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Helfen Voucher gegen Forschungslücken?
12. Juni 2024
Folgenreiche Forschungslücken finden sich bei Armutserkrankungen wie den vernachlässigten Tropenkrankheiten (NTDs) ebenso wie im Feld der antimikrobiellen Resistenzen (AMR). Exklusivitätsgutscheine werden als Problemlöser propagiert, sind aber eine fragwürdige industriefreundliche Flickschusterei.
AMR und NTDs sind nicht nur über das sich ähnelnde Marktversagen verbunden, sondern auch unmittelbar in der medizinischen Praxis. Denn gegen einige NTDs werden weltweit auch Antibiotika eingesetzt und Resistenzen sind beobachtbar. So hebt die WHO in ihrem kürzlich erschienenen Global Report on NTDs 2024 speziell die Lepra als ein Problemfall hervor: „Aus verschiedenen Ländern ist über antimikrobielle Resistenzen bei nahezu allen Lepra-Medikamenten (Dapson, Rifampicin und Ofloxacin) berichtet worden.“1
Exklusiver EU-Vorschlag
Vor allem aus industrienahen Kreisen werden seit Jahren sogenannte Voucher, also Gutscheine für Pharma-Firmen, als innovationsfördernde Lösung propagiert. Schon 2011 bewertete eine von der Pharma-Kampagne mit anderen NGOs veröffentlichte Analyse zur Forschungsförderung das Konzept äußerst kritisch.2 Seither hat sich wiederholt gezeigt, dass es massive Konstruktionsfehler hat und dennoch sind Voucher wieder im Kontext des neuen EU-Pharma-Pakets zum brisanten Thema geworden.
Ein Vorschlag der Europäischen Kommission setzte sich jüngst dafür ein, Antibiotika-Forschung solle durch die Gewährung spezieller, übertragbarer Exklusivitätsgutscheine angekurbelt werden. Mittels dieser TDEVs (Transferable Data Exclusivity Vouchers) könnten entwickelnde Firmen neuer antimikrobieller Präparate ein zusätzliches Jahr Datenexklusivität für eines ihrer anderen Produkte genießen oder dieses Recht weiterverkaufen. Expert*innen wandten sich in der Folge vehement gegen dieses Ansinnen der Kommission, unter anderem im Fachmagazin BMJ Global Health.3 In dem Beitrag werden massive Zweifel an der realen Innovationskraft der angedachten Regelung dargelegt und Zugangsprobleme betont, während zugleich hohe Kosten für die Allgemeinheit zu erwarten seien. Letztlich würden diese von den sozialen Sicherungssystemen gestemmt werden müssen. Zudem würde es eine willkürlich ausgewählte Gruppe von Patient*innen treffen, die das Pech hat, auf jenes Präparat angewiesen zu sein, für das die Firma verlängerte Exklusivität in Anspruch nähme und damit ein Jahr länger hohe Preise durchsetzen könnte.
Hoffnung auf Alternativen
Glücklicherweise konnte sich der Kommissionsvorschlag nicht zur Gänze durchsetzen, doch sind TDEVs leider Teil des am 10. April im Europäischen Parlament verabschiedeten EU-Pharma-Pakets. Jenes bedarf noch der Zustimmung des Europäischen Rats und der Kommission.4 Wie unterschiedlich politische Parteien in Deutschland die Idee von TDEVs beurteilen, zeigten zuletzt Wahlprüfsteine des Aktionsbündnis gegen AIDS zur Europawahl. Während sich Union und FDP in ihren Antworten eher allgemein für starken Unterlagenschutz aussprachen, lehnten SPD, Linke und die Grünen Gutscheinregelungen konkret ab,5 letztgenannte mit einer Formulierung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: „Wie die meisten Expert*innen für die Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen halten auch wir Datenexklusivitätsgutscheine für falsch.“6
Voucher im allgemeinen sind eine immer wieder aufgewärmte Idee, vielleicht auch ein Ausdruck der Frustration, wie extrem ungenügend längst bekannte Forschungslücken adressiert werden. Das gilt nicht nur bei antimikrobiellen Resistenzen, sondern auch bei den vernachlässigten Tropenkrankheiten.7 Es ist jedoch zu hoffen, dass erfolgversprechendere Instrumente zur Anregung von Forschung, wie beispielsweise Meilenstein-Prämien, in Zukunft eher zur Anwendung kommen. Auch sie finden sich im abgestimmten EU-Paket.8 (MK)
- WHO (2024) Global report on neglected tropical diseases 2024. www.who.int/teams/control-of-neglected-tropical-diseases/global-report-on-neglected-tropical-diseases-2024 [Zugriff 15.5.2024] ↩︎
- Pharma-Brief (2011) Forschung für vernachlässigte Krankheiten. Spezial Nr. 2 ↩︎
- Berner-Rodoreda A et al. (2024) Transferable data exclusivity vouchers are not the solution to the antimicrobial drug development crisis: a commentary on the proposed EU pharma regulation. BMJ Global Health; 9 https://doi.org/10.1136/bmjgh-2023-014605 ↩︎
- Feore C (2024) Pharma Package adopted at first reading with landslide vote, but what next? www.euractiv.com/section/health-consumers/news/pharma-package-adopted-at-first-reading-with-landslide-vote-but-what-next/[Zugriff 15.5.2024] ↩︎
- Die Antworten aller angefragter Parteien sind zugänglich unter www.aids-kampagne.de/aktuelles/2024-05-07-europawahl-2024 [Zugriff 15.5.2024] ↩︎
- Bündnis 90/Die Grünen (2024) Antworten auf die Wahlprüfsteine für das Aktionsbündnis gegen AIDS anlässlich der Europawahl 2024. www.aids-kampagne.de/sites/default/files/wahlbarometer_europawahl_buendnis_90_die_gruenen_-_aktionsbuendnis_gegen_aids.pdf [Zugriff 15.5.2024] ↩︎
- DSW (2023) Making a case for a priority review voucher programme in the EU. www.dsw.org/wp-content/uploads/2024/01/DSW_Introducing_PRV_EU_digital.pdf [Zugriff 15.5.2024] ↩︎
- OEIL (2024) Authorisation and supervision of medicinal products for human use and governing rules for the European Medicines Agency. https://oeil.secure.europarl.europa.eu/oeil/popups/summary.do?id=1782759&t=d&l=en [Zugriff 15.5.2024] ↩︎