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Menschenrechtsorganisation erzwingt Transparenz über Impfstoffverträge

Die Health Justice Initiative (HJI) klagte erfolgreich auf die Herausgabe der Vereinbarungen, die die südafrikanische Regierung mit den Herstellern von Covid-19-Impfungen zu Beginn der Pandemie geschlossen hatte. Es zeigt sich: Die Texte begünstigten einseitig die Produzenten.

Ein Konsortium unter Leitung von HJI analysierte die Verträge.[1] Das Urteil ist vernichtend: „Die Bedingungen sind überwältigend einseitig und begünstigen multinationale Konzerne. Die Verträge enthalten ungewöhnlich hohe Anforderungen und Bedingungen, einschließlich Geheimhaltung, mangelnde Transparenz und sehr wenig Hebelwirkung gegen verspätete oder keine Lieferung oder überhöhte Preise – was zu krassen Profiten führt und der Unfähigkeit, in einer Pandemie angemessen zu planen.“ [2]

Begrenzte Souveränität

Die Impfstoffverträge mit allen Lieferanten wurden nicht nach südafrikanischem Recht geschlossen. Die Vereinbarung mit dem US-Konzern Johnson & Johnson unterliegt zum Beispiel der Rechtsprechung von England und Wales. Die Firma verlangte laut Vertrag mit zehn US$ pro Dosis 15% mehr von Südafrika als von der EU [3] und bestand auf einer nicht erstattungsfähigen Vorauszahlung von 27,5 Mio. US$.

Die Firma haftete nicht für verspätete oder den gänzlichen Ausfall von Lieferungen. Im Gegenteil, es gab sogar eine Klausel, die es der Firma erlaubte, in Südafrika abgefüllte Dosen zu exportieren. Das geschah dann während der dritten Covid-Welle im Lande auch tatsächlich. Gleichzeitig durfte die Regierung selbst weder Exporte verbieten noch ohne Zustimmung der Firma Impfstoffe an andere Länder abgeben. Die letztgenannte Auflage enthielt übrigens auch der nie wirksam gewordene Liefervertrag der EU mit dem deutschen Hersteller CureVac.[4]

Einseitige Verträge

Pfizer verlangte von Südafrika ebenfalls 10 US$ pro Dosis und damit rund ein Drittel mehr als von der Afrikanischen Union. Der kanadische Professor Mathew Herder sagte zu den Bestimmungen des Pfizer-Vertrags, dass sie „praktisch das gesamte Risiko, alle Kosten und die gesamte Belastung der südafrikanischen Regierung aufbürdeten, die zu dem Zeitpunkt, zu dem dieses Abkommen Anfang 2021 geschlossen wurde, praktisch keine Impfstoffe für die Bevölkerung des Landes hatte.“ Herder, der das Health Law Institute der Dalhousie University in Halifax leitet, beschrieb einige Bestimmungen des Vertrags als „extrem“ und „viel mehr zu Pfizers Gunsten im Vergleich zu einigen der anderen Verträge, die ich kenne. […]

Der Vertrag garantiert nicht, dass Pfizer tatsächlich Impfstoffe nach Südafrika liefert, und für den Fall, dass sie nicht liefern, ist das Beste, was die südafrikanische Regierung zurückholen kann, 50% der Vorauszahlung, die sie im Rahmen des Vertrags leisten mussten“. Im Vertrag mit Südafrika steht, dass Pfizer, „kommerziell verhältnismäßige Anstrengungen“ zur Lieferung des Impfstoffs unternimmt, während Vereinbarungen der Firma mit der EU auf den „besten verhältnismäßigen Standard“ verweisen, was die Latte höher legt. „Weil wirtschaftlich ist es sinnvoll, das Profitabelste zu tun. Und das bedeutet, wenn man damit mehr Renditen erwirtschaftet, zuerst anderswohin zu liefern. Unter dem Pfizer-Südafrika-Vertrag ist das vollkommen in Ordnung“, sagte Herder.[5],[6]

Der Oxford University/AstraZeneca-Impfstoff, produziert vom Serum Institute of India, war mit 5,35 US$ zwar günstiger, aber trotzdem zweieinhalb mal so teuer wie in der EU, [2] wie wir bereits Anfang 2021 im Pharma-Brief berichteten.[7]

Wer den Schaden hat …

Alle drei Hersteller verlangten weitreichend Haftungsausschlüsse und die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Impfschäden durch die südafrikanische Regierung als Vorbedingung für die Lieferungen. Solche Klauseln sind auch aus einem Vertrag zwischen Pfizer und Peru bekannt.[8]

Vage Klauseln: „Maximaler adjustierter Preis pro Dosis bedeutet 21,10 US$.“ Seite aus dem Vertrag zwischen Südafrika und GAVI.[15]

Covax versagte in Südafrika

Das öffentlich-private Impfprogramm Covax, mit dem die Versorgung des Globalen Südens gesichert werden sollte, scheiterte in Südafrika (und anderswo[9]) kläglich. Nicht nur, dass der durchschnittliche Dosispreis dort bei 10,55 US$ lag, auch von den bis Ende 2021 versprochenen 20 Millionen Dosen wurden laut Brook Baker von der mit der Durchführung von Covax beauftragten Impfstoff­initiative GAVI termingerecht nur etwas über eine Million geliefert.[3] GAVI bestätigte den Preis für eine Million von Südafrika bestellten Dosen. Weitere acht Millionen Dosen seien aber kostenlos geliefert worden. Über den Zeitraum in dem dies geschah, schweigt sich GAVI aber aus.[4]

Auf die Frage, ob Südafrika erpresst wurde, sagte der Sprecher des Gesundheitsministeriums Foster Mohale BMJ, dass die Covid-Verträge zahlreiche Klauseln enthielten, die seine Regierung in anderen Impfstoffverträgen normalerweise nicht akzeptierte. „Ohne Zweifel hatten Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf der ganzen Welt – einschließlich Südafrika – begrenzte Verhandlungsmacht, um sich Impfstoffdosen zu sichern und den Preis von Impfstoffen auszuhandeln. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, einschließlich der begrenzten Anzahl von Herstellern, dem Horten von Impfstoff und dem Nationalismus von Ländern mit hohem und hohem mittleren Einkommen.“ […] „Die ungleiche Verteilung von Impfstoffen hat zweifellos zu Todesfällen beigetragen, die hätten verhindert werden können. Angesichts der damaligen Ungewissheit traf die südafrikanische Regierung eine schwierige Entscheidung und priorisierte Rettung des Lebens der Bürger*innen.“[4]

Die Erkenntnisse zu den Verträgen in Südafrika sind noch unvollständig. Die restlichen durch das Gerichtsurteil freigegebenen Dokumente wollte der Staat erst Ende September an die Initiative übergeben.

In Europa ist es nicht besser

Diese (erzwungene) neue Transparenz in Südafrika steht in starkem Kontrast zu der Situation in der EU. Denn hier weigert sich die EU-Kommission weiterhin, die SMS herauszugeben, die zwischen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem Pfizer-Chef Bourla im Zusammenhang mit dem EU-Impfstoffdeal ausgetauscht wurden. Abgesehen von der Ausrede, dass die SMS nicht aufzufinden wären, seien sie sowieso nicht relevant. Kommissions-Vizepräsidentin Věra Jourová verstieg sich zu der Behauptung: „Aufgrund ihres kurzlebigen und flüchtigen Charakters sind Text- und Sofortnachrichten nicht dazu bestimmt, wichtige Informationen über Politiken, Tätigkeiten und Entscheidungen der Kommission zu enthalten; Sie gelten daher weder als Dokument, das der Aufzeichnungspolitik der Kommission unterliegt, noch fallen sie in den Anwendungsbereich der Verordnung 1049/2001 über den Zugang zu Dokumenten.“[10]

Die New York Times hat im März diesen Jahres die EU-Kommission auf Herausgabe der SMS verklagt. Nach wie vor weicht diese aus. Es bleibt also unklar, ob die Nachrichten, die in der heißen Phase des Impfdeals zwischen von der Leyen und Bourla ausgetauscht wurden, noch existieren. Dass es sie gab, ist dagegen unstrittig.[11]

Neuerdings ist die Debatte um die Rolle von SMS wieder entbrannt. Die NGO Follow the Money deckte auf, dass hinter verschlossenen Türen ein Diskussionspapier der Kommission zirkuliert, dass man SMS normalerweise nicht benutzen sollte und sie nur in „außergewöhnlichen“ Fällen dokumentiert werden müssten. Das stößt im EU-Parlament aber auf Widerspruch.[12]

Der Generaldirektor der seit zwei Jahren existierenden EU-Behörde für Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) bestritt jüngst ebenfalls Fehler der Kommission, konstatierte aber zugleich vielsagend über die Verhandlungen mit Herstellern: „Als wir diese Verträge aushandelten, waren wir gezwungen, Bedingungen zu akzeptieren, die nicht unbedingt unseren Vorstellungen entsprachen, die aber da waren. Wir hatten also keine Wahl.“[13]

Transparenz ist Voraussetzung für Gerechtigkeit

Letztlich ermöglichten erst intransparente Verträge die unfassbaren Milliarden­gewinne, die die Impfstoffhersteller einfuhren. Denn wären die unvorteilhaften Konditionen frühzeitig bekannt geworden, ist schwer vorstellbar, dass solche Vereinbarungen öffentliche Akzeptanz gefunden hätten.

Dem Resümee von Fatima Hassan, Gründerin und Direktorin der Health Justice Initiative, ist daher nichts hinzuzufügen: „Sofern wir nicht zu klaren, rechtsverbindlichen internationalen Vereinbarungen kommen, werden wir in der nächsten Pandemie nur wenig mehr Möglichkeiten haben, faire Bedingungen durchzusetzen als Plattitüden und bissige Presseerklärungen der Minister und Präsidenten in Südafrika und anderen Führern der Welt im Globalen Süden.“[14]  (JS) 

Artikel aus dem Pharma-Brief 6-7/2023, S. 1

Bilder:
Vage Klauseln © Seite aus dem Vertrag zwischen Südafrika und GAVI

Chat © Vladyslav Bobuskyi/iStock

 

[1] Die freigegebenen Dokumente finden sich hier: https://healthjusticeinitiative.org.za/pandemic-transparency [Zugriff 18.9.2023]

[2] HJI (2023) Analysis finds that Big Pharma held South Africa to ransom over COVID-19 vaccines. Press release 18 Sep https://mailchi.mp/33d5c2a09e6a/media-release-from-health-justice-initiative [Zugriff 18.9.2023]

[3] Johnson & Johnson bestritt in einer aktuellen Stellungnahme, dass der Preis von 10 US$ tatsächlich verlangt wurde, es seien auch Südafrika nur 7,50 US$ pro Dosis berechnet worden. Siehe Dyer 2023

[4] Dyer O (2023) Covid-19: Drug companies charged South Africa high prices for vaccines, contracts reveal. BMJ; 15 Sep http://dx.doi.org/10.1136/bmj.p2112

[5] Cullinan K (2023) ‘Bullying’ Pharma Giants Charged South Africa More Than EU for COVID-19 Vaccines. Health Policy Watch 5 Sep https://healthpolicy-watch.news/bullying-pharma-giants-charged-south-africa-more-than-eu-for-covid-19-vaccines [Zugriff 18.9.2023]

[6] Diese beiden Absätze folgen textlich weitgehend Cullinan 2023.

[7] Pharma-Brief (2021) Covid-19: Südafrika zahlt doppelt Nr. 1, S. 8

[8] Pharma-Brief (2021) Pfizers faule Covid-19 Impfstoff-Deals. Nr. 2, S. 4

[9] Pharma-Brief (2023) Trübe Aussichten für künftige Pandemien. Nr. 1, S. 3

[10] Teffer P (2022) European Commission officials admitted that internal record-keeping rules were vague. Follow the Money, 9 March www.ftm.eu/articles/von-der-leyen-european-commission-internal-communication [Zugriff 18.9.2023]

[11] Krempl S (2023) „Nicht wichtig“: EU-Kommission übt sich in Wortklauberei bei Leyens Pfizer-SMS. Heise online 27.7. www.heise.de/news/Nicht-wichtig-EU-Kommission-uebt-sich-in-Wortklauberei-bei-Leyens-Pfizer-SMS-9228829.html [Zugriff 18.9.2023]

[12] Fanta A (2023) Ursula’s secret text messages: what happens in the Commission, stays in the Commission (says the Commission). Follow the Money, 21 Sep www.ftm.eu/articles/ursula-von-der-leyen-text-messages [Zugriff 21.9.2023]

[13] Holmgaard Mersh A (2023)  Delsaux: HERA has taken steps to make pandemic preparedness transparent. Euractiv 14 Sep www.euractiv.com/section/health-consumers/news/delsaux-hera-has-taken-steps-to-make-pandemic-preparedness-transparent/ [Zugriff 19.9.2023]

[14] Hamilton K (2023) Pharma giants set SA vaccine price tag at $734m, confidential contracts reveal. Bizzcommunity 5 Sep www.bizcommunity.com/Article/196/858/241639.html#  [Zugriff 18.9.2023]

[15] https://healthjusticeinitiative.org.za/wp-content/uploads/2023/09/COVAX-Facility-%E2%80%93-Gavi-Alliance-%E2%80%93-Committed-Purchase-Agreement.pdf [Zugriff 20.9.2023]