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Empfehlungen zu Tropenkrankheiten mit Lücken

Was kann Deutschland zum Kampf gegen vernachlässigte Krankheiten beitragen? Eine Studie im Auftrag des Deutschen Netzwerks gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten (DNTDs) gibt umfangreiche Empfehlungen.[1] Die meisten sind begrüßenswert, aber Interessenkonflikte, die die Umsetzung der Ziele konterkarieren könnten, werden ausgeblendet.

Das DNTDs ist ein Netzwerk verschiedener Forschungseinrichtungen, Nichtregierungsorganisationen und Phar­makonzerne, das auf eine Initiative des Verbandes forschender Arznei­mittelunternehmen (Vfa) zurückgeht.[2] Ilona Kickbusch, eine bekennen­de Befürworterin von Public Private Partnerships,[3] ist Hauptautorin des Berichts.

In der internationalen gesundheitspolitischen Debatte spielt die Soziologin und Politikwissenschaftlerin Kickbusch eine zentrale Rolle. Im August 2017 berief Bundesgesundheitsminister Gröhe sie zur Vorsitzenden eines recht einseitig zusammengesetzten Fachgremiums, das sein Ministerium zu Fragen der globalen Gesundheit beraten soll (der Pharma-Brief berichtete).[3] Kickbuschs Standpunkte zu vernachlässigten Krankheiten kann man nun in der DNTDs-Publikation lesen.

Nachhaltige Entwicklungsziele

Zentrales Element der Empfehlungen ist es, die nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals SDGs) zu verwirklichen. Ein wichtiges Werkzeug dafür ist eine grundlegende und erschwingliche Gesundheitsversorgung für alle (Universal Health Coverage). Strategien zur Bekämpfung vernachlässigter Krankheiten dürften nicht länger bei einzelnen krankheitsbezogenen Programmen verharren, sondern müssten in umfassendere Ansätze integriert sein, so der Bericht. Vernachlässigte Krankheiten sollten als Querschnittsthema verstanden werden, das in allen Bereichen Beachtung findet – von der Armuts- und Hungerbekämpfung sowie der Trinkwasser- und Sanitärversorgung bis hin zur gleichberechtigten Teilhabe.

Dieser Ansatz ist an sich nicht neu und wird von vielen Akteuren gefordert. Auch die Pharma-Kampagne weist seit Jahrzehnten auf die Notwendigkeit integrierter Programme hin. Kickbusch sieht in der derzeitigen global­politischen Situation eine Chance zur Umsetzung der SDGs, aber bestehende Interessenkonflikte ignoriert sie.

Blick zurück

Das beginnt bei ihrer Bestandsaufnahme zur Bekämpfung vernachlässigter Krankheiten. Die teils unrühmliche Rolle der Industrie, was die Verfügbarkeit lebensrettender Therapien angeht, wird im historischen Rückblick ausgeblendet. Beispielsweise wurde 1995 das wichtige Medikament gegen Schlafkrankheit, Eflornithin, als „unrentabel“ vom Markt genommen, fünf Jahre später aber als lukratives Kosmetikum wieder eingeführt.

Systematische und koordinierte Strategien gab es erstmals um das Jahr 1952, als WHO und UNICEF ein Programm zur Frambösie starteten, einer bakteriellen Infektion. Bis in die 2000er Jahre war die globale Arbeit vor allem durch spezifische Krankheitsprogramme geprägt. Beispielhaft sind die präventiven medikamentösen Massenbehandlungen gegen Bilharziose, Wurmerkrankungen oder Flussblindheit. Weitere Säulen der WHO-Arbeit sind gezielte Behandlungsprogramme (z.B. bei Chagas, Schlafkrankheit, Lepra), die Vektorkontrolle zur Eindämmung von Krankheitsüberträgern (z.B. die Bekämpfung der Tigermücke, die u.a. das Dengue-Fieber überträgt) sowie veterinärmedizinische Maßnahmen, um die häusliche Viehhaltung zu verbessern (z.B. Echinokokkose). Das Programm WASH soll wiederum die Sanitär- und Trinkwasserhygiene verbessern und damit u.a. Wurmerkrankungen vorbeugen.

Einen Meilenstein verortet die Studie im Jahr 2006, da habe die Bündelung der Akteure begonnen. So wurden im USAID NTD-Programm erstmals Strategien gegen fünf vernachlässigte Krankheiten in einem Programm vereint. Die dritte große Veränderung sei 2015 mit den SDGs und dem Konzept der integrierten Programme gefolgt.

Auch die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen hätten sich zum Positiven verändert, so die AutorInnen. Neben dem erklärten Ziel der Universal Health Coverage werde auch globale Gesundheit immer mehr als wichtiges Thema wahrgenommen, wie die Beispiele Ebola und Zika zeigten. Und wirtschaftliche Veränderungen verschöben geopolitische Gewichte. China trete als neuer Akteur in Afrika auf, andere Schwellenländer wie Südafrika oder Brasilien würden immer stärker in die Verantwortung genommen.

Bestandsaufnahme

Als relevante Akteure machen die AutorInnen vor allem drei Gruppen aus: die Geldgeber (USA, Großbritannien, Gates), die Industrie (Arzneimittelspenden) und die Partnerländer, die das Thema vernachlässigte Krankheiten möglichst in ihre allgemeine Gesundheitsversorgung integrieren („ownership“) sollten. Dass der Einfluss einzelner Staaten und privater Geldgeber nicht unproblematisch ist, wird nicht weiter thematisiert (siehe Artikel auf S. 1).

Bei den bisherigen Programmen sehe die Bilanz sehr uneinheitlich aus. Bei der Schlafkrankheit (HAT) sei man auf dem Weg zur Eliminierung, wogegen Leishmaniose in Krisengebieten immer wieder aufflamme. Bei Chagas und anderen Krankheiten versagten die bisherigen Bekämpfungsstrategien sogar.

Von Seiten der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit laufen derzeit zwei spezifische Programme. Die „Bekämpfung vernachlässigter Tropenkrankheiten in der CEMAC-Region“ fokussiert auf Zentralafrika, „Fit for School“ auf die Länder Indonesien, Kambodscha, Laos und Philippinen. Nicht-staatliche Programme organisieren unter anderem DAHW, DIFÄM, Christoffel Blindenmission und MSF.

Zur Forschungsförderung gibt es seit 2010 verschiedene Initiativen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, wobei die Finanzierung im internationalen Vergleich noch weiter ausgebaut werden sollte.

Wie weiter?

Der Bericht empfiehlt, Programme zu vernachlässigten Krankheiten stärker mit anderen Programmen (Landwirtschaft, Wasser etc.) zu verknüpfen. Als positives Beispiel wird die „BMZ Wasserstrategie“ (2017) genannt. Deren Ziel ‚Zugang zu Sanitär- und Trinkwasserversorgung schaffen und Hygiene sicherstellen‘ hat direkten Bezug zu vernachlässigten Krankheiten. Dort solle jedoch die Vektorkontrolle stärker berücksichtigt werden. Denn die Erfahrung zeige, dass es in der Folge großer Damm- und Wasserkraftwerkprojekte häufig zu einem (Wieder-)Aufflammen von Bilharziose (Schistosomiasis) komme (z.B. Gezira-Managil Dam, Sudan).

Auch ein Projekt aus Tansania wird positiv hervorgehoben Die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe und das Missionsärztliche Institut haben dort vernachlässigte Krankheiten, WASH-Komponenten (Trinkwasser, befestigte Bootsanleger), Aufklärungskampagnen und medikamentöse Behandlung von Bilharziose (Schistosomiasis) zusammengebracht.

Analoge Verknüpfungen wären auch für andere SDGs wichtig, etwa die Hunger-Bekämpfung oder Geschlechtergerechtigkeit. Deutschland müsse solche integrativen, vernetzten Ansätze nicht nur in den eigenen Programmen der Entwicklungszusammenarbeit verfolgen, sondern auch entsprechende multilaterale Aktivitäten z.B. bei der WHO unterstützen.

In Deutschland solle außerdem die Translationsforschung bei Diagnostika und Therapien ausgebaut werden, also die Weiterführung von Grundlagenforschung hin zur Produktentwicklung. Das läuft im Wesentlichen über die Förderung von Produktentwicklungspartnerschaften PDPs, aber auch beim Deutschen Zentrum für Infektionsforschung DZIF, einem deutschlandweiten Forschungsverbund.

Nicht genug

In einem zentralen Punkt liegt der Bericht richtig: Universal Health Coverage und Aufbau von Gesundheitssystemen sind wichtig. Damit geht er einen Schritt weiter als die „Londoner Erklärung“ von 2012, wo Pharmaunternehmen und Gates Stiftung ihre Sicht auf die Dinge vorstellten. Auf diese Erklärung beruft sich das DNTDs.[4] Die Stärkung lokaler Gesundheitssysteme war dort noch kein Thema.[5]

Schwächen zeigen sich, wenn die Rede auf multinationale Pharmaunternehmen kommt. Sie werden ausführlich für ihre Spenden gelobt, und es wird eine „NTD community“ beschrieben, die ein „sektorüber­greifendes ‚Öko­-system‘ aus NGOs, Unternehmen und Wissenschaft“ sei, das noch enger zusammenarbeiten solle. Den Pharmaunternehmen wird dabei eine „Mittlerrolle zwischen den Politikfeldern“ zugesprochen.

Pharmaindustrie als Mittler und Teil der Lösung? Sie ist eher Teil des Problems. Eine umfassende bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung endet nicht damit, dass Medikamente für vernachlässigte Krankheiten gespendet werden. Auch die Behandlung von Krebs oder Hepatitis muss bezahlbar sein – um nur zwei Beispiele zu nennen, wo Pharmaunternehmen mit ungerechtfertigt hohen Preisen selbst für reiche Länder die Behandlungskosten in schwindelnde Höhen treiben. Hohe Produktkosten, Forschungslücken, Lieferengpässe, Intransparenz bei Studiendaten – die Liste der Probleme im regulären Pharmamarkt ist auch abseits des Themas vernachlässigte Krankheiten lang.[6]

Wenn wirtschaftliche Gewinninte­ressen mit den Bedürfnissen der Gesundheit kollidieren, muss das klar benannt werden. Denn einer Gesundheitsversorgung für alle, die schon 1978 die Erklärung von Alma Ata forderte, stehen bis heute zahlreiche mächtige Akteure und Partikularinteressen im Weg. Gerade eine „integrierte Umsetzung“ globaler Gesundheitsziele erfordert es, Gesundheitssysteme und -politiken umfassend in den Blick zu nehmen. Dazu gehört auch die kritische Betrachtung von Pharmaunternehmen als zentrale Akteure. Die enge Fokussierung auf einige Projekte zur Erforschung tropischer Krankheiten ist hier wenig zielführend. Aber da das Deutsche Netzwerk gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten im Wesentlichen von der Pharmaindu­strie gegründet wurde, sparen die Autor­Innen andere Aktivitäten der Unternehmen wohlweislich aus.  (CW)

 

Artikel aus dem Pharma-Brief 1/2018, S. 6

[1] Kickbusch I und Franz C (2017) Die integrierte Um­set­zung der Bekämpfung der vernachlässigten Tropen­krankheiten – Potential Deutschlands. www.dntds.de/de/aktivitaeten-details/deutschlands-potential-bei-der-bekaempfung-von-vernachlaessigten-tropenkrankheiten.html

[2] Pharma-Brief (2013) Pharmaindustrie erfindet Zivilgesellschaft neu. Nr. 10, S. 6

[3] Pharma-Brief (2017) Deutschland: Einseitiger Rat: Nr. 7, S. 8

[4] www.dntds.de/de/hintergrund.html

[5] Pharma-Brief (2012) WHO oder Industrie? Nr. 1, S. 1

[6] Pharma-Brief (2016) 10 Mythen der Pharmaindustrie. Spezial Nr. 2