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EU verhandelt mit Lateinamerika

Gleich drei internationale Abkommen sind derzeit in Arbeit: Eines mit Mercosur, dem gemeinsamen Markt Südamerikas (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay), sowie Neuverhandlungen von bestehenden Verträgen mit Mexiko und Chile. Die European Public Health Alliance (EPHA) hat die gesundheitlichen Aspekte der Entwürfe unter die Lupe genommen.[1]

Nachdem die Verhandlungen zum transatlantischen Handelsvertrag TTIP zwischen der EU und den USA eingefroren sind, versucht die EU-Kommission, günstige Bedingungen für Handel und Industrie in anderen Weltregionen auszuhandeln.

Die Generaldirektion für Gesundheit und Nahrungsmittelsicherheit der EU (DG SANTE) hat 2016 einen strategischen Plan für die nächsten vier Jahre erarbeitet, der auch schon für die TTIP-Verhandlungen galt. Erstes Ziel: „Ein neuer Schub für Jobs, Wachstum und Investitionen in der EU.“ [2]

Diese wirtschaftsfreundliche Haltung spiegelt sich auch in den Positionen der EU in den aktuellen Verhandlungen mit Lateinamerika wider. Eines der Hauptziele ist eine Senkung von Zöllen für Nahrungsmittel, Tabak und Medikamente. Ein anderes der Schutz von Direktinvestitionen europäischer Firmen in diesen Ländern.

Tabakförderung?

Ein weiterer Erfolgsindikator sind Direktinvestitionen im Nahrungs- und Pharmasektor von EU-Mitgliedsstaaten im Ausland. 2016 schrieb DG SANTE (noch mit Blick auf TTIP) dazu: „Bedauerlicherweise enthalten die Zahlen zum Ernährungssektor auch Tabak und Getränke und sie können aus Vertraulichkeitsgründen nicht getrennt dargestellt werden.“ [1]

Tabakkonsum kostet nach Schätzungen der Kommission jährlich 700.000 Menschen in der EU das Leben. In allen Mercosur-Staaten, Chile und auch Mexiko zählt Rauchen zu den Top fünf der Verursacher von verlorenen gesunden Lebensjahren.

Sollte also auch für die Tabakindustrie Investitionsschutz vereinbart werden, würden damit zugleich regulative Maßnahmen zum Schutz von VerbraucherInnen vereitelt – etwa neutrale Verpackungen für Zigaretten. Uruguay hat in diesem Zusammenhang bereits unangenehme Erfahrungen gemacht. Aufgrund des Investitionsschutzabkommens zwischen der Schweiz und Uruguay wurde das Land von Philip Morris vor ein Schiedsgericht gezerrt. Letztlich verlor die Zigarettenfirma zwar, aber die beträchtlichen Prozesskosten wurden Uruguay erst nach sechs Jahren erstattet.

Ungesundes Essen

Alle drei Vertragsentwürfe der EU beschäftigen sich mit der Beseitigung von Handelshemmnissen, die durch unterschiedliche Standards für Lebensmittel entstehen. Davon wären zum Beispiel die Warnhinweise auf Produkten mit hohem Kalorien-, Zucker- oder Salzgehalt in Chile betroffen. Der Abbau von Handelsschranken ist hier kontraproduktiv und untergräbt den Verbraucherschutz. Bereits heute sind in lateinamerikanischen Ländern viele Menschen stark übergewichtig und Diabetes sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen rasch zu. Schon 2015 stellte die PAHO fest, dass es in der Region einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Vordringen von stark verarbeiteten kalorienreichen Lebensmitteln, Zuckerbrausen und Übergewicht und Diabetes gibt.[3] Bislang spielte dabei vor allem das Vordringen US-amerikanischer Firmen und ihrer ungesunden Produkte die größte Rolle.

Aber auch für Europa könnte die Liberalisierung des Ernährungssektors negative Folgen haben: Zucker würde deutlich billiger werden. Auch Fleischimporte nähmen zu. Sinkende Preise würden den Konsum erhöhen mit ebenfalls negativen gesundheitlichen Folgen. Ein zusätzliches Problem dabei: eine größere Fleischproduktion geht zu Lasten der Versorgung der Menschen in Lateinamerika mit Getreide, Mais, Obst und Gemüse. Die bereits jetzt oft zweifelhaften Produktionsbedingungen von Fleisch in der EU würden sich weiter verschlechtern.

Alkoholhaltige Getränke könnten ebenfalls zu den von Handelshemmnissen befreiten Produkten gehören. Die negativen Folgen für die Gesundheit sind hinreichend bekannt.

Zugang zu Medikamenten

Im Dezember 2017 sickerten Dokumente zu den Mercosur-Verhandlungen durch, die eine ambivalente Haltung der EU zu geistigen Eigentumsrechten zeigen. So werden Datenexklusivität und zusätzliche Schutzzertifikate erwähnt, die faktisch den Patentschutz verlängern. Beides verzögert die Einführung von Generika.

Ob es sich um Tabak, ungesunde Ernährung oder teure Medikamente handelt, alle diese Probleme müsste die EU eigentlich angehen, denn sie hat sich den nachhaltigen Entwicklungszielen der UN verpflichtet (Sustainable Development Goals, SDGs). Das gilt für die Politik in den Mitgliedsstaaten ebenso wie für die Außenpolitik. Schon deshalb verbietet sich eine Wirtschaftspolitik, die der Gesundheit schadet.  (JS)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 4-5/2018, S. 4

[1] EPHA (2018) Unhealthy trades. The side-effects of the European Union’s Latin American trade agreements. Brussels. https://epha.org/unhealthy-trades-the-side-effects-of-the-european-unions-latin-american-trade-agreements-report

[2] EU (2016) DG Health & Food Safety. Strategic Plan 2016-2020. https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/strategic-plan-2016-2020-dg-sante_may2016_en_1.pdf

[3] PAHO (2015) Ultra-processed food and drink products in Latin America: Trends, impact on obesity, policy implications. Washington, DC