Interessenkonflikte bei US-Arzneimittelzulassung
Die US-FDA lädt regelmäßig ExpertInnen ein, die ihre Ansichten über anstehende Zulassungen äußern. Das US-Wissenschaftsmagazin Science deckte jetzt auf, dass es ein System der nachträglichen Belohnung gibt.[1] Nicht nur ExpertInnen profitieren davon, auch MitarbeiterInnen der FDA.
Auch wenn das Votum des Advisory Committee für die Behörde nicht bindend ist, folgt sie meist der Ansicht der Fachleute. Wer an einem solchen Treffen der FDA teilnimmt, muss eine Erklärung zu Interessenkonflikten ausfüllen. Wenn die FDA sie als relevant ansieht, werden sie bekanntgegeben.
Ist jedoch noch kein Geld geflossen, kann auch nichts offengelegt werden. Doch auffällig häufig erhalten ExpertInnen aus Advisory Committees später erhebliche Summen von Pharmafirmen. Der, dessen Stimme im Zulassungsprozess gehört wird, ist für Hersteller interessant. Das gilt nicht nur für die Firma, die von einer positiven Expertenmeinung im Zulassungsprozess profitiert hat, sondern auch für Firmen, die Konkurrenzprodukte für dieselbe Indikation entwickeln.
Science wertete über 20 Advisory Committees der FDA aus. Insgesamt hatten dabei 107 ÄrztInnen abgestimmt, die keine Interessenkonflikte angegeben hatten. 66 erhielten später Pharmagelder, 40 davon über 10.000 US$, sieben sogar mehr als eine Million US$.
Drehtür FDA – Industrie
Auch die MitarbeiterInnen der FDA, die die Zulassungsanträge inhaltlich bearbeiten, sogenannte Reviewers, laufen Gefahr, bei ihrer Arbeit künftige Jobs im Auge zu haben. Bereits 2016 hatten Jeffrey Bien und Vinay Prasad die spätere Karriere von allen Reviewern für Krebsmedikamente von 2006-2010 untersucht.[2] Die Hälfte war auch 2016 noch bei der FDA beschäftigt, aber von den Ausgeschiedenen hatten 57,7% inzwischen einen Job bei der Industrie oder fungierten als Berater für Pharmafirmen.[3]
Science wertete aktuelle Daten aus. Die Redakteure deckten auf, dass von 16 Reviewers, die die FDA verließen, 11 entweder direkt bei einer Pharmafirma anfingen oder als Berater für die Industrie tätig wurden.[4] Einziger Schutzwall gegen den Drehtüreffekt: Leitende MitarbeiterInnen der Behörde dürfen nach dem Wechsel in die Industrie ein bis zwei Jahre die Firma nicht bei der FDA vertreten. Das gilt aber nicht für gewöhnliche Reviewer, für die es keine Einschränkungen in der weiteren Berufsausübung gibt.
Mit einigen Beispielen illustriert Science die Problematik von scheinbar unabhängigen ExpertInnen, die sich später von Firmen unterstützen lassen und von BehördenmitarbeiterInnen, die die Seiten wechseln.
Ticagrelor
Vier Ärzte, die 2010 beim FDA Advisory Committee über den Gerinnungshemmer Ticagrelor abstimmten (Markenname in den USA: Brilinta®), hatten zu diesem Zeitpunkt laut FDA keine relevanten Interessenkonflikte. Aber in den folgenden Jahren ergoss sich über die Vier eine Gelddusche von AstraZeneca und Konkurrenten. Besonders viel bekam der Kardiologe Jonathan Halperin ab: Von 2013-2016 erhielt er über 200.000 US$ als Honorare, für Reisekosten und Beratung.[5] Für Forschung zu Ticagrelor, an der Halperin persönlich beteiligt war, zahlte AstraZeneca seiner Uni fast zwei Millionen US$. Der Kardiologe sieht für sich persönlich kein Problem. Wenn eine Firma ihn für einen Vortrag oder Beratung bezahle, „ist das wirklich nicht viel anders als wenn dir die Versicherung einen Scheck dafür gibt, dass du irgendwann einen Patienten behandelt hast.“ Halperin räumte immerhin ein, dass die Erwartung auf zukünftige Belohnung Ansichten beeinflussen kann: „Ich teile die Sorge, dass das dazu führen kann, dass Leute auf eine Weise agieren, die man nicht möchte.“
Quetiapin
2009 gab es gleich zwei FDA Advisory Committees zu Quetiapin (Seroquel® von AstraZeneca). Dabei ging es um die Frage, ob Quetiapin künftig auch gegen Schizophrenie und bipolare Störungen eingesetzt werden dürfe. Bereits damals war bekannt, dass der Wirkstoff, wenn er mit anderen Medikamenten kombiniert wird, plötzlichen Herzstillstand auslösen kann. Trotzdem stimmten die beratenden ÄrztInnen mit großer Mehrheit beiden Zulassungserweiterungen zu. Mehrere der Berater erhielten anschließend erhebliche Summen von der Industrie.
Mit 1,36 Mio. US$ kassierte Christopher Granger den größten Betrag. Er behauptete auf Nachfrage, das Geld sei nur in die Forschung geflossen. Allerdings sagt die staatliche Datenbank etwas anderes: Über 400.000 US$ flossen als Honorare, für Reiskosten und für Beratung an Granger persönlich – darunter das ganze Geld, das er von AstraZeneca erhalten hatte.
Granger rechtfertigte sich. „Ich bin mir darüber im Klaren, dass, wenn mich jemand bezahlt, mich das – wie jedes andere menschliche Wesen – in meiner Denkweise beeinflussen kann. Ich bin nicht so naiv.“[1] Trotzdem habe er geglaubt, dass für einige PatientInnen mit schweren psychischen Störungen der Nutzen von Quetiapin gegenüber den Risiken überwiege.
Auch ein FDA-Mitarbeiter fiel bei einem der Advisory Committee Meetings zu Quetiapin 2009 auf: Thomas Laughren, seinerzeit Direktor der Abteilung Psychopharmaka bei der FDA, kanzelte den Wissenschaftler Wayne Ray, der seine Untersuchung zum plötzlichen Herzstillstand vorgestellt hatte, regelrecht ab. Laughren hielt dagegen die Auswertung der Studien von AstraZeneca für glaubwürdig, in denen kein Risiko erkennbar war. Ray warnte jedoch davor, diese Aussage der Firma als „endgültig“ anzusehen. Methodisch seien die Berechnungen unzuverlässig, da AstraZeneca die Daten aus unterschiedlichen Studien einfach zusammengerechnet hatte, als sei es eine einzige Studie gewesen. Laughren entgegnete flapsig, plötzlicher Tod wäre „ein ziemlich endgültiges Ereignis“.
Kurz nach den Anhörungen verließ Laughren die FDA und gründete eine Beratungsfirma., die auch AstraZeneca bei Zulassungen half. Science wollte er keine Auskunft über seinen Rollenwechsel geben.
2010, also ein Jahr nach der Zulassungserweiterung, musste AstraZeneca dem Staat 520 Mio. US$ wegen Unregelmäßigkeiten bei klinischen Studien und wegen der Bewerbung von Seroquel® für nicht zugelassene Indikationen zahlen. Im gleichen Jahr erzielte die Firma – die trotz der großen Zahlung jedes Fehlverhalten abstritt – mit dem Medikament fünf Milliarden US$ Umsatz. Ein Jahr später, 2011, musste sie auf Anordnung der FDA eine Warnung in den Beipackzettel aufnehmen, dass bei Kombination mit anderen Medikamenten die Gefahr von Herzstillstand besteht.
Karen Birmingham, Pressesprecherin von AstraZeneca, sieht die Rolle von ehemaligen Behördenmitarbeitern dennoch positiv. Sie „bringen die Perspektive von erfahrenen Regulierern ein“ und würden damit den heutigen MitarbeiterInnen der Zulassungsbehörde helfen, „herausfordernde Entscheidungen über die Zulassung innovativer Arzneimittel, die Behandlungslücken schließen, zu treffen.“ [4]
Vinay Prasad, der die erste Untersuchung zum Drehtüreffekt bei der FDA durchgeführt hat, sieht das etwas anders. Schwache Regeln zu Interessenkonflikten bei der FDA und künftige Beschäftigungsaussichten, brächten die Bewertungen der Behörde in eine Schieflage. „Wenn dein möglicher nächster Arbeitgeber Nr. 1 dir gegenübersitzt, dann gibst du nicht den harten Hund, wenn du ihn reglementierst. Das liegt einfach in der menschlichen Natur.“ [4]
Laxe Kontrolle
Science überprüfte aber nicht nur spätere Zahlungen an ÄrztInnen, sondern auch, ob die Angaben zu Interessenkonflikten bei der FDA angemessen waren. Hier wurde ebenfalls mangelnde Kontrolle deutlich.
Bei vielen ExpertInnen, bei denen die FDA keine relevanten Konflikte sah, gab es in Wirklichkeit doch welche. Durch die Recherche wurde aufgedeckt, dass doch Geld floss: Firmen, die von der Zulassungsentscheidung betroffen waren, hatten die scheinbar unabhängigen ExpertInnen unterstützt.
Von den 17 durch die FDA als unabhängig deklarierten ÄrztInnen, die nach den FDA-Beratungen die höchsten Beträge von Firmen kassierten (über 300.000 US$) hatten 11 in Wirklichkeit auch schon im Jahr vor oder während der FDA-Beratung Gelder erhalten. Fünf davon von genau der Firma, um deren Produkt es bei der FDA ging. Science hatte diese Information in den Erklärungen zu Interessenkonflikten bei Fachartikeln der ÄrztInnen gefunden.
Ob das Versagen bei der FDA oder bei den beteiligten Ärzten liegt, bleibt unklar. Die beiden oben erwähnten Experten Halperin und Granger hatten zunächst zugesagt, Science ihre bei der FDA eingereichten Erklärungen zu Interessenkonflikten zur Verfügung zu stellen. Aber auch auf mehrfache Nachfragen wurden sie nicht zugesandt. Bei der FDA selbst wurde Science ebenso wenig fündig. Beide Erklärungen seien nicht auffindbar, teilte die Behörde mit.
Und in Europa?
Bei schwierigen Entscheidungen greift auch die europäische Zulassungsbehörde EMA auf externe ExpertInnen zu. Allerdings ist – im Gegensatz zu den USA – nicht ohne weiteres nachvollziehbar, wann das geschieht und wer angehört wurde. Deshalb helfen die auf der EMA Website hinterlegten Erklärungen zu Interessenkonflikten nicht weiter. Außerdem ist eine externe Überprüfung der Pharmazahlungen in Europa nicht möglich. In den USA konnte Science eine solche Untersuchung durchführen, weil durch den Physicians Payment Sunshine Act alle Zahlungen der Industrie an ÄrztInnen in einer öffentlichen Datenbank hinterlegt sind. Eine freiwillige Offenlegung, wie die seit kurzem in Deutschland eingeführte, erfasst nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Zahlungen und ist deshalb nutzlos. (JS)
Artikel aus dem Pharma-Brief 6/2018, S.1
[1] Piller C and You J (2018) Hidden conflicts? Pharma payments to FDA advisers after drug approvals spark ethical concerns. Science. www.sciencemag.org/news/2018/07/hidden-conflicts-pharma-payments-fda-advisers-after-drug-approvals-spark-ethical [Zugriff 18.7.2018]
[2] Bien J und Prasad V (2016) Future jobs of FDA’s haematology-oncology reviewers. BMJ; ae54, p i5055
[3] Einige wenige wechselten zu anderen Behörden. Bei 30,8% konnte der neue Arbeitgeber nicht identifiziert werden
[4] Piller C (2018) FDA’s revolving door: Companies often hire agency staffers who managed their successful drug reviews. Science http://www.sciencemag.org/news/2018/07/fda-s-revolving-door-companies-often-hire-agency-staffers-who-managed-their-successful [Zugriff 18.7.2018]
[5] Die US-Datenbank mit Zahlungen der Industrie an ÄrztInnen wurde erst 2013 eingeführt, deshalb liegen zu vorangegangenen Jahren keine Daten vor.