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Interview mit Agrarwissenschaftlerin Prof. Dr. Maria Finckh

Die gesundheitsschädliche Wirkung des Herbizids Glyphosat wurde in den vergangenen Jahren viel diskutiert. Weniger bekannt ist, dass etliche Studien den Unkrautvernichter mit der Verbreitung resistenter Bakterien in Zusammenhang bringen. Der massive und dauerhafte Gebrauch des Mittels könne u.a. Kreuzresistenzen bei wichtigen Antibiotika wie Penizillin und Ciprofloxacin hervorrufen, befürchten WissenschaftlerInnen. Agrarwissenschaftlerin Dr. Finckh gibt dazu Auskunft.

Foto Finckh C Natalia Riemer klein

Prof. Dr. Maria R. Finckh ist Agrarwissenschaftlerin und Fachgebietsleiterin Ökologischer Pflanzenschutz an der Universität Kassel. Seit Jahren forscht sie zu den Risiken des Herbizids Glyphosat für Mensch, Tier und Umwelt und hat diverse wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema publiziert. Unter anderem ist sie Mitautorin der Publikation „Environmental and health effects of the herbicide glyphosate“, die 2018 erschienen ist. Ein internationales Team von Forscherinnen und Forschern unter der Leitung der Pflanzenpathologin Ariena van Bruggen von der University of Florida hatte damals 220 Studien zu Glyphosat ausgewertet. Die Übersichtsarbeit lieferte umfassende Erkenntnisse zu den Risiken von Glyphosat. Die ForscherInnen fanden auch Indizien dafür, dass der massive Einsatz des Herbizids Antibiotika-Resistenzen befördern könnte: „Veränderungen in der mikrobiellen Zusammensetzung – hervorgerufen durch den Selektionsdruck durch Glyphosat – könnten zur Verbreitung pathogener Erreger bei Pflanzen und Tieren beigetragen haben. (...) wir stellen die Hypothese auf, dass der Selektionsdruck für Glyphosat-Resistenzen bei Bakterien die mikrobielle Zusammensetzung verändern und zu Resistenzen gegenüber klinisch wichtigen antibiotischen Wirkstoffen führen könnte.“ Weitere Forschung zur Thematik sei daher dringend geboten.[1]

Was hat ein Herbizid mit Bakterien zu tun, Frau Finckh?

Glyphosat ist de facto ein Antibiotikum. Im Produkt-Patent steht, dass das Mittel eine antimikrobielle Wirkung hat. Es wirkt außerdem stark selektiv und schaltet nur bestimmte Bakterien aus. Dummerweise reagieren vor allem nützliche Mikroorganismen hochsensibel auf Glyphosat, etwa Bakterien der Darmflora. Tolerant sind dagegen zum Beispiel Staphylococcus aureus Bakterien oder Clostridien, die je nach Art Tetanus oder gefährliche Darminfektionen verursachen können, oder auch Brucellen, die ebenfalls bei Menschen Krankheiten auslösen können.

Wie wirkt Glyphosat?

Glyphosat funktioniert über das Andocken an einen metabolischen Pfad, den sogenannten Shikimat-Pathway und blockiert ein bestimmtes Enzym, die EPSP-Synthase. Wenn Glyphosat dieses Enzym ausschaltet, wird die Photosynthese behindert und die Synthese aromatischer Aminosäuren ebenfalls. Damit werden viele Faktoren gestört, die Pflanzen für den Umgang mit Pathogenen benötigen. Das lässt die Pflanze sterben – es sei denn, sie ist glyphosatresistent, also gentechnisch verändert. Gentechnisch veränderte Pflanzen sind aber oft nach Behandlung mit Glyphosat anfälliger gegenüber vielen Pathogenen.

Das EPSPS-Enzym existiert aber nicht nur in Pflanzen, sondern auch in Mikroorganismen wie Pilzen oder Bakterien. Dazu muss man wissen, dass es zwei verschiedene EPSPS-Enzyme gibt. Eines ist deutlich toleranter gegenüber Glyphosat. Das heißt: Abhängig davon, welches Enzym die Mikroorganismen haben, sind sie entweder anfällig oder tolerant gegenüber Glyphosat.

Was passiert, wenn bestimmte Bak­te­rien ausgeschaltet werden?

Das Immunsystem der Bienen wird z.B. von Darmbakterien gesteuert, sie sind unverzichtbar, damit die Tiere sich gegen Krankheitserreger verteidigen können. Bienen sind aber, wenn sie schlüpfen, zunächst steril. Sie werden von Arbeitsbienen gefüttert, die ihnen dadurch zugleich lebenswichtige Darmbakterien, ihr Mikrobiom, übertragen. Füttert man die Bienen zusätzlich mit einer Glyphosat-haltigen Nährlösung, verändert sich die Zusammensetzung ihres Mikrobioms und ihr Abwehrmechanismus wird massiv geschwächt. Bringt man dann einen pathogenen Erreger in den Stock, sterben die Tiere zu 80-90%. Bei Bienen ohne Kontakt zu Glyphosat sind es 20%.

Vermutlich verändert sich auch die Darmflora von Kühen, wenn sie mit dem Futter Glyphosat-Rückstände aufnehmen und dies hat möglicherweise Konsequenzen für den Eintrag von antibiotikaresistenten Keimen in die Umwelt, z.B. wenn Böden mit Mist gedüngt werden. In einer amerikanischen Studie wurde auf eine Testfläche chemischer Dünger, auf die andere Kuhdung aufgebracht. Die mit tierischem Dünger behandelte Fläche wies viel mehr resistente Keime auf, obwohl die Kühe nachweislich keine Antibiotika erhalten hatten. Sie waren aber mit konventionellem Futter gefüttert worden. Und die Rückstände von Glyphosat im Tierfutter sind massiv – die Grenzwerte wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder angehoben. Dadurch verändert sich die Darmflora der Kühe und ihre Ausscheidungen sind vermutlich auch deshalb sehr stark mit resistenten Keimen belastet.

Resistente Erreger in der Umwelt durch Glyphosat?Spritztraktor VladimirGerasimov iStock 1204049486 klein

Ja, und meiner Meinung nach darf man nicht allein Tierhalter und Kliniken für hohe Antibiotika-Einträge in die Umwelt und die Entstehung resistenter Keime verantwortlich machen. Schuld an der Resistenz-Entwicklung ist auch die Tatsache, dass mit behördlicher Genehmigung flächendeckend und in großen Mengen Glyphosat eingesetzt wird. In den USA wird pro ha Ackerfläche und Jahr 1 kg Glyphosat ausgebracht. In Deutschland sind es 0,5 kg. Von den deutschen Behörden werden die Risiken jedoch konsequent heruntergespielt und wissenschaftliche Studien ignoriert.

Zum Beispiel?

Ariena van Bruggen hat 2015 an der University of Florida Antibiotikaresistenzen in Zitrusplantagen untersucht. Die Amerikaner wollten wissen, ob sie Antibiotika gegen
ein neues Pathogen bei Zitrus einsetzen können, das die Ernten bedroht. Dazu mussten sie wissen, ob bereits Resistenzen gegen dieses Antibiotikum (Penicillin) vorhanden waren, denn dann wäre der Einsatz nicht zielführend.

Bei ihren Untersuchungen war meine Kollegin dann schockiert, extrem hohe Antibiotika-Resistenzen im Boden vorzufinden, da in dieser Gegend keinerlei tierische Dünger verwendet werden, die als Haupteintragsquelle von antibiotikaresistenten Keimen in Böden gelten. Leipziger Forscher um Prof. Dr. Monika Krüger hatten bereits erhöhte Kreuzresistenzen bei Glyphosat beobachtet. Frau von Bruggen hat deshalb die Organismen, die unempfindlich gegenüber Antibiotika waren, auf eine mögliche Glyphosat-Resistenz getestet. Dabei stieß sie auf hohe Raten an Kreuzresistenzen: Mikroorganismen, die gegen Glyphosat resistent waren, waren viel häufiger auch gegen Penizillin resistent als man per Zufall erwarten würde, also entstehen auch hier Kreuzresistenzen.

Wo überall finden sich Glyphosat-Rückstände?

Im Rahmen eines EU-Projekts wurden Bodenproben aus ganz Europa untersucht. Glyphosat fand sich überall im Boden, im Wasser und auch in Aerosolen. Besonders viele Rückstände findet man in genmanipulierten Pflanzen wie Soja und Getreide, weil diese Pflanzen direkt mit Glyphosat behandelt werden, nicht nur der Boden, auf dem sie wachsen. Futtergetreide und Stroh sind also Eintrittspfade für Glyphosat. Weil in Deutschland gentechnisch veränderte Pflanzen verboten sind, sind die Rückstände hier bei uns allerdings geringer als anderswo.

Ist das auch im globalen Süden ein Problem?

Ein massives. Überall wo es industrielle Landwirtschaft gibt, wird das Totalherbizid Glyphosat eingesetzt. Es wird im Mais- und Soja-Anbau ebenso verwendet wie in Obstplantagen, Kaffee-, Baumwoll- oder Zuckerrohr-Plantagen. Aus Indien und vor allem Mittelamerika gibt es grauenhafte Beispiele, dass die Erntearbeiter reihenweise an Nierenversagen sterben. Dies wird in Zusammenhang damit gebracht, dass Zuckerrohr vor der Ernte totgespritzt wird, um den Zuckergehalt zu erhöhen. Dann wird es aber noch abgebrannt, um die messerscharfen Blätter zu zerstören, die oft zu Verletzungen bei der Ernte führen. Dadurch entstehen giftige Dämpfe, die eingeatmet werden.

Können Landwirte ohne Glyphosat aus­kommen?

Natürlich, z.B. durch mechanische Bodenbearbeitung. Oder durch eine anständige Fruchtfolge, also den Wechsel zwischen Kulturen, können die Beikräuter reduziert werden. Dies kann noch durch Zwischenfruchtanbau unterstützt werden, der zusätzlich helfen kann, Stickstoff zu binden bzw. Überschüsse aus dem Boden aufzunehmen. Doch inzwischen ist ein Großteil der landwirtschaftlichen Systeme darauf ausgerichtet, mit Glyphosat zu arbeiten. Das zu ändern, ist nicht ohne. Das Problem sind z.B. die höheren Kosten. Um hier gegenzusteuern, müsste man dahin kommen, auch die Umweltkosten in den Preis der umweltschädlichen Produkte und damit indirekt auch in den Endproduktpreis einzurechnen.

Das Interview führte Claudia Jenkes

Glyphosat ist das weltweit am häufigsten eingesetzte Herbizid. Der Wirkstoff ist in vielen Pflanzenschutzmitteln enthalten und vor allem bekannt unter dem Markennamen Roundup. Auf Glyphosat basierende Formulierungen (Produkte, die Glyphosat und weitere chemische Stoffe enthalten) werden in der Landwirtschaft und im Gartenbau vor allem zur Bekämpfung von Unkräutern verwendet. Die Ausbringung von Glyphosat erfolgt in der Regel vor der Aussaat, um den Acker von Unkraut zu befreien, aber auch zur Trocknung vor der Ernte, was die Pflanzen schneller und gleichmäßiger reifen lässt, in Deutschland aber verboten ist. In den USA und vielen anderen Ländern der Welt sind gentechnisch veränderte Nutzpflanzen wie Getreide, Soja oder Mais auf dem Markt, die das Gift vertragen. In Deutschland sind diese genmanipulierten Pflanzen verboten. Der Unkrautvernichter wird trotzdem breit angewendet, um Kosten für die intensive Bearbeitung der Böden zu sparen. Ende 2017 hatte die EU-Kommission die Zulassung von Glyphosat um weitere fünf Jahre verlängert – trotz weitreichender gesundheitlicher Bedenken. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das Mittel als wahrscheinlich krebserregend eingestuft.

Artikel aus Pharma-Brief 8-9/2020, S. 12

Bild Prof. Dr. Maria R. Finckh © Natalia Riemer
Bild Feld © Vladimir Gerasimov/iStock

[1] Van Bruggen A et al. (2018) Environmental and health effects of the herbicide glyphosate. Science of The Total Environment; 616–617, March, p 255 https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2017.10.309