraus? Forum Gesundheitspolitik
[10] UNCTAD (2020) The Covid-19 Shock to Developing Countries. https://unctad.org/en/PublicationsLibrary/gds_tdr2019_covid2_en.pdf [Zugriff 21.4.2020]
[11] World Bank et al (2020) Covid-19 Crisis Through a Migration Lens
[12] Khorsandi P (2020) WFP chief warns of ‘hunger pandemic’ as Global Food Crises Report launched. WFP Insights 22 April https://insight.wfp.org/wfp-chief-warns-of-hunger-pandemic-as-global-food-crises-report-launched-3ee3edb38e47
[13] Reich R (2020) Covid-19 pandemic shines a light on a new kind of class divide and its inequalities. Guardian 26 April www.theguardian.com/commentisfree/2020/apr/25/Covid-19-pandemic-shines-a-light-on-a-new-kind-of-class-divide-and-its-inequalities
[14] Zanolli L (2020) Why is coronavirus taking such a deadly toll on black Americans? Guardian 25 April www.theguardian.com/world/2020/apr/25/coronavirus-racial-disparities-african-americans
[15] WHO (2020) Coronavirus disease 2019 (Covid-19) Situation Report – 93. 22 April www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200422-sitrep-93-Covid-19.pdf
[16] Istituto Superiore di Sanità (2020) Integrated surveillance of Covid-19 in Italy. 20 April 2020 update www.epicentro.iss.it/en/coronavirus/bollettino/Infografica_20aprile%20ENG.pdf [Zugriff 21.4.2020]
[17] Boccia S et al. (2020) What Other Countries Can Learn From Italy During the Covid-19 Pandemic. JAMA Internal Medicine. doi:10.1001/jamainternmed.2020.1447
[18] Nacoti M et al. (2020) At the Epicenter of the Covid-19 Pandemic and Humanitarian Crises in Italy: Changing Perspectives on Preparation and Mitigation. NEJM Catalyst DOI: 10.1056/CAT.20.0080
[19] OECD (2020) Beyond Containment: Health systems responses to Covid-19 in the OECD. https://read.oecd-ilibrary.org/view/?ref=119_119689-ud5comtf84&title=Beyond_Containment:Health_systems_responses_to_Covid-19_in_the_OECD [Zugriff 23.4.2020]
[20] United Nations (2019) World Population Prospects 2019 https://population.un.org/wpp/Download/Files/1_Indicators%20(Standard)/EXCEL_FILES/1_Population/WPP2019_POP_F07_1_POPULATION_BY_AGE_BOTH_SEXES.xlsx
[21] WHO (2020) 2019 Novel Coronavirus (2019‑nCoV): Strategic preparedness and response plan. Draft 3 Feb. www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/srp-04022020.pdf [Zugriff 27.4.2020]
[22] WHO (2020) The potential impact of health service disruptions on the burden of malaria https://apps.who.int/iris/rest/bitstreams/1275527/retrieve
[23] WHO (2020) Hard fought gains in immunization coverage at risk without critical health services, warns WHO. Press release 23 April www.who.int/news-room/detail/23-04-2020-hard-fought-gains-in-immunization-coverage-at-risk-without-critical-health-services-warns-who
[24] DAKJ (2020) Stellungnahme der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e. V. zu weiteren Einschränkungen der Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie mit dem neuen Coronavirus (SARS-CoV-2). 20. April
[25] Henkel K (2020) Pandemie-Hausaufgaben für den IWF. taz, 23. April https://taz.de/Ecuadors-Gesundheitswesen-am-Limit/!5680517/
[26] Ogen Y (2020) Assessing nitrogen dioxide (NO2) levels as a contributing factor to the coronavirus (Covid-19) fatality rate. Science of the Total Environment https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2020.138605
[27] www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/ambient-(outdoor)-air-quality-and-health [Zugriff 26..4.2020]
[28] www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/tuberculosis [Zugriff 22.4.2020]
[29] www.who.int/en/news-room/fact-sheets/detail/diarrhoeal-disease [Zugriff 22.4.2020]
[30] www.who.int/en/news-room/fact-sheets/detail/maternal-mortality [Zugriff 22.4.2020]
Folgende Quellen wurden für die Info-Box „Unklare Lage: Was man über Covid-19 weiß und was nicht“ zusätzlich genutzt:
[31] Ioannidis (2020) Coronavirus disease 2019: the harms of exaggerated information and non-evidence-based measures. Eur J Clin Invest; 50, p e13222 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/eci.13222 [Zugriff 17.4.2020]
[32] Streck H et al (2020) Vorläufiges Ergebnis und Schlussfolgerungen der Covid-19 Case-Cluster-Study (Gemeinde Gangelt) www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/zwischenergebnis_covid19_case_study_gangelt_0.pdf [Zugriff 10.4.2020]
[33] EbM-Netzwerk (2020) Covid-19: Wo ist die Evidenz? Update vom 15.04.2020 www.ebm-netzwerk.de/de/veroeffentlichungen/Covid-19 [Zugriff 23.4.2020]
[34] RKI (2019) Bericht zur Epidemiologie der Influenza in Deutschland, Saison 2018/19
[35] Kreuzfeldt M (2020) Noch lange keine Normalität. taz 21. April https://taz.de/Neue-Corona-Zahlen-des-RKI/!5680217 [Zugriff 2.4.2020]
Die (Wieder-)Herstellung einer WHO für die Menschen
Von Anne-Emanuelle Birn und Laura Nervi
Während sich globale Gesundheitsexperten, Politiker, zivilgesellschaftliche Gruppen und sechs der G7-Führer versammeln, um die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu unterstützen und etwas gegen die Diskreditierung der Organisation durch die US-Regierung und dem Zurückhalten der Mitgliedsbeiträge zu unternehmen,[1] ist es an der Zeit für eine Reflektion.
Zweifellos ist die WHO ein entscheidender Akteur,[2] wenn es darum geht, uns durch die COVID-19-Pandemie zu führen, mit den Mitgliedsstaaten bei der Entwicklung von Notfallplänen für die Pandemie (auch für nachfolgende Wellen der Krankheit) zusammenzuarbeiten, wichtige epidemiologische Daten zu sammeln, zu analysieren und zu verbreiten, eine wissenschaftliche fundierte Politik zu entwickeln und Ratschläge zu verbreiten. Sie kann Richtlinien für Tests, physische Distanzierung und andere Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit aufstellen, Normen für die Datensammlung und den Informationsaustausch festlegen und die Forschung für Medikamente und Impfstoffe unterstützen. Bei angemessener Finanzierung und einem Mandat der Mitgliedsstaaten hat die WHO das Potenzial, den Transport von persönlicher Schutzausrüstung und anderen wichtigen Hilfsgütern zum Schutz der in der ersten Reihe stehenden Gesundheitsfachkräfte zu verstärken und als internationaler Koordinator für die ethische und gerechte Verteilung von Diagnostika, Impfstoffen, Therapeutika und Ausrüstung zu sorgen. Gemäß den Internationalen Gesundheitsvorschriften ist die WHO befugt, einen Gesundheitsnotstand von internationaler Bedeutung auszurufen. Das hat sie am 30. Januar für Covid-19 gemacht und es ermöglicht ihr, in „Echtzeit“ zu reagieren.[3]
Hat die WHO irgendwelche Fehler gemacht? Die bevorstehende „unparteiische, unabhängige, umfassende“ Überprüfung der Reaktion der WHO auf COVID19 wird diese aufdecken.[4] Aber die Zurückhaltung der WHO war von Anfang an durch ihre reale Entscheidungsstruktur, ihre eingeschränkte Reichweite (sie ist abhängig von der Berichterstattung der Länder, ob diese die Regeln einhalten und es fehlen ihr Durchsetzungsmechanismen) und ihre Abhängigkeit von freiwilligen Geldgebern, die in ihrem eigenen Interesse handeln, vorbestimmt.[5]
Es bleiben hartnäckige Fragen zu Chinas verzögertem Informationsaustausch mit der WHO.[6] Dennoch hat die WHO, nachdem die chinesischen Behörden die Übertragung von Mensch zu Mensch bestätigten, mit China zusammengearbeitet, um die Welt vor diesem international besorgniserregenden öffentlichen Gesundheitsnotstand zu warnen und außergewöhnliche Maßnahmen zu seiner Eindämmung zu empfehlen.
Ein anderer Aspekt: Nach internationalem Druck revidierte China seine COVID-19-Todeszahlen nach oben[7] und korrigierte Ungenauigkeiten. Die verspätet bekanntgewordene traurige Bilanz der Todesfälle in Heimen und Pflegeheimen u.a. im Vereinigten Königreich, in Italien, Frankreich, Spanien und den Vereinigten Staaten wird im Gegensatz dazu entschuldigt oder die Kritik zumindest mit Blick auf die gegenwärtigen besonderen Umstände abgemildert.
Darüber hinaus haben Länder, die den Rat der WHO befolgt haben – darunter Deutschland, Vietnam, Island, Dänemark, Neuseeland, Südkorea und Finnland – von den Leitlinien der WHO profitiert. (Taiwan als Nicht-WHO-Mitglied hat diesen Rat faktisch antizipiert, aber das ist eine andere Geschichte.) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die WHO, selbst während sich die lebenswichtigen Lern- und Veränderungsprozesse noch entwickeln – was in allen Ländern geschehen sollte –, die Möglichkeit haben sollte, ihre Arbeit zu tun.
Doch eine Sorge übertrifft alle anderen: Die WHO wurde in der Tat „gekapert“. Die progressive Verfassung der WHO von 1948 hatte eine demokratische Regierungsführung durch die jährliche Weltgesundheitsversammlung und einen rotierenden, gewählten Exekutivrat mit 34 Mitgliedern geschaffen.[8] Jahrzehntelang wurde die WHO jedoch daran gehindert, ihre Politik unabhängig zu gestalten. Ihre Agenda wurde durch mächtige Mitgliedsstaaten, deren transnationalen Konzerne (TNK) und philanthropische Stiftungen sowie durch internationale Finanzinstitutionen beeinflusst.
Seit 2010 versucht die Global Redesign Initiative des Weltwirtschaftsforums, die Vereinten Nationen (UN), darunter auch die WHO, in ein System der „Multistakeholder-Governance“ umzuwandeln, das von den Interessen von TNKs, Philanthropen und der Finanzwelt beeinflusst wird.[9] Dabei werden öffentliche Gelder und die Legitimität der UN in private profitorientierte Bestrebungen kanalisiert.
Die WHO, die inmitten des frühen Kalten Krieges und der Entkolonialisierungskämpfe gegründet wurde, war immer unvollkommen. Ihre ersten Jahrzehnte waren von US-geförderten Kampagnen gegen Krankheiten wie Malaria und Frambösie beherrscht, für die bereits die technischen Hilfsmittel zur Verfügung standen (DDT und Penicillin), aber den gesundheitsbezogenen Lebensbedingungen und der Entwicklung tragfähiger Gesundheitssysteme wurde wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Während durch die Zusammenarbeit von den USA und der UdSSR in den 1960er bis 1970er Jahren die Pocken ausgerottet wurden,[10] drängten die Länder der „Dritten Welt“ auf eine Neuorientierung: „Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000“, verkörpert durch die Erklärung von Alma-Ata von 1978.[11] Das war für die WHO und die Welt die beste Chance, Gesundheit und Wohlbefinden durch einen, auf primärer Gesundheitsversorgung basierenden Ansatz, der auf dem Recht auf Gesundheit, sozialer Gerechtigkeit und einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung basiert, gerecht zu verbessern – das alles vor dem Hintergrund der schwierigen Machtasymmetrien insbesondere zwischen Nord und Süd.[12]
Doch in den 1980er Jahren, während einer weltweiten Schuldenkrise und Rezession sowie einer neoliberalen ideologischen Wende, wurde die WHO von der britischen Thatcher- und der Reagan-Regierung der Vereinigten Staaten schikaniert. Letztere kürzte ihre Mitgliedsbeiträge bei der UN einseitig und hielt dann ihre WHO-Beiträge von 1986 bis 1988 ganz zurück. Diese Maßnahmen zielten zumindest teilweise darauf ab, die WHO für das von führenden Pharmaunternehmen abgelehnten Programm für unentbehrliche Arzneimittel von 1977 (das eine Empfehlungsliste für geeignete Generika schuf) zu bestrafen und für ihren Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten von 1981, der die unethischen Vermarktungspraktiken der Firmen stoppen sollte. Gleichzeitig wurden der Erklärung von Alma-Ata, die als eine von der Gemeinschaft getragene Anstrengung zur Bekämpfung der zugrunde liegenden Krankheitsursachen gedacht war (z.B. Bekämpfung von Durchfall durch Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen) – und die damit eine radikale Kritik an den globalen wirtschaftlichen Machtverhältnissen bedeutete – durch eine von der Rockefeller Stiftung vorangetriebene Initiative die Zähne gezogen. Sie machte primäre Gesundheitsversorgung „selektiv“, indem sie auf eng begrenzte vertikale Interventionen setzte.[13]
In der Zwischenzeit begann die Weltbank, einer unterfinanzierten WHO die Schau zu stehlen. Die Kreditbedingungen der Weltbank erzwangen die massive Schrumpfung und Privatisierung der Gesundheitssysteme im gesamten globalen Süden. Nach 2008 schlug die Sparpolitik auch nach Norden durch: Die vorher gefeierten universellen Gesundheitssysteme wurden geschwächt, kaputtgespart oder großflächig zur privaten Profiterzielung verscherbelt, insbesondere in Großbritannien und Spanien, die zu den am stärksten von Covid-19 betroffenen Ländern gehören.
Da die Mitgliedsbeiträge bis in die 1990er Jahre fielen oder stagnierten, sah sich die WHO gezwungen, sich nach anderen Finanzierungsquellen umzusehen. Heute beträgt das Budget der WHO ca. 2,4 Milliarden Dollar pro Jahr,[14] das ist weniger als ein Drittel [!] des Budgets des New York-Presbyterian Hospital.[15] Mehr als 80% des Budgets werden von Geldgebern für ausgewählte Aktivitäten bereitgestellt, was bestimmten einkommensstarken Ländern, Unternehmen, Stiftungen und öffentlich-privaten Partnerschaften (PPPs) enorme Einflussmöglichkeiten verschafft. (PPPs setzen in der Regel technische Instrumente ein, die oft von Akteuren aus diesen Partnerschaften selbst stammen, um einzelne Krankheiten zu bekämpfen, ohne dabei integrierte oder Gesundheitssystemansätze zu verfolgen.)
Eine besonders heimtückische Entwicklung ist der Wildwuchs schlecht regulierter PPPs, die nicht rechenschaftspflichtigen Unternehmensakteuren Zugang zu Entscheidungsprozessen und beispiellose, von Regierungspartnern finanzierte Kommerzialisierungsmöglichkeiten bieten. In den letzten Jahren wurde die WHO von PPPs, TNKs und ihren Regierungspartnern unter Druck gesetzt, z.B. die Richtlinien zum Zuckerkonsum zu lockern, eine massive Bevorratung mit einem unwirksamen Grippemedikament zu empfehlen (ein Interessenkonflikt mit Big Pharma) und die Annahme eines Rahmenplans für die Prävention nichtübertragbarer Krankheiten voranzutreiben, der die Regulierung von TNKs außer Acht lässt.[16]
Die größten öffentlich-privaten Partnerschaften, der Globale Fonds und Gavi (die Impfstoffallianz), die beide von der Bill and Melinda Gates Stiftung und staatlichen Geldern massiv unterstützt werden, haben die WHO (die nicht einmal über eine Stimme im Vorstand des Globalen Fonds verfügt) umgangen und verdrängt, indem sie jährlich Milliarden öffentlicher Dollar in den Kauf und die Verteilung von Impfstoffen zu Big Pharma-freundlichen Preisen sowie in die AIDS-, Tuberkulose- und Malariakontrolle fließen lassen, die lukrative Verträge mit dem Privatsektor ermöglichen.[17]
Wer behauptet, die WHO habe Fehler gemacht und es mangele ihr an Führungsqualitäten, verkennt grundsätzlich die Lage.[18] Vier Jahrzehnte neoliberaler Umstrukturierung haben dazu geführt, dass die WHO genau so handelt, wie das beabsichtigt war: als Maklerin für mächtige Interessen.
Heute ist es dringend notwendig, die Macht und die Aufgabenbereiche der WHO neu zu legitimieren.[19] Die WHO braucht eine angemessene Finanzierung durch Mitgliedsbeiträge, sie ist Voraussetzung für eine demokratische Regierungsführung, eine unabhängige Agenda-Setzung und eine wissenschaftlich fundierte Entscheidungsfindung auf der Grundlage ihres verfassungsmäßigen Auftrags, Gesundheit als Menschenrecht zu fördern. Natürlich steht ein solcher Wandel in direktem Widerspruch zum neoliberalen Ansturm auf die WHO und das gesamte UN-System.
Dennoch müssen die gesellschaftlichen Faktoren, die die Gesundheit prägen, im Mittelpunkt stehen: Von der Klimakrise bis zur prekären Arbeit; der Extraktivismus (Bergbau, Gas und Öl, Agrarindustrie usw.), Krieg, erzwungene Migration, klassenmäßige, sexistische, transphobe, homophobe und rassistische Unterdrückung sowie die vorherrschenden Asymmetrien von Macht und Reichtum – und die Bereitstellung unparteiischer Forschung und Beratung über die gerechtesten und wirksamsten öffentlichen Gesundheits- und Gesundheitsversorgungssysteme gemäß den Prinzipien und der Praxis der universellen Gesundheitsgerechtigkeit. Das wird nicht nur Gesundheitsgerechtigkeit für alle schaffen, sondern auch dazu beitragen, künftigen Pandemien vorzubeugen und die gegenwärtige zu bekämpfen.
Prof. Anne-Emanuelle Birn ScD, MA, arbeitet am Centre for Critical Development Studies und der Dalla Lana School of Public Health, University of Toronto, Toronto, ON, Kanada. Laura Nervi PhD, MPH, arbeitet am College of Population Health, University of New Mexico, Albuquerque, USA.
Dieser Artikel ist eine genehmigte Übersetzung von: Anne-Emanuelle Birn and Laura Nervi (2020) “(Re-)Making a People’s WHO,” American Journal of Public Health; 110, (September): e1-e2 https://doi.org/10.2105/AJPH.2020.305806
Übersetzung: Jörg Schaaber. Das American Journal of Public Health ist für die Übersetzung nicht verantwortlich.
Bild WHO © Yann Forget / Wikimedia Commons
Artikel aus Pharma-Brief 7/2020, S.3
[1] Wintour P (2020) G7 backing for WHO leaves Trump isolated at virtual summit: Guardian 16 April www.theguardian.com/world/2020/apr/16/g7-backing-for-who-leaves-trump-isolated-at-virtual-summit
[2] APHA (2020) APHA opposes Trump move to cut essential WHO funding. 14 April https://bit.ly/2U9s7Qh
[3] WHO (2020) International Health Regulations. Annual Report A/37/14, 14 May https://apps.who.int/gb/ebwha/pdf_files/WHA73/A73_14-en.pdf
[4] La Journada (2020) China, Rusia y la UE apoyan a la OMS ante el embate de EU. 20 May www.jornada.com.mx/ultimas/mundo/2020/05/20/china-rusia-y-la-ue-apoyan-a-la-oms-ante-el-embate-de-eu-7174.html
[5] Horton R. (2020) Offline: why President Trump is wrong about WHO. Lancet;395, p 1330
[6] AP (2020) China delayed releasing coronavirus info, frustrating WHO. 3 June https://apnews.com/3c061794970661042b18d5aeaaed9fae
[7] Griffiths J and Jiang S (2020) Wuhan officials have revised the city’s coronavirus death toll up by 50%. CNN 17 April https://cnn.it/2XxEwzG
[8] Cueto M, Brown TM, Fee E. (2019) The World Health Organization: A History. Cambridge, UK: Cambridge University Press
[9] Richter J (2017) Draft Concept Note towards WHO‘s 13th General Programme of Work. GIFA https://bit.ly/3gV66yv
[10] Henderson D (1998) Smallpox eradication – a cold war victory. Bull WHO; 19, p 113 https://bit.ly/2U4xKPJ
[11] WHO (1978) Declaration of Alma Ata https://bit.ly/3034Ymm
[12] Packard R (2016) A History of Global Health: Interventions Into the Lives of Other Peoples. Baltimore, MD: Johns Hopkins University Press
[13] Birn A-E (2018) WHOse health agenda? 70 years of struggle over WHO’s mandate. Lancet;391, p 1350
[14] WHO (2019) Programme budget 2020-2021 https://bit.ly/2ABiH9e
[15] Columbia University (2019) Alumna Makes Amazing Things Happen. 14 Feb https://bit.ly/2Y0basD
[16] People’s Health Movement. Medact, Third World Network, Health Poverty Action, Medico Internatio-nal, and ALAMES (2017) Global Health Watch 5: An Alternative World Health Report. London, UK: Zed Books Ltd
[17] Birn A-E and Richter J. (2018) US philanthrocapitalism and the global health agenda: The Rockefeller and Gates Foundations, past and present. In: Waitzkin H and the Working Group on Health Beyond Capita-lism, ed. Health Care Under the Knife: Moving Beyond Capitalism for Our Health. New York, NY: Mon-thly Review Press
[18] Buranyi S (2020) The WHO v coronavirus: why it can‘t handle the pandemic. Guardian 10 April https://bit.ly/2Mvmd7W
[19] Wibulpolprasert S and Chowdhury M (2016) World Health Organization: overhaul or dismantle? Am J Public Health; 106, p 1910
Behandlung per Lotterie
Novartis verlost nicht zugelassene Therapie
Die Gentherapie Zolgensma® soll Kindern helfen, die an einer seltenen Muskelerkrankung leiden. Die einmalige Behandlung kostet rund zwei Millionen Euro, das Mittel ist in Europa noch nicht zugelassen. Novartis kündigte Anfang des Jahres an, 100 Einzelgaben zu verlosen.[1] Das stößt ebenso wie der hohe Preis auf Kritik.
Die Gentherapie zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie wurde in den USA im Mai 2019 auf Basis einer unkontrollierten Phase 1-Studie an 15 PatientInnen zugelassen.[2] [3] Bei der europäischen Behörde EMA hat Novartis die Zulassung erst später eingereicht. Bislang hat die Firma schon 280 Tage gebraucht, um Nachfragen zu beantworten – doppelt so lange, wie die EMA bis dahin für die Prüfung brauchte.[4]
Das hat Novartis nicht davon abgehalten, schon große Erwartungen zu schüren. Eine geschickte Pressearbeit hat dazu sicher beigetragen, die Publikumsmedien berichteten schon früh über das Produkt.[5] Bereits letztes Jahr setzten in Deutschland die Eltern von mindestens vier Kindern durch, dass die Krankenkassen die vollen Kosten für die Behandlung übernahmen.
Marketingtrick?
Die jetzt von Novartis verkündete Lotterie hat eine Schwemme von Artikeln ausgelöst. Der Medizinethiker Norbert W. Paul, Professor der Universitätsmedizin Mainz, sieht das kritisch: „Novartis unterläuft mit dieser Abgabe aus Mitleid die Zulassung, um einen Fuß im Markt zu haben und so Druck zu machen, dass die Zulassung gar nicht mehr erforderlich zu sein scheint.“ [6]
Die Alternative wäre gewesen, dass Novartis von vorneherein beim dafür zuständigen Paul-Ehrlich-Institut, ein Härtefallprogramm beantragt. Die Behörde kann dann kontrolliert prüfen, ob das noch nicht zugelassene Medikament im Einzelfall eine sinnvolle Option ist, weil es keine erfolgversprechende andere Behandlung gibt. In einem solchen Härtefallprogramm stellt der Hersteller das Präparat grundsätzlich kostenlos zur Verfügung. Novartis hat einen solchen Antrag erst im Zusammenhang mit seiner umstrittenen Lotterie gestellt.
Nicht ganz einmalig
Was in der Debatte untergeht: Zolgensma® ist nicht das erste Medikament gegen die Muskelschwäche, die unbehandelt nach wenigen Jahren tödlich enden kann. Bereits 2017 wurde Nusinersen zugelassen. Das Mittel wurde an fast 250 Personen gegen Placebo getestet.[7] Zolgensma® wurde, obwohl es naheliegend gewesen wäre, in den Studien nicht mit Nusinersen verglichen.
Zwar muss Zolgensma® im Gegensatz zu Nusinersen nur einmal gegeben werden, aber die Behandlung funktioniert nur bei Kindern unter zwei Jahren. Außerdem ist der Nutzen und Schaden der neuen Behandlung noch wenig untersucht. Erst nach mehreren Jahren wird man sicher sagen können, ob Zolgensma® den kleinen PatientInnen dauerhaft hilft und die Risiken vertretbar sind.
Spekulativer Preis
Patrick Durisch von der Schweizer NGO Public Eye warf der Firma auf der Hauptversammlung von Novartis am 28.2.2020 in Basel unverantwortliches Verhalten vor: „Novartis, wie können Sie es wagen, den wahnsinnigen Preis von über zwei Millionen Dollar für eine einzige Spritze Zolgensma zu verlangen – das Resultat einer reinen Finanzspekulation über den Kauf einer Biotechfirma, die in hohem Maße von öffentlichen und gemeinnützigen Geldern profitiert hat und nicht Ihrer eigenen Investition in Forschung und Entwicklung.“ [8]
Tatsächlich ist das Produkt hauptsächlich in der Ohio State University und des Nationwide Children‘s Hospital entstanden. Einer der beteiligten Forscher, Brian Kaspar, arbeitete von 2004 bis 2017 in beiden Institutionen. Noch während seiner Tätigkeit an der Uni gründete er das Startup Avexis, das Novartis im Mai 2018 für 8,7 Mrd. US$ kaufte.[9]
Manipulationen
Kaspar ist seinen Job bei Avexis inzwischen los. Es flog auf, dass er im Zulassungsantrag für die FDA Daten manipuliert hatte.[10] Das hatte Novartis zwar schon vor der FDA-Entscheidung bemerkt, aber der FDA die Manipulation erst einen Monat später mitgeteilt.[11] Man habe den Vorfall erst in einer internen Untersuchung weiter klären wollen. Die Fälschungen betrafen, soweit bekannt, zwar nur den Herstellungsprozess,[10] aber falsche Angaben im Zulassungsverfahren sollte es eigentlich niemals geben. Letztlich untergräbt eine solche Manipulation auch die Vertrauenswürdigkeit der übrigen Daten.
Bleibt zu hoffen, dass bessere Evidenz für das Produkt generiert wird. Sollten sich die Hoffnungen bestätigen, ist allerdings eine drastische Preisreduzierung erforderlich. Allein im 4. Quartal 2019 hat Novartis mit Zolgensma® in den USA 189 Mio. US$ eingenommen.[12] Dass sich Wenige so schamlos auf Kosten der Allgemeinheit bereichern, ist schwer erträglich. (JS)
Info zum Bild:
Medikamentenverlosung per Glücksrad. 2014 in einem Stück der Straßentheatergruppe „Schluck & weg“ der Pharma-Kampagne als bitterböse Satire gedacht, um auf die mangelhafte Versorgung von Menschen im globalen Süden aufmerksam zu machen. Novartis macht es zur Realität. © Jörg Schaaber
Artikel aus dem Pharma-Brief 2/2020, S.1
[1] Zeit online (2020) Deutsche Behörden erlauben umstrittene Gentherapieverlosung. 3. Feb. www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-02/spinale-muskelatrophie-zolgensma-verlosung-behandlung-gesundheit [Zugriff 3.3.2020]
[2] FDA (2019) Statistical review – Zolgensma www.fda.gov/media/128116/download [Zugriff 3.3.2020, der Link führt zu einer zip-Datei, die alle Unterlagen zum Wirkstoff enthält]
[3] Zwischenergebnisse aus noch laufenden Studien an weiteren 17 PatientInnen wurden ergänzend herangezogen.
[4] Salz J (2020) Umstrittene Zolgensma-Aktion Medikamenten-Vergabe per Los: „Das wirkt wie eine Form der Rationierung“. Wirtschaftswoche, 3. Feb. www.wiwo.de/unternehmen/industrie/umstrittene-zolgensma-aktion-medikamenten-vergabe-per-los-das-wirkt-wie-eine-form-der-rationierung/25502410.html [Zugriff 3.3.2020]
[5] Z.B. Welt (2019) Teuerstes Medikament der Welt zugelassen. 25. Mai. www.welt.de/wirtschaft/article194161349/Spinale-Muskelatrophie-Teuerstes-Medikament-der-Welt-zugelassen.html [Zugriff 3.3.2020]
[6] Zeit online (2020) Deutsche Behörden erlauben umstrittene Gentherapieverlosung. 3. Feb. www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-02/spinale-muskelatrophie-zolgensma-verlosung-behandlung-gesundheit [Zugriff 3.3.2020]
[7] G-BA (2017) Nutzenbewertung Nusinersen. www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutzenbewertung/298/#nutzenbewertung [Zugriff 3.3.2020]
[8] Durisch P (2020) Rede vor der Novartis-Hauptversammlung. 28. Feb. www.publiceye.ch/en/news/detail/how-dare-you-novartis [Zugriff 3.3.2002]
[9] Frank G (2019) Zolgensma’s Journey from Lab Idea to Gene Therapy for SMA. SMA News Today, 27 May https://smanewstoday.com/2019/05/27/zolgensmas-journey-from-lab-idea-to-gene-therapy-for-sma
[10] Triell M (2019) Ousted Novartis scientist ‘categorically denies’ wrongdoing in data manipulation scandal. CNBC 20 Aug. www.cnbc.com/2019/08/20/ousted-novartis-scientist-denies-wrongdoing-in-data-manipulation-scandal.html
[11] FDA (2019) Statement on data accuracy issues with recently approved gene therapy. 6 Aug. www.fda.gov/news-events/press-announcements/statement-data-accuracy-issues-recently-approved-gene-therapy [Zugriff 7.2.2020]
[12] Novartis (2020) Condensed financial report – supplementary data. www.novartis.com/sites/www.novartis.com/files/2020-01-interim-financial-report-en.pdf [Zugriff 21.2.2020]
Aussichten auf eine gesunde Zukunft!
Jahresbericht der Pharma-Kampagne 2019
2019 war ein schwieriges Jahr für die BUKO Pharma-Kampagne. Weil mehrere große Projektanträge gescheitert waren, mussten wir Stellen kürzen und zwei MitarbeiterInnen entlassen, von denen wir nur eine wieder einstellen konnten. Monatelang hatten wir mit Liquiditätsengpässen zu kämpfen. Die Krise dauerte bis zur Jahresmitte, sie hat sämtliche Finanzreserven verschlungen und auch an unseren Kräften gezehrt. Denn trotz der miserablen Finanzlage haben wir bei unserer Bildungsarbeit und der politischen Arbeit kaum Abstriche gemacht.
Mit neun Veranstaltungen hat sich die Kampagne 2019 in die Klimadebatte eingemischt und dabei die globalen Gesundheitsrisiken zunehmender Erwärmung deutlich gemacht. An mehreren Pflegeschulen haben wir unsere Schulmaterialien zum Thema eingesetzt und sie über diverse Bildungsserver kostenlos zur Verfügung gestellt.
Auch HIV/Aids stand ganz oben auf unserer Agenda. Denn Stigmatisierung, Kriminalisierung und hohe Medikamentenpreise schließen immer noch viele Menschen von Prävention und Behandlung aus. Ein neuer E-Learning-Kurs dazu ist seit April 2019 in Arbeit und wird Mitte nächsten Jahres online gehen.
Ein Pharma-Brief Spezial erschien in Kooperation mit dem Aktionsbündnis gegen Aids (AgA) und analysiert den Status Quo im Kampf gegen die Immunschwäche-Krankheit.
Weltweit vernetzt mit starken Partnern
Im Mai 2019 startete ein zweijähriges Bildungsprojekt zur weltweiten Problematik von Antibiotika-Resistenzen. Gemeinsam mit Partnerorganisationen in Indien, Tansania und Südafrika untersuchten wir die Resistenz-Situation in den Bereichen Humanmedizin, Landwirtschaft und Umwelt. Wir beleuchteten Ursachen und Wechselwirkungen, aber auch politische Strategien und lokale Handlungsansätze. Unsere Länderstudien basieren auf intensiven Literaturrecherchen. Zusätzlich entwickelten wir in Zusammenarbeit mit unseren Partnern Fallbeispiele, die die ABR-Problematik anschaulich machen sollen und spezifische lokale Herausforderungen aufzeigen. Unsere Partner führten zu diesen Aspekten Interviews mit diversen Akteuren – z.B. aus Medizin, Pharmazie und Landwirtschaft - und zeichneten die Gespräche als Videos auf. Die Länderstudien werden wir ab Jahresmitte in einer multimedialen Wanderausstellung präsentieren und auch einen Pharma-Brief Spezial dazu veröffentlichen.
Kritische Analysen fanden Widerhall
Trotz der Finanzmisere im vergangenen Jahr lieferte die Pharma-Kampagne bei ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit die gewohnte Quantität und Qualität: Wir waren an rund 60 Veranstaltungen beteiligt, besuchten Tagungen, referierten bei Konferenzen im In- und Ausland, hielten Vorlesungen, organisierten Fachgespräche oder Workshops. Wir publizierten 8 Pharma-Briefe und 2 Pharma-Briefe Spezial, standen 33 JournalistInnen Rede und Antwort, führten Interviews und Hintergrund-Gespräche oder vermittelten Kontakte zu ExpertInnen.
Insgesamt gingen 47 Medienberichte aus unserer Pressearbeit hervor. Themen waren u.a. Klimawandel und globale Gesundheit, die Resolution der Weltgesundheitsversammlung zu Transparenz im Arzneimittelmarkt, aber auch Blutplasmahandel, Krebsmedikamente oder Qualitätsprobleme bei Arzneirohstoffen. Nicht zuletzt entfachte unsere kritischen Analyse zum Global Health Hub Germany ein beachtliches Medienecho: Unsere Stellungnahme floss in Briefing-Papiere von NGOs und parteipolitische Statements ebenso ein wie in die Berichterstattung der Fachzeitschrift The Lancet und des Deutschen Ärzteblatt.
Zum Jahresende deckten wir gemeinsam mit der britischen Organisation TranspariMED auf, dass deutsche Unikliniken die Ergebnisse ihrer klinischen Studien häufig nicht zeitgerecht oder gar nicht veröffentlichen. Süddeutsche, Tagesschau, Deutschlandfunk, Spiegel und andere Leitmedien berichteten daraufhin über die Missstände.
Kritische Analysen, gute Argumente und öffentlicher Druck haben Einfluss auf die Arzneimittel- und Gesundheitspolitik. Die BUKO Pharma-Kampagne ist hier trotz ihrer geringen Größe und begrenzten Mittel eine gewichtige Akteurin. Auch damit schaffen wir bessere Aussichten für eine gesunde Zukunft.
Doch unsere Finanzmisere 2019 hat einmal mehr gezeigt, wie wichtig Spenden und Förderbeiträge sind, um unsere Arbeit zu finanzieren und uns Planungssicherheit zu geben – erst recht in einem rauer werdenden politischen Klima. Wir danken allen, die uns im vergangenen Jahr mit großzügigen Spenden und Beiträgen wieder auf die Beine geholfen haben. Bitte denken Sie doch einmal darüber nach, ob es auch Ihnen möglich ist, Fördermitglied zu werden oder ihren Förderbeitrag um ein paar Euro zu erhöhen – damit wir auch morgen kein Blatt vor den Mund nehmen müssen. (CJ)
Artikel aus dem Pharma-Brief 1/2020, S.6
Bild © Jason Weingart
Auf einem Auge blind?
Globale Gesundheitsstrategie der Bundesregierung veröffentlicht
Nach langwierigem Prozess wurde Anfang Oktober das neue Leitdokument für die globale Gesundheitspolitik Deutschlands vorgestellt. Die Strategie gibt sich ambitioniert, doch ein großer Wurf sieht anders aus.
Es war eine schwere Geburt: Nach großer Verzögerung und über zwei Jahren Arbeitsprozess wurde am 7. Oktober die neue „Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesundheit“ vom Kabinett verabschiedet. Sie löst ein Vorgängerdokument von 2013 ab und trägt den Titel „Verantwortung – Innovation – Partnerschaft: Globale Gesundheit gemeinsam gestalten“.[1]
Für die Erarbeitung der 39-seitigen Leitlinie war das Bundeministerium für Gesundheit (BMG) federführend und alle anderen Ressorts wurden konsultiert. Dies ist insofern delikat, als das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zuletzt noch kurz davor war, sämtliche bilaterale Zusammenarbeit zu Gesundheit zu kappen.[2] Zwischen den Häusern hatte es in den letzten Jahren häufiger hörbar geknirscht.
Aus Sicht des BMG liegen die Schwerpunkte der neuen Strategie vor allem auf kohärentem und partnerschaftlichem Handeln sowie der „Priorisierung von Bereichen, in denen Deutschland sein politisches Engagement, seine Expertise und Kompetenzen bestmöglich einsetzen kann.“ So nimmt z.B. das Thema Digitalisierung besonders viel Raum ein und es stellt sich die Frage, ob soziale Gerechtigkeit oder neue Anlagemöglichkeiten im globalen Gesundheitsmarkt hier die treibende Kraft sind.[3]
Agenda 2030 gibt Richtung vor
Handlungsleitend soll die Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung sein. Entsprechend erstrecken sich die Inhalte von Gendergerechtigkeit und Diskriminierungsfreiheit über Universal Health Coverage (UHC), Präventionsstärkung und Klimawandel bis hin zum Schutz humanitärer Hilfe.
Hervorgehoben wird zudem die Bedeutung multilateraler Kooperation, dabei wird gerade die wichtige Rolle der WHO und ihre notwendige (auch finanzielle) Stärkung hervorgehoben. Erfreulich ist, dass der neuen Strategie ein umfassenderes Verständnis von Gesundheit zugrunde liegt und auch soziale Determinanten in den Blick genommen werden.
Doch ein großer Wurf sieht anders aus. Dafür, dass das Dokument eine Art Vision für die kommenden zehn Jahre formulieren soll, liest es sich als erschreckend Status-Quo fixiert und konfliktscheu. „Die Aussagen bleiben an vielen Stellen unkonkret und wenig zukunftsorientiert“, kommentiert Susan Bergner von der Stiftung Wissenschaft und Politik.[4]
Problem Arzneimittelzugang
Ein plastisches Beispiel dafür sind Hürden beim Zugang zu Arzneimitteln. Dazu zählen hohe Preise, verursacht durch geistige Eigentumsrechte (vor allem Patente), und die Intransparenz von Arzneimittelmärkten.[5]
Zwar formuliert die neue Gesundheitsstrategie, Deutschland werde „sich für kontinuierlichen, gerechten Zugang zu sicheren Impfstoffen, Arzneimitteln, Medizinprodukten und Medizintechnik engagieren.“ In der näheren Erläuterung jedoch heißt es, dabei werde ein „systemorientierter Ansatz verfolgt“, der u.a. „die Qualität der Produktion und Aufbewahrung und die lokale Verfügbarkeit, den gerechten Zugang und die Bezahlbarkeit sowie die Sicherung geistiger Eigentumsrechte“ umfasse.
„Systemorientiert arbeiten“ ist dabei eine rhetorische Nebelkerze. Der Begriff suggeriert, dass Patentprobleme und Preishürden nur ein Teilproblem darstellen und Veränderungen des Systems daher unnötig seien. Die Bezahlbarkeit von Medikamenten und geistige Eigentumsrechte werden dabei nicht einmal als divergierende Interessen bzw. als Zielkonflikt erkannt und in einem Atemzug genannt. Statt klarer Strategien für die Versorgung mit preiswerten unentbehrlichen Medikamenten wird im gleichen Abschnitt der Kampf gegen Medikamentenfälschungen in den Vordergrund gestellt. Das erinnert fatal an Argumente der Pharmaindustrie die suggerieren, nur teure Markenprodukte seien sicher.
Klare Strategien zu einer Umorientierung der Forschung fehlen. Stattdessen werden Produktentwicklungspartnerschaften (PDPs) gepriesen, „weil der Aspekt der Zugangsgerechtigkeit hier von Anfang an mitgedacht wird.“ Bedeutet im Umkehrschluss: Überall sonst im Pharma-Bereich spielt Gerechtigkeit keine Rolle und daran soll sich auch nichts ändern. Die durch den Patentschutz ausgelöste Fehlsteuerung, die nicht nur teure, sondern auch wenig sinnvolle Medikamente hervorbringt, wird nicht einmal erwähnt.
Universelle Versorgung sichern?
Es ließe sich vermuten, dass progressive Forderungen zum Thema Zugang den Spießrutenlauf durch die Ressorts nicht überstanden haben. Es ist aber auch möglich, dass das federführende BMG schlichtweg selbst nicht sehr ambitioniert war. In jedem Falle ist diese eklatante Schieflage keineswegs nebensächlich. Schließlich geraten längst auch Länder des globalen Nordens durch extrem hohe Arzneimittelkosten an ihre Belastungsgrenze. Und eine universelle Gesundheitsversorgung (UHC) wie sie an allen Ecken und Enden in der Gesundheitsstrategie beschworen wird, basiert nicht zuletzt darauf, dass kostengünstige Medikamente, Impfstoffe und Medizinprodukte für alle zur Verfügung stehen, die sie benötigen.[6]
Verantwortung, häppchenweise
Auch antimikrobielle Resistenzen und der One Health-Ansatz sind zentrale Themen des neuen Strategie-Papiers. Die (von Seiten der Politik geförderte) stark auf den Export ausgerichtete deutsche Fleischproduktion und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen durch die Vermarktung von Billigfleisch auf dem Weltmarkt findet dagegen keinerlei Erwähnung. „Beim Schweinefleisch spielen z.B. ostasiatische Länder eine besondere Rolle, weil dorthin Schweineohren, -schwänze und -füße geliefert werden, die in Deutschland keine Verwendung finden. [..] Insbesondere tiefgefrorene Hühnerteile gehen in verschiedene afrikanische Länder.“[7]
Die im Titel der Strategie beschworene Verantwortung wird also höchst selektiv übernommen. Gleiches gilt beim Thema Klimawandel und dessen Folgen für die globale Gesundheit – ein weiterer Fokus des Papiers. Zu wichtigen Treibern des Klimawandels, wie zum Beispiel dem problematischen Schutz der Autoindustrie, findet sich nichts.
Im freien Raum
2025 soll für die Gesundheitsstrategie eine Evaluierung „durch einen ressortübergreifenden Prozess“ erfolgen. Es steht zu hoffen, dass im Zuge dessen auch zivilgesellschaftliche Akteure konsultiert werden. Außerdem stellt sich unweigerlich die Frage, auf welcher belastbaren Basis diese Analyse erfolgen soll. In dem Dokument finden sich dafür nämlich keine konkreten Anhaltspunkte.
Flankierend eine Umsetzungsstrategie zu verabschieden, wäre zielführend gewesen. Sie fehlt jedoch und so steht das neue Dokument nun gleichsam im freien Raum und trägt erste Züge eines Papiertigers. Umso mehr, als es zum klassischen Knackpunkt „Finanzierung“ lediglich heißt: „Die Umsetzung dieser Strategie wird sich in die haushalts- und finanzpolitischen Vorgaben der Bundesregierung einfügen.“ (MK)
Artikel aus dem Pharma-Brief 8-9/2020, S.4
[1] Bundesministerium für Gesundheit (2020) Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesundheit. www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Broschueren/GlobaleGesundheitsstrategie_Web.pdf [Zugriff 22.10.2020]
[2] Welt-Sichten (2020) Gesundheitsstrategie im Zeichen von Corona. www.welt-sichten.org/artikel/38262/gesundheitsstrategie-im-zeichen-von-corona [Zugriff 23.10.2020]
[3] Deutsche Plattform für Globale Gesundheit (2019) Digitalisierung im Gesundheitswesen. Ein Wundermittel auf dem Weg zur Gesundheit für alle? www.plattformglobalegesundheit.de/wp-content/uploads/2019/07/DPGG_peter_grabitz.pdf [Zugriff 23.10.2020]
[4] Bergner S (2020) Startschuss für die neue globale Gesundheitsstrategie Deutschlands. www.swp-berlin.org/publikation/startschuss-fuer-die-neue-globale-gesundheitsstrategie-deutschlands/ [Zugriff 23.10.2020]
[5] Brot für die Welt (2016) Medicines, Patents, Access and Innovation. www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Analyse/Analyse_58_Medicine_Patents.pdf [Zugriff 23.10.2020]
[6] Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (2020) Pressestatement von Bundeskanzlerin Merkel im Rahmen der WHO-Spenden-Videokonferenz. www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/pressestatement-von-bundeskanzlerin-merkel-im-rahmen-der-who-spenden-videokonferenz-1746960 [Zugriff 22.10.2020]
[7] Pharma-Brief (2020) Resistente Erreger. Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt. Spezial Nr. 1.
Antibiotika: Wo Deutschland noch dazulernen muss
Interview mit Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser
Dr. med. Dipl.-Ing. Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser ist Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie. Bis 2019 war er leitender Arzt der Stabsstelle Klinikhygiene an den städtischen Krankenhäusern in München. Derzeit ist er u.a. an einem Projekt des Robert-Koch Instituts zur Resistenzüberwachung in Nigeria beteiligt.
Können bakterielle Erkrankungen in Deutschland in naher Zukunft nicht mehr erfolgreich behandelt werden?
Derzeit muss man sich grundsätzlich keine Sorgen machen, weil bei normalen bakteriellen Erkrankungen im ambulanten Bereich multiresistente Erreger eher selten sind. In der Klinik kann es jedoch durch die dort häufig notwendigen Antibiotikatherapien zur Selektion von multiresistenten Erregern (MRE) kommen. Wenn diese wegen Hygienedefiziten auf andere empfängliche Patienten übertragen werden, sind möglicherweise einzelne Erkrankungen nicht mehr behandelbar. In Krankenhäusern gibt es immer wieder Ausbruchsituationen, dass ein multiresistenter Erreger auf einer Station auf mehrere PatientInnen übertragen wird.
Warum passiert das?
Wesentliche Ursachen dafür sind: Die räumlichen Voraussetzungen, um Übertragungen zu verhindern, sind nicht vorhanden, und zweitens ist die personelle Ausstattung nicht ausreichend, um alle Hygienemaßnahmen einhalten zu können. Eine gute Personalausstattung muss in den Kliniken also gewährleistet werden.
Sind resistente Erreger denn häufig in Deutschland und wann werden sie zum Problem?
Nahrungsmittel können ein Problem sein, besonders Hühnchen-, Puten- und auch Schweinefleisch. Bei Hühnchenfleisch findet man nach verschiedenen Untersuchungen auf bis zu 40% der Proben multirestente Erreger, sowohl Kolibakterien als auch Staphylokokken. Und die können in der Küche, wenn man bei der Zubereitung des Essens nicht gut aufpasst, in den Darm gelangen. Diese Erreger verursachen erstmal keine Infektionen, sie kolonisieren den Darm aber für eine bestimmte Zeit. Wird man aber aus irgendeinem Grund krank, bekommt zum Beispiel einen Harnwegsinfekt, dann können diese multirestenten Erreger selektiert und zum Problem bei einer Infektion werden, die eine Antibiotikatherapie erforderlich macht.
Was bedeutet das genau?
Selektion bedeutet, dass die resistenten Erreger übrig bleiben, wenn man ein Antibiotikum einnimmt. Alle empfindlichen Erreger im Mikrobiom – wir haben ja viele Bakterien im Darm und auf der Haut – werden durch das Antibiotikum abgetötet. Nur die resistenten Erreger finden ideale Bedingungen, sich zu vermehren. Obwohl diese Erreger primär mit der aktuellen Infektion nichts zu tun hatten, können sie die Ursache für die nächste Erkrankung sein.
Um dieses Problem zu erkennen, braucht man ausreichend mikrobiologische Diagnostik, damit die resistenten Erreger nachgewiesen werden können. Dann kann man diese gezielt behandeln. Erst wenn die Panresistenz auftritt, also kein Antibiotika mehr hilft, gibt es keine Behandlungsmöglichkeiten mehr. Das gibt es in Einzelfällen in der Tat schon heute.
Fördert Verschreibungspraxis Resistenzen?
Natürlich. Jede Einnahme von Antibiotika trägt dazu bei, dass resistente Erreger selektiert werden. Und jetzt kommt noch ein ganz wichtiger Punkt dazu: Wenn resistente Bakterien vorhanden sind, dann gibt es Resistenzgene, sogenannte R-Plasmide, die auch auf andere Bakterienstämme übertragbar sind. Dann wirkt dasselbe Antibiotikum auch gegen diese anderen Bakterienstämme nicht mehr, wenn sie zu einer Infektion führen.
Das heißt, ganz andere Bakterien „lernen“ von der Resistenz und können sich besser gegen Antibiotika wehren?
Genau, die Bakterien lernen, Antibiotika zu überleben, sie können fremde Resistenzgene aufnehmen.
Gibt es bestimmte Berufsgruppen, die häufig resistente Erreger tragen?
Ja, beispielsweise Beschäftigte in Tiermastbetrieben, wo viele Antibiotika eingesetzt werden. Wo also nicht ein einzelnes Tier behandelt wird, sondern ganze Herden, besonders Hühnchen, Schweine, Puten. Das sind so die typischen Mastbetriebe und da ist bekannt, dass die Arbeiter dort häufiger mit diesen multiresistenten Erregern kolonisiert sind. Das führt in der Regel nicht zu Erkrankungen, sondern es passiert erst etwas, wenn sie eine klassische Infektion bekommen. Harnwegsinfektionen sind dabei am häufigsten. Oder weil sie wegen anderer Erkrankungen intensivmedizinisch behandelt werden müssen oder eine Krebserkrankung haben. Wenn sie eine Infektion bekommen, ist diese Berufsgruppe schwieriger zu behandeln. Dann braucht man eine schnellen mikrobiologischen Keimnachweis. Weil man sonst nicht weiß, welche Antibiotika noch wirken.
Wir leben in einer sehr vernetzten Welt. Spielt es eine Rolle, dass TouristInnen und Geschäftsleute durch Reisen Resistenzen einschleppen?
Es gibt Daten, die zeigen, dass zum Beispiel in einem Land wie Indien, wo in der Umwelt wesentlich mehr resistente Bakterien vorhanden sind, über Nahrungsmittel resistente Bakterien aufgenommen werden. Wenn man jemanden untersucht, der zum Beispiel vier Wochen in Indien war, findet man zu 30-40% resistente Erreger. Das macht zuerst einmal gar nichts. Wenn die Person aber danach eine Infektion bekommt, dann kann das durchaus problematisch werden.
Der zweite Punkt, der eine Rolle spielt: Wenn man in einem Land wie Türkei, Griechenland oder Indien zum Beispiel wegen einem Herzinfarkt oder einem Unfall auf eine Intensivstation eingeliefert wird, dann wird dort fast immer mit Antibiotika therapiert und die PatientInnen werden mit multiresistenten Erregern kolonisiert. Und bringen diese nach Deutschland zurück.
Können denn Leute, die gesund sind, aber diese Keime in sich tragen, andere anstecken?
Im Normalfall ist das eher unwahrscheinlich, nur wenn sie diese Erreger in größerer Menge ausscheiden. Und dann braucht man auch immer noch einen Empfänger dazu, der eine geschwächte Immunabwehr hat, dessen Mikrobiom z.B. auf Grund einer Antibiotikatherapie zerstört ist. Deshalb ist eine solche Übertragung eher im Krankenhaus möglich und nicht im normalen Alltag.
Was können ÄrztInnen tun, um das Problem zu verringern?
Als allererstes ist die Indikation für eine Therapie mit Antibiotika ganz klar zu stellen, das heißt, nur bei klassischen bakteriellen Infektionen überhaupt ein Antibiotikum zu verordnen. Wir wissen, dass in Deutschland 40-50% der Verordnungen in Arztpraxen nicht notwendig sind. Und das trägt alles zur Selektion von resistenten Erregern bei. Deshalb ist es zwingend erforderlich, in diesem Bereich noch mehr Fortbildungen zu machen.
Was können wir von anderen Ländern lernen?
In Schweden kann ein Großteil der Antibiotika nur verordnet werden, wenn zusätzlich ein Fachexperte die Indikation bestätigt. Das trägt dazu bei, den unnötigen Einsatz zu reduzieren.
Was können PatientInnen beitragen?
Viele glauben ja, dass wenn sie eine Infektion haben, Antibiotika ein Wundermittel sind. Sie wissen meist nicht, dass ein Großteil der Infektionen viral bedingt ist. Das heißt, wenn sie zu einem Arzt gehen, dann muss im Gespräch klargestellt werden, ob überhaupt ein Antibiotikum angezeigt ist. Es gibt viele Möglichkeiten, es besser zu machen: Wenn der Verdacht einer bakteriellen Infektion besteht, erst einmal mit Tests feststellen, ob das wirklich stimmt. Oder der Arzt bespricht mit der Patientin, erst einmal abzuwarten, ob bestimmte Symptome wie zum Beispiel Fieber und Halsschmerzen nicht weggehen. Nur wenn die Symptome bleiben, soll das Rezept eingelöst werden. So kann man rund 30% des Antibiotikaeinsatzes vermeiden.
Es gibt ja seit einigen Jahren in Deutschland die sogenannte DART-Strategie gegen Antibiotikaresistenzen. Reichen die Maßnahmen aus und vor allem werden sie auch umgesetzt?
DART soll helfen, den Antibiotikagebrauch besser zu steuern. Dazu gibt es eine gesetzliche Grundlage, das ist das Infektionsschutzgesetz. Nach § 23 ist festgelegt, dass der Antibiotikaverbrauch nachvollziehbar gemacht werden muss, und dass in ausgewählten Bereichen die Resistenzsituation dokumentiert wird und diese Informationen zusammengebracht werden. Die Hilfsmittel sind alle da, aber in der Umsetzung gibt es noch Nachholbedarf. „Antibiotic Stewardship“ muss daher dringend in allen Kliniken und auch im ambulanten Bereich in Deutschland etabliert werden.
Das Interview führte Jörg Schaaber
Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2020, S.2
Bild Schwarzkopf-Steinhauser © Jörg Schaaber
Bild Bakteriennachweis © Health-e
Antibiotika-Ablasshandel
Industriespende für Forschung löst die Probleme nicht
Anfang Juli 2020 versprach der internationale Verband von Big Pharma (IFPMA) knapp eine Milliarde US$ für die Erforschung neuer Antibiotika.[1] Damit reagiert die Industrie auf die Kritik an ihrem weitgehenden Ausstieg aus der Entwicklung von Medikamenten gegen resistente bakterielle Krankheitserreger.
Wer meint, dass sich die Industrie eines Besseren besonnen hat, und selbst wieder in die Erforschung neuer Antibiotika einsteigt, wird enttäuscht. Die Großen der Branche werden weiterhin in lukrativeren Bereichen wie Krebs oder Diabetes investieren. Das Geld soll an kleinere Biotechunternehmen gehen. Auf sie wird das Risiko abgewälzt, das mit der Erforschung neuer Wirkprinzipien und kleinen Absatzmärkten verbunden ist. Big Pharma will diesen Firmen „technische Unterstützung und Zugang zum Know-how gewähren, um die Antibiotika-Entwicklung zu stärken und den Zugang und den angemessenen Einsatz von Antibiotika zu unterstützen.“[1]
Gar nicht so viel
Eine Milliarde, das klingt nach viel Geld. Aber die Summe soll über zehn Jahre verteilt fließen und es beteiligen sich 24 Unternehmen. Das bedeutet im Schnitt pro Firma rund vier Millionen Euro pro Jahr.
Verteilt werden soll das Geld durch ein vom IFPMA ins Leben gerufenes Public Private Partnership, den „AMR action fund“. Kommissarischer Geschäftsführer ist Martin Bott, Vice-President Finance bei Eli Lilly. Laut dem Pharmaverband sind die Europäische Investmentbank, der Wellcome Trust und die WHO mit im Boot.
Das kann man durchaus auch als Konkurrenzgründung zum Global Antibiotic Research and Development Partnership (GARDP) verstehen, das 2016 von der Weltgesundheitsorganisation und der gemeinnützigen Drugs for Neglected Diseases initiative (DNDi) gegründet wurde und unter anderem von Deutschland finanziell unterstützt wird. Auch hier gibt es eine Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen und der Industrie, aber die WHO und DNDi haben den Hut auf.
Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn hob bei der öffentlichen Vorstellung des AMR action fund hervor, dass dadurch zusätzliche Mittel für die Antibiotikaforschung zur Verfügung gestellt würden, mahnte aber eine enge Abstimmung mit dem WHO Aktionsplan gegen Resistenzen und existierenden AMR-Initiativen wie GARDP an. Auch sei es notwendig, bereits während der Entwicklung an den sorgsamen Gebrauch der neuen Produkte zu denken.[2]
WHO Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus begrüßte den neuen Fonds, weil die Firmen die Antibiotikaforschung vernachlässigt hätten und öffentliche Förderung die Lücke nicht ganz schließen könne. Angesichts der schwierigen Finanzlage der WHO – besonders seit dem angekündigten Ausstieg der USA – greift der WHO Chef offensichtlich nach jedem Strohhalm, notwendige Projekte zu finanzieren. Dabei ist absehbar, dass auch dieses Public Private Partnerships ebenso viele Probleme verursachen wird, wie es zu lösen versucht. Wie die Entscheidungsstrukturen des AMR action fund gestaltetet werden sollen, ist derzeit weder der Website des Fund noch den Mitteilungen von IFPMA zu entnehmen.
Marktreformen?
Es gibt aber noch einen weiteren kritischen Punkt auf der Agenda des AMR action fund: „Eine Allianz aus Industrie und Nicht-Industrie-Partnern zusammen[zu]bringen – darunter gemeinnützige Organisationen, Entwicklungsbanken und multilaterale Organisationen – in der Hoffnung, Regierungen den Anstoß zu geben, Marktreformen umsetzen, die wieder nachhaltige Investitionen in die Antibiotika-Pipeline ermöglichen.“[1] Im Klartext bedeutet das eine Lobby für höhere Preise für Antibiotika, damit das Ganze für die AktionärInnen zum lukrativen Geschäft wird.
Rechenexempel
Last but not least: Der AMR action fund will innerhalb von zehn Jahren zwei bis vier neue Antibiotika auf den Markt bringen. Das ist höchst erstaunlich, reichen doch eine Milliarde US$ nach bisherigen Angaben der Industrie nicht mal für die Entwicklung eines einzigen Medikaments aus. (JS)
Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2020, S.1
Bild Mikroskop © Health-e
[1] IFPMA (2020) Neuer AMR Action Fund soll mit Investitionen der Pharmaindustrie in Höhe von 1 Mrd. US-Dollar die vom Zusammenbruch bedrohte Antibiotika-Pipeline retten. Pressemitteilung vom 9. Juli www.ifpma.org/resource-centre/new-amr-action-fund-steps-in-to-save-collapsing-antibiotic-pipeline [Zugriff 11.8.2020]
[2] AMR action fund (2020) Global launch highlights from Berlin. 23 July https://amractionfund.com/resource/global-launch-highlights-from-berlin [Zugriff 11.8.2020]
Antibiotika – eine saubere Sache?
Indische Pharmakonzerne gegen Abwasserkontrollen
Indiens Regierung will die Abwässer aus der Antibiotika-Produktion besser regulieren. Dafür hat sie ein bahnbrechendes Gesetz auf den Weg gebracht. Doch mächtige Pharmakonzerne versuchen, bessere Umweltstandards zu verhindern. Das britische Bureau of Investigative Journalism veröffentlichte dazu einen brisanten Bericht, den wir in deutscher Übersetzung präsentieren.[1]
Die meisten Antibiotika der Welt werden in Fabriken in Indien und China hergestellt. In den letzten zehn Jahren haben zahlreiche Studien gezeigt, dass diese Fabriken Abfälle, die Antibiotikarückstände und arzneimittelresistente Bakterien enthalten, in die Umwelt ableiten.[2]
Diese Umweltverschmutzung, so warnen ExpertInnen, begünstigt die Ausbreitung von so genannten Superbakterien – Mikroorganismen, die gegen Antibiotika resistent sind.
Im Januar dieses Jahres veröffentlichte die indische Regierung einen Gesetzesentwurf, der erstmals Grenzwerte für Antibiotika festlegt, die in Flüsse und die umliegende Umwelt eingeleitet werden. Dieser Gesetzentwurf wurde durch Recherchen des Bureau of Investigative Journalism sowie weiterer Organisationen[3] angestoßen.
Widerstand der Pharmaindustrie
Mit zahlreichen Anträgen an die Regierung hat die Indian Drug Manufacturers Association (IDMA) – die führende Pharmaunternehmen vertritt – jedoch versucht, die vorgeschlagenen Regelungen zu verhindern. Konkret hat sie argumentiert, dass die strengen Grenzwerte für die Verschmutzung stattdessen Zielvorgaben sein sollten. Eine große Anzahl von Fabriken sollte außerdem von den Vorschriften ausgenommen werden.
Die Beratung der Regierung zu dem Gesetzesvorschlag, der Grenzwerte für 121 gängige Antibiotika festlegt, wurde im März abgeschlossen. Das Gesetz soll in den nächsten Monaten in Kraft treten.
Die IDMA hat sowohl beim Ministerium für Umwelt, Wälder und Klimawandel als auch beim Central Pollution Control Board Lobbyarbeit betrieben. Das offenbaren geleakte Dokumente, die dem Journalistenbüro vorliegen. In einem Brief an das Ministerium behauptete der Verband, dass die Industrie im Zuge der vorgeschlagenen Umweltmaßnahmen „unsägliches Elend durch Rechtsstreitigkeiten und Schikanen sowohl durch AktivistInnen als auch durch die Regulierungsbehörde“ erfahren würde. Weiterhin böte die Coronavirus-Pandemie dem indischen Pharmasektor ein „enormes Potenzial für Geschäftsmöglichkeiten“, „Märkte zu erobern, die bisher von China dominiert wurden“.
Fadenscheinige Argumente
Als Reaktion auf die geleakten Dokumente betonten AktivistInnen, dass die indischen Behörden der Lobbyarbeit der Industrie entschieden entgegentreten müssen. „Es ist ungeheuerlich, dass die Pharmaindustrie versucht, die gegenwärtige Covid-19-Krise zu nutzen, um die Richtlinienentwürfe für Arzneimittelproduktionsstätten zu schwächen“, sagte Nusa Urbancic von Changing Markets, einer in Großbritannien ansässigen Kampagne, die schädliche Unternehmenspraktiken aufdeckt. „Antimikrobielle Resistenz ist eine tickende Zeitbombe und zahlreiche Studien - darunter auch unsere eigenen Untersuchungen - haben gezeigt, dass umweltverschmutzende Pharmafabriken in Indien erhebliche Mengen unbehandelten Abwassers freisetzen, das zur Entstehung tödlicher Superbakterien beiträgt.“
In den geleakten Dokumenten argumentiert die IDMA, dass pharmazeutische Fabriken, die ZLD-Systeme (Zero-Liquid-Discharge) betreiben, von der Gesetzgebung ausgenommen werden sollten. Der Grund dafür sei, dass alle Produktionsabfälle in ZLD-zertifizierten Betrieben behandelt und aufbereitet würden. Andere Fabriken leiten die Abwässer häufig direkt in Flüsse ein.
Ein Bericht von Changing Markets legt jedoch nahe, dass ZLD-Anlagen ihrem Namen nicht immer gerecht werden. Die Untersuchung zeigte „inakzeptable Einleitungen von Produktionsabwässern“ durch zahlreiche Fabriken in Hyderabad, einem Hauptstandort der pharmazeutischen Produktion in Indien. Hier wurden im Jahr 2017 nahezu 40 % der Anlagen mit ZLD-Systemen betrieben.
Der Bericht dokumentiert ausführlich das Vergehen eines Unternehmens, das – angeblich führend in der ZLD-Technik – Abwässer in einen See stromabwärts seiner Fabrik eingeleitet hatte.
Public versus private
Außerdem beschwert sich der Industrie-Verband darüber, dass die in dem Gesetzentwurf vorgeschlagenen zulässigen Antibiotika-Konzentrationen nicht auf den Empfehlungen basierten, die die AMR Industry Alliance formuliert habe. Dabei handelt es sich um eine internationale Koalition des Privatsektors, die zur Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen gegründet wurde. Die Industrie-Allianz hatte 2018 eine Reihe von Zielvorgaben veröffentlicht. In dem Brief wird argumentiert, dass die Rückstandsmengen, die nach dem indischen Gesetz erlaubt wären, „willkürlich“ niedriger seien, „ohne wissenschaftliche Begründung“. Die IDMA deutet an, dass ein Abweichen von den selbst gesetzten Standards der Industrie das Wachstum des indischen Pharmasektors gefährden würde.
Die im Gesetzesentwurf festgelegten Grenzwerte wären viel strenger als die Zielvorgaben der Allianz. Letztere beziehen sich lediglich auf die Antibiotika-Konzentration im Gewässer, in das der Abfall eingeleitet wird, nicht auf die Konzentration im Produktions-Abwasser. Die indische Regierung will aber Grenzwerte für das Abwasser vorgeben, wodurch letztendlich weniger Antibiotika-Rückstände freigesetzt würden. Der Aufforderung zu einer Stellungnahme kam die IDMA nicht nach.
AutorInnen: Andrew Wasley, Alexandra Heal, Madlen Davies.
Übersetzung: Hannah Eger
Artikel aus dem Pharma-Brief 5/2020, S.2
[1] https://www.thebureauinvestigates.com/stories/2020-03-31/indian-drug-companies-try-to-gut-antibiotic-pollution-controls [Zugriff 24.4.2020]
[2] Pharma-Brief (2017) Resistente Keime in Indien. Nr. 5-6, S. 1
[3] Weitere Organisationen, die an der Kampagne beteiligt waren: Changing Markets, Centre for Science and Environment in New Delhi, Stockholm International Water Institute
Am Beispiel der Wanze
Beobachtungen zum 1. Welt-Chagas-Tag
Das Jahr 2020 soll der globalen Bekämpfung vernachlässigter Tropenkrankheiten (NTDs) Schub verleihen. Betrachtet man exemplarisch die Entwicklungen bei der Chagas-Bekämpfung, werden jedoch schnell Hindernisse für einen Durchbruch deutlich.
Am 14. April wurde das erste Mal offiziell der Welt-Chagas-Tag begangen.[1] Der Widerhall in der deutschen Presse fiel äußerst gering aus. Dabei offenbart der Blick auf Chagas viele Probleme der Bekämpfung vernachlässigter Tropenkrankheiten (NTDs).
Die Krankheit ist nach ihrem brasilianischen Entdecker, Carlos Ribeiro Justiniano Chagas benannt und wird durch einen Parasiten verursacht. Trypanosoma cruzi überträgt sich durch den Kot blutsaugender Raubwanzen. Wirte sind neben dem Menschen auch Wild- und Nutztiere. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass weltweit 6 bis 7 Millionen Menschen mit Chagas infiziert sind.[2]
Ein bis zwei Wochen nach der Infektion können – meist milde – unspezifische Symptome auftreten, die aber nach vier bis acht Wochen verschwinden. Oft bleibt die Erkrankung auch unbemerkt. Die Latenzphase kann anschließend Jahre andauern. Unbehandelt kann Chagas Herzprobleme verursachen oder Speiseröhre und Dickdarm schädigen – nicht selten mit tödlichen Folgen. Menschen mit geschwächtem Immunsystem, wie HIV-positive Personen, sind besonders gefährdet.
Alte Mittel, schlechter Zugang
Zur Behandlung von Chagas stehen mit Benznidazol und Nifurtimox lediglich zwei Präparate zur Verfügung. Sie sind nur gut wirksam, wenn sie kurz nach einer Infektion verabreicht. Ältere erleiden deutlich häufiger teils schwere Nebenwirkungen. Schwangere dürfen die Präparate gar nicht einnehmen. Hier gibt es eine Behandlungslücke, da eine Mutter-Kind-Übertragung möglich ist. Allein in Argentinien gibt es trotz Testpflicht rund 1.500 Infektionen bei Neugeborenen pro Jahr.[3] Ein Impfstoff existiert nicht.
Die Forschungspipeline ergibt ein gemischtes Bild. Wie der G-Finder für 2019 beschreibt, ist die Entwicklung neuer Diagnostika relativ weit fortgeschritten. Schnelltests sind bereits verfügbar. Impfstoffkandidaten stecken noch in der prä-klinischen Phase.[4] Eine Vielzahl von Studien versucht sich daher an dem „Repurposing“ von Wirkstoffen, die bislang gegen andere Erkrankungen verwendet werden.[5] Mangelnder Zugang zu Behandlung bleibt eine dramatisch hohe Hürde für Betroffene. Die WHO geht davon aus, dass nicht einmal ein Prozent der Menschen mit Chagas eine Therapie erhalten.[6]
Soziale Faktoren elementar
Zur Vorbeugung wird seit Langem auf Vektorkontrolle gesetzt, vor allem auf die Anwendung von Insektiziden in Häusern und der Umgebung, sowie die Ausgabe von Netzen. Auch bauliche Veränderungen sind wichtig, um die Wanzenpopulationen zu reduzieren und ihnen keine Verstecke zu bieten. Erfolge in der Prävention werden jedoch immer wieder von Rückschlägen bedroht. So scheint der Kollaps von Versorgungsstrukturen in Venezuela auch die Verbreitung von Chagas wieder zu befeuern.[7]
Bei der Bekämpfung der Erkrankung spielen soziale Determinanten eine elementare Rolle. Sie sei „vor allem assoziiert mit armen, ländlichen und marginalisierten Populationen“ und „charakterisiert durch Armut und Exklusion“, so die WHO.[8]
Armut und Ausgrenzung als Triebkräfte
Der Gran Chaco ist ein Hotspot für Chagas. Auch andere armutsbedinge Erkrankungen sind dort häufig, beispielsweise Wurmerkrankungen und Tuberkulose. Geringes Einkommen, schlechter Zugang zu Gesundheitsversorgung und adäquater Hygiene, prekäres Wohnen und Nähe von Mensch und Tieren bieten Chagas vorteilhafte Bedingungen.[9] Dabei spielt auch die Marginalisierung indigener Gruppierungen eine wichtige Rolle. So hält sich die Krankheit trotz intensiver regionaler Bekämpfungsmaßnahmen seit den 1990er Jahren hartnäckig.
Globalisiertes Problem
Lange galt Chagas gar als reines lateinamerikanisches Phänomen. Globaler Handel und Tourismus haben die Erkrankung jedoch in andere Ecken der Welt exportiert. Auch Urbanisierung spielt dabei eine Rolle. Die Hauptübertragungswege sind außerhalb von Süd- und Zentralamerika jedoch andere. In den USA gibt es beispielsweise trotz geographischer Nähe zu Mexiko nur wenige Fälle direkter Infektionen durch Raubwanzen. An ihre Stelle treten kontaminierte Lebensmittel, Mutter-Kind-Übertragungen oder Infektionen via Blutkonserven. Das Screening von Bluttransfusionen auf den Erreger ist daher mittlerweile auch in vielen europäischen Ländern üblich.
Trotz anderer Übertragungswege wiederholt sich auch im globalen Norden das gleiche Muster: Die meisten Chagas-PatientInnen kommen aus ärmeren Bevölkerungsteilen. Und wie viele Armutskrankheiten, ist Chagas mit Stigma behaftet.[10]
Wandel oder Wohltätigkeit
Neben Chagas finden sich auf der WHO-Liste vernachlässigter Tropenkrankheiten 19 weitere NTDs. Ende Juni richtet die ruandische Regierung den „Kigali Summit on Malaria and Neglected Tropical Diseases“ aus. Dabei wird auch auf die „London Declaration on Neglected Tropical Diseases“ von 2012 Bezug genommen. In dieser Erklärung hatten sich vor acht Jahren vor allem zahlreiche Größen der Pharma-Branche und Stiftungslandschaft für mehr Engagement gegen NTDs ausgesprochen und 2020 als Ziellinie für Fortschritte gesetzt.[11]
Die London Declaration zeigt ein Kernproblem der globalen NTD-Bekämpfung auf, denn es ist fraglich, wieviel dieses Private-Public-Partnership zu Verbesserungen beigetragen hat. Ein Pfeiler war etwa die massive Ausweitung von Medikamentenschenkungen durch die Industrie. Doch milde Gaben von Pharma-Seite sind keine Lösung, zumal wenn die strukturellen Triebkräfte der Vernachlässigung von Menschen und ihrer Gesundheitsbedürfnisse nicht angegangen werden. Daran wiederum sind viele globale Akteure trotz anderslautender Beteuerungen nicht wirklich interessiert.
In Kigali wird die WHO auch ihre 2030 NTD Road Map vorstellen und versuchen, Ressourcen zu mobilisieren. Der Summit selbst wird dafür wohl eine Erklärung produzieren, die auf die „London Declaration“ aufbaut.[12] Ob dieses finale Dokument des Treffens in Ruanda progressivere Maßnahmen beinhalten oder doch eher „alten Wein in neuen Schläuchen“ darstellen wird, bleibt abzuwarten. (MK)
Artikel aus dem Pharma-Brief 3-4/2020, S.6
Bild Raubwanze © Zezinho68
Bild Gran Chaco Wald © PeerV
[1] Im Mai 2019 hatte sich die 72. Weltgesundheitsversammlung dazu entschieden, den Tag offiziell zu begehen.
[2] WHO (2020) Factsheet Chagas disease (also known as American trypanosomiasis). www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/chagas-disease-(american-trypanosomiasis) [Zugriff 21.04.2020]
[3] Deutschlandfunk (2019) Vergessene Krankheit Chagas. Der Kampf gegen die Raubwanzen. www.deutschlandfunk.de/vergessene-krankheit-chagas-der-kampf-gegen-die-raubwanzen.676.de.html?dram:article_id=474547 [Zugriff 21.04.2020]
[4] Policy Cures Research (2020) G-Finder 2019. https://s3-ap-southeast-2.amazonaws.com/policy-cures-website-assets/app/uploads/2020/02/11150341/G-Finder2019.pdf [Zugriff 21.04.2020]
[5] Ribeiro V et al. (2020) Current trends in the pharmacological management of Chagas disease. IJP: Drugs and Drug Resistance; 12, p 7
[6] WHO (2020) www.who.int/news-room/feature-stories/detail/she-is-one-of-39-000 [Zugriff 21.04.2020]
[7] Grillet M et al. (2019) Venezuela’s humanitarian crisis, resurgence of vector-borne diseases, and impli-cations for spillover in the region. LANCET Infectious Diseases; 19; p 149
[8] WHO (2020) www.who.int/news-room/detail/14-04-2020-world-chagas-disease-day-bringing-a-forgotten-disease-to-the-fore-of-global-attention
[9] Fernández M et al. (2019) Inequalities in the social determinants of health and Chagas disease transmission risk in indigenous and creole households in the Argentine Chaco. Parasite Vectors; https://doi.org/10.1016/j.meegid.2019.104062
[10] Petherick A (2010) Chagas disease in the Chaco. Nature 465; S18 https://doi.org/10.1038
[11] WHO (2012) London Declaration on Neglected Tropical Diseases. https://www.who.int/neglected_diseases/London_Declaration_NTDs.pdf [Zugriff 21.04.2020]
[12] Uniting to Combat NTDs (2020) Rwanda to host first-ever Global Summit on Malaria and Neglected Tropical Diseases. https://unitingtocombatntds.org/news/rwanda-to-host-first-ever-global-summit-on-malaria-and-neglected-tropical-diseases/ [Zugriff 29.04.2020]
Aktuelle Herausforderungen in der globalen HIV-Arbeit
Neuer Online-Kurs der Pharma-Kampagne
HIV und Aids stellen weiter massive Herausforderungen für die Weltgemeinschaft dar. Die Angst vor Rückschlägen in den globalen Bemühungen zur Eindämmung der Krankheit ist schon länger vernehmbar und wird durch COVID-19 verschärft. Seit dem 23. Juni ist im Internet ein deutschsprachiges Lern-Instrument zugänglich, das den großen Handlungsbedarf aufzeigt und den Nutzerinnen und Nutzern praktische Handreichungen bietet.
Wenige Themen globaler Gesundheit haben derart viele Menschen und Ressourcen mobilisiert wie der Kampf gegen HIV und Aids. Jedoch sterben weiterhin jährlich etwa 770.000 Menschen an der Infektionskrankheit. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont, dass eine der größten Herausforderungen in dem Feld quasi unverändert geblieben ist: HIV betrifft nach wie vor überdurchschnittlich häufig Menschen, die marginalisiert und zugleich von den globalen Bemühungen nur ungenügend erreicht werden. Zu diesen Schlüsselgruppen gehören etwa Menschen in der Sexarbeit und Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Stigma, Diskriminierung und Kriminalisierung behindern oft Prävention und Behandlung.
2019 führte die BUKO Pharma-Kampagne eine Umfrage zum Thema unter deutschen NGOs durch. In den Rückmeldungen zeigte sich z.B., dass Ansätze wie Schadensminderung (Harm Reduction) im Kontext von intravenösem Drogengebrauch wenig angewandt werden und Projekte mit Transgendern oder Menschen in Haft sehr selten sind. Auch fallen einige Regionen aus dem Fokus. Der Handlungsbedarf für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe ist also immer noch groß.
Angst vor dem „Rollback“
Bereits vor dem Ausbruch von Covid-19 grassierte die Sorge vor einem „Rollback“ in der HIV-Arbeit. Die ersten Anzeichen eines solchen Rückschritts zeigen sich in schwindender Finanzierung für HIV-Projekte. Dies wurde auch in der NGO-Umfrage beklagt. Aber auch das Erstarken von Nationalismus und Populismus vielerorts wirkt sich negativ aus, etwa durch die gezielte Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen und erhöhten Druck auf zivilgesellschaftliches Engagement. Zugleich werden Projekte zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit torpediert, vor allem auf Druck der USA.
Mit der Verbreitung des neuen Coronavirus ist die Notwendigkeit, HIV-Arbeit wieder zu stärken, nur noch dringlicher geworden. Fragmentierte Lieferketten und vermehrte Stock-Outs bei Medikamenten und Kondomen, überlastete Gesundheitssysteme, verstärkte staatliche Repression und verstärkte Armut sind nur einige Facetten des Shutdowns.
Praktische Hilfe durch E-Learning
Der neue Online-Kurs nimmt vor allem für das Ende von HIV wichtige Schlüsselgruppen und Präventionsarbeit in den Fokus. Er richtet sich an Personen, die im globalen Süden in Gesundheitsprojekten tätig sind oder in Deutschland zuständig für deren Konzeption und Management. Auch die politische Arbeit zu Gesundheitsthemen wird aufgegriffen und die Finanzierenden von entsprechenden Vorhaben angesprochen. Ebenso können Aidshilfen in Deutschland davon profitieren und natürlich alle, die sich für die Probleme der Bekämpfung von HIV interessieren.
Der Kurs umfasst sechs Module mit Unterkapiteln. Jeder Abschnitt wird mit einem Erklärvideo eingeleitet. Neben den medizinischen Grundlagen (Infektionsverlauf, Diagnose & Behandlung) werden vor allem die Formen und Auswirkungen von Stigmatisierung, Diskriminierung und Kriminalisierung verdeutlicht. Ein Schwerpunkt liegt zudem auf den verschiedenen Ebenen und Instrumenten der Präventionsarbeit. Länder- und Projektstudien aus dem globalen Süden bringen den LeserInnen in allen Kapiteln positive und negative Ansätze und Dynamiken näher. Praktische Hilfestellungen für die Zielgruppen runden den Kurs ab. TeilnehmerInnen können ein Zertifikat erhalten, wenn sie sich anmelden und erfolgreich Testfragen beantworten.
Das Tool wurde im Vorfeld der Anfang Juli stattfindenden Fachkonferenzen AIDS 2020 und HIV2020 veröffentlicht. Ursprünglich in San Francisco/Oakland bzw. Mexico City geplant, werden sie in diesem Jahr digital abgehalten. Die Tatsache, dass sich beide Events zeitlich überschneiden, ist symptomatisch für die momentane Situation. So wurde HIV2020 von AktivistInnen als Reaktion auf die diskriminierenden Einreisebestimmungen der USA ins Leben gerufen, die vielen Personen aus der Community eine Teilnahme an AIDS 2020 verwehren. (MK)
Der kostenfreie Zugang erfolgt unter www.bukopharma-online-lernbox.de/aids . HIV ist das vierte Online-Tool der BUKO Pharma-Kampagne.
Bisherige Themen im Bereich E-Learning waren Verhütung (2015), Antibiotikaresistenzen (2016) und Diabetes (2018). Alle Tools unter www.bukopharma-online-lernbox.de
Artikel aus dem Pharma-Brief 5/2020, S.1
Bild © Screenshot Tool
Advocacy-Arbeit im Aufwind
Initiativen fordern eine bessere globale Gesundheitsversorgung
Die COVID-19 Pandemie lässt lange existierende Probleme in der globalen Gesundheitsversorgung wie in einem Brennglas erscheinen und gibt kritischen Positionen Aufwind. Zugleich werden für Forschung und Versorgung gewaltige Summen locker gemacht. Das ruft die Zivilgesellschaft auf den Plan und sorgt für intensive Advocacy-Arbeit. Gemeinsam mit ihren Bündnis-Partnern brachte die BUKO Pharma-Kampagne zahlreiche Initiativen auf den Weg.
Allein im Juni war die Pharma-Kampagne an drei öffentlichen Briefen und Aufrufen beteiligt. Die Themen: unvorteilhafte GAVI-Strukturen, industrieller Lobbyeinfluss in Brüssel und das Risiko, das von Sonderklagerechten ausländischer Investoren ausgeht.
Klärungsbedarf bei GAVI
Die Vielfalt und der Umfang von neuen Initiativen, Fördertöpfen und Auffüllungskonferenzen zu COVID-19 ist im Gesundheitsbereich beispiellos. Doch überwiegend fehlt es an klaren und ambitionierten Regelungen, was den globalen Zugang zu Behandlung oder Impfstoffen angeht. Zwei Public-Private Partnerships kommt in der Förderung eine besonders wichtige Rolle zu: der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) und der Impfallianz GAVI. So steuert GAVI etwa die Ausgestaltung von COVAX (COVID-19 Vaccine Global Access).[1] COVAX soll für die Beschaffung und gerechte Verteilung von Impfstoffen sorgen. Es ist eine von mehreren Säulen der globalen Initiative ACT-A, die wiederum nicht nur von WHO und EU getragen wird, sondern auch von Stiftungen und Industrieverbänden (wir berichteten[2]).
Ein erster Aufschlag zur COVAX-Struktur hatte Befürchtungen geweckt, dass die Gelder in den Taschen der Pharma-Industrie landen könnten, ohne dass die Datentransparenz gewährleistet und der Zugang zu Forschungsergebnissen sichergestellt wäre. Ein undurchsichtiger Deal von GAVI mit dem Pharma-Riesen AstraZeneca zu einem möglichen Impfstoff bestärkte diese Sorge zusätzlich. Die BUKO Pharma-Kampagne reagierte gemeinsam mit 44 anderen NGOs und Einzelpersonen. Am 23. Juni – im Vorfeld eines GAVI-Treffens – verschickten wir einen offenen Brief an die Mitglieder des GAVI-Vorstands. Wir benannten sieben Kernpunkte für die Ausgestaltung von Covax und machten dabei unmissverständlich deutlich: „Die öffentliche und philanthropische Finanzierung sollte in eine Verteilung effektiver Impfstoffe münden, die als globales öffentliches Gut betrachtet werden: verkauft zum Selbstkostenpreis und frei von Einschränkungen durch Monopole.“
Zugang bei CEPI ungeklärt
CEPI wiederum wird bereits seit Anfang 2019 von zivilgesellschaftlicher Seite unter Beteiligung der Pharma-Kampagne dazu gedrängt, seine Zugangsregelungen endlich wieder strikter zu gestalten (wir berichteten[3]). Bislang bewegte sich das PPP allerdings nicht in eine bessere Richtung – eine Verweigerungshaltung, die sich nun in den Bemühungen gegen COVID-19 ebenfalls rächen könnte.
Gegen die Lobbymacht
Auch zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft formulierte die Pharma-Kampagne gemeinsam mit 58 Organisationen einen offenen Brief. Tenor des Schreibens: „Drei große Ziele muss die deutsche EU-Ratspräsidentschaft angehen: Die Bewältigung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen, die Beendigung von Ungleichheiten und der Kampf gegen die Klimakrise.“[4]
Die extreme Lobbymacht von Unternehmen und Verbänden in Brüssel ist ein zentrales Hindernis für notwendige Veränderungen in Politikfeldern wie Gesundheit, Land- und Finanzwirtschaft sowie Energie. Es gilt nun aber mutige Reformen voranzureiben, so die UnterstützerInnen, anstatt im Gegenteil unter dem Eindruck der momentanen Entwicklungen Vorgaben aufzuweichen (Stichwort „Coronawashing“). Ein wichtiger Ansatzpunkt dabei ist erhöhte Transparenz, etwa in EU-Gesetzgebungsverfahren, um die Entwicklung von Initiativen direkt zu verfolgen und Positionen nachvollziehen zu können. Damit erhält auch die Forderung nach einem umfassenden Lobbyregister neuen Nachdruck.
Wer hat Angst vor ISDS?
Mit einem weiteren sensiblen Spannungsverhältnis zwischen Politik und Wirtschaft setzte sich ebenfalls im Juni ein offener Brief vom sogenannten Seattle to Brussels Network auseinander. Mittlerweile haben ihn über 650 NGOs und Einzelpersonen, darunter die Pharma-Kampagne, unterzeichnet (Stand vom 27.07.20).[5]
Er ruft Regierungen dazu auf, Staaten vor Klagen durch Investoren zu schützen, die Entschädigungen für die wirtschaftlichen Folgen von Maßnahmen zur COVID-19-Bekämpfung fordern könnten. Sonderklagerechte für ausländische Konzerne (Investor-state dispute settlement/ISDS) sind schon lange ein hochproblematisches Element vieler Handels- und Investitionsabkommen. Ein berühmter Fall war die Klage von Philip Morris gegen Australien wegen Einheitsverpackungen bei Zigaretten. Zwar gewann das Land den Prozess letztlich, blieb aber dennoch auf Kosten von fast 40 Millionen australischen Dollar hängen. Paradoxerweise war das Verfahren für die Firma selbst deutlich weniger teuer.[6]
Das Schreiben des Seattle to Brussels Network konstatiert: „Bereits in der Vergangenheit kam es in Krisensituationen zu einer Häufung von Klagefällen, wie beispielsweise nach der argentinischen Finanzkrise 2001 oder dem Arabischen Frühling 2011.“ Es steht zu befürchten, dass sich ähnliches im Kontext der weltweiten Pandemie vollziehen könnte, Regierungen müssten entsprechend Gegenmaßnahmen einleiten. (MK)
Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2020, S.4
[1] MSF et al. (2020) Open letter to Gavi Board Members: Urgent changes to COVAX Facility design required to ensure access to COVID-19 vaccines for all. https://msfaccess.org/open-letter-gavi-board-members-urgent-changes-covax-facility-design-required-ensure-access-covid-19 [Zugriff 27.07.2020]
[2] Pharma-Brief (2020) Wer bleibt außen vor? Zugang zu COVID-19 Produkten noch nicht gesichert. Nr. 5, S. 4
[3] Pharma-Brief (2019) Musterknabe auf Abwegen. Nr. 2, S. 1
[4] Corporate Europa Observatory & Lobby Control (2020) CSO Statement. https://corporateeurope.org/sites/default/files/2020-06/CSO%20statement%2022.6.2020%20FINAL%20DE_0.pdf [Zugriff 24.07.2020]
[5] Seattle to Brussels Network (2020) Offener Brief zu ISDS und COVID-19. http://s2bnetwork.org/offener-brief-zu-isds-und-covid-19/ [Zugriff 27.07.2020]
[6] Ranald F (2019) When even winning is losing. The surprising cost of defeating Philipp Morris over plain packaging. https://theconversation.com/when-even-winning-is-losing-the-surprising-cost-of-defeating-philip-morris-over-plain-packaging-114279 [Zugriff 27.07.2020]
„Junge Leute haben Macht"
Interview mit Erick Venant, RBA Initiative Tansania
Erick Venant hat Pharmazie studiert und eine Nichtregierungsorganisation gegründet. Die RBA-Initiative hat sich dem Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen verschrieben und findet inzwischen auch internationale Anerkennung. Für sein Engagement hat Erick Venant schon zahlreiche Auszeichnungen bekommen. Dabei ist er gerade einmal 25 Jahre alt.
Erick Venant ist Gründer und Geschäftsführer der Roll Back Antimicrobial Resistance Initivate.
Wo liegen die größten Probleme?
Meiner Meinung nach ist die größte Herausforderung das fehlende Bewusstsein. Sowohl auf Seiten des Gesundheitspersonals als auch bei der Allgemeinbevölkerung führt das zu einem Miss- und Übergebrauch von Antibiotika. Das sehe ich als oberste Priorität. Wir müssen ein Bewusstsein für die Probleme wecken, damit die Bevölkerung sich entsprechend verhalten kann, um die Ausbreitung der Resistenzen zu verhindern. Gleiches gilt für uns als Gesundheitspersonal. Aber auch in anderen Bereichen gibt es Nachholbedarf. Dazu zählen Infektionsprävention und -kontrolle, Abfallentsorgung und Hygiene sowie die Verstärkung von Regulierungen, die den Antibiotikagebrauch betreffen.
Was muss getan werden?
Länder wie Tansania müssen die Umsetzung ihrer nationalen Aktionspläne beschleunigen. Meiner Meinung nach müssen wir den One-Health-Ansatz stärker berücksichtigen und alle Stakeholder miteinbeziehen.
Antibiotikaresistenzen bekommen mittlerweile globale Aufmerksamkeit. Ich bin froh zu sehen, dass die UN, andere internationale Organisationen und Expertinnen und Experten zusammen arbeiten, um die wachsende Bedrohung durch Resistenzen zu minimieren.
Was hat dich motiviert, die RBA zu gründen?
Ich hatte schon immer ein brennendes Verlangen, mich an der Lösung unterschiedlichster Probleme im Bereich Public Health zu beteiligen. Deshalb fing ich an, verschiedene Events an der Universität zu organisieren, um das Bewusstsein für mehr Hygiene und einen rationalen Medikamenteneinsatz zu fördern. 2017 wurde ich Präsident der Vereinigung von Pharmaziestudierenden in Tansania (TAPSA). Ich wollte zeigen, welchen Beitrag junge Leute leisten können, um die öffentliche Gesundheit zu verbessern.
Damals erkannte ich, dass Antibiotika-Resistenzen eine große Bedrohung sind und dadurch jedes Jahr weltweit 700.000 Menschen sterben. Wenn wir dagegen nicht mehr unternehmen, könnte die Zahl bis 2050 auf zehn Millionen Todesfällen jährlich ansteigen. Ich sah, wie sehr das Problem in Tansania unterschätzt wurde und wie wenig Aufmerksamkeit es hier bekam. Ich dachte mir, dass es ein einfacher, aber sehr wichtiger Schritt im Kampf gegen Resistenzen sei, das Bewusstsein zu dem Thema zu erhöhen und die Menschen zu bilden. Ich beschloss, in den Semesterferien eine landesweite Kampagne an weiterführenden Schulen durchzuführen. Es gelang uns, über 100 Schulen zu erreichen. Viele der Schülerinnen und Schüler wussten noch nicht einmal, was Antibiotika-Resistenz bedeutet. Aber sie waren froh etwas darüber zu lernen, die Auswirkungen zu verstehen und zu erfahren, was sie selbst tun können.
Wie lautet dein Rat für junge Leute, die etwas verändern wollen?
Junge Leute haben die Macht, positive Veränderungen in ihrer Gesellschaft anzustoßen. Sie sollten mit kleinen Dingen beginnen und die vorhandenen Ressourcen nutzen. Durch Engagement, Eigenmotivation und Esprit können sie größere Ziele erreichen. Gerade im Gesundheitsbereich gibt es viele Herausforderungen. Junge Leute können Teil der Lösung sein.
Was tut die RBA-Initiative?
Die RBA Initiative ist eine eingetragene Nichtregierungsorganisation mit dem Ziel, Antibiotikaresistenzen in Tansania zu bekämpfen. Der Hauptsitz ist in Dodoma, im Zentrum des Landes. Wir werben für einen rationalen Antibiotika-Einsatz, verbreiten Wissen zu Resistenzen, plädieren für Verhaltensänderung und wirksame Hygiene. Durch unsere Arbeit fördern wir außerdem die Erkenntnis, dass es notwendig ist, in unserem Land schnellstmöglich gegen Antibiotika-Resistenzen vorzugehen.
Im letzten Jahr haben wir einige Aktivitäten zur Bewusstseinsbildung durchgeführt und dabei verschiedene Zielgruppen adressiert. Wir haben u.a. Workshops für Menschen aus dem Gesundheitsbereich organisiert. Außerdem haben wir weiterführende Schulen aufgesucht und Informationsveranstaltungen angeboten. Zusätzlich wollten wir die breite Masse der Bevölkerung ansprechen. Also haben wir lokale Radiostationen genutzt. Dadurch konnten wir im letzten Jahr drei Millionen Menschen mit unseren Botschaften erreichen.
Dieses Jahr legen wir einen besonderen Fokus auf Schülerinnen und Schüler. Wir werden Schulclubs zu Antibiotikaresistenzen in Dodoma und Umgebung gründen und die junge Generation zum Thema informieren. Denn wir glauben, dass sie gute Botschafter für den Rest ihrer Gemeinschaft sein können.
Aufklärungsarbeit bei jungen Menschen kann viel bewirken! Die RBA-Initiative setzt auch auf Bildungsangebote im Klassenzimmer.
Das Interview führte Claudia Jenkes
Artikel aus Pharma-Brief 10/2020, S. 6
Bild Erick Venant © privat
Bild Klassenzimmer © Seemannaufland