Beobachtungen zum 1. Welt-Chagas-Tag
Das Jahr 2020 soll der globalen Bekämpfung vernachlässigter Tropenkrankheiten (NTDs) Schub verleihen. Betrachtet man exemplarisch die Entwicklungen bei der Chagas-Bekämpfung, werden jedoch schnell Hindernisse für einen Durchbruch deutlich.
Am 14. April wurde das erste Mal offiziell der Welt-Chagas-Tag begangen.[1] Der Widerhall in der deutschen Presse fiel äußerst gering aus. Dabei offenbart der Blick auf Chagas viele Probleme der Bekämpfung vernachlässigter Tropenkrankheiten (NTDs).
Die Krankheit ist nach ihrem brasilianischen Entdecker, Carlos Ribeiro Justiniano Chagas benannt und wird durch einen Parasiten verursacht. Trypanosoma cruzi überträgt sich durch den Kot blutsaugender Raubwanzen. Wirte sind neben dem Menschen auch Wild- und Nutztiere. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass weltweit 6 bis 7 Millionen Menschen mit Chagas infiziert sind.[2]
Ein bis zwei Wochen nach der Infektion können – meist milde – unspezifische Symptome auftreten, die aber nach vier bis acht Wochen verschwinden. Oft bleibt die Erkrankung auch unbemerkt. Die Latenzphase kann anschließend Jahre andauern. Unbehandelt kann Chagas Herzprobleme verursachen oder Speiseröhre und Dickdarm schädigen – nicht selten mit tödlichen Folgen. Menschen mit geschwächtem Immunsystem, wie HIV-positive Personen, sind besonders gefährdet.
Alte Mittel, schlechter Zugang
Zur Behandlung von Chagas stehen mit Benznidazol und Nifurtimox lediglich zwei Präparate zur Verfügung. Sie sind nur gut wirksam, wenn sie kurz nach einer Infektion verabreicht. Ältere erleiden deutlich häufiger teils schwere Nebenwirkungen. Schwangere dürfen die Präparate gar nicht einnehmen. Hier gibt es eine Behandlungslücke, da eine Mutter-Kind-Übertragung möglich ist. Allein in Argentinien gibt es trotz Testpflicht rund 1.500 Infektionen bei Neugeborenen pro Jahr.[3] Ein Impfstoff existiert nicht.
Die Forschungspipeline ergibt ein gemischtes Bild. Wie der G-Finder für 2019 beschreibt, ist die Entwicklung neuer Diagnostika relativ weit fortgeschritten. Schnelltests sind bereits verfügbar. Impfstoffkandidaten stecken noch in der prä-klinischen Phase.[4] Eine Vielzahl von Studien versucht sich daher an dem „Repurposing“ von Wirkstoffen, die bislang gegen andere Erkrankungen verwendet werden.[5] Mangelnder Zugang zu Behandlung bleibt eine dramatisch hohe Hürde für Betroffene. Die WHO geht davon aus, dass nicht einmal ein Prozent der Menschen mit Chagas eine Therapie erhalten.[6]
Soziale Faktoren elementar
Zur Vorbeugung wird seit Langem auf Vektorkontrolle gesetzt, vor allem auf die Anwendung von Insektiziden in Häusern und der Umgebung, sowie die Ausgabe von Netzen. Auch bauliche Veränderungen sind wichtig, um die Wanzenpopulationen zu reduzieren und ihnen keine Verstecke zu bieten. Erfolge in der Prävention werden jedoch immer wieder von Rückschlägen bedroht. So scheint der Kollaps von Versorgungsstrukturen in Venezuela auch die Verbreitung von Chagas wieder zu befeuern.[7]
Bei der Bekämpfung der Erkrankung spielen soziale Determinanten eine elementare Rolle. Sie sei „vor allem assoziiert mit armen, ländlichen und marginalisierten Populationen“ und „charakterisiert durch Armut und Exklusion“, so die WHO.[8]
Armut und Ausgrenzung als Triebkräfte
Der Gran Chaco ist ein Hotspot für Chagas. Auch andere armutsbedinge Erkrankungen sind dort häufig, beispielsweise Wurmerkrankungen und Tuberkulose. Geringes Einkommen, schlechter Zugang zu Gesundheitsversorgung und adäquater Hygiene, prekäres Wohnen und Nähe von Mensch und Tieren bieten Chagas vorteilhafte Bedingungen.[9] Dabei spielt auch die Marginalisierung indigener Gruppierungen eine wichtige Rolle. So hält sich die Krankheit trotz intensiver regionaler Bekämpfungsmaßnahmen seit den 1990er Jahren hartnäckig.
Globalisiertes Problem
Lange galt Chagas gar als reines lateinamerikanisches Phänomen. Globaler Handel und Tourismus haben die Erkrankung jedoch in andere Ecken der Welt exportiert. Auch Urbanisierung spielt dabei eine Rolle. Die Hauptübertragungswege sind außerhalb von Süd- und Zentralamerika jedoch andere. In den USA gibt es beispielsweise trotz geographischer Nähe zu Mexiko nur wenige Fälle direkter Infektionen durch Raubwanzen. An ihre Stelle treten kontaminierte Lebensmittel, Mutter-Kind-Übertragungen oder Infektionen via Blutkonserven. Das Screening von Bluttransfusionen auf den Erreger ist daher mittlerweile auch in vielen europäischen Ländern üblich.
Trotz anderer Übertragungswege wiederholt sich auch im globalen Norden das gleiche Muster: Die meisten Chagas-PatientInnen kommen aus ärmeren Bevölkerungsteilen. Und wie viele Armutskrankheiten, ist Chagas mit Stigma behaftet.[10]
Wandel oder Wohltätigkeit
Neben Chagas finden sich auf der WHO-Liste vernachlässigter Tropenkrankheiten 19 weitere NTDs. Ende Juni richtet die ruandische Regierung den „Kigali Summit on Malaria and Neglected Tropical Diseases“ aus. Dabei wird auch auf die „London Declaration on Neglected Tropical Diseases“ von 2012 Bezug genommen. In dieser Erklärung hatten sich vor acht Jahren vor allem zahlreiche Größen der Pharma-Branche und Stiftungslandschaft für mehr Engagement gegen NTDs ausgesprochen und 2020 als Ziellinie für Fortschritte gesetzt.[11]
Die London Declaration zeigt ein Kernproblem der globalen NTD-Bekämpfung auf, denn es ist fraglich, wieviel dieses Private-Public-Partnership zu Verbesserungen beigetragen hat. Ein Pfeiler war etwa die massive Ausweitung von Medikamentenschenkungen durch die Industrie. Doch milde Gaben von Pharma-Seite sind keine Lösung, zumal wenn die strukturellen Triebkräfte der Vernachlässigung von Menschen und ihrer Gesundheitsbedürfnisse nicht angegangen werden. Daran wiederum sind viele globale Akteure trotz anderslautender Beteuerungen nicht wirklich interessiert.
In Kigali wird die WHO auch ihre 2030 NTD Road Map vorstellen und versuchen, Ressourcen zu mobilisieren. Der Summit selbst wird dafür wohl eine Erklärung produzieren, die auf die „London Declaration“ aufbaut.[12] Ob dieses finale Dokument des Treffens in Ruanda progressivere Maßnahmen beinhalten oder doch eher „alten Wein in neuen Schläuchen“ darstellen wird, bleibt abzuwarten. (MK)
Artikel aus dem Pharma-Brief 3-4/2020, S.6
Bild Raubwanze © Zezinho68
Bild Gran Chaco Wald © PeerV
[1] Im Mai 2019 hatte sich die 72. Weltgesundheitsversammlung dazu entschieden, den Tag offiziell zu begehen.
[2] WHO (2020) Factsheet Chagas disease (also known as American trypanosomiasis). www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/chagas-disease-(american-trypanosomiasis) [Zugriff 21.04.2020]
[3] Deutschlandfunk (2019) Vergessene Krankheit Chagas. Der Kampf gegen die Raubwanzen. www.deutschlandfunk.de/vergessene-krankheit-chagas-der-kampf-gegen-die-raubwanzen.676.de.html?dram:article_id=474547 [Zugriff 21.04.2020]
[4] Policy Cures Research (2020) G-Finder 2019. https://s3-ap-southeast-2.amazonaws.com/policy-cures-website-assets/app/uploads/2020/02/11150341/G-Finder2019.pdf [Zugriff 21.04.2020]
[5] Ribeiro V et al. (2020) Current trends in the pharmacological management of Chagas disease. IJP: Drugs and Drug Resistance; 12, p 7
[6] WHO (2020) www.who.int/news-room/feature-stories/detail/she-is-one-of-39-000 [Zugriff 21.04.2020]
[7] Grillet M et al. (2019) Venezuela’s humanitarian crisis, resurgence of vector-borne diseases, and impli-cations for spillover in the region. LANCET Infectious Diseases; 19; p 149
[8] WHO (2020) www.who.int/news-room/detail/14-04-2020-world-chagas-disease-day-bringing-a-forgotten-disease-to-the-fore-of-global-attention
[9] Fernández M et al. (2019) Inequalities in the social determinants of health and Chagas disease transmission risk in indigenous and creole households in the Argentine Chaco. Parasite Vectors; https://doi.org/10.1016/j.meegid.2019.104062
[10] Petherick A (2010) Chagas disease in the Chaco. Nature 465; S18 https://doi.org/10.1038
[11] WHO (2012) London Declaration on Neglected Tropical Diseases. https://www.who.int/neglected_diseases/London_Declaration_NTDs.pdf [Zugriff 21.04.2020]
[12] Uniting to Combat NTDs (2020) Rwanda to host first-ever Global Summit on Malaria and Neglected Tropical Diseases. https://unitingtocombatntds.org/news/rwanda-to-host-first-ever-global-summit-on-malaria-and-neglected-tropical-diseases/ [Zugriff 29.04.2020]