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Novartis verlost nicht zugelassene Therapie

Die Gentherapie Zolgensma® soll Kindern helfen, die an einer seltenen Muskelerkrankung leiden. Die einmalige Behandlung kostet rund zwei Millionen Euro, das Mittel ist in Europa noch nicht zugelassen. Novartis kündigte Anfang des Jahres an, 100 Einzelgaben zu verlosen.[1] Das stößt ebenso wie der hohe Preis auf Kritik.

Die Gentherapie zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie wurde in den USA im Mai 2019 auf Basis einer unkontrollierten Phase 1-Studie an 15 PatientInnen zugelassen.[2] [3] Bei der europäischen Behörde EMA hat Novartis die Zulassung erst später eingereicht. Bislang hat die Firma schon 280 Tage gebraucht, um Nachfragen zu beantworten – doppelt so lange, wie die EMA bis dahin für die Prüfung brauchte.[4]

Das hat Novartis nicht davon abgehalten, schon große Erwartungen zu schüren. Eine geschickte Pressearbeit hat dazu sicher beigetragen, die Publikumsmedien berichteten schon früh über das Produkt.[5] Bereits letztes Jahr setzten in Deutschland die Eltern von mindestens vier Kindern durch, dass die Krankenkassen die vollen Kosten für die Behandlung übernahmen.

Marketingtrick?

Die jetzt von Novartis verkündete Lotterie hat eine Schwemme von Artikeln ausgelöst. Der Medizinethiker Norbert W. Paul, Professor der Universitätsmedizin Mainz, sieht das kritisch: „Novartis unterläuft mit dieser Abgabe aus Mitleid die Zulassung, um einen Fuß im Markt zu haben und so Druck zu machen, dass die Zulassung gar nicht mehr erforderlich zu sein scheint.“ [6]

Die Alternative wäre gewesen, dass Novartis von vorneherein beim dafür zuständigen Paul-Ehrlich-Institut, ein Härtefallprogramm beantragt. Die Behörde kann dann kontrolliert prüfen, ob das noch nicht zugelassene Medikament im Einzelfall eine sinnvolle Option ist, weil es keine erfolgversprechende andere Behandlung gibt. In einem solchen Härtefallprogramm stellt der Hersteller das Präparat grundsätzlich kostenlos zur Verfügung. Novartis hat einen solchen Antrag erst im Zusammenhang mit seiner umstrittenen Lotterie gestellt.

Nicht ganz einmalig

 Was in der Debatte untergeht: Zolgensma® ist nicht das erste Medikament gegen die Muskelschwäche, die unbehandelt nach wenigen Jahren tödlich enden kann. Bereits 2017 wurde Nusinersen zugelassen. Das Mittel wurde an fast 250 Personen gegen Placebo getestet.[7] Zolgensma® wurde, obwohl es naheliegend gewesen wäre, in den Studien nicht mit Nusinersen verglichen.

Zwar muss Zolgensma® im Gegensatz zu Nusinersen nur einmal gegeben werden, aber die Behandlung funktioniert nur bei Kindern unter zwei Jahren. Außerdem ist der Nutzen und Schaden der neuen Behandlung noch wenig untersucht. Erst nach mehreren Jahren wird man sicher sagen können, ob Zolgensma® den kleinen PatientInnen dauerhaft hilft und die Risiken vertretbar sind. medikamentenverlosung

Spekulativer Preis

Patrick Durisch von der Schweizer NGO Public Eye warf der Firma auf der Hauptversammlung von Novartis am 28.2.2020 in Basel unverantwortliches Verhalten vor: „Novartis, wie können Sie es wagen, den wahnsinnigen Preis von über zwei Millionen Dollar für eine einzige Spritze Zolgensma zu verlangen – das Resultat einer reinen Finanzspekulation über den Kauf einer Biotechfirma, die in hohem Maße von öffentlichen und gemeinnützigen Geldern profitiert hat und nicht Ihrer eigenen Investition in Forschung und Entwicklung.“ [8]

Tatsächlich ist das Produkt hauptsächlich in der Ohio State University und des Nationwide Children‘s Hospital entstanden. Einer der beteiligten Forscher, Brian Kaspar, arbeitete von 2004 bis 2017 in beiden Institutionen. Noch während seiner Tätigkeit an der Uni gründete er das Startup Avexis, das Novartis im Mai 2018 für 8,7 Mrd. US$ kaufte.[9]

Manipulationen

Kaspar ist seinen Job bei Avexis inzwischen los. Es flog auf, dass er im Zulassungsantrag für die FDA Daten manipuliert hatte.[10] Das hatte Novartis zwar schon vor der FDA-Entscheidung bemerkt, aber der FDA die Manipulation erst einen Monat später mitgeteilt.[11] Man habe den Vorfall erst in einer internen Untersuchung weiter klären wollen. Die Fälschungen betrafen, soweit bekannt, zwar nur den Herstellungsprozess,[10] aber falsche Angaben im Zulassungsverfahren sollte es eigentlich niemals geben. Letztlich untergräbt eine solche Manipulation auch die Vertrauenswürdigkeit der übrigen Daten.

Bleibt zu hoffen, dass bessere Evidenz für das Produkt generiert wird. Sollten sich die Hoffnungen bestätigen, ist allerdings eine drastische Preisreduzierung erforderlich. Allein im 4. Quartal 2019 hat Novartis mit Zolgensma® in den USA 189 Mio. US$ eingenommen.[12] Dass sich Wenige so schamlos auf Kosten der Allgemeinheit bereichern, ist schwer erträglich.  (JS)

 

Info zum Bild:

Medikamentenverlosung per Glücksrad. 2014 in einem Stück der Straßentheatergruppe „Schluck & weg“ der ­Pharma-Kampagne als bitterböse Satire gedacht, um auf die mangelhafte Versorgung von Menschen im globalen Süden aufmerksam zu machen. Novartis macht es zur Realität. © Jörg Schaaber

Artikel aus dem Pharma-Brief 2/2020, S.1

[1] Zeit online (2020) Deutsche Behörden erlauben umstrittene Gentherapieverlosung. 3. Feb. www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-02/spinale-muskelatrophie-zolgensma-verlosung-behandlung-gesundheit [Zugriff 3.3.2020]

[2] FDA (2019) Statistical review – Zolgensma www.fda.gov/media/128116/download [Zugriff 3.3.2020, der Link führt zu einer zip-Datei, die alle Unterlagen zum Wirkstoff enthält]

[3] Zwischenergebnisse aus noch laufenden Studien an weiteren 17 PatientInnen wurden ergänzend herangezogen.

[4] Salz J (2020) Umstrittene Zolgensma-Aktion Medikamenten-Vergabe per Los: „Das wirkt wie eine Form der Rationierung“. Wirtschaftswoche, 3. Feb. www.wiwo.de/unternehmen/industrie/umstrittene-zolgensma-aktion-medikamenten-vergabe-per-los-das-wirkt-wie-eine-form-der-rationierung/25502410.html [Zugriff 3.3.2020]

[5] Z.B. Welt (2019) Teuerstes Medikament der Welt zugelassen. 25. Mai. www.welt.de/wirtschaft/article194161349/Spinale-Muskelatrophie-Teuerstes-Medikament-der-Welt-zugelassen.html [Zugriff 3.3.2020]

[6] Zeit online (2020) Deutsche Behörden erlauben umstrittene Gentherapieverlosung. 3. Feb. www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-02/spinale-muskelatrophie-zolgensma-verlosung-behandlung-gesundheit [Zugriff 3.3.2020]

[7] G-BA (2017) Nutzenbewertung Nusinersen. www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutzenbewertung/298/#nutzenbewertung [Zugriff 3.3.2020]

[8] Durisch P (2020) Rede vor der Novartis-Hauptversammlung. 28. Feb. www.publiceye.ch/en/news/detail/how-dare-you-novartis [Zugriff  3.3.2002]

[9] Frank G (2019) Zolgensma’s Journey from Lab Idea to Gene Therapy for SMA. SMA News Today, 27 May https://smanewstoday.com/2019/05/27/zolgensmas-journey-from-lab-idea-to-gene-therapy-for-sma

[10] Triell M (2019) Ousted Novartis scientist ‘categorically denies’ wrongdoing in data manipulation scandal. CNBC 20 Aug. www.cnbc.com/2019/08/20/ousted-novartis-scientist-denies-wrongdoing-in-data-manipulation-scandal.html

[11] FDA (2019) Statement on data accuracy issues with recently approved gene therapy. 6 Aug. www.fda.gov/news-events/press-announcements/statement-data-accuracy-issues-recently-approved-gene-therapy [Zugriff 7.2.2020]

[12] Novartis (2020) Condensed financial report – supplementary data. www.novartis.com/sites/www.novartis.com/files/2020-01-interim-financial-report-en.pdf [Zugriff 21.2.2020]