Ressourcenmangel und Rückschläge im Kampf gegen HIV und TB

Weltweit gelten HIV und Tuberkulose als die gefährlichsten Infektionskrankheiten. Sie stehen stark mit Armut in Verbindung und sind zudem häufig miteinander verstrickt. Eine Koinfektion ist keine Seltenheit; TB stellt sogar die häufigste Todesursache für Menschen mit HIV dar (Joint United Nations Programme on HIV/AIDS 2022). Umso härter sind die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie für Betroffene aus einkommensschwachen Ländern. Zum einen besteht für sie aufgrund krankheitsbedingter Immunschwäche und fehlender körpereigenen Schutzressourcen ein hohes Risiko für eine Infektion mit dem Coronavirus sowie einen schwerwiegenden Krankheitsverlauf. Zum anderen verschärften strikte Lockdowns und andere Schutzmaßnahmen die Situation.

Prof. Linda-Gail Bekker (Spezialistin für Infektionskrankheiten am Tutu HIV-Center in Südafrika):

Wer vor der Pandemie arm war, wurde durch sie noch ärmer. Das hat große Bevölkerungsgruppen gegenüber Armutskrankheiten wie HIV/Aids und Tuberkulose anfälliger gemacht. Armut an sich verursacht diese Erkrankungen nicht, sondern schafft die Bedingungen, unter denen diese Erkrankungen überhaupt erst gedeihen, wie Prof. Linda Gail Bekker, Spezialistin für Infektionskrankheiten am Tutu HIV-Center, unterstreicht. Die Bemühungen, die Ausbreitung von Covid einzudämmen, haben in einkommensschwachen Gemeinden daher ironischerweise doppelt Schaden angerichtet. Denn entgegen der Intention, Gesundheit zu schützen, konnte weder die Ausbreitung von Covid gestoppt werden, noch wurden Dienstleistungen in Bezug auf andere gesundheitliche Prioritäten durchgeführt.

Dr. Julia Rios (Geschäftsführende Direktorin der Direktion für Tuberkuloseprävention und -bekämpfung des Gesundheitsministeriums Peru):

Tuberkulose ist eine Erkrankung, die mit sozialen Faktoren verbunden ist, erklärt Dr. Julia Rios, Geschäftsführende Direktorin der Direktion für Tuberkuloseprävention und -bekämpfung des Gesundheitsministeriums Peru. Eine Person mit einem höheren Armutsniveau muss in einem viel überfüllteren Haus ohne Belüftung leben, sie isst nicht richtig oder wird depressiv und beginnt, Drogen oder Alkohol zu nehmen. Diese armutsassoziierten Bedingungen schüren das Risiko weiterer Übertragungen der Krankheit. „Solange es Armut gibt, wird es immer TB geben“, so die Ärztin. Sie ist davon überzeugt, dass die Pandemie die Anstrengungen gegen Armut in der Welt und damit auch den Kampf gegen TB um bis zu zwölf Jahre zurückgeworfen haben könne.

Viele Ressourcen, die eigentlich zur Prävention und Kontrolle von HIV bzw. TB bestimmt waren, für die Bekämpfung von Covid-19 umgelenkt, weshalb es in diesen Bereichen zu nicht auffangbaren Defiziten kam (OECD 2021). So sanken die globalen Ausgaben für beide Erkrankungen substanziell. Die für HIV verfügbaren internationalen Ressourcen waren 2021 um 6% niedriger als im Jahr 2010, sodass unter anderem auch niederschwellige Angebote wie die Bereitstellung von Kondomen reduziert werden mussten. (Joint United Nations Programme on HIV/AIDS 2022; Chanda-Kapata et al. 2022). Für die Prävention, Diagnostik und Behandlung von TB standen rund 500 Mio. US-Dollar weniger zur Verfügung. Die Investitionen erreichten damit nur rund 40% der Summe, die eigentlich für eine effektive globale TB-Bekämpfung notwendig wäre (World Health Organization 2021).

Cecilia Lodonu-Senoo (geschäftsführende Direktorin von „Hope for Future Generations“ in Ghana):


Der Kampf gegen HIV und TB wurde in finanzieller Hinsicht mehrfach getroffen: Zum einen hat sich die Armut innerhalb der Bevölkerung weiter verschärft, zum anderen wurden Gelder abgezogen und Spenden blieben aus. Die geringe Spendenbereitschaft führt die geschäftsführende Direktorin von „Hope for Future Generations“ Cecilia Lodonu-Senoo darauf zurück, dass Maßnahmen, die persönlichen Kontakt erfordern, nicht durchgeführt werden konnten und viele Gemeindemitglieder auf digitalem Weg nicht erreicht werden konnten, da ihnen Zugang zum Internet fehlt.

Dr. Jennifer Furin (Klinikärztin für Infektionskrankheiten und medizinische Anthropologin):


Stigmatisierung sowie die physischen Hindernisse stellten für Familien, die während der Pandemie Kliniken aufsuchten, eine große Herausforderung dar, berichtet Dr. Jennifer Furin, Klinikärztin für Infektionskrankheiten und medizinische Anthropologin. Zusätzliche ökonomische Einbußen brachten die bereits vor Covid am Rande des Existenzminimums lebenden Menschen in eine noch ausweglosere Situation. So sind die Kosten, welche für den Transport zu den noch geöffneten Gesundheitseinrichtungen anfielen, für viele nicht mehr bezahlbar gewesen, erklärt sie. Covid-19 wurde ihrer Einschätzung nach viel Aufmerksamkeit zuteil, die wiederum an anderer Stelle fehlte. Man befürchte, dass „die andere Atemwegserkrankung ‚Tuberkulose‘ die Fortschritte, die in den letzten zehn Jahren hier erzielt wurden, wieder einbüßte.“

Es mangelte jedoch nicht nur an Geldern. Gleichermaßen fehlte es an Personal, Material und Laborkapazitäten, um Dienstleistungen weiterhin bedarfsdeckend anzubieten (Velavan et al. 2021; The Global Fund 2022). Im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren wie einer eingeschränkten Logistik, Exportstopps von antiretroviralen Arzneimitteln und reduzierten Transportmöglichkeiten führte dies dazu, dass der systemische Zugang zur (vorbeugenden) Behandlung von HIV und TB erschwert wurde (Rewari et al. 2020). Einschränkungen in der Diagnostik sind für geringere Fallentdeckungen verantwortlich. So zeigen erste Untersuchungen einen Rückgang diagnostizierter Tuberkulose-Fälle von 7,1 Mio. im Jahr 2019 auf 5,8 Mio. im nachfolgenden ersten Covid-Jahr (World Health Organization 2021). In Bezug auf TB-Behandlungen gab es ein Minus von 19%, was rund einer Million Behandlungen weniger entspricht. Bei extrem-resistenter TB soll es sogar einen Rückgang der Behandlungen um 37% gegeben haben. Im Fall von HIV erhielten zwar knapp 22 Millionen Menschen eine lebenserhaltende Therapie, also 9% mehr als 2019. Doch mit Programmen zur Aids-Prävention wurden rund 11% weniger Menschen erreicht. Überdies ist die Zahl derjenigen Personen, die sich 2020 auf das HI-Virus testen ließen, im Vergleich zu 2019 um 22% gesunken (The Global Fund 2022).

Melecio Mayta (geschäftsführende Direktor von ASPAT in Peru):


„Es gibt eine Reihe von Kontrollen, die durchgeführt werden müssen - Röntgenaufnahmen, Kontrollen durch den pneumologischen Dienst sowie andere Dienste, die sich um die Behandlung drehen“, schildert Melecio Mayta. Da alle Krankenhäuser und Zentren für die medizinische Grundversorgung geschlossen waren, kam es zu Verzögerungen und Unterbrechungen dieser grundlegenden Aktivitäten, führt er weiter aus.
Betroffene mussten sich in lange Schlangen vor den Einrichtungen einreihen, weil die Versorgungslage auf oberster Ebene nicht geklärt worden war. Diejenigen, die eine Diagnose erhielten, starteten entweder gar nicht oder verzögert mit ihrer Therapie. In anderen Fällen kam es zu Unterbrechungen der Therapiemaßnahmen und der Überwachung der Viruslast. Eine besorgniserregende Situation, denn Unregelmäßigkeiten in der Medikamenteneinnahme bewirken fatale Resistenzbildungen, wie der geschäftsführende Direktor von ASPAT unterstreicht. Das System habe versagt und Patient*innen zunächst sich selbst überlassen.

Samuel Dodoo (Exekutivdirektor und Gründer von Media Response):


Die Pandemie veränderte nicht nur Strukturen des Gesundheitswesens, sondern beeinflusste ebenfalls das Gesundheitsverhalten Einzelner, welches sich wiederum auf Diagnose- und Behandlungsprozesse auswirkte. Trotz Öffnungen oder reinstallierter Dienste blieb die Inanspruchnahme der Patient*innen von Leistungen aus. Samuel Dodoo, Exekutivdirektor und Gründer von Media Response, und seine Kolleg*innen konnten beobachten, dass die Zahl der Krankenhausbesuche, insbesondere der OP-Fälle, stark zurückgegangen ist. Auf der anderen Seite nahm die Selbstmedikation zu. Die Angst
der meisten Kund*innen oder Patient*innen vor einer möglichen Ansteckung mit dem COVID 19-Virus hemmte sie, medizinische Einrichtungen aufzusuchen. Zudem grassierte die Skepsis gegenüber Gesundheitsinstitutionen und der konventionellen Medizi. Dodoo erklärt dies damit, dass „die Menschen eine andere Wahrnehmung entwickelten, in die sie sich hineinsteigerten. Sie hatten die falsche Vorstellung, dass die ganze COVID 19-Geschichte eine geplante Sache sei, die gegen sie ausgeheckt wurde.“

Dr. Linda Gail Bekker:


Ein weiterer Faktor, der großen Einfluss auf die Versorgung nahm, war der Ausfall von Flugzeugen, Flügen und Logistik. Dieser führte dazu, dass auf dem afrikanischen Kontinent die antiretroviralen Produkte knapp wurden, wie Dr. Linda Gail Bekker, ebenfalls Geschäftsführeinr der Desmond Tutu Health Foundation,. mitteilt. Da sie für lebensrettende Therapien unverzichtbar sind, war dies eine besonders beängstigende Entwicklung im Zuge der Pandemie. Für die nächste potenzielle Krise müsse man eine Lehre daraus ziehen und dafür sorgen, dass die Bereitstellung essentieller Medikamente gewährleistet wird.

 

Podcast: Folgen der Pandemie für die Tuberkuloseversorgung in Südafrika

 

Mehr Informationen finden Sie bei den Schulmaterialien: Globale Folgen der Pandemie 

 

Literaturverzeichnis

Chanda-Kapata, Pascalina; Ntoumi, Francine; Kapata, Nathan; Lungu, Patrick; Mucheleng'anga, Luchenga Adam; Chakaya, Jeremiah et al. (2022): Tuberculosis, HIV/AIDS and Malaria Health Services in sub-Saharan Africa - A Situation Analysis of the Disruptions and Impact of the COVID-19 Pandemic. In: International journal of infectious diseases : IJID : official publication of the International Society for Infectious Diseases. DOI: 10.1016/j.ijid.2022.03.033.

Joint United Nations Programme on HIV/AIDS (2019): Women and HIV. A Spotlight on Adolescent Girls and Young Women. Geneva. Online verfügbar unter https://www.unaids.org/sites/default/files/media_asset/2019_women-and-hiv_en.pdf.

Joint United Nations Programme on HIV/AIDS (2022): In Danger. UNAIDS Global AIDS Update 2022. Geneva. Online verfügbar unter https://www.unaids.org/en/resources/documents/2022/in-danger-global-aids-update.

OECD (2021): Strengthening the frontline: How primary health care helpshealth systems adapt during the COVID-19 pandemic. Online verfügbar unter https://read.oecd-ilibrary.org/view/?ref=1060_1060243-snyxeld1ii&title=Strengthening-the-frontline-How-primary-health-care-helps-health-systems-adapt-during-the-COVID-19-pandemic.

Rewari, Bharat Bhushan; Mangadan-Konath, Nabeel; Sharma, Mukta (2020): Impact of COVID-19 on the global supply chain of antiretroviral drugs: a rapid survey of Indian manufacturers. In: WHO South-East Asia journal of public health 9 (2), S. 126–133. DOI: 10.4103/2224-3151.294306.

The Global Fund (2022): Results Report 2021. Online verfügbar unter https://www.theglobalfund.org/media/11304/corporate_2021resultsreport_report_en.pdf.

Velavan, Thirumalaisamy P.; Meyer, Christian G.; Esen, Meral; Kremsner, Peter G.; Ntoumi, Francine (2021): COVID-19 and syndemic challenges in 'Battling the Big Three': HIV, TB and malaria. In: International journal of infectious diseases : IJID : official publication of the International Society for Infectious Diseases 106, S. 29–32. DOI: 10.1016/j.ijid.2021.03.071.

World Health Organization (2021): Global tuberculosis report 2021: supplementary material. Geneva. Online verfügbar unter www.who.int/publications/i/item/9789240037021.