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Neue Forschung zu Antiseren

Schlangenbisse sind ein weit verbreitetes aber vernachlässigtes Problem. Gegengifte sind oft nicht verfügbar, zu teuer oder ungeeignet. Einige positive Impulse kamen zuletzt von der WHO und aus der Forschung.

2020, das chinesische Jahr der Ratte, begann ausgerechnet mit Neuigkeiten aus der Welt der Schlangen. Ein internationales Forscherteam vermeldete Anfang Januar, das vollständige Genom der Asiatischen Kobra (Abbildung) entschlüsselt zu haben.[1] Ihr Fokus galt dabei der Giftproduktion des Tieres, die eine besondere Relevanz hat: Die Kobra gehört zu den sogenannten „Big Four“, die vier Giftschlangen, auf die nach Schätzungen die meisten Bisse in Indien entfallen.

Vergiftungen durch Schlangenbisse, ein uraltes Problem, haben global erst in jüngster Zeit größere Aufmerksamkeit erhalten. Noch 2013 hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Schlangenbisse von ihrer Liste vernachlässigter Tropenkrankheiten entfernt, 2017 kehrten sie darauf zurück.[2] Auch wegen des Einsatzes zivilgesellschaftlicher Akteure begann die WHO das Thema stärker zu bearbeiten. 2019 präsentierte sie dann eine ambitionierte Bekämpfungsstrategie mit dem Ziel, bis 2030 die Zahl von Todesfällen und Invalidität durch Schlangenbisse bis 2030 zu halbieren.[3] Im Vorfeld der Veröffentlichung kündigte zudem der Wellcome Trust ein Investment von über 100 Mio. US-Dollar für ein siebenjähriges Forschungsprogramm für bessere Antiseren an.[4]

Menschen und Tiere gefährdet

Weltweit gibt es mehrere hundert giftige Arten des Reptils. Schätzungen zufolge, werden täglich über 7.000 Menschen von Schlangen gebissen, pro Jahr sterben zwischen 81.000 und 138.000 am Gift.[5] Das Problem ist besonders in Afrika und Asien drängend, Indien ragt dabei hervor.

Es trifft zumeist die ärmsten Bevölkerungsteile, etwa Erwachsene bei der Ernte oder beim Fischen, sowie Kinder beim Spielen. Überleben sie, tragen sie häufig schwerwiegende Folgeverletzungen davon, da sie etwa erblinden oder Amputationen notwendig werden. Neben den sozialen Implikationen hat dies für viele Familien auch ökonomische Konsequenzen. Dies gilt umso mehr, bedenkt man gemäß des One Health-Ansatzes, dass auch Nutztiere häufig gebissen werden.[6] Im Übrigen gefährdet diese Situation auch die Schlangen selbst, da sie, wenn gesichtet, oft direkt getötet werden.

Marktversagen im Fokus

Verfügbarkeit, Bezahlbarkeit und Eignung von Antiseren, die im Falle einer Vergiftung Anwendung finden könnten, sind teils massiv eingeschränkt. Dies hat vielfältige Ursachen.

Eine Wurzel des Problems liegt im Marktversagen.[7] Zwar besteht ohne Zweifel umfangreicher Bedarf an Antiseren und einige Gifte werden beispielsweise auch seit Längerem getestet – allerdings in der Krebsforschung. Es mangelt an finanzierbaren Präparaten. Für die Pharma-Industrie sind die von Bissen Betroffenen als Kundenkreis nicht zahlungskräftig genug. Auch viele Länder scheuen vor den hohen Anschaffungskosten zurück, was für Firmen wiederum weniger Abnehmer bedeutet.[8]

So nehmen Produktionskapazitäten ab. Für Aufsehen sorgte 2015 das Ende der Herstellung des gut erprobten Fav-Afrique durch Sanofi. Import ist zudem teuer, Produktion vor Ort selten – die in Kenia eingesetzten Gegengifte etwa kommen aus Mexiko und Indien.[9]

Kobra ist nicht gleich KobraIndian Cobra Naja

Verschärfend zu den Preishürden und letztlich auch mit dem Marktversagen zusammenhängend, kommt die oftmals geringe (lokale) Eignung. Zum einen sind in vielen Ländern Produkte auf den Markt gelangt, die wenig getestet, teils sogar unnütz oder gefährlich sind. Ein Umstand, der auch Misstrauen in der Bevölkerung schürt. Zum anderen unterscheidet sich die Wirkweise von Giften nicht nur zwischen Schlangenarten in verschiedenen Regionen, sondern mitunter auch national und teils sogar zwischen einzelnen Exemplaren derselben Art. Eine 2019 veröffentlichte Studie zeigte, dass in Indien, Heimat von über 60 verschiedenen Giftschlangenarten, routinemäßig ein auf die „Big Four“ zugeschnittenes Gegengift verwendet wird, obwohl es für viele andere Arten ungeeignet ist.[10] Umso größer kann der Effekt öffentlicher Forschungsförderung sein, entsprechende Projekte sind weltweit zu finden.

Hier setzt die Arbeit der eingangs genannten Genom-Analyse an. So besteht die Hoffnung, dass durch mehr solcher Mappings der an der Giftherstellung beteiligten Gene und Prozesse auf lange Sicht die Herstellung zielgerichteter, synthetischer Antiseren befördert wird. Diese könnten im besten Falle sogar als „Breiband-Antivenom“ gegen mehrere Arten wirken und günstiger sein.[11] Voraussichtlich ließen sich auf diesem Wege zusätzlich die Risiken allergischer Reaktionen vermindern. Sie entstehen bei PatientInnen infolge der seit über hundert Jahren genutzte Technik, Antikörper aus immunisierten Tieren zu gewinnen.

Communities einbeziehen

Abseits der medizinischen Lösungen und der Verfügbarkeit von Antiseren selbst, bedarf es für die Zukunft auch Bemühungen, die Infrastruktur zu verbessern. Bessere Basisversorgung im Sinne von Universal Health Coverage und geschultes Gesundheitspersonal sollten dann begleitende Behandlung ermöglichen, beispielsweise wenn infolge später Diagnose eine Operation unausweichlich wird. Auch Aufklärung ist vonnöten, sie muss breit ansetzen. Prävention ist ein Aspekt, etwa das Tragen von Schuhen oder die Bekämpfung von Nagetieren in Siedlungen. Auch das Bestimmen von Schlangenarten und das richtige Reagieren auf Bisse ist wichtig. Letztgenanntes vor allem zur Vermeidung nicht intendierter Selbstverletzungen und möglicher negativer Auswirkungen von traditioneller Medizin. Der Einbezug von Communities ist elementar, um Mitbestimmung zu gewähren, aber auch um lokales Wissen zu nutzen und eine bessere Datenlage zu schaffen.

Die Zeit für adäquate Lösungen drängt. Vieles spricht dafür, dass sich das Problem in zahlreichen betroffenen Gegenden in Zukunft verschärfen wird. Bevölkerungswachstum, das weitere Eindringen in natürliche Habitate der Reptilien mit Abholzung, Siedlungsbau und intensivierte Landwirtschaft sind dabei wichtige Aspekte. Auch Klimaveränderungen können sich negativ auswirken, im globalen Süden, wie auch im Norden. So haben Urbanisierung und erhöhter Regenfall auch in US-Bundesstaaten wie Georgia und Texas die Fallzahlen bei Schlangenbissen zuletzt nach oben getrieben.[12]  (MK)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 1/2020, S.4

Bild © Dr. Raju Kasambe

[1] Zwar war bereits 2013 ähnliches für die Königskobra gelungen, allerdings weniger detailliert.

[2] Chippaux J-P (2017) Snakebite envenomation turns again into a neglected tropical disease! Journal of Venomous Animals and Toxins including Tropical Diseases; 23, p 38

[3] WHO (2019) Snakebite envenoming: a strategy for prevention and control. www.who.int/snakebites/resources/9789241515641/en/ [Zugriff 20.01.2020]

[4] Schiermeier Q (2019) Snakebite crisis gets US$100-million boost for better antivenoms. Nature news 16 May https://doi.org/10.1038/d41586-019-01557-0 [Zugriff 20.01.2020]

[5] Minghui R et al. (2019) WHO’s Snakebite Envenoming Strategy for prevention and control. Lancet Global Health; 7, p e837 http://dx.doi.org/10.1016/S2214-109X(19)30225-6

[6] Bolon I et al. (2019) Snakebite in domestic animals: First global scoping review. Preventive Veterinary Medicine; 170, 104729 https://doi.org/10.1016/j.prevetmed.2019.104729

[7] Habib AG and Brown NI (2018) The snakebite problem and antivenom crisis from a health-economic perspective. Toxicon; 150, p 115 https://doi.org/10.1016/j.toxicon.2018.05.009

[8] MSF (2019) Antivenom, not frogs, needed to cure snakebite. www.msf.org/antivenom-not-frogs-needed-cure-snakebite-south-sudan [Zugriff 20.01.2020]

[9] Reuters (2019) Kenyan team aim to fight fatal snakebite. www.reuters.com/article/us-kenya-snakes/kenyan-team-aim-to-stop-fatal-snake-bites-idUSKBN1X813Y [Zugriff 20.01.2020]

[10] Senji Laxme RR et al. (2019) Beyond the ‘big four’: Venom profiling of the medically important yet neglected Indian snakes reveals disturbing antivenom deficiencies. PLoS Negl Trop Dis; 13, p e0007899 https://doi.org/10.1371/journal.pntd.0007899

[11] Willems W (2019) Todbringende Gene. Süddeutsche Zeitung 13. Januar www.sueddeutsche.de/wissen/schlangen-todbringende-gene-1.4754644 [Zugriff 20.01.2020]

[12] Bauerlein V (2019) Snakebites Hit Record Highs in Southern States as Suburbs Expand. Wall Street Journal, 5 Aug. www.wsj.com/articles/snakebites-hit-record-highs-in-southern-states-as-suburbs-expand-11565006405 [Zugriff 20.01.2020]