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Wem nützt die Beratung vor der Zulassung?

Eher unbemerkt von der Öffentlichkeit ist in den letzten Jahren eine Gesprächsschiene zwischen Pharmafirmen, Zulassungsbehörden und Erstattungsagenturen entstanden. Wer profitiert von der Diskussion über die Ziele von klinischen Studien?

Die Idee klingt erst einmal nicht schlecht: Die Stellen, die später über die Zulassung und Erstattungsfähigkeit von Medikamenten entscheiden, sprechen mit den Firmen, bevor diese die entscheidenden klinischen Studien beginnen: Was soll in den anstehenden Untersuchungen an PatientInnen überhaupt gemessen werden, damit später anhand der Ergebnisse fundierte Entscheidungen getroffen werden können?

Die europäische Zulassungsbehörde EMA bietet seit 2004 die Möglichkeit einer frühen wissenschaftlichen Beratung zu Studienzielen an.[1] Diese wird von den meisten Herstellern wahrgenommen. Seit 2011 bietet in Deutschland auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Rahmen der sogenannten frühen Nutzenbewertung eine Herstellerberatung vor der Zulassung an.[2]

Unterschiede

Bei der Herstellerberatung werden nicht die gleichen Ziele verfolgt: Während sich die Zulassungsbehörde mit einem Wirkungsnachweis zufriedengibt und dabei oft auch die Verbesserung von Laborwerten für ausreichend hält, möchten Erstattungsagenturen (HTA) wie der G-BA Ergebnisse sehen, die für die Patient­Innen unmittelbar relevant sind: Wird die Krankheit besser geheilt, nehmen die Beschwerden ab und sinkt die Sterblichkeit? Vor allem aber werden Vergleiche zum bisherigen Therapiestandard gefordert.

Unnötige Doppelarbeit?

Die Hersteller haben sich in letzter Zeit zunehmend über die unterschiedlichen Anforderungen von EMA und HTA beschwert. Ihr Argument: Sie müssten deshalb verschiedene Studien für dasselbe Medikament durchführen und in vielen europäischen Ländern verzögere sich dadurch die Erstattung. Deshalb fordert die Industrie, die beiden Beratungsprozesse zusammenzuführen. Für die Hersteller wäre eine Vereinheitlichung doppelt lukrativ, sie müssten weniger Studien durchführen und ihre Medikamente würden schneller Geld einbringen.

Aber auch aus Sicht der HTA-Agenturen gibt es Gesprächsbedarf. Denn sie müssen oft auf Basis von unzureichenden Daten entscheiden, da Hersteller dazu neigen, sich eher nur an die Mindestanforderungen der EMA zu halten. Das bessert sich zwar langsam, aber die Tendenz zu unzureichenden Studiendesigns bleibt.

Wieviel Beratung braucht es?

Es ist nun nicht so, dass die Hersteller gar nicht wüssten, wie eine klinische Studie angelegt werden muss, die gut interpretierbare Ergebnisse bringt. Aber es hat aus Sicht der Anbieter viel für sich, im Vagen zu bleiben. So lassen sich Studien, die nur Unterschiede bei Surrogaten wie Blutzucker oder Tumorwachstum messen, viel schneller durchführen. Denn bei vielen Erkrankungen treten Unterschiede bei den Komplikationen die man verhindern möchte, wie z.B. Herzinfarkte, erst später auf, dasselbe gilt für Unterschiede in der Sterblichkeit. Die Studien müssen also länger dauern, das Geld klingelt deutlich später in der Kasse. Oder das Ganze wird zum Flopp, falls die harte Testung ein negatives Ergebnis bringt.

Ein wichtiger Streitpunkt ist auch die Vergleichstherapie. Die Zulassungsbehörden geben sich viel zu häufig mit einem Vergleich mit Placebo zufrieden, auch wenn es andere Behandlungsmöglichkeiten gibt. Und selbst wenn gegen einen anderen Wirkstoff verglichen wird, ist das nicht immer der beste etablierte Standard. Beispielsweise kann es lohnender sein, gegen ein teures Konkurrenzpräparat zu vergleichen, für das die Evidenzlage schlecht ist, als gegen die etablierte Therapie. Selbst wenn sich kein Vorteil zeigt, kann so ein höherer Preis erzielt werden.

Individueller Rat

Zunehmend findet eine individuelle produktbezogene Beratung eines Herstellers durch EMA und HTA-Agenturen statt. Weil es sich dabei um Wirkstoffe handelt, die noch nicht auf dem Markt sind, finden die Beratungen vertraulich statt. Das macht sie nicht nur intransparent, sondern es besteht auch die Gefahr, dass Standards unbemerkt abgesenkt werden: Muss die Studie wirklich zwei Jahre dauern oder reicht nicht auch eines? Muss ich wirklich belegen, dass das Krebsmedikament die Sterblichkeit senkt, oder reicht es nicht aus, wenn der Tumor etwas langsamer wächst?

Die Behörden drohen zu Co-Entwicklern der Medikamente zu werden, je tiefer sie sich in die Untersuchungspläne der Hersteller verstricken. Außerdem geraten sie unter Rechtfertigungsdruck, wenn sie in Abweichung von ihrer früheren Beratung später zu einer anderen Bewertung kommen, weil sich die Wissenslage inzwischen weiterentwickelt hat. Eine abweichende Bewertung birgt auch juristische Risiken, weil sie die Tür für Klagen von Herstellern öffnet. Die könnten sich dann auf die frühere Festlegung der HTA-Agenturen berufen.

Ein weiterer Schwachpunkt: Die Hersteller halten sich bei ihrem Studiendesign längst nicht immer an den Rat und wegen der Vertraulichkeit der Beratungen ist das Druckpotenzial für bessere Studien nicht sehr groß. Die Zulassungsbehörde EMA machte die Ergebnisse ihrer frühen Beratung 2015 öffentlich. Bei zwei Dritteln der Studien gab es Beanstandungen am Design, die geplanten Forschung war also als Basis für eine spätere Entscheidung ungeeignet. Ein gutes Drittel der Hersteller ignorierte die Auflagen. Sie erhielten am Ende trotzdem in 42% der Fälle eine Zulassung für ihr Produkt. Bei Herstellern, die dem Rat der EMA gefolgt waren oder deren Studiendesign nicht beanstandet wurde, lag die Zulassungsquote bei 86% bzw. 84%.[3]

Europäisierung

Gegenwärtig wird in der EU über eine Vereinheitlichung der europäischen Beratungsverfahren diskutiert. Das geschieht unter dem Dach von EUnetHTA, einem Zusammenschluss der europäischen Bewertungsagenturen in Kooperation mit der EMA. Federführend sind die französische HTA-Agentur HAS und der deutsche G-BA.[4] Getrieben wird dieser Prozess nicht nur von den Herstellern, sondern auch durch die EU-Kommission.

Gerade angesichts der Europäisierung des Verfahrens ist eine Debatte über die Sinnhaftigkeit der gegenwärtigen Beratungsverfahren dringlich. Ein breites Bündnis von Nichtregierungsorganisationen (darunter die Pharma-Kampagne), Verbraucher- und PatientInnengruppen, HTA-Agenturen und WissenschaftlerInnen hat deshalb Empfehlungen für ein besseres Verfahren vorgelegt.[5]

Alternativen

Kerngedanke ist es, Alternativen zur gegenwärtigen intransparenten individuellen Beratung zu finden. Denn viele der im gegenwärtigen System diskutierten Fragen treffen auf zahlreiche Wirkstoffe zu oder sind sogar universell, wie die Frage welche Endpunkte generell sinnvollerweise zu erheben sind (Sterblichkeit, Krankheitslast, Lebensqualität). Daneben sind natürlich krankheitsspezifische Besonderheiten zu diskutieren. Auch hier kann eine öffentlich geführte Debatte – unter Einbeziehung der Hersteller – zu mehr Klarheit und vor allem zu einheitlichen Standards führen. Das macht anschließend Vergleiche des Nutzens verschiedener Wirkstoffe einfacher. Individueller Rat wäre nur noch in wenigen Fällen notwendig und sollte nur noch schriftlich gegeben werden, Fragen und Antworten sollten veröffentlicht werden.

Ein solches Verfahren würde Behörden und Beratungsagenturen nicht nur viel Zeit sparen, es wäre auch transparenter und weniger korruptionsanfällig. Schließlich bleibt noch die Frage der Finanzierung. Gegenwärtig bezahlen die Hersteller Gebühren für die Beratung, die mindestens bei der EMA direkt in ihren Haushalt fließen. Eine solche Verknüpfung scheint nicht sinnvoll, da sie einen Anreiz zu freundlicher Beratung und - im Fall der EMA - zu positiven Zulassungsentscheidungen darstellt. Gebühren sollten stattdessen in die Haushalte der EU bzw. der Träger der nationalen HTA-Agenturen fließen, um sie zuverlässig von der Tätigkeit der KontrolleurInnen zu entkoppeln.  (JS)

Erklärung zu Interessenkonflikten: Der Autor ist in seiner Funktion als Patientenvertreter im G-BA an Beratungen zu Fragen von Herstellern zum Studiendesign beteiligt.

Artikel aus dem Pharma-Brief 10/2017, S. 1

 

[1] EMA (2017) European Medicines Agency guidance for applicants seeking scientific advice and protocol assistance.  EMA/4260/2001 Rev. 9 www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Regulatory_and_procedural_guideline/2009/10/WC500004089.pdf [Zugriff 28.11.2017]

[2] Seit 2016 ist auch eine gemeinsame Beratung mit der Zulassungsbehörde möglich: BfArM, GBA, PEI (2017) Leitfaden Wechselseitige Beteiligung an Beratungsgesprächen beim Gemeinsamen Bundesausschuss und beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bzw. Paul-Ehrlich-Institut www.g-ba.de/downloads/17-98-4342/Leitfaden%20gem%20Beratung_BfArM_PEI_G-BA_final.pdf [Zugriff 28.11.2017]

[3] EMA (2015) Scientific advice leads to stronger applications from industry. News 17 Apr www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/news_and_events/news/2015/04/news_detail_002308.jsp  [Zugriff 28.11.2017]

[4] EMA (2017) EMA and EUnetHTA step up interaction to align data requirements. Press release 4 July www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/news_and_events/news/2017/07/news_detail_002771.jsp

[5] Associazione Alessandro Liberati network italiano Cochrane et al. (2017) Recommendations on a new model for the provision of scientific advice www.bukopharma.de/uploads/file/Aktuelles/Scientific_advice_2017.pdf