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Treibhausgase in Asthmasprays und Narkosemitteln

Der Klimawandel schadet zunehmend unserer Gesundheit. Arzneimittel sind wichtig für die Krankenversorgung, gleichzeitig können diese indirekt gesundheitsschädlich sein, indem sie die Klimakrise vorantreiben. Denn medizinische Behandlungen gehen oft mit großen Emissionen von Treibhausgasen (THG) einher. Doch es existieren Alternativen – sie müssen nur genutzt werden.

Gesundheitssysteme weltweit werden durch die menschengemachte Klimakrise zunehmend belastet. Bereits jetzt erlebte gesundheitliche Auswirkungen der Krise sind nur frühe Symptome dessen, was ein schnell voranschreitender Klimawandel bedeuten könnte.1 Hierzulande wirken sich u.a. zunehmende Extremwetterereignisse wie Überflutungen und sich durch zunehmende Temperaturen ausbreitende Infektionskrankheiten, beispielsweise übertragen von Zecken oder Mücken, negativ auf die Gesundheit aus.2 Europa erwärmt sich so schnell wie kein anderer Kontinent.3 Auch in Deutschland einschließlich NRW ist Hitze eine der am deutlichsten wahrnehmbaren Auswirkung des Klimawandels.4 5Diese und andere Folgen belasten das Gesundheitssystem. Doch es ist auch maßgeblich für den Klimawandel mitverantwortlich: Hier entstehen mit rund 68 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten jährlich ca. 6% des THG-Fußabdrucks in Deutschland.6 Trotz Datenlücken beim THG-Fußabdruck des Gesundheitswesens in NRW, kann beim bevölkerungsreichsten Bundesland mit vielen Kliniken und ambulanten Praxen von einem maßgeblichen Beitrag des Bundeslandes ausgegangen werden.

Anästhetika im Krankenhaus

Auch Asthma-Inhalatoren enthalten umweltschädliche Substanzen. Foto: © Kemal Yildirim, iStock

Narkosegase verursachen bis zu 35% der Treibhausgase von deutschen Kliniken.8 Das Anästhetikum Desfluran ist dabei 2.540-mal so klimaschädlich wie CO2.9 Eine siebenstündige OP verursacht etwa so viele Emissionen wie eine rund 8.000 km lange Autofahrt. Erstaunlicherweise ist es von allen Narkosegasen nicht nur am klimaschädlichsten, sondern auch am teuersten, ohne den Patientinnen einen Mehrwert gegenüber günstigeren und klimafreundlicheren Alternativen zu bieten.8 Das Projekt zum Klimaschutz in Kliniken (KliK-Green) empfiehlt Sevofluran als Narkosegas, das deutlich weniger klimaschädlich ist als Desfluran. Zusätzlich können Narkosegasfilter eine Freisetzung der Gase in die Umwelt verhindern. Die Aktivkohlefilter absorbieren einen Großteil der von Patientinnen wieder ausgeatmeten Anästhetika. Durch eine anschließende sterile Aufbereitung vom Hersteller wird ihre Wiederverwendung ermöglicht. Daneben gibt es mit der in­travenösen oder lokalen Anästhesie klimafreundlichere Verfahren, die oftmals anstelle von den genannten inhalativen Methoden infrage kommen.8 Die Bundesärztekammer spricht sich ebenfalls für alle drei Maßnahmen aus.10 Zur Erreichung von Klimaneutralität gibt es hier die Initiative des klimaneutralen Krankenhauses von der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen e.V.. Sie umfasst zehn Klimaschutzmaßnahmen, darunter auch die aufgezeigten Alternativen zu besonders klimaschädlichen Narkosegasen.11 Bei bundesweit flächendeckender Umsetzung könnte der THG-Fußabdruck des Gesundheitswesens maßgeblich verringert werden.

Dosieraerosole in ambulanten Praxen

Außerhalb von Kliniken spielt die Behandlung von Atemwegserkrankungen mit sogenannten Dosieraerosolen eine große Rolle. Dosieraerosole haben je nach verwendetem Treibmittel eine 1.300 bis 3.300-fach klimaschädlichere Wirkung als CO2.12 In Deutschland werden die verschiedenen Wirkstoffe unterschiedlich häufig als Dosieraerosol verschrieben, von eher seltener bis fast ausschließlich z.B. beim bekannten, kurzwirksamen Salbutamol.13

Atemwegserkrankungen gehören bereits heute zu den häufigsten Erkrankungen und werden durch den Klimawandel bzw. seine Ursachen begünstigt.2,16 Die Behandlung der Symptome sollte die Krise nicht weiter vorantreiben. Erfreulicherweise können in vielen Fällen klimafreundlichere Pulverinhalatoren genutzt werden: Seit 2022 gibt es eine Handlungsempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin zur klimabewussten Verordnung von inhalativen Arzneimitteln.14 Auch die Bundesärztekammer spricht sich dafür aus.15 Die jüngste Leitlinie von 2024 empfiehlt konkret Pulverinhalatoren für sämtliche relevanten, inhalativ anwendbaren Wirkstoffgruppen. Einschränkungen bestehen, wenn Patient*innen wie z.B. Kleinkinder nicht die notwendigen hohen Atemflüsse bei der Einatmung aufbringen können. Wenn die Entscheidung trotz der Klimaschädlichkeit zugunsten eines Dosieraerosols getroffen wird, gibt es auch hier Unterschiede zwischen den enthaltenen Treibgasen. So sollte das besonders schädliche Treibmittel Apafluran (3.600-mal klimaschädlicher als CO2) nach Möglichkeit vermieden werden. Zusätzlich plädiert die Leitlinie für ein wirksames Entsorgungskonzept von Druckgaspatronen. Treibgasreste in wirkstoffentleerten Inhalatoren sollten orientiert an der bei FCKW (Fluorchlorkohlenwasserstoffen) angewandten Methode des „Grünen Kartons“ entsorgt werden. Hierbei werden pharmazeutische Hersteller, Apotheken und zentrale Entsorgungsstellen eingebunden.16

Mehr Klimagerechtigkeit

Im Kontext globaler Gesundheit können die beschriebenen Ansatzpunkte einen Teil zu mehr Klimagerechtigkeit beitragen. Deutschland und der gesamte Globale Norden sind als Industriestaaten die hauptsächlichen Verursacher und Treiber der Klimakrise.17 Doch der Globale Süden und insbesondere die Gesundheit vulnerabler und marginalisierter Bevölkerungsgruppen sind bereits jetzt massiv von der Klimakrise betroffen.1 Ihre Gesundheitssysteme sind dabei vergleichsweise wenig resilient. Priorität beim Klimaschutz muss sein, dass vor allem der stark emittierende Globale Norden die Klimaneutralität im Gesundheitswesen und darüber hinaus vorantreibt. (SJ)


  1. Romanello M et al. (2023) The 2023 report of the Lancet Countdown on health and climate change: the imperative for a health-centred response in a world facing irreversible harms. Lancet; 402, p. 2346 doi.org/10.1016/S0140-6736(23)01859-7 ↩︎
  2. Hertig E et al. (2023) Klimawandel und Public Health in Deutschland – Eine Einführung in den Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit 2023. Journal of Health Monitoring; 8, S. 7 doi.org/10.25646/11391 ↩︎
  3. Copernicus Climate Change Service (C3S) (2024) European State of the Climate 2023, Summary. doi.org/10.24381/bs9v-8c66 ↩︎
  4. Winklmayr C et al. (2023) Hitze in Deutschland: Gesundheitliche Risiken und Maßnahmen zur Prävention. Journal of Health Monitoring; 2023, S. 4 doi.org/10.25646/11645 ↩︎
  5. Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (2022) Klimabericht NRW 2021. www.lanuv.nrw.de/fileadmin/lanuvpubl/3_fachberichte/Screen_Klimabericht_2021_2200214.pdf [Zugriff 9.6.2024] ↩︎
  6. Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) e.V. (2022) Sachbericht zum Projekt Evidenzbasis Treibhausgasemissionen des deutschen Gesundheitswesens GermanHealthCFP. www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/pdf [Zugriff 9.6.2024] ↩︎
  7. CPHP (2023) Nachhaltigkeit im Arzneimittelwesen stärken. Policy Brief 01-2023. doi.org/10.5281/zenodo.7503601 ↩︎
  8. KLiK-Green (2022) Klimaschutz und Narkosegase. www.klik-krankenhaus.de/fileadmin/user_upload/Fact-Sheet_Narkosegase_und_Klimaschutz_Update.pdf [Zugriff 9.6.2024] ↩︎
  9. Koch S, Pecher S (2020) Neue Herausforderungen für die Anästhesie durch den Klimawandel. Der Anaesthesist; 69, S. 435 doi.org/10.1007/s00101-020-00770-1 ↩︎
  10. Bundesärztekammer (2022) Handlungsfelder im Krankenhaus zur Klimaneutralität. www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Themen/Klimawandel/pdf [Zugriff 9.6.2024] ↩︎
  11. Wagner O et al. (2022) Zielbild: Klimaneutrales Krankenhaus (Wuppertal Report Nr. 24). Wuppertal Institut ↩︎
  12. Pernigotti D et al. (2021) Reducing carbon footprint of inhalers: analysis of climate and clinical implications of different scenarios in five European countries. BMJ Open Resp Res;
    8, p. 1 doi.org/10.1136/bmjresp-2021-001071 ↩︎
  13. Schaberg T, Wojnowski L (2023) Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung und Asthma. In: Ludwig W-D, Mühlbauer B und Seifert R (Hrsg.) Arzneiverordnungs-Report 2022. Heidelberg: Springer. ↩︎
  14. Schmiemann G, Dörks M (2022) Klimabewusste Verordnung von inhalativen Arzneimitteln. DEGAM S1-Handlungsempfehlung. www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Arzneimitteltherapie/AVP/Artikel/2023-3/134.pdf [Zugriff 9.6.2024] ↩︎
  15. Bundesärztekammer (2022) Handlungsfelder in Arztpraxen zur Klimaneutralität. www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Themen/Klimawandel/pdf [Zugriff 9.6.2024] ↩︎
  16. Schmiemann G et al. (2024) Klimabewusste Verordnung von Inhalativa. S2k-Leitlinie. register.awmf.org/assets/guidelines/053-059l_S2k_Klimabewusste-Verordnung-Inhalativa_2024-04.pdf [Zugriff 10.6.2024] ↩︎
  17. WHO (2023) Climate change. www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/climate-change-and-health [Zugriff 9.6.2024] ↩︎

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