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IMG 20180905 100914Beteiligung an globaler Gesundheitsstrategie

Bis Ende 2019 will die Bundesregierung eine Strategie zu globaler Gesundheit entwickeln. Der Prozess dahin ist von bislang ungewohnter Beteiligung und Transparenz geprägt. Auf einer Austauschveranstaltung am 5.9.2018 konnten die nichtstaatlichen Akteure ihre Positionen vorstellen.

Bereits in ihrer Koalitionsvereinbarung hatten die Regierungsparteien betont, dass Deutschland eine aktive und konstruktive Rolle in der internationalen Gesundheitspolitik spielen solle. Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich das Entwicklungsziel Gesundheit (Ziel 3 der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen) auf die Fahne geschrieben. Gemeinsam mit dem Präsidenten Ghanas, Nana Addo Dankwa Akufo-Addo, und der norwegischen Ministerpräsidentin Erna Solberg schrieb sie im April an Tedros Adhanom Ghebreyesus, den Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die drei StaatschefInnen mahnten in ihrem Brief verstärkte Anstrengungen für das Entwicklungsziel Gesundheit. Sie forderten die WHO auf, bei der Umsetzung eine Führungsrolle zu übernehmen und gemeinsam mit anderen UN-Organisationen einen konkreten Aktionsplan zu entwickeln.

Konsultationsprozess

Auch das Gesundheitsministerium (BMG) hat einen konstruktiven Dialog zum Thema globale Gesundheit in Gang gesetzt. Bereits Ende 2017 gab es eine erste Austauschveranstaltung zu globaler Gesundheit, die allerdings stark auf die G 20 Aktivitäten konzentriert war und wenig Raum für Debatten ließ. Auf einer weiteren BMG-Veranstaltung im Juni 2018 wurde dann vereinbart, dass die fünf verschiedenen Akteursgruppen (Jugend, Think Tanks, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft) eigene Positionspapiere erarbeiten. Diese wurden am 5. September in Berlin vorgestellt und diskutiert. Das Memento Bündnis und die Deutsche Plattform für globale Gesundheit (DPGG) hatten weitere Papiere vorgelegt; in beiden Netzwerken engagiert sich auch die BUKO Pharma-Kampagne.

Kritischer Konsens

Erstaunlich waren die großen Übereinstimmungen zwischen den Papieren, obwohl sie unabhängig voneinander entwickelt worden waren. Das Prinzip der Universal Health Coverage (UHC), also eines umfassenden Zugangs zur Gesundheitsversorgung und zu sozialer Absicherung im Krankheitsfall war überall ein zentraler Punkt. Das Menschenrecht auf Gesundheit als Leitprinzip fand sich in allen Papieren – mit Ausnahme des Dokument, das von den privatwirtschaftlichen Akteuren vorgelegt wurde.
Viele Bereiche über den eigentlichen Gesundheitssektor hinaus sind für die Gesundheit wichtig und müssen mit bedacht werden, wenn es um die Vermeidung von Krankheiten und eine bessere Versorgung geht. Deshalb ist die Forderung nach „health in all policies“ nicht verwunderlich.
Ein wesentlicher Fortschritt ist, dass die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) im Gegensatz zu den vorherigen Millennium Development Goals (MDGs) für reiche und arme Länder gleichermaßen gelten. Eingefordert wurde deshalb, dass Deutschland sich nicht nur international konstruktiv für die Umsetzung der SDGs stark macht, sondern auch selbst seine Hausaufgaben macht. Angefangen davon, dass die Versorgung im Krankheitsfall für Geflüchtete und andere vulnerable Gruppen miserabel ist, über ungleiche Bildungschancen, Armut bis hin zum sozialen Wohnungsbau gibt es auch in Deutschland viele gesundheitsbezogene Baustellen.

Debatten

In der Diskussion wurde deutlich: Während intersektorale Ansätze befürwortet wurden, ist es bis zur praktischen Umsetzung noch ein weiter Weg. So muss zum Beispiel Klimaschutz und die Bekämpfung der Luftverschmutzung gegen die Interessen der Autoindustrie und Energiewirtschaft durchgesetzt werden. Zwar waren bei der Diskussion am 5.9.2018 nicht nur VertreterInnen des Gesundheits- und Entwicklungshilfeministeriums anwesend, sondern auch die Ressorts Forschung und Landwirtschaft sowie das Bundeskanzleramt. Aber weder das Ministerium für Wirtschaft noch das für Arbeit und Soziales waren vertreten.
Aber auch im klassischen Gesundheitssektor gibt es reichlich Reibungsflächen: Die Priorisierung von Patentschutz versus Zugang zu Arzneimitteln oder hohe Preise, die auch in Industrieländern die Versorgung gefährden. Die fehlende Forschung zu vernachlässigten Krankheiten erfordert andere Finanzierungsmodelle. All das wird sich nur gegen den Widerstand von Big Pharma erreichen lassen.
Die Zersplitterung der globalen Gesundheitspolitik war ebenfalls ein wichtiges Thema. Die ständig wachsende Zahl separater Initiativen wie dem „Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria“, der Impfinitiative GAVI und vielen anderen führt zu vertikalen Interventionen, die viele Ressourcen fressen. Auch wenn diese Programme im Einzelfall deutliche Erfolge erzielen, besteht immer die Gefahr, dass die breite Versorgung der Bevölkerung, die ja nicht nur an diesen wenigen Krankheiten leidet, auf der Strecke bleibt. Es bleibt eine Herausforderung, solche vertikalen Programme in existierende Strukturen zu integrieren und die Stärkung der allgemeinen Versorgung als wichtige Teilaufgabe solcher Programme zu begreifen. Die Förderung von Universal Health Coverage muss nach Meinung der meisten TeilnehmerInnen Vorrang haben.

Rolle der Wirtschaft

Für die Industrie äußerte sich das „German Healtcare Partnership“ (GHP). Die Wirtschaft sieht UHC auch als lohnenden Markt. So bietet sie an, Gesundheitsversorgungseinrichtungen zu beraten oder sogar in eigener Regie zu übernehmen. Ihr Beitrag zur Entwicklung von Versicherungssystemen ist die Einführung von privaten Krankenversicherungen. Die „Lieferung der technischen (fachlichen) Expertise bei der Definition eines Katalogs zur medizinischen Grundversorgung […]“ lässt eher die Durchsetzung von Partikularinteressen erwarten als eine am Allgemeinwohl orientierte Auswahl von medizinischen Leistungen – vom Paternalismus eines solchen Ansatzes einmal ganz zu schweigen. Auch auf die im Papier versprochenen „innovative[n] Medikamente für die Bedürfnisse der Entwicklungsländer“ warten diese schon lange vergeblich.
Dass sich einige Firmen nach jahrelangem Druck von NGOs in bescheidenem Umfang auch für vernachlässigte Krankheiten engagieren, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Geschäftsmodell von Big Pharma die gesundheitlichen Bedürfnisse von großen Teilen der Weltbevölkerung nicht befriedigen kann. Insofern wirken die folgenden Sätze aus dem Wirtschaftspapier wie der blanke Hohn: „Innovative Gesundheitsprodukte sind Lösung und nicht Last für nachhaltige Gesundheitssysteme. Es gilt, Innovationen durch Stärkung bzw. Aufrechterhaltung geeigneter Anreizsysteme, insbesondere dem Schutz des geistigen Eigentums, zu fördern.“ Dabei hilft ja gerade der Patentschutz nicht, Medikamente für die Armen zu entwickeln, im Gegenteil fördert er die Entwicklung von Medikamenten für zahlungskräftige Märkte. Er sorgt außerdem dafür, dass hohe Arzneimittel durchgesetzt werden können, die mit den Herstellungskosten nichts zu tun haben.
„Public Private Partnership“ stehen aus Sicht der Wirtschaft im Mittelpunkt. Das hat ja auch einige Vorteile: Man muss selbst nicht so viel investieren, denn das meiste Geld stammt in der Regel aus öffentlichen Töpfen und man kann mitreden, wie die Prioritäten gesetzt werden. Dazu liefert die Wirtschaft auch ein Beispiel: „Ein besonders wirkungsvolles und erfolgreiches Beispiel für akteursübergreifende Zusammenarbeit ist der World Health Summit (WHS), er steht für die gute und enge Zusammenarbeit der deutschen Gesundheitswirtschaft mit der Wissenschaft.“ Dieses seit einigen Jahren in Berlin stattfindende Treffen wird von der M8 Alliance, einem Zusammenschluss von akademischen Zentren, in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft durchgeführt. Es erhebt den Anspruch „die Gesundheit auf dem ganzen Planeten zu verbessern“ und „die Agenda von Morgen zu steuern, um Forschung, Ausbildung, Gesundheitsversorgung und policy outcomes zu verbessern“. Die M8 Alliance ist ein exklusiver Club und repräsentiert vorwiegend WissenschaftlerInnen aus Industrieländern. Auf der Liste der RednerInnen sind auch in diesem Jahr Firmen und Public Private Partnerships gut vertreten. Kein Wunder also, wenn einige Veranstaltungen eine kommerzielle Schieflage bekommen.
Immer wenn sich kommerzielle Interessen mit öffentlichen mischen, besteht die Gefahr der Vereinnahmung und Abschwächung von an sich sinnvollen Zielen. Im Englischen wurde dafür der Begriff „Engineering of Consent“ geprägt. Das Papier der Wirtschaft bietet dafür unfreiwillig eine Bestätigung: „Schulterschluss aller in Gesundheitsthemen involvierten Akteure (Wirtschaft, Wissenschaft, NROs und Politik): proaktive Abstimmung der Aktivitäten sowie gegenseitiger Erfahrungs- und Wissenstransfer können ein effizientes und wirtschaftliches Engagement aller Akteure unterstützen […]“.
Mit der Forderung nach einem „Schulterschluss“ standen die Industrievertreter auf der Austauschveranstaltung am 5.9. allerdings allein auf weiter Flur. Von verschiedenen TeilnehmerInnen – auch aus den Ministerien – wurde der Dissens als treibende Kraft in einer produktiven Debatte hervorgehoben.

Irritationen

Für einigen Unmut sorgte das Phantom eines „Global Health Hub Germany“ (GHH). Von den fünf am 5.9. anwesenden Akteursgruppen war offensichtlich lediglich die Wirtschaft an den Planungen für ein ständiges Austauschforum des BMG zu internationaler Gesundheitspolitik beteiligt und gut informiert. Es gab vorab keine offiziellen Informationen von Seiten des BMG. Lediglich einigen NGOs war ein paar Tage vor dem Treffen ein kurzes Konzeptpapier zugespielt worden, das eine vage Idee von dem Vorhaben gab. An das BMG sei „wiederholt der Wunsch einer Vernetzungsplattform für Akteure in der globalen Gesundheit herangetragen“ worden. Es fehle „ein sektorübergreifender Austausch“. Der GHH solle „als zentrale Anlaufstelle in Deutschland für nationale und internationale Akteure im Bereich Globale Gesundheit dienen.“ Er „soll ein von der Bundesregierung unabhängiges selbständiges Forum sein […]. Ob und in welcher Form die Ressorts [außer dem BMG] sich einbringen wollen, ist diesen freigestellt.“ Auch die bisherigen Gesprächspartner zum GHH werden genannt: „WHS/Charité, GHP, Bill und Melinda Gates Stiftung, Wellcome Trust, VENRO etc.“. Dummerweise wusste aber Letzterer, ein Zusammenschluss von NGOs, gar nichts davon. Der Verband hatte erst durch das durchgesickerte Papier von seiner angeblichen Beteiligung am Global Health Hub erfahren. Die harsche Kritik an dieser Vorgehensweise veranlasste das Ministerium immerhin dazu, offiziell um Austausch zu bitten. Nach den Vorstellungen des BMG soll der GHH im Dezember 2018 vorgestellt werden.

Wie geht’s weiter?

Das BMG betonte, dass es die Zivilgesellschaft in die weitere Diskussion über die globale Strategie einbeziehen will. Dabei wurde als ein Format der GHH vorgeschlagen, aber über die Ausgestaltung könne noch geredet werden. Die Zivilgesellschaft wird sich gut überlegen müssen, ob sie einem Gremium Legitimität verleihen möchte, das nach bisherigem Planungsstand als Public Private Partnership angelegt ist, das politische Fortschritte in Richtung Global Health eher bremsen könnte. Die starke Industriepräsenz, die Rolle der Gates-Stiftung und die Ausrichtung auf Konsens sprechen dafür.
Weitere Diskussionen über die Global Health Strategie gab es schon wenige Tage später. Das BMG und das BMZ luden am 10.9. zu einem Dialogforum ein. Die Themen: „Konkret möchten wir uns mit Ihnen zu der Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen im Sinne eines ‚One-Health‘-Ansatzes, der Gesundheitsförderung und Prävention nicht übertragbarer Krankheiten und den Potenzialen einer zunehmenden Digitalisierung des Gesundheitssektors austauschen.“ Allerdings war der Kreis der Eingeladenen mit 20 Organisationen deutlich kleiner als am 5.9. Und der Bundesverband der Deutschen Industrie war gleich zweimal eingeladen, einmal als BDI und einmal als German Healthcare Partnership. Auf der Teilnehmerliste fehlten VertreterInnen der Medizin und Public Health dagegen völlig. Dass dann doch noch ein Vertreter der Deutschen Plattform für Globale Gesundheit teilnehmen konnte, erwies sich als wichtig. In der Debatte wäre sonst die Themen Antibiotikaresistenz (ABR) und nichtübertragbare Krankheiten (NCDs) völlig untergegangen. Dabei ist der Anteil der vermeidbaren Todesfälle durch NCDs in Entwicklungs- und Schwellenländern höher als in reichen Staaten, es handelt sich also um ein zentrales Thema für Global Health. Und auch bei der ABR sind entschiedene Maßnahmen in der Humanmedizin wie in der Tierhaltung essenziell. Die Lernkurve der Bundesregierung könnte also noch steiler werden.
Letztlich wird sich die globale Gesundheitsstrategie der Bundesregierung nicht nur daran messen, ob die Positionen auf dem Papier korrekt sind, sondern ob und wie sie umgesetzt werden. Bei der Austauschveranstaltung am 5.9. fand deshalb ein Vorschlag der Pharma-Kampagne im Publikum großen Beifall: Man solle doch alle künftigen politischen Vorhaben der Bundesregierung und vor allem neue Gesetzentwürfe einer Entwicklungsverträglichkeitsprüfung im Sinne der SDGs unterziehen. (JS)

Quellen:
1 Merkel A et al. (2018) Letter to Dr. Tedros, 19 April www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2018/04/2018-04-19-merkel-solberg-akufo-addo.html
2 www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2018/september/globale-gesundheitspolitik.html#c13758
3 Memento-Bündnis (2018) www.bukopharma.de/images/aktuelles/Memento-Buendnis_2018_Globale_Gesundheit.pdf
4 DPGG (2018) www.bukopharma.de/images/aktuelles/dpgg_2018_deutsche_Strategie_globale_Gesundheit.pdf
5 WHS (2018) Vision and goals. www.worldhealthsummit.org/about/vision-and-goals.html [Zugriff 11.9.2018]
6 WHS (2018) Speakers. www.worldhealthsummit.org/conference/speakers.html [Zugriff 11.9.2018]
7 BMG (2018) Projektskizze „Aufbau eines Global Health Hub Germany (GHH Germany)“