Journalists AMISOM cc


Tedros WHA73 © WHOGegenwärtig gibt es weder eine Impfung noch eine spezifische Behandlung für Covid-19. Einige bereits existierende Medikamente werden auf ihre Wirksamkeit getestet, vor allem in die Impfstoffforschung fließt jetzt viel öffentliches Geld. Doch wie gut werden  die Ergebnisse verfügbar sein? Bei der Weltgesundheitsversammlung wurden am 19.5.2020 große Versprechen gemacht, doch wichtige Fragen bleiben offen.

Während sich zu Beginn der Epidemie die Aufmerksamkeit auf fehlende Masken für Gesundheitspersonal und den Mangel an zuverlässigen Tests konzentrierte, richten sich nun Hoffnungen auf einen Impfstoff. Bis zum Covid-19 Ausbruch gab es kaum kommerzielle Forschungsprojekte zu Corona, obwohl mit SARS (2002) und MERS (2012) schon zwei Corona-Virenstämme zirkulierten, die schwere Verläufe auslösten.[1] Dabei steckten z.B. die US-National Institutes of Health seit 2003 fast 700 Millionen US$ in die Corona-Forschung, davon flossen rund 100 Mio. direkt an Firmen.

Jetzt ist plötzlich eine Goldgräberstimmung ausgebrochen, hohe Fördermittel und ein großer Markt winken. Die WHO zählte am 5. Mai 2020 Versuche mit acht Impfstoffen an Menschen und weitere 100 Projekte in der vorklinische Phase.[2] Neben den USA dürfte die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) der wichtigste Geldgeber für die Covid-19 Impfstoffforschung werden.[3] Dabei sind auch zahlreiche öffentliche Institute (weiterhin) in der Forschung aktiv. Eine vom deutschen Pharmaverband Vfa veröffentlichte Übersicht macht deutlich, dass bei den am weitesten fortgeschrittenen Firmenprojekten häufig öffentliche Institute und Gelder mit im Spiel sind.[4]

Am 4.5.2020 lud die EU-Kommission im Rahmen der Accelerator Initiative (ACT) zu einer internationalen “Coronavirus Global Response” Geldsammelkonferenz, bei der 7,4 Mrd. € für Impfstoffe, Medikamente und Tests zugesagt wurden.[5] Dabei ist nicht gesichert, dass die mit dem Geld entwickelten Produkte auch später allen zur Verfügung stehen werden, die sie brauchen.[6] Zwar gab es vor und auf der Geberkonferenz vollmundige Versprechen, dass ärmere Länder gleichberechtigten Zugang bekommen sollen. Aber die EU-Kommission betonte, dass von den Herstellern nicht erwartet würde, ihre Patentrechte aufzugeben. Es werde auf „Anreize“ gesetzt.[7]

Auf guten Willen zu setzen ist bestenfalls blauäugig. Die internationale Pharmaindustrie hat denn auch schon ihrerseits Forderungen gestellt: Der Staat solle doch Milliarden Dollar lockermachen, damit neue Impfstofffabriken gebaut werden könnten.[8] Sanofi-Chef Hudson drohte kürzlich, der Impfstoff der Firma werde nach Zulassung nur in den USA erhältlich sein, die dortigen Behörden hätten schon Gelder zugesagt.  Er forderte von Europa, die mögliche Massenproduktion eines Impfstoffs gegen das Coronavirus finanziell zu unterstützen.[9] Wäre es da  nicht einfacher, der Staat übernähme die Impfstoffproduktion gleich selbst? 

Wer hat das Sagen?

Der Mangel an Governance ist (nicht nur) bei Corona ein Kernproblem. Statt dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Fäden in der Hand hält, gibt es unklare Strukturen und zersplitterte Zuständigkeiten.

Zentral fürs Geldsammeln und Verteilung der Mittel zu Covid-19 ist die “Accelerator Initiative”, kurz ACT.[10] Die WHO ist beteiligt, aber es gibt mindestens neun weitere Akteure wie Stiftungen, den Global Fund und mehrere Industrieverbände,[11] auch einige PolitikerInnen sind mit im Boot. WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus dankte bei der Vorstellung der ACT am 24.4.2020 besonders dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, EU-Präsidentin Ursula von der Leyen und Bill und Melinda Gates für ihr „Leadership“. Als Sonderbeauftragte für ACT nannte er den Ex-Pharmamanager Andrew Witty (GSK) und Dr Ngozi Okonjo-Iweala, längjährige Mitarbeiterin der Weltbank und ehemalige Finanzministerin von Nigeria.[12] Von der Leyen betonte „Wir müssen eine Impfung entwickeln, wir müssen sie produzieren und sie in jede Ecke der Welt liefern und zu bezahlbaren Preisen zugänglich machen. Dieser Impfstoff wird unser universelles Gemeinschaftsgut […].“ Doch genau das ist nirgendwo rechtlich verbrieft.

Es ist also ein ziemlich gemischter Haufen, der dabei mitreden wird, wie die Gelder eingesetzt werden. Die EU betonte nach der Geberkonferenz vom 4. Mai, dass es bei den gegenwärtigen Strukturen bleiben wird. Die jeweiligen Geldgeber, also Staaten und Stiftungen, schütten ihre Mittel direkt an die Empfänger aus, die EU führt lediglich Buch, ob die Zahlungen tatsächlich stattfinden.[13] Das bedeutet aber nicht nur, dass es keine wirkliche Kontrolle über den späteren Zugang zu den Produkten gibt, auch die Prioritäten setzt der jeweilige Geldgeber. 

Poor track record

Die an der Umsetzung der Anstrengungen gegen Covid-19 Beteiligten bieten nicht unbedingt die besten Voraussetzungen dafür, dass die Produkte am Ende allen auch wirklich zur Verfügung stehen.

CEPI wird bei der Verteilung der (zusätzlichen) Forschungsmittel zu Covid-19 eine wichtige Rolle spielen. Dieses Public-Private Partnership (PPP) wird wegen seiner unklaren Zugangspolitik kritisiert. Trotz mehrfacher Interventionen von NGOs, das zu ändern,[14] bleibt es bei allgemeinen Zusagen. Es gibt offensichtlich keine Bereitschaft, bei den Kooperationsvereinbarungen mit privaten Firmen Zugangsregeln rechtsverbindlich festzulegen.

Die Verantwortung für die Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen liegt bei der Impfallianz GAVI, einem weiteren PPP. Neben der allgemeinen Kritik an der Prioritätensetzung und den Entscheidungsstrukturen von GAVI[15] sind auch sogenannte „advance marketing commitments“ (AMC) bei Covid-19 Impfstoffen[16] bedenklich. Ein AMC ist das Versprechen, große Mengen eines noch nicht verfügbaren Produkts zu einem festgelegten Preis abzunehmen. Das soll einen Anreiz für die Erforschung und Entwicklung fehlender Medikamente und Impfstoffe bieten.

Das erste AMC erwies sich allerdings als Subventionsprogramm für die Pharmaindustrie. Denn die Gelder flossen für einen bereits auf dem Markt befindlichen Pneumokokken-Impfstoff. 15,[17] Nur am Rande sei erwähnt, dass GAVI einen Teil seiner Maßnahmen mit dem Verkauf von Bonds der „International Finance Facility for Immunisation“ vorfinanziert und damit letztlich staatliche Mittel an private Kapitalanleger fließen.

Große Versprechen

Auf der Weltgesundheitsversammlung (WHA) wurde am 19.5.2020 eine lange Resolution zur Bekämpfung von Covid-19 verabschiedet. Die Europäische Union hatte den ersten Entwurf eingebracht und letztendlich unterstützten über 100 Staaten den Text, der einstimmig verabschiedet wurde.[18] Eine künftige Impfung wird explizit als „Globales öffentliches Gut“ bezeichnet. Die Resolution räumt dem „schnellen universellen Zugang zu notwendigen Medikamenten und Technologien und ihren Vorprodukten hohe Priorität“ ein.

Dabei wird ausdrücklich auf die Flexibilitäten des TRIPS-Abkommens der WTO Bezug genommen, der zum Schutz der Gesundheit Zwangslizenzen erlaubt. Lediglich die USA distanzierten sich von dieser Formulierung.[19] Auch die Nutzung eines Patentpools wird befürwortet, dabei bleibt aber dessen Ausgestaltung unklar. Costa Rica hatte im Vorfeld der WHA einen bei der WHO angesiedelten Patentpool gefordert und fand die Unterstützung des WHO-Generaldirektors. Wie der Pool ausgestaltet wird, soll aber erst am 29. Mai vorgestellt werden.

Eine wesentliche Schwäche ist, dass der Pool auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhen soll, das macht möglicherweise zeitraubende Verhandlungen notwendig. Falls sie Scheitern, bleibt nur, die Produktion durch Zwangslizenzen zu sichern. Da diese Möglichkeit von vielen Ländern bislang nicht genutzt wurde, sind hier Reibungsverluste und Verzögerungen zu erwarten.

Von NGOs und WissenschaftlerInnen war eine bei der WHO angesiedelte Open Access Plattform für Forschungsergebnisse zu Covid-19 gefordert worden. Die Resolution spricht lediglich von der „Zusammenarbeit bei der Entwicklung, Testung und der Aufbau von Herstellungskapazitäten von Produkten“. Technologietransfer hat aber eine Schlüsselrolle für die preiswerte massenhafte Herstellung.

Ein weiterer kritischer Punkt ist die Entscheidung, wie Prioritäten bei der Forschung gesetzt werden. Hier wird der oben erwähnten “Accelerator Initiative” eine wichtige Rolle zugeschrieben. Damit wird die WHO zur Zusammenarbeit mit einem Public Private Partnership gezwungen, in dem zudem der Globale Süden kaum eine Rolle spielt.

Zur Transparenz bei den Forschungskosten findet sich in der WHA-Resolution kein Wort. Dabei wäre das sehr wichtig, um sicherzustellen, dass das Geld der SteuerzahlerInnen gut angelegt ist.

So begrüßenswert es ist, dass Kanzlerin Merkel, Gesundheitsminister Spahn und viele andere im Zusammenhang mit Covid-19 plötzlich von öffentlichen Gütern sprechen, zu denen jede und jeder Zugang haben müsse, bleiben Zweifel, ob diese Versprechen auch eingelöst werden.

Last but not least

Schließlich sollte nicht vergessen werden, dass Covid-19 nicht das einzige globale Gesundheitsproblem ist. Deshalb sollten die gegenwärtigen Strukturen kritisch überprüft werden. CEPI, GAVI und viele andere krankheitsbezogene Programme (Aids, Malaria, TB usw.) führen zu vertikalen Interventionen, die viele Ressourcen fressen. Auch wenn diese im Einzelfall deutliche Erfolge erzielen, besteht immer die Gefahr, dass eine umfassende Gesundheitsversorgung der Bevölkerung auf der Strecke bleibt.

Die Direktorin des Stop TB Partnership, Lucicia Ditu, brachte ihre Frustration angesichts der wegen der Corona-Pandemie zusammenbrechenden Testung und Versorgung von TB-Kranken auf den Punkt: „Seit 100 Jahren haben wir einen TB-Impfstoff und vielleicht zwei, drei neue Kandidaten in der Pipeline. […] Wir schauen mit Erstaunen auf eine Krankheit, die 120 Tage alt ist und für die 100 Impfstoff-Kandidaten in der Pipeline sind. Ich meine, diese Welt ist wirklich aus den Fugen.“[20],[21]  (JS)

 

[1]Public Citizen (2020) Blind spot. www.citizen.org/article/blind-spot [Zugriff 20.4.2020]

[2]WHO (2020) Draft landscape of COVID 19 candidate vaccines. 5 May www.who.int/who-documents-detail/draft-landscape-of-covid-19-candidate-vaccines [Zugriff 7.5.2020]

[3]CEPI wird von Staaten und privaten Stiftungen finanziert. www.cepi.net

[4]Vfa (2020) Impfstoffe zum Schutz vor Covid-19, der neuen Coronavirus-Infektion. Stand 6. Mai www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/impfstoffe-zum-schutz-vor-coronavirus-2019-ncov [Zugriff 7.5.2020]

[5]4 Mrd. sollen in die Impfstoffe gesteckt werden, 2 Mrd. in die Entwicklung von Medikamenten und 1,5 Mrd. in Tests

[6]'t Hoen E (2020) The € 7.4 billion for Covid-19 product and vaccine development needs a few strings attached. Medicines law & policy, 5 May https://medicineslawandpolicy.org/2020/05/the-e-7-4-billion-for-covid-19-product-and-vaccine-development-needs-a-few-strings-attached

[7]Wintour P (2020) World leaders pledge €7.4bn to research Covid-19 vaccine. Guardian 4 May www.theguardian.com/world/2020/may/04/world-leaders-pledge-74bn-euros-to-research-covid-19-vaccine [Zugriff 8.5.2020]

[8]Jack A (2020) Big Pharma calls for ‘billions’ in upfront coronavirus funding. Financial Times 21 April www.ft.com/content/000a129e-780e-11ea-bd25-7fd923850377 [Zugriff 8.5.2020]

[9]Spiegel (2020) „Gut vorstellbar, dass Amerikaner zuerst geimpft werden“ 25. April www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/corona-impfstoff-pharmakonzern-warnt-us-buerger-koennten-zuerst-geimpft-werden-a-a45b9528-d637-4608-8d30-666e08856090

[10]Access to Covid-19 tools, ACT

[11]Ein Papier der WHO nennt folgende Akteure: Bill&Melinda Gates, Foundation, Developing Countries, Global Fund, Welcome Trust, CEPI, GAVI, Unitaid, WHO und drei Pharmaverbände (dcvmn, IGBA, IFPMA) www.who.int/who-documents-detail/access-to-covid-19-tools-(act)-accelerator [Zugriff 11.5.2020]

[12]WHO (2020) COVID-1) ACT Accelerator launch 24 April 2020. Transcript www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/transcripts/transcript-who-actlaunch-24apr2020.pdf [Zugriff 11.5.2020]

[13]EU (2020) Corona virus global response. Hintergrund https://global-response.europa.eu/about_de [Zugriff 9.5.2020]

[14]Pharma-Brief (2019) Musterknabe auf Abwegen. Nr. 2, S. 1

[15]Pharma-Brief (2015) GAVI: Mehr Geld allein reicht nicht. Nr. 1, S. 1

[16]GAVI (2020) GAVI’s proposal for an advance market commitment for Covid-19 vaccines. 1 May www.gavi.org/sites/default/files/covid/Gavi-proposal-AMC-COVID-19-vaccines.pdf [Zugriff 8.5.2020]

[17]Pharma-Brief (2010) Multis mit Hilfegeldern füttern. Nr. 2, S. 1

[18]WHA 73 Covid-19 response. Draft resulation Albania et al. Stand 18.5.2019, 23.38h https://t.co/PMyJ9cwRk6?amp=1 [Zugriff 19.5.2020]

[19]WHA 73 United States of America Explanation of Position “COVID-19 Response” Resolution. https://apps.who.int/gb/statements/WHA73/PDF/United_States_of_America2.pdf [Zugriff 19.5.2020]

[20]Ford L (2020) Millions predicted to develop tuberculosis as result of Covid-19 lockdown. Guardian 6 May www.theguardian.com/global-development/2020/may/06/millions-develop-tuberculosis-tb-covid-19-lockdown [Zugriff 8.5.2020]

[21]Im Original: “So I think this world, sorry for my French, is really fucked up”