Impfstoff-Zugang bleibt global ungerecht
Während in großen Teilen der Welt die meisten Menschen noch keine Covid-19-Impfung erhalten haben, beginnen Industrieländer eine dritte Dosis zu impfen.
In Europa wurden pro 100 EinwohnerInnen inzwischen 101 Dosen verimpft, auf dem afrikanischen Kontinent gerade einmal 8,4.[1] Entgegen den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation haben etliche Industrieländer damit angefangen, eine dritte Dosis zu impfen.[2] Das ist nicht nur krass ungerecht und kostet Menschenleben. Es ist auch epidemiologisch unsinnig. Denn solange Covid-19 weiter grassiert, bilden sich immer neue Varianten und Viren kennen bekanntlich keine Grenzen.
Der Waiver für Covid-19-Patente bei der WTO wird von Industrieländern weiter blockiert. Damit verschieben sich auch die Aussichten auf eine massive globale Ausweitung der Impfstoffproduktion immer weiter in die Zukunft. Darüber können auch einige von den Patentinhabern kontrollierte neue Produktionsstätten im globalen Süden nicht hinwegtäuschen. So die Kooperation von Biovac (Südafrika) mit Biontech/Pfizer, die ab 2022 rund 100 Millionen Dosen für Afrika produzieren soll.[3] Die Preiskonditionen sind dabei unbekannt.
Covax bleibt Trostpflaster
Das internationale Public Private Partnership Covax kann die Lücke auch nicht füllen und bleibt sogar hinter seinen eigenen bescheidenen Ansprüchen zurück. Bis Ende August wurden weltweit gerade einmal 230 Millionen Dosen ausgeliefert, die sich auf 139 Länder verteilen.[4]
Deutschland hat zwar 100 Millionen Dosen an Covax versprochen, die „hauptsächlich an Entwicklungsländer“ gehen sollen.[5] Ausgeliefert werden davon bis Mitte September aber nur 1,3 Millionen Dosen. Zum Vergleich: In Deutschland wurden bis zum 9. September 103,8 Millionen Dosen verimpft, damit sind 72,6% der Bevölkerung ab 18 Jahren vollständig geschützt.[6] Das Abgeben an Covax fällt nicht besonders schwer, denn insgesamt hat sich Deutschland für 2021 viel mehr gesichert, als gebraucht wird: 313 Millionen Dosen.[7]
Von Süd nach Nord
Besonders bizarres Beispiel der globalen Ungerechtigkeit: Die südafrikanische Firma Aspen füllt bereits den Johnson & Johnson-Impfstoff ab. Der Vertrag wurde schon im November 2020 geschlossen.[8] Südafrika hatte mit Johnson & Johnson eine Lieferung von 31 Millionen Dosen für 2021 vereinbart.[9] Davon hat das Land bis Ende Juni gerade einmal 1,5 Millionen erhalten. In den letzten Monaten wurden aber mindestens 32 Millionen Dosen aus Südafrika exportiert, schwerpunktmäßig nach Europa, unter anderem auch nach Deutschland und Spanien.
Das war möglich, weil Südafrika einen Vertrag unterschreiben musste, der Exportbeschränkungen untersagte. Pop Maja, Sprecher des Gesundheitsministerium, bedauerte: „Die Regierung hatte keine Wahl – unterzeichne den Vertrag oder es gibt keinen Impfstoff.“5 Darüber hinaus enthält die Vereinbarung mit Südafrika auch noch andere fragwürdige Klauseln. So können nicht nur Betroffene keine Impfschäden gegen Johnson & Johnson geltend machen, auch eine Mängelhaftung des Herstellers gegenüber der südafrikanischen Regierung ist ausgeschlossen.
Seit Juli füllt Aspen nun 60% der Dosen für Afrika und 40% für Europa ab. Produziert wird derzeit mit Wirkstoff aus den Niederlanden. Die günstigere Verteilung beruht auf einem Entgegenkommen der Europäischen Union, die angesichts der Krise jetzt darauf verzichtet, wie ursprünglich mit Johnson & Johnson vereinbart, nur 10% der Dosen in Afrika zu lassen.
Erst nach heftigen Protesten machte die EU eine Kehrtwende und sagte am 2. September zu, dass alle bereits exportierten Dosen zurückgeschickt werden und künftig die gesamte südafrikanische Produktion von Aspen in Afrika bleibt.[10]
Dass in Südafrika inzwischen 10% der Bevölkerung voll geimpft ist,4 ist hauptsächlich Bestellungen von Biontech-Impfstoff durch die Regierung und eine Spende von 5,7 Millionen Dosen durch die USA zu verdanken.[11] Der Todeszoll bleibt wegen der geringen Impfrate hoch: Anfang September starben innerhalb einer Woche 1.824 SüdafrikanerInnen mit Covid-19.[12]
Schlechter? Preis erhöhen!
Obwohl sich zeigt, dass die Wirkung der bislang zugelassenen Impfstoffe gegen die Delta-Variante geringer ist, haben die wichtigsten Lieferanten für die EU die Preise erhöht, wie Anfang August bekannt wurde.[13] Biontech/Pfizer verlangt nun 26% mehr,[14] Moderna 13%.[15] Angesichts einer möglicherweise notwendigen dritten Dosis nimmt Biontech/Pfizer dann 63% mehr ein. Wahrhaft ein gutes Geschäft. Vorbei die Zeiten, in denen Produkte, die ihre Versprechen nicht hielten, billiger wurden. (JS)
Biontech Rekordumsatz
Nach einem Rückgang im vergangenen Jahr wächst das Bruttosozialprodukt in Deutschland dieses Jahr voraussichtlich um 4%. Allein das Umsatzwachstum von Biontech trägt dazu 0,5% bei. Die Firma erwartet 2021 mit ihrem Covid-19 Impfstoff einen Umsatz von 15,9 Mrd. €. Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), sagte dazu, dass ihm kein anderer Fall bekannt ist, wo eine einzelne Firma einen so starken Einfluss auf das Wachstum gehabt hat.[16]
Artikel aus dem Pharma-Brief 7/2021, S.6
[1]Holder J (2021) Tracking Coronavirus Vaccinations Around the World. 7 Sept. www.nytimes.com/interactive/2021/world/covid-vaccinations-tracker.html [Zugriff 7.9.2021]
[2]Reuters (2021) Factbox-Countries weigh need for booster COVID-19 shots. 24 Aug. www.reuters.com/article/us-health-coronavirus-booster-idUKKBN2FP168
[3]Russell R (2021) Battling vaccine inequity: Africa boosts Covid-19 jab production capacity. Standard 17 Aug. www.standard.co.uk/optimist/vaccine-world/covid-vaccine-inequity-africa-production-capacity-b951012.html
[4]GAVI (2021) COVAX Global Supply Forecast. 8 Sept. www.gavi.org/news/document-library/covax-global-supply-forecast
[5]Gavi (2021) First delivery of German-donated COVID vaccines to COVAX land in Mauritania, with other deliveries to follow. Press release 8 Sept. www.gavi.org/news/media-room/first-delivery-german-donated-covid-vaccines-covax-land-mauritania-other-deliveries
[6]RKI (2021) Impfquotenmonitoring. Datenstand 9. Sept. www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Impfquotenmonitoring.xlsx?__blob=publicationFile [Zugriff 10.9.2021]
[7]BMG (2021) Lieferprognosen der verschiedenen Hersteller für das Jahr 2021 (Stand 22.06.2021) www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/Impfstoff/Lieferprognosen_verschiedene_Hersteller_2021.pdf [Zugriff 10.9.2021]
[8]Aspen (2020) Aspen announces agreement with Johnson & Johnson to manufacture investigational COVID-19 vaccine candidate. 2 Nov. www.aspenpharma.com/2020/11/02/aspen-announces-agreement-with-johnson-johnson-to-manufacture-investigational-covid-19-vaccine-candidate
[9]Robbins R and Mueller B (2021) Covid Vaccines Produced in Africa Are Being Exported to Europe. New York Times 16 Aug. www.nytimes.com/live/2021/08/16/world/covid-delta-variant-vaccine#while-south-africa-waits-for-vaccine-supplies-jj-doses-made-there-are-sent-to-europe
[10]Jerving S (2021) Deal to send COVID-19 vaccines from South Africa to Europe dismantled. DEVEX 2 Sept. www.devex.com/news/deal-to-send-covid-19-vaccines-from-south-africa-to-europe-dismantled-101532
[11]US Embassy in South Africa (2021) United States Donates 5.7 Million COVID-19 Doses to South Africa. Press release 28 July https://za.usembassy.gov/united-states-donates-5-7-million-covid-19-doses-to-south-africa/
[12]WHO (2021) Covid-19 dashboard https://covid19.who.int/region/afro/country/za [Abruf 7.9.2021]
[13]Reuters (2021) Pfizer and Moderna raise prices for COVID-19 vaccines in EU- FT. 2 Aug. www.reuters.com/business/healthcare-pharmaceuticals/pfizer-moderna-raises-prices-its-covid-19-vaccines-eu-ft-2021-08-01
[14]19,50 € statt bislang 15,50 €
[15]21,48 € (25,50 US$) statt 19,00 €
[16]Reuters (2021) BioNTech alone could lift German economy by 0.5% this year. 10. Aug. www.reuters.com/article/us-germany-economy-biontech-idUSKBN2FB15A