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Das „Aktionsbündnis gegen AIDS“ zieht nach 15 Jahren Bilanz

Vor einigen Jahren schien es kaum denkbar, dass einmal weltweit 18 Millionen Menschen mit einer HIV-Therapie versorgt werden könnten. In vielen Ländern des globalen Südens ist heute eine gute Versorgung Realität. Das ist auch einem starken zivilgesellschaftlichen Engagement in Deutschland zu verdanken. Bei einer Konferenz anlässlich seines 15-jährigen Jubiläums richtete das „Aktionsbündnis gegen AIDS“ den Blick aber auch nach vorne: Welche Hürden sind noch zu nehmen, um ein Ende von Aids zu erreichen?

Das Ziel ist klar: Auch wenn sich HIV-Infektionen nicht vollständig vermeiden lassen, soll niemand an Aids sterben müssen. Das Ende von Aids wurde 2014 von UNAIDS in die Formel 90-90-90 gefasst:[1] [2] 90 Prozent aller HIV-Infizierten sollen ihren Status kennen; 90 Prozent der HIV-Positiven sollen antiretrovirale Behandlung erhalten; bei 90 Prozent der Behandelten soll die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegen. Dieses Ziel soll im Jahr 2020 erreicht sein.

Das deutsche Aktionsbündnis gegen AIDS will dazu einen Beitrag leisten. Das als „Aidskampagne“ bezeichnete Bündnis wurde 2002 gegründet und bringt mittlerweile über 300 Gruppen aus Kirchen, politischen Organisationen und lokalen Aids-Hilfe Gruppen zusammen. Auch die Pharma-Kampagne ist von Anfang an dabei. Unter dem Motto „Leben ist ein Menschenrecht“ setzt sich die Aidskampagne für Therapie und gegen Diskriminierung ein.

Was das im Einzelnen bedeutet, wurde im Verlauf der Veranstaltung sehr deutlich. Geladen waren nationale und internationale Gäste, die die Herausforderungen für die Zukunft aus ihrem Kontext schilderten.

Problem Diskriminierung

Wie stark die Diskriminierung von Menschen mit HIV die grundlegenden Menschenrechte bedroht, beschrieb der russische Journalist und Aktivist Alexander Delphinov am Beispiel von DrogenkonsumentInnen. In Russland sind derzeit 700.000 Menschen im Gefängnis, davon ein Drittel DrogengebraucherInnen. Deren Leben sei auch außerhalb der Gefängnisse von Angst vor Gewalt und Polizeiwillkür geprägt. „DrogenkonsumentInnen werden wie Tiere behandelt, und Tiere haben keine Menschenrechte“. Selbst gegenüber ÄrztInnen gäbe es großes Misstrauen, da diese oft Informationen über den HIV-Status und Drogenkonsum an die Polizei weiterleiten. In dieser Situation sei Solidarität lebensrettend: Menschen mit HIV, DrogenkonsumentInnen und SexarbeiterInnen müssten sich gegenseitig stützen.

Die gefährliche Situation von Homosexuellen in Nordafrika schilderte Ahmed Awadalla von der Deutschen Aidshilfe. Obwohl Homosexualität in Ägypten schon länger kriminalisiert ist, habe es viele Jahre Präventionsarbeit, Testberatung, Sexualaufklärung in Schulen und bei Familien gegeben. 2011 gab es mit dem arabischen Frühling Hoffnung auf Besserung, dann trat aber 2013 die Kehrtwende ein. Hunderte Menschen sitzen nun wegen ihrer sexuellen Orientierung im Gefängnis. Die Polizei nutzt Dating-Apps wie Tinder, um Homosexuelle zu identifizieren und zu verfolgen. Die Betroffenen leben in permanenter Angst. Auch die Bereitschaft, sich auf HIV testen zu lassen, ist gering, da ein positives Ergebnis als Beweis für Homosexualität gewertet wird. Homosexualität ist deshalb als Fluchtursache nicht zu unterschätzen, aber die Asyl-Anerkennung sei schwierig.

Ist die Situation in Deutschland besser? Die Pfarrerin Dorothea Strauß, Leiterin von „Kirche positHIV“, stellte klar, dass auch die Kirchen in den 80er Jahren nur schwer mit Homosexualität umgehen konnten. Im Laufe der Jahre habe sich zum Glück viel getan. Das Thema Homosexualität sei jetzt eine große Herausforderung für den Austausch mit afrikanischen Partnerkirchen. Dennoch ist Stigmatisierung in Deutschland immer noch ein Problem. Silke Klumb von der Deutschen Aidshilfe verdeutlichte das anhand des „Stigma-Index“, der durch Umfragen die Erfahrungen mit Ausgrenzung erfasst.[3] In Deutschland hat jedeR Dritte negative Erfahrungen gemacht, wenn er oder sie sich mit dem eigenen HIV-Status outete. Das schafft Risiken: Wenn Menschen die Erfahrung von Diskriminierung machen, hören sie auf über HIV zu sprechen. Die Krankheit wird tabuisiert und neue Infektionen sind die Folge. Und auch Angst macht krank.

Zugang zur Behandlung

Die Verfügbarkeit von Medikamenten hat sich in den letzten Jahren stetig verbessert. Die Standard Einstiegs-Therapie (Firstline-Treatment) ist in vielen ärmeren Ländern bereits für 100 US$ pro Person und Jahr erhältlich. Teurer ist die zweite Behandlungslinie (Secondline-Treatment) mit 300 US$. Die Thirdline-Therapie kostet dann bereits über 1.000 US$. Eine wichtige Rolle für den Zugang zu kostengünstigen Therapien spielt der Medicines Patent Pool. Er wurde 2010 gegründet und schließt freiwillige Vereinbarungen mit Patentinhabern ab, in den meisten Fällen Pharmaunternehmen. Die Verträge erlauben eine einfache Vermittlung von Lizenzen an Generikahersteller und ermöglichen so Produktion und Vermarktung günstiger HIV-Medikamente. Nach anfänglicher Mühe, die Pharmaunternehmen zur Mitarbeit zu bewegen, wurde das Modell so erfolgreich, dass es 2015 auf TB und Hepatitis C erweitert wurde. Erika Dueñas vom Medicines Patent Pool berichtete, dass derzeit geprüft werde, ob eine Ausweitung auf alle patentgeschützten Arzneimittel in der Liste unentbehrlicher Medikamente der WHO möglich ist.

Einen Einblick in den Behandlungsalltag gab Schwester Melania, die sich in einem Distriktkrankenhaus in Zimbabwe vor allem um junge Menschen mit HIV kümmert. Antiretrovirale Medikamente werden von der Regierung gestellt. Für opportunistische Infektionen – also Folgen der HIV-Infektion – wie Pilzbefall, Lungenentzündung oder bestimmte Krebsarten, fehlen jedoch häufig die Behandlungsmöglichkeiten.

Schwester Melania verdeutlichte das Problem der Stigmatisierung im Zusammenhang mit HIV-Tests: Männer lassen sich häufig scheiden, wenn ihre Frau ein positives Testergebnis hat – lassen sich aber selbst nicht testen. Wenn die Frau wieder heiratet, verschweigt sie oft ihren HIV-Status aus Angst, wieder verlassen zu werden. Auch wenn junge Frauen vor dem ersten Geschlechtsverkehr bereits positiv getestet werden, sorgt das für persönliche und soziale Probleme. Hier hilft Aufklärung und Bildung, um klar zu machen, dass die Infektion häufig schon bei der Geburt oder durch Stillen übertragen wird.

Welche Erfolge das Engagement der Zivilgesellschaft bringen kann, zeigt das Beispiel Ukraine. Ein Netzwerk von Menschen mit HIV startete eine Kampagne, damit die Regierung die Therapiekosten für Hepatitis C senkt. Von 45 Millionen EinwohnerInnen haben schätzungsweise 3,5 Mio. eine Hepatitis-Infektion, viele davon sind auch HIV-positiv. Eine Medienkampagne, Theateraktionen und Demonstrationen bauten Druck auf und erreichten das Ziel: Der Preis sank von 15.000 US$ (2014) auf 900 US$ (2017).

Wer soll’s bezahlen?

Am Schluss der Veranstaltung stand eine zentrale Frage: Wie sind die notwendigen Maßnahmen zu finanzieren? Bis 2020 sollen schließlich 90% aller HIV-Positiven weltweit eine Therapie erhalten, das sind 30 Millionen Menschen.[4] Eine zentrale Rolle spielt seit etlichen Jahren der Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria. Der Fonds sammelt Gelder und kanalisiert sie in Gesundheitsprojekte weltweit. Doch auch hier ist das Budget knapp: Norbert Hauser, bis 2017 Vorsitzender des Verwaltungsrats des Globalen Fonds, betonte, dass für die nächste Wiederauffüllung (2020-2022) bislang 19 Milliarden Dollar fehlten.

Heiko Warnken vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hielt auch die inhaltliche Ausrichtung für wichtig. Für die Stärkung von Gesundheitssystemen gibt der Global Fund maximal 40% seines Budgets aus, das könne deutlich verbessert werden. Auch sei eine bessere Abstimmung mit anderen Geldgebern und mit den Regierungen von Empfänger-Ländern notwendig. Nicht zu unterschätzen sei zudem das Problem der konkurrierenden Strukturen: China bereite derzeit einen neuen Afrika-Asien-Fonds vor – hier seien Absprachen wichtig, um unnötige Doppelstrukturen zu vermeiden.

Problematisch sei außerdem, dass bereitstehende Gelder oft nicht abgerufen würden. Länder wie Kenia würden nur einen Bruchteil der Global Fund Maßnahmen in Anspruch nehmen, weil die Verwaltung nicht funktioniere.

Diskutiert wurde die Frage, wie mit solchen Ländern umzugehen sei, die wirtschaftlich erstarkt sind und deshalb aus der Förderung des Global Fund herausfallen (sogenannte Transition Countries). Der Ausstieg aus dem Global Fund müsse besser vorbereitet werden. Die Nehmerländer müssten allerdings auch in die Verantwortung genommen werden, um die dauerhafte Versorgung ihrer Bevölkerung sicherzustellen.

Frank Mischo von der Kindernothilfe erinnerte daran, dass sich 2001 die afrikanischen Staaten verpflichtet haben, 15% des Staatshaushalts für Gesundheit aufzuwenden (Abuja-Ziel). Das Ziel ist bisher noch nicht erreicht, aber Malawi hat zum Beispiel in 15 Jahren die Gesundheitsausgaben vervierfacht, auf jetzt 11,4%.

Selbst ein deutlich reicheres Land wie Indien erreicht bisher nur 4,7%. Viele Gruppen profitieren aber nicht von dem staatlichen Gesundheitsetat – und das betreffe nicht nur Randgruppen, sondern besonders auch Frauen und Kinder.

Rolle der Zivilgesellschaft

Das 90-90-90-Ziel zu erreichen, ist demnach mit komplexen Herausforderungen verbunden. Die Zivilgesellschaft kann und muss hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Zum einen, indem sie vulnerablen Gruppen eine Stimme gibt, auf deren Bedürfnisse hinweist und sich für grundlegende Werte wie Würde und Menschenrechte einsetzt. Zum anderen kann sie dazu beitragen die politischen Rahmenbedingungen zu verbessern – Bildung und Armutsbekämpfung als Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben zu erreichen. In der Jubiläumskonferenz fand die frühere Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul dann auch deutliche Worte: Auch wenn viel erreicht worden sei – es sei bedenklich, dass die Social Development Goals offenbar für viele PolitikerInnen nach wie vor ein Tabu seien.  (CW)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 1/2018, S. 3
Bild © Klaus Koch

[1] UNAIDS (2014) 90-90-90. An ambitious treatment target to help end the AIDS epidemic. www.unaids.org/sites/default/files/media_asset/90-90-90_en.pdf

[2] Pharma-Brief (2014) Wir haben noch lange nicht alle Probleme gelöst. Nr. 6, S. 3

[3] Deutsche Aidshilfe (o.J.) Positive Stimmen. Erlebnis­bericht des PLHIV Stigma Index in Deutschland.
www.aidshilfe.de/shop/pdf/2482

[4] www.unaids.org/en/resources/909090