Pharma Brief3 C Schaaber web


US-Firma führt unkontrollierten Menschenversuch durch

In der kleinen Karibikrepublik St Kitts und Nevis testete das US-Unternehmen Rational Vaccines einen neuen Herpes-Impfstoff, ohne Prüfung durch eine Ethik-Kommission. Die Versuchspersonen waren BürgerInnen aus Industrieländern. Das hat Implikationen über den Einzelfall hinaus, denn zu den Investoren gehören Freunde und Berater von US-Präsident Trump, die von Kontrolle wenig halten.

20 BürgerInnen aus den USA und Großbritannien erhielten 2016 den experimentellen Herpes-Impfstoff.[1] Sie waren eigens für die Impfungen in die Karibikrepublik eingeflogen worden. Offensichtlich um die ethische Kontrolle der Tests zu umgehen. Die Versuche, die von Prof. Halford von der Southern Illinois University mit abgeschwächten lebenden Viren durchgeführt wurden, sind relativ risikoreich. Schlampige Handhabung kann zu Infektionen Dritter führen und für die Testpersonen sind sie natürlich auch nicht ohne Gefahren.

Die Universität brüstete sich noch Anfang 2017 auf ihrer Website mit einem euphorischen Artikel mit dem Titel „Game Changer“[2] mit Halfords Forschung: „Der Versuch war auf Einfachheit, Geschwindigkeit und Effizienz ausgelegt. [..] die positiven Ergebnisse haben in der online-Community der Herpespatienten Enthusiasmus und Optimismus ausgelöst.“[3]

Heute will die Southern Illinois University (SIU) mit der Sache nichts mehr zu tun haben. Der Artikel wurde gelöscht. Halford war seit 2007 bis 2017 an der SIU angestellt und hatte sich mit den Möglichkeiten einer Herpes Impfung beschäftigt. Seine Forschungen waren auch von den staatlichen National Institutes of Health gefördert worden.[4] Als er Aussichten auf kommerziellen Erfolg sah, gründete er mit Beteiligung von Kapitalgebern „Rational Vaccines“.

Obwohl die Universität zwei Impfstoffkandidaten an die Firma lizensiert hatte, sieht sie sich nicht in der Verantwortung. Halford hätte die Versuche nicht im Auftrag der Universität, sondern seiner Firma durchgeführt. Deshalb sei keine Genehmigung durch die Ethik-Kommission nötig gewesen.[1] Auf Nachfragen sagte die Sprecherin Karen Carlson: „[Wir] werden die Gelegenheit nutzen, unsere internen Prozesse zu überprüfen, damit wir sicher sein können, vorbildliche Verfahren zu haben.“[1]

Rational Vaccines spielte die Risiken herunter. Der Hollywood-Filmmacher Agustin Fernández III, der die Firma gemeinsam mit Halford gegründet hatte, behauptete, der Forscher habe die nötigen Vorkehrungen getroffen. Halford, der den Impfstoff an Fernández und sich selbst testete, kann man nicht mehr fragen, er starb im Juni 2017.

Testflüge

Dass US-BürgerInnen eigens nach St. Kitts geflogen wurden, damit sie die Impfdosen erhalten, ist eine besondere Provokation. Denn die US-Zulassungsbehörde FDA verlangt die Genehmigung aller Versuche an Menschen durch eine Ethik-Kommission, egal wo in der Welt sie stattfinden. Das und die Möglichkeit der Überwachung der Versuche durch die Behörde sind zwingende Voraussetzung für eine spätere Zulassung in den USA.

Robert Califf, im Januar 2017 von Trump entlassener FDA-Chef, sagte, ihm sei sonst kein Fall bekannt, bei dem US-ForscherInnen ohne Ethik-Kommission gearbeitet hätten: „Es gibt eine Tradition, Experimente an Menschen zu überwachen, und die gibt es aus guten Gründen. […] Es mag [in St Kitts] legal sein, ohne Überwachung zu arbeiten, aber es ist falsch.“[1]

Karibikinsel protestiert

Die Regierung von St. Kitts und Nevis ist aber keineswegs mit dem Versuch einverstanden und hat eine offizielle Untersuchung eingeleitet. Nicht nur die Tests seien illegal gewesen, sondern auch der Import des nicht zugelassenen Impfstoffs hätte gemeldet werden müssen.[5]

Tabubruch

Die Journalistin Marisa Taylor, die die Hintergründe recherchierte, hält das Vorgehen der Firma für politisch motiviert: „Der neue FDA-Chef Scott Gottlieb, der enge finanzielle Verflechtungen mit der Pharmaindustrie hatte, hat vor seiner Ernennung die FDA wegen übertriebenem Verbraucherschutz zum Schaden von medizinischen Innovationen scharf kritisiert.“[1] Zu den Investoren bei Rational Vaccines gehört auch Peter Thiel, Mitbegründer von PayPal, der Trump im Wahlkampf unterstützte und ihn bei der Auswahl der Kandidaten für den FDA-Chefposten beriet. Fernández hofft, dass der gegen grundlegende ethische Regeln verstoßende Versuch politischen Druck auf die FDA ausübt, den Impfstoff genauer anzuschauen.

Außerdem mit von der Partie ist Bartley Madden, ehemaliger Credit Suisse Banker und Berater des konservativen Heartland Institute. Madden bezeichnete die Versuche als „Testfall.“ „Die FDA steht im Weg und Amerikaner werden davon hören und Veränderungen verlangen.“[1] (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 7/2017, S. 3
Bild Saint Kitts at Dawn © Martin Falbisoner

 

[1] Taylor M (2017) Offshore Human Testing Of Herpes Vaccine Stokes Debate Over U.S. Safety Rules. Kaiser Health News. 28 Aug.

[2] Bahnbrechend

[3] Sandstrom S (2017) Game Changer. Aspects; 40, No. 1. Der Artikel wurde nach dem 1.3.2917 aus dem Web entfernt. https://web.archive.org/web/20170301073112/http://www.siumed.edu/pubs/aspects/40-1/coverstory.html

[4] Halford WP et al (2010) Herpes Simplex Virus 2 ICP0− Mutant Viruses Are Avirulent and Immunogenic: Implications for a Genital Herpes Vaccine. PLoS ONE; 5,p e12251

[5] Taylor M (2017) St. Kitts Launches Probe Of Herpes Vaccine Tests On U.S. Patients. Kaiser Health News. 31 Aug.