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Interview mit Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser

Schwarzkopf SteinhauserDr. med. Dipl.-Ing. Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser ist Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie. Bis 2019 war er leitender Arzt der Stabsstelle Klinikhygiene an den städtischen Krankenhäusern in München. Derzeit ist er u.a. an einem Projekt des Robert-Koch Instituts zur Resistenzüberwachung in Nigeria beteiligt.

Können bakterielle Erkrankungen in Deutschland in naher Zukunft nicht mehr erfolgreich behandelt werden?

Derzeit muss man sich grundsätzlich keine Sorgen machen, weil bei normalen bakteriellen Erkrankungen im ambulanten Bereich multiresistente Erreger eher selten sind. In der Klinik kann es jedoch durch die dort häufig notwendigen Antibiotikatherapien zur Selektion von multiresistenten Erregern (MRE) kommen. Wenn diese wegen Hygienedefiziten auf andere empfängliche Patienten übertragen werden, sind möglicherweise einzelne Erkrankungen nicht mehr behandelbar. In Krankenhäusern gibt es immer wieder Ausbruchsituationen, dass ein multiresistenter Erreger auf einer Station auf mehrere PatientInnen übertragen wird.

Warum passiert das?

Wesentliche Ursachen dafür sind: Die räumlichen Voraussetzungen, um Übertragungen zu verhindern, sind nicht vorhanden, und zweitens ist die personelle Ausstattung nicht ausreichend, um alle Hygienemaßnahmen einhalten zu können. Eine gute Personalausstattung muss in den Kliniken also gewährleistet werden.

Sind resistente Erreger denn häufig in Deutschland und wann werden sie zum Problem?

Nahrungsmittel können ein Problem sein, besonders Hühnchen-, Puten- und auch Schweinefleisch. Bei Hühnchenfleisch findet man nach verschiedenen Untersuchungen auf bis zu 40% der Proben multirestente Erreger, sowohl Kolibakterien als auch Staphylokokken. Und die können in der Küche, wenn man bei der Zubereitung des Essens nicht gut aufpasst, in den Darm gelangen. Diese Erreger verursachen erstmal keine Infektionen, sie kolonisieren den Darm aber für eine bestimmte Zeit. Wird man aber aus irgendeinem Grund krank, bekommt zum Beispiel einen Harnwegsinfekt, dann können diese multirestenten Erreger selektiert und zum Problem bei einer Infektion werden, die eine Antibiotikatherapie erforderlich macht.

Was bedeutet das genau?

Selektion bedeutet, dass die resistenten Erreger übrig bleiben, wenn man ein Antibiotikum einnimmt. Alle empfindlichen Erreger im Mikrobiom – wir haben ja viele Bakterien im Darm und auf der Haut – werden durch das Antibiotikum abgetötet. Nur die resistenten Erreger finden ideale Bedingungen, sich zu vermehren. Obwohl diese Erreger primär mit der aktuellen Infektion nichts zu tun hatten, können sie die Ursache für die nächste Erkrankung sein.

Um dieses Problem zu erkennen, braucht man ausreichend mikrobiologische Diagnostik, damit die resistenten Erreger nachgewiesen werden können. Dann kann man diese gezielt behandeln. Erst wenn die Panresistenz auftritt, also kein Antibiotika mehr hilft, gibt es keine Behandlungsmöglichkeiten mehr. Das gibt es in Einzelfällen in der Tat schon heute.

Fördert Verschreibungspraxis Resistenzen?

Natürlich. Jede Einnahme von Antibiotika trägt dazu bei, dass resistente Erreger selektiert werden. Und jetzt kommt noch ein ganz wichtiger Punkt dazu: Wenn resistente Bakterien vorhanden sind, dann gibt es Resistenzgene, sogenannte R-Plasmide, die auch auf andere Bakterienstämme übertragbar sind. Dann wirkt dasselbe Antibiotikum auch gegen diese anderen Bakterienstämme nicht mehr, wenn sie zu einer Infektion führen.

Das heißt, ganz andere Bakterien „lernen“ von der Resistenz und können sich besser gegen Antibiotika wehren?

Genau, die Bakterien lernen, Antibiotika zu überleben, sie können fremde Resistenzgene aufnehmen.

Gibt es bestimmte Berufsgruppen, die häufig resistente Erreger tragen?Health E Bakteriennachweis

Ja, beispielsweise Beschäftigte in Tiermastbetrieben, wo viele Antibiotika eingesetzt werden. Wo also nicht ein einzelnes Tier behandelt wird, sondern ganze Herden, besonders Hühnchen, Schweine, Puten. Das sind so die typischen Mastbetriebe und da ist bekannt, dass die Arbeiter dort häufiger mit diesen multiresistenten Erregern kolonisiert sind. Das führt in der Regel nicht zu Erkrankungen, sondern es passiert erst etwas, wenn sie eine klassische Infektion bekommen. Harnwegsinfektionen sind dabei am häufigsten. Oder weil sie wegen anderer Erkrankungen intensivmedizinisch behandelt werden müssen oder eine Krebserkrankung haben. Wenn sie eine Infektion bekommen, ist diese Berufsgruppe schwieriger zu behandeln. Dann braucht man eine schnellen mikrobiologischen Keimnachweis. Weil man sonst nicht weiß, welche Antibiotika noch wirken.

Wir leben in einer sehr vernetzten Welt. Spielt es eine Rolle, dass TouristInnen und Geschäftsleute durch Reisen Resistenzen einschleppen?

Es gibt Daten, die zeigen, dass zum Beispiel in einem Land wie Indien, wo in der Umwelt wesentlich mehr resistente Bakterien vorhanden sind, über Nahrungsmittel resistente Bakterien aufgenommen werden. Wenn man jemanden untersucht, der zum Beispiel vier Wochen in Indien war, findet man zu 30-40% resistente Erreger. Das macht zuerst einmal gar nichts. Wenn die Person aber danach eine Infektion bekommt, dann kann das durchaus problematisch werden.

Der zweite Punkt, der eine Rolle spielt: Wenn man in einem Land wie Türkei, Griechenland oder Indien zum Beispiel wegen einem Herzinfarkt oder einem Unfall auf eine Intensivstation eingeliefert wird, dann wird dort fast immer mit Antibiotika therapiert und die PatientInnen werden mit multiresistenten Erregern kolonisiert. Und bringen diese nach Deutschland zurück.

Können denn Leute, die gesund sind, aber diese Keime in sich tragen, andere anstecken?

Im Normalfall ist das eher unwahrscheinlich, nur wenn sie diese Erreger in größerer Menge ausscheiden. Und dann braucht man auch immer noch einen Empfänger dazu, der eine geschwächte Immunabwehr hat, dessen Mikrobiom z.B. auf Grund einer Antibiotikatherapie zerstört ist. Deshalb ist eine solche Übertragung eher im Krankenhaus möglich und nicht im normalen Alltag.

Was können ÄrztInnen tun, um das Problem zu verringern?

Als allererstes ist die Indikation für eine Therapie mit Antibiotika ganz klar zu stellen, das heißt, nur bei klassischen bakteriellen Infektionen überhaupt ein Antibiotikum zu verordnen. Wir wissen, dass in Deutschland 40-50% der Verordnungen in Arztpraxen nicht notwendig sind. Und das trägt alles zur Selektion von resistenten Erregern bei. Deshalb ist es zwingend erforderlich, in diesem Bereich noch mehr Fortbildungen zu machen.

Was können wir von anderen Ländern lernen?

In Schweden kann ein Großteil der Antibiotika nur verordnet werden, wenn zusätzlich ein Fachexperte die Indikation bestätigt. Das trägt dazu bei, den unnötigen Einsatz zu reduzieren.

Was können PatientInnen beitragen?

Viele glauben ja, dass wenn sie eine Infektion haben, Antibiotika ein Wundermittel sind. Sie wissen meist nicht, dass ein Großteil der Infektionen viral bedingt ist. Das heißt, wenn sie zu einem Arzt gehen, dann muss im Gespräch klargestellt werden, ob überhaupt ein Antibiotikum angezeigt ist. Es gibt viele Möglichkeiten, es besser zu machen: Wenn der Verdacht einer bakteriellen Infektion besteht, erst einmal mit Tests feststellen, ob das wirklich stimmt. Oder der Arzt bespricht mit der Patientin, erst einmal abzuwarten, ob bestimmte Symptome wie zum Beispiel Fieber und Halsschmerzen nicht weggehen. Nur wenn die Symptome bleiben, soll das Rezept eingelöst werden. So kann man rund 30% des Antibiotikaeinsatzes vermeiden.

Es gibt ja seit einigen Jahren in Deutschland die sogenannte DART-Strategie gegen Antibiotikaresistenzen. Reichen die Maßnahmen aus und vor allem werden sie auch umgesetzt?

DART soll helfen, den Antibiotikagebrauch besser zu steuern. Dazu gibt es eine gesetzliche Grundlage, das ist das Infektionsschutzgesetz. Nach § 23 ist festgelegt, dass der Antibiotikaverbrauch nachvollziehbar gemacht werden muss, und dass in ausgewählten Bereichen die Resistenzsituation dokumentiert wird und diese Informationen zusammengebracht werden. Die Hilfsmittel sind alle da, aber in der Umsetzung gibt es noch Nachholbedarf. „Antibiotic Stewardship“ muss daher dringend in allen Kliniken und auch im ambulanten Bereich in Deutschland etabliert werden.

Das Interview führte Jörg Schaaber

Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2020, S.2

Bild Schwarzkopf-Steinhauser © Jörg Schaaber
Bild Bakteriennachweis © Health-e