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BUKO-Projekt blickt auf Zugang zu Krebspräparaten

KrebspatientInnen in armen Ländern haben kaum eine Chance auf Behandlung. Schuld daran sind auch die hohen Preise der benötigten Präparate. Ein neues Projekt der Pharma-Kampagne nimmt die Zugangsprobleme in den Blick und zeigt Lösungsmöglichkeiten auf.

„Unbezahlbar krank? Krebserkrankungen im globalen Süden und das Gesundheitsziel einer universellen Versorgung“, heißt ein neuer Arbeitsschwerpunkt, dem wir uns bis Juni 2022 widmen werden. Denn die Versorgungslücken sind erschreckend: Die Zahl der Krebserkrankungen steigt im globalen Süden seit Jahren rasant an und die Sterblichkeit ist dort besonders hoch: Rund 70% der jährlich knapp 10 Millionen Todesfälle durch Krebs ereignen sich in Ländern niedrigen und mittleren Einkommens. Zwar sind die Erkrankungsraten dort insgesamt noch niedriger als in reichen Teilen der Welt, doch PatientInnen in armen Ländern haben im Fall einer Krebserkrankung wenig Aussicht auf eine frühe Diagnose und effektive Therapie und viel schlechtere Überlebenschancen. Während in 90% der Länder mit hohem Einkommen gute Behandlungsmöglichkeiten existieren, stehen solche Behandlungsoptionen nur in knapp 30% der armen Länder zur Verfügung.[1] Die Therapien sind meist hochpreisig und sprengen die schmalen Gesundheitsbudgets.BillBranson Pharmabriefartikel

Höhere Sterblichkeit

In Südafrika sterben z.B. mehr Menschen an Krebs als an HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria zusammen. 2018 waren es knapp 60.000 Todesfälle, die altersstandardisierte Sterblichkeitsrate bei Krebs ist mit 117 pro 100.000 Personen höher als in Deutschland (104). In Simbabwe liegt sie bei 147 pro 100.000. Das Land hat damit die vierthöchste Sterblichkeitsrate durch Krebs weltweit. Besonders häufig sind in beiden Ländern Brust- und Gebärmutterhalskrebs – also Erkrankungen, die vor allem oder nur Frauen betreffen. Brasilien verzeichnet über 500.000 neue Krebsfälle pro Jahr, rund eine Viertelmillion Menschen starben 2018 an ihrer Erkrankung.[2]

Lücken allerorten

Ursachen für die wachsende Krebslast in armen Ländern sind insbesondere eine steigende Lebenserwartung, Globalisierung und Urbanisierung. Veränderte Lebensstile und Ernährungsweisen sowie wachsende Einkommen tragen generell zu einer Zunahme chronischer Erkrankungen bei. In ärmeren Ländern, vor allem Ostasiens und südlich der Sahara, ist zudem ein bedeutender Teil der Krebserkrankungen einer Infektion geschuldet (z.B. Hepatitis B oder C).[3]

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) benennt vier Schlüsselkomponenten der Krebs-Kontrolle: Prävention, Früherkennung und Diagnose, Behandlung sowie die palliative Versorgung. Lücken finden sich in allen Bereichen.

Bei Präventionsmaßnahmen hapert es z.B. bei der Tabakkontrolle. Genau wie viele Nahrungsmittelkonzerne drängt „Big Tobacco“ verstärkt auf neue Märkte in Ländern des globalen Südens. Die WHO gibt an, dass mittlerweile fast 80% der TabakkonsumentInnen weltweit in Ländern geringen und mittleren Einkommens leben. Gleichzeitig geraten Regierungen, die hier schärfere gesetzliche Vorgaben machen wollen, unter massiven Druck.[4]

In der Palliativmedizin wiederum blockieren unter anderem Nebeneffekte des von den USA geführten internationalen „Kriegs gegen die Drogen“ („War on Drugs“) eine adäquate medizinische Versorgung mit Opioiden.[5] Dies betrifft die Schmerzversorgung von PatientInnen mit Krebs im fortgeschrittenen Stadium ganz besonders. Paradoxerweise wütet parallel zu dieser Knappheit in den USA eine verheerende Opioid-Epidemie als Folge aggressivem illegalen Marketing von Pharmafirmen.[6]

Schwindelerregende Preisspirale

Die Behandlung von Krebserkrankungen ist wegen der enorm hohen Arzneimittelkosten eine besondere Herausforderung. Die ökonomischen Folgen sind sowohl auf individueller Ebene als auch bei volkswirtschaftlicher Betrachtung immens. Wegen rasant steigender Preise wachsen weltweit die Ausgaben für Krebsmedikamente viel schneller als die Zahl der Erkrankungen.

Selbst Industrieländer haben mittlerweile mit exorbitanten Preisen zu kämpfen. Eine Untersuchung in den USA analysierte den Markt für oral verabreichte Krebsmedikamente zwischen 2000 und 2014. Die Anzahl der jährlichen Neuzulassungen nahm im Laufe der Zeit deutlich zu, viel stärker aber noch die Preise: Betrugen die monatlichen Therapiekosten für die im Jahr 2000 neu zugelassenen Krebspräparate im Schnitt noch 1.869 US$, stieg dieser Wert für 2014 auf 11.325 US$.[7]

In vielen Ländern müssen Patient­Innen für Therapie selbst zahlen, weil Medikamente auch im öffentlichen Sektor kostenpflichtig sind oder spezielle Krebsmedikamente nur in privaten Gesundheitseinrichtungen angeboten werden. Derartige Ausgaben sind für viele PatientInnen nicht zu stemmen oder führen zu massiver Verschuldung: Eine Behandlung mit Rituximab und Cyclophosphamid sowie begleitenden Präparaten gegen Non-Hodgkin Lymphom kann z.B. in Südafrika das Fünfeinhalbfache eines durchschnittlichen Jahreseinkommens betragen.[8] 

Die WHO hat 2019 zehn neue Krebspräparate in die Liste unentbehrlicher Medikamente (EML) aufgenommen. Auf der aktuellen Version der Liste sind nun insgesamt 56 Krebsmedikamente (plus 3 alternative Wirkstoffe) aufgeführt.[9] Sie sollen in einem Gesundheitssystem jederzeit in adäquater Menge, guter Qualität und zu einem erschwinglichen Preis verfügbar sein. Bislang sind allerdings viele davon im öffentlichen Sektor nicht verfügbar. Eine universelle Gesundheitsversorgung (UHC), wie in den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) angestrebt, ist also fernab der Realität vieler Länder.

Mehr Aufmerksamkeit gefordert

Das zweijährige Projekt „Unbezahlbar krank?“ will mit neuen Informationsmaterialien, Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen über die entwicklungspolitische Dimension der globalen Krebslast informieren. Es soll dem Thema mehr öffentliche sowie politische Aufmerksamkeit verschaffen und eine Debatte um geeignete Lösungsstrategien anstoßen. Der Schwerpunkt liegt auf dem Ziel UHC und dem Zugang zu bezahlbaren wirksamen Medikamenten.

Zu den ersten Projektmaßnahme gehörten digitale Treffen mit Expert­Innen aus Ecuador, Tansania und Deutschland, um Länderbeispiele zu entwickeln, bzw. geeignete Krankheiten und Therapien für unsere Untersuchung auszuwählen. Neben Brust- und Gebärmutterhalskrebs sollen z.B. Leukämien in den Fokus genommen werden. In mehreren Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas wird untersucht, ob und zu welchen Konditionen die auf der WHO Liste genannten Wirkstoffe erhältlich sind. Partnerorganisationen aus dem globalen Süden stehen uns dabei beratend zur Seite und liefern uns Daten und Rechercheergebnisse aus ihrer eigenen Projektarbeit. Erste Untersuchungsergebnisse werden wir im Frühjahr 2021 in einem Pharma-Brief Spezial veröffentlichen. Für die zweite Jahreshälfte ist außerdem eine Reihe von Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen geplant.  (MK)

Artikel aus Pharma-Brief 10/2020, S. 4

Bild Kind im Krankenhausbett © Bill Branson /National Cancer Institute

[1] WHO Factsheet Cancer www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/cancer [Zugriff 8.12.2020]

[2] International Agency for the Research on Cancer (2020) Cancer today (Daten von 2018) https://Gco.Iarc.Fr [Zugriff 9.12.2020]

[3] De Martel C et al. (2020) Global burden of cancer attributable to infections in 2018: a worldwide incidence analysis. Lancet Global Health; 8, p 189

[4] Drope J & Schluger N W. (2018) The Tobacco Atlas. Sixth Edition. https://tobaccoatlas.org/wp-content/uploads/2018/03/TobaccoAtlas_6thEdition_LoRes_Rev0318.pdf [Zugriff am 2.12.2020]

[5] Laursen L (2016) The other opiod issue. Nature; 535, p S16 www.nature.com/articles/535S16a [Zugriff 2.12.2020]

[6] NPR (2020) Doctors and dentists still flooding U.S. with opiod prescriptions. www.npr.org/2020/07/17/887590699/doctors-and-dentists-still-flooding-u-s-with-opioid-prescriptions?t=1607009358472 [Zugriff 3.12.2020]

[7] Dusetzina S (2016) Drug Pricing Trends for Orally Administered Anticancer Medications Reimbursed by Commercial Health Plans, 2000-2014. JAMA Oncology; 7, p 960-966

[8] Cortes J et al. (2020) Enhancing global access to cancer medications. CA-Cancer J Clin; 70, p 105

[9] WHO (2019) WHO Model List of Essential Medicines. 21st List. 2019. https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/325771/WHO-MVP-EMP-IAU-2019.06-eng.pdf [Zugriff 2.12.2020]