Rückblick auf unsere ABR-Fachkonferenz
Der massive Verbrauch von Antibiotika fördert Resistenzen (ABR) und hat dramatische Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt. Alle drei Bereiche sind eng verknüpft. Daher ist entschlossenes Handeln gefragt, aber auch eine kohärente Politik. Eine zweitägige internationale Fachkonferenz der BUKO Pharma-Kampagne analysierte die gegenwärtigen Problemfelder und zeigte mögliche Handlungsstrategien auf.
Rund 160 Fachleute aus 10 Ländern diskutierten am 30.4. und 1.5.2021 auf Einladung der BUKO Pharma-Kampagne bei einer Online-Konferenz die globale Resistenzproblematik im Bereich Mensch, Tier und Umwelt. Ziel der Tagung war es, den internationalen und interdisziplinären Austausch zum Thema zu fördern, Lösungsansätze zu kommunizieren und damit auch Akteure aus der Politik zu erreichen.
„One World – One Health“ lautete der Konferenz-Titel und der Name war Programm: Gemäß dem One Health-Ansatz der WHO sollten Antibiotika-Resistenzen sektorübergreifend und global betrachtet werden. Neben ÄrztInnen, PharmazeutInnen und GesundheitswissenschaftlerInnen waren auch Fachleute aus der Veterinärmedizin, der Landwirtschaft und aus dem Umweltbereich zugegen.
Impulsvorträge aus vier Ländern
Fachleute aus verschiedenen Teilen der Welt waren am ersten Konferenztag zugeschaltet und präsentierten in ihren Keynotes kritische Analysen der lokalen Problemlage sowie Best Practice-Beispiele. Dieser internationale Konferenzteil fand in englischer Sprache statt.
Gopal Dabade, Arzt und Vorstand des All India Drug Action Network, richtete zunächst den Blick auf Indien. Er erläuterte die Zusammenhänge von Armut und Antibiotika-Resistenzen am Beispiel von Tuberkulose. Schlechte medizinische Versorgung, unzureichende Labortechnik und fehlende soziale Sicherungssysteme seien entscheidende Treiber der Resistenzentwicklung. Denn sie begünstigen Fehlbehandlungen durch informelle ÄrztInnen oder HeilerInnen sowie vorzeitige Therapieabbrüche wegen Geldmangels, so Dabade. Auch schlechte Wohnverhältnisse – insbesondere in städtischen Slums – forcieren die Ansteckung und die Ausbreitung von multiresistenten Erregern. Eine grundlegende Verbesserung der Lebensverhältnisse und der Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung seien daher maßgeblich, um Resistenzen einzudämmen.
Andy Gray, Senior Lecturer für Pharmazie an der Universität KwaZulu-Natal in Durban, legte den Fokus auf den Antibiotika-Verbrauch in Südafrika. Hohe Verschreibungszahlen seien einerseits durch eine hohe HIV-Infektionsrate und damit einhergehenden bakteriellen Erkrankungen bedingt, andererseits Folge von Fehlverschreibung und -gebrauch. Als wirkungsvolle Maßnahme beschrieb er Südafrikas Antibiotic Stewardship Program, das in Krankenhäusern die Kommunikation zwischen MedizinerInnen, PharmazeutInnen und Pflegepersonal verbessert und damit rationale Therapieentscheidungen fördert.
Erick Venant, Pharmazeut und Gründer der Roll Back Antimicrobial Resistance Initiative in Tansania, berichtete ausführlich über Bildungsprojekte an Schulen und Social Media-Kampagnen als wirksames Instrument im Kampf gegen ABR. „Bildung ist der Schlüssel, um Antibiotika-Resistenzen effektiv zu bekämpfen“, so Venant.
Der Mikrobiologe und Infektions-Epidemiologe Dr. Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser präsentierte Daten zur Resistenzlage in Deutschland. Er monierte u.a. ein lückenhaftes Resistenz-Monitoring. Es gebe zwar eine Verpflichtung zur Erfassung von Resistenzen, jedoch keine Meldepflicht der Labore. Nur rund ein Viertel der Krankenhäuser und ein Bruchteil der Arztpraxen seien an das Meldesystem des Robert Koch Instituts (RKI) angeschlossen.
Forderungen an die Politik
Im Anschluss an die Impulsvorträge wurden die Konferenzgäste durch eine Online-Ausstellung der BUKO Pharma-Kampagne zu Antibiotika-Resistenzen geführt. In drei Breakout-Räumen unternahmen sie eine virtuelle Reise durch die Themenbereiche Mensch, Tier und Umwelt. Kurzfilme und ReferentInnen aus verschiedenen Ländern lieferten jeweils Impulse für die Diskussion. Abschließend wurden in den Kleingruppen Ziele und Handlungsempfehlungen erarbeitet. Deutlich wurde dabei, dass beim Thema Antibiotika-Resistenzen bisher vor allem die Humanmedizin im Fokus steht, zunehmend auch die Tiermedizin. Das System Landwirtschaft mit seiner Massentierhaltung und erst recht die Umwelt werden jedoch weitgehend ignoriert und kommen in Aktionsplänen kaum vor. Das untergräbt nicht nur den One Health-Ansatz, es verzögert auch effektives und kohärentes Handeln.
Die in den Workshops aufgestellten politischen Forderungen flossen am nächsten Morgen in eine Podiumsdiskussion ein. Hier diskutierten drei Abgeordnete aus dem NRW Landtag – allesamt SprecherInnen ihrer Partei in Sachen Verbraucherschutz und Landwirtschaft – mit Bernhard Burdick von der Verbraucherzentrale NRW und dem Journalisten Christian Baars vom NDR, dessen Arbeitsschwerpunkt auf Gesundheitsthemen und Antibiotika-Resistenzen liegt. Die äußerst lebhafte Debatte thematisierte vor allem Landwirtschaft, Tierhaltung und Verbraucherschutz. Zur Sprache kamen etwa Dumpingpreise bei Fleischwaren, inakzeptable Haltungsbedingungen bei der Mast, fehlende Transparenz für VerbraucherInnen, Fragen des Gewässerschutzes sowie notwendige Systemveränderungen. Dass hier heiße Eisen angepackt werden müssen, zeigte sich auch im Chatverlauf sehr deutlich: Das Publikum lieferte zahlreiche Kommentare und Diskussionsbeiträge, die durch einen Anwalt des Publikums eingebracht wurden.
ABR – die globale Pandemie
Der zweite Konferenzteil lenkte den Blick stärker auf Deutschland. Er fand in deutscher Sprache statt und begann mit einem Impulsvortrag von Dr. Tim Eckmanns, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin und Leiter des Fachgebiets Nosokomiale Infektionen, Surveillance von Antibiotikaresistenz und -verbrauch am Robert Koch-Institut. Eckmanns erläuterte, welche Herausforderungen es in Deutschland und weltweit zu bewältigen gilt. Dabei verglich er die globale Ausbreitung von Antibiotika-Resistenzen mit der aktuellen Covid-19-Pandemie. Auch bei ABR seien alle Voraussetzungen einer Pandemie erfüllt: Resistente Erreger werden jeweils in unterschiedlicher Häufigkeit in den einzelnen Ländern übertragen, betroffene PatientInnen können schwer erkranken oder sterben und die Infektionserreger werden durch Reisen sowie internationalen Handel weltweit verbreitet. Deutschland habe diese Problematik erkannt und mit dem Infektionsschutzgesetz entsprechende Maßnahmen ergriffen. Aber es gelte, auch weltweit Verantwortung zu zeigen und beim Thema ABR stärker global zu agieren.
Im Fokus: Mensch
Im Folgenden gab es jeweils einen Fokus-Teil zum Bereich Mensch, Tier und Umwelt. ExpertInnen aus Human- und Tiermedizin, Gesundheitswissenschaften und Agrarwissenschaften stellten ihre Analysen und wissenschaftlichen Untersuchungen vor. Verschiedene Hotspots der Resistenzentwicklung wurden dabei unter die Lupe genommen. Jeder Fokus-Teil startete mit einer kurzen Theaterszene – Aufzeichnungen einer Aufführung der Straßentheatergruppe Schluck & weg aus dem vergangenen Jahr.
Im Fokus-Teil Mensch thematisierte der Kinderarzt Roland Tillmann die viel zu häufigen Antibiotika-Verschreibungen in Arztpraxen. Er berichtete über das Bielefelder Modellprojekt AnTiB, das durch die interaktive Entwicklung von Leitlinien auf lokaler Ebene die Verschreibungskultur nachhaltig verändert hat.
Jens Holst, Professor für Medizin mit Schwerpunkt Global Health am Fachbereich Pflege- und Gesundheit der Hochschule Fulda betrachtete Antibiotika-Resistenzen als systemische Herausforderung. Mit Medizintechnologie und Medikamenten allein wird man das Problem nicht in den Griff bekommen, so Holst. Notwendig sei „eine angemessene Beachtung aller gesundheitsrelevanten Politik- und Lebensbereiche wie Bildung, Arbeit, Wohnen, Ernährung, Verkehr, Umwelt, Sicherheit, Familie oder Freizeit“.
Im Fokus: Tier
Im Fokus-Teil Tier präsentierte Dr. Julia Steinhoff-Wagner die Ergebnisse einer Studie, die sie an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn durchgeführt hat. Die Agrarwissenschaftlerin schilderte nicht nur eingehend die Problemlage im Bereich Nutztierhaltung. Sie stellte auch effektive Maßnahmen im Tiergesundheits-Management vor, um den Antibiotika-Einsatz in der Tierproduktion wirksam zu reduzieren. So hätten Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen, eine veränderte Fütterung, aber auch geringere Tierdichte und kleinere Gruppen aus Sicht der Wissenschaft zwar positive Auswirkungen auf die Tiergesundheit. Aus Sicht der Veterinärämter würden diese Maßnahmen jedoch negativ bewertet – vor allem, weil es schwierig ist, eindeutige Nachweise für den Nutzen der Maßnahmen zu erbringen. Die Erhebung umfassender Daten ist für die Betriebe kaum praktikabel. Eine überbetriebliche Auswertung von Daten zum Gesundheits-Monitoring und Beratung der LandwirtInnen könne hier einen deutlichen
Mehrwert bieten. Letztlich müssten sich Nachhaltigkeitsinvestitionen und speziell Tierbeobachtungsleistungen für die LandwirtInnen aber auch lohnen.
Stig Tanzmann, Agrarexperte bei Brot für die Welt, skizzierte die aktuellen Problemfelder in den Bereichen Lebensmittelproduktion, Ernährung und globaler Handel. Er belegte mit aktuellen Zahlen, dass die deutsche Landwirtschaft vor allem bei der Fleischproduktion zu einem führenden Exporteur von Billigwaren geworden ist – Gemüse und Obst würden dagegen kaum noch auf deutschen Äckern produziert. Tanzmann plädierte für eine Wende in der Agrarpolitik und skizzierte Wege aus der Krise. Notwendig sei eine Abkehr von Intensivtierhaltung, Qualzucht und massivem Fleischkonsum.
Im Fokus: Umwelt
Der Fokus-Teil Umwelt begann mit einer Präsentation von Dennis Schmiege, Doktorand im Fachbereich Geografie der Universität Bonn. Schmiege hatte im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung am Institut für Urban Public Health der Uniklinik Essen das Vorkommen multiresistenter E. coli Erreger in häuslichen Abwässern untersucht. Das Ergebnis: Haushalte spielen eine wichtige Rolle beim Eintrag resistenter E. coli-Keime in das kommunale Abwasser. Besonders hoch ist die Konzentration resistenter Bakterien in den Wintermonaten. In den Wohngebieten gut situierter BürgerInnen in Stadtrandlage war die Keimbelastung außerdem weitaus niedriger als in sogenannten Brennpunktvierteln.
Prof. Martin Exner berichtete über Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt HyReKA, das Antibiotika-Resistenzen im Wasserkreislauf untersucht hat. Bis 2020 leitete er das Institut für Hygiene und öffentliche Gesundheit der Uniklinik Bonn. Exner hob insbesondere die Bedeutung des Abwasserreservoirs im Krankenhaus hervor: „Wir finden so besorgniserregende hohe Konzentrationen im Waschbecken, Dusch- und Toiletten-Abwasser, denen der Patient direkt exponiert ist, wie wir es in weiteren Bereichen des Abwasser und auch in Flüssen niemals finden. Die Ergebnisse des HyReKA Projektes waren eine wichtige Motivation zur Erstellung der Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim RKI, die 2020 erschien.“ Paul Kröfges, Gewässerschutzexperte des BUND, plädierte deshalb dafür, Kläranlagen, in die Klinikabwässer eingeleitet werden, mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe auszustatten. Mit herkömmlicher Klärtechnik ließen sich weder antibiotische Rückstände noch multiresistente Keime effektiv herausfiltern.
Politische Forderungen und Strategien
Nach den drei Fokus-Teilen weitete Astrid Berner-Rodoreda, die am Heidelberger Institut für Global Health forscht, den Blick noch einmal für die globale Perspektive: „Wo bleibt das Globale?“ lautete der Titel Ihres Vortrags, der u.a. das fehlende Forschungsengagement der EU in den Blick nahm.
Abschließend wurden in mehreren Arbeitsgruppen Strategien entwickelt und Pläne für die weitere politische Arbeit geschmiedet. Die Zivilgesellschaft sei bisher beim Thema Antibiotika-Resistenzen zu wenig aktiv, hieß es in der Diskussion. Sie müsse dringend eine prominentere Rolle einnehmen, um die Probleme im Bereich Mensch, Tier und Umwelt gezielt in die Öffentlichkeit zu tragen. Die TeilnehmerInnen befürworteten unter anderem eine gemeinsame Aktion verschiedenster zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Weltantibiotikawoche im November, ein Fachtreffen zur Planung soll im frühen Herbst stattfinden.
Besuchen Sie unsere Konferenz-Webseite!
Sämtliche Dokumente und Aufzeichnungen zu unserer Konferenz finden Sie unter https://bukopharma.de/konferenz/index.html. Unsere Konferenz-Webseite bietet sämtliche Vorträge als Video und auch als pdf-Dokument. Die Podiumsdiskussion vom 1. Mai können Sie sich hier ebenfalls noch einmal ansehen. Auch unser Forderungskatalog steht zum Download bereit. Ein Strategiepapier ist noch in Arbeit, wird aber ebenfalls zu einem späteren Zeitpunkt auf der Webseite zu finden sein. (CJ)
Bilder © Jörg Schaaber
Artikel aus dem Pharma-Brief 5/2021, S.4