„Es sind nicht nur die Krankheiten, die vernachlässigt werden, sondern auch die Menschen.“ [1]
Zweimal musste die Verleihung des Memento-Preises digital stattfinden. Dieses Jahr konnten wir die Auszeichnung endlich wieder persönlich überreichen. Die feierliche Zeremonie fand am 20. Oktober im Berliner taz-Haus statt.
Der erste Beitrag des Abends stammte von Evelyne Leandro, die die Gäste mit ihrer persönlichen Geschichte zu vernachlässigten Krankheiten aufrüttelte. Die gebürtige Brasilianerin, die zum Zeitpunkt ihrer Lepra-Diagnose im Jahr 2012 in Deutschland lebte, berichtete eindringlich von ihrer monatelangen Therapie und den begleitenden Problemen. Nach einer oft qualvollen und langen aber letztlich erfolgreichen Behandlung reiste sie zurück in ihre Heimat. Dort nahm sie mit Schrecken die extremen Unterschiede in der medizinischen Versorgung im Vergleich zu Deutschland wahr, die stellvertretend für die Lücke zwischen Globalen Norden und Süden stehen können: „Ich habe mich geschämt. Das System hat versagt.“ Obwohl seit Jahrhunderten bekannt, ist die bakterielle Erkrankung weiter eine Herausforderung für viele ärmere Länder. So erschwert etwa das massive Stigma die frühzeitige Fallfindung. [2] Auch Evelyne Leandro lebt noch immer mit dem Schatten der Erkrankung: „Es ist und bleibt ein Teil von mir.“
Der Medienpreis 2022
Mit dem Medienpreis wurde in diesem Jahr die freie Journalistin Clara Hellner ausgezeichnet. Sie will mit einer Reportage aus Kenia aufzeigen, wie MedizinerInnen, TierärztInnen und PflegerInnen in dem ostafrikanischen Land gegen giftige Schlangenbisse und deren Folgen kämpfen. Die wenigsten Betroffenen haben Zugang zu einem adäquaten Gegengift, dem wichtigsten Instrument in der Behandlung. Hohe Preise, mangelnde Eignung und geringe Verfügbarkeit weisen deutlich auf ein kommerzielles Marktversagen hin. Ein vielversprechender Ansatz für die Zukunft zielt daher auf stärkere lokale Forschung und Produktion. Die Preisträgerin möchte neben Versorgungslücken auch Zusammenhänge zur Klimakrise in den Blick nehmen. Zum Zeitpunkt der Preisverleihung war Hellner bereits nach Kenia gereist, um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Sie schickte ihre Dankesrede daher in Form einer Videobotschaft.
Anschließend sprach Richard Gordon vom South African Medical Research Council (SAMRC) in einem Videobeitrag über die Entstehung, Funktionsweise und Vorteile des WHO mRNA-
Hubs. Die kooperativ ausgerichtete Plattform in Südafrika meldete schon erste Erfolge bei der Entwicklung eines Covid-19-Impfstoffes, der sich an dem des Herstellers Moderna orientiert. [3] Gleichzeitig ist sie vor allem wichtig als Multiplikator für Know-how rund um die mRNA-Technologie. Bereits 15 Partner in Afrika, Asien, Südamerika und Osteuropa profitieren bislang davon. [3] Gordons Beitrag mahnte die Notwendigkeit von Kooperation statt Duplikation an – eine Erinnerung für den Globalen Norden, die so oft in Aussicht gestellte Zusammenarbeit auf Augenhöhe auch als solche einzulösen. Da sei noch Luft nach oben, schließlich habe etwa Biontech als deutsche mRNA-Firma bislang weder Know-how noch Technologie mit dem Hub geteilt, erinnerte anschließend Melissa Scharwey in der Moderation.
Der Forschungspreis 2022
Den Memento-Forschungspreis erhielt Markus Engstler vom Lehrstuhl für Zell- und Entwicklungsbiologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Klaus Brehm, der die neu zusammengesetzte Forschungsjury vertrat, begründete die Auszeichnung mit den Worten: „Nun, der macht halt verdammt gute Spitzenforschung!“ Engstlers Grundlagenarbeit zum Erreger der Schlafkrankheit böte die Möglichkeit, für neue Ansätze in der Diagnose und Behandlung der Infektionserkrankung, deren Erreger durch die Tsetsefliege übertragen werden. In einer anschaulichen Präsentation vermittelte Markus Engstler die Aktivitäten und Ergebnisse seines Forschungsprojektes. Sein Team konnte ein zuvor nie erfasstes weiteres Entwicklungsstadium des Erregers im Menschen festhalten und zudem einen über 100 Jahre lang bestehenden Irrtum bei der Infektion der Tsetsefliege selbst korrigieren. Engstler verwies auch auf die schwierigen Aussichten der Grundlagenforschung, die sich mit rapide schwindenden Mitteln konfrontiert sieht. Hier komme es maßgeblich auf die öffentliche Hand als Geberin an, da abermals der private Markt kein größeres Interesse zeigt. Engstler bedankte sich schlussendlich herzlich beim Bündnis selbst: „Für mich ist der Preis sehr besonders, weil er von der Zivilgesellschaft vergeben wird.“
Zum Abschluss des offiziellen Teils appellierte die Moderation an die deutsche Politik, global vernachlässigten Gesundheitsbedürfnissen einen höheren Stellenwert einzuräumen. Dazu gehöre es natürlich auch, die Stimmen der Betroffenen zu hören. (CK, MK)
Weitere Impressionen: Preisverleihung 2022
[1] Zitat von Evelyne Leandro während der Preisverleihung.
[2] Pharma-Brief (2022) Tödliches Spiel auf Zeit. Nr. 2, S. 4
[3] Green A (2022) South Africa‘s mRNA hub confronts old problems and new directions. Devex, 10 Nov. [Zugriff 6.12.2022]
Artikel aus dem Pharma-Brief 10/2022, S. 6-7
Fotos: © Jakob Frey-Schaaber
Screenshot: © Clara Hellner