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Werden Medikamente in den USA zu langsam zugelassen?

Immer wieder hört man Vorwürfe der Industrie, dass es zu lange dauert, bis Arzneimittel von den Behörden für den Markt freigegeben werden. Zwei US-Wissenschaftler sind der Sache auf den Grund gegangen – mit erstaunlichen Ergebnissen.

Obwohl die FDA eine der schnellsten Zulassungsbehörden der Welt ist, reißt die Kritik der Pharmaindustrie nicht ab. Insgesamt hat sich in den letzten Jahrzehnten weltweit die Zeit bis zur Zulassung erheblich verkürzt. Die EU-Kommission ermittelte schon 2009, dass sich innerhalb der letzten dreißig Jahre die Zeitspanne zwischen Patentanmeldung und Zulassung von 12 auf 6 Jahre halbiert hat.[1] 2014 hatte die wirtschaftsliberale Denkfabrik „Manhattan Institute“ besonders die Abteilung für Herzkreislauf-Krankheiten der US-Behörde FDA angegriffen und als „am wenigsten effizient“ bezeichnet. Einer der Autoren ist Joseph DiMasi, der auch für die viel zitierten, aber umstrittenen hohen Zahlen zu Forschungskosten für Arzneimittel verantwortlich zeichnet.[2]

Faktencheck

Thomas Marciniak, ehemals selbst Mitarbeiter der kritisierten FDA-Abteilung, und Prof. Victor Serebruary von der Johns Hopkins University, Maryland/USA, nahmen alle Zulassungen für kardiovaskuläre Medikamente von 2011 bis 2015 unter die Lupe.[3] Ihre Fragestellung: Wer brauchte bei der Bearbeitung der 15 Anträge wie lange und warum? Dabei unterschieden sie zwischen der Zeit, die die wissenschaftliche Bewertung brauchte und dem anschließenden Entscheidungsprozess der FDA-Leitung.

Firmen: acht Monate

Vom Abschluss der entscheidenden Studie (letzter Patientenkontakt) bis zur Einreichung des Dossiers bei der FDA vergingen im Median acht Monate.[4] Dabei gab es enorme Unterschiede: Die Hersteller der Wirkstoffe Apixaban und Rivaroxaban brauchten nur 4 Monate, bei drei anderen Wirkstoffen dauerte es über ein Jahr. In einem Fall vergingen sogar über vier Jahre, bis die Behörde die Unterlagen von der Firma bekam und ihre Arbeit beginnen konnte.

Für die zeitlichen Verzögerungen machen die Autoren verschiedene Gründe aus: Unerfahrenheit über die Anforderungen an die einzureichenden Dokumente bei jüngeren Firmen, Priorisierung anderer Medikamente bei der Firma oder langwierige Überlegungen wie man widersprüchliche Ergebnisse aus Studien interpretiert und darstellt.

FDA: acht Monate

Die FDA WissenschaftlerInnen der Abteilung für Herzkreislauf-Krankheiten brauchten im Median acht Monate (maximal neun Monate) für die Bewertung eines neuen Arzneimittels. Angesichts der Tatsache, dass in diesem Indikationsgebiet sehr große Studien mit teils über 10.000 PatientInnen ausgewertet werden müssen, ist das keine lange Zeit. Zumal die FDA – im Gegensatz zur europäischen Behörde EMA – nicht nur die zusammengefassten Ergebnisse im Clinical Study Report (CSR) betrachtet, sondern die einzelnen PatientInnendaten analysiert. Dass das länger dauert als bei anderen Krankheitsbildern, bei denen deutlich kleinere Studien vorgelegt werden, verwundert nicht.

Länger mit Grund?

Dass es nach der wissenschaftlichen Bewertung im Median noch drei Monate bis zur endgültigen Entscheidung dauerte, mag lang erscheinen, aber Verzögerungen können durchaus mit Zweifeln zu tun haben. Bei zwei Wirkstoffen dauerte die Entscheidung fünf Monate. Bei Ivabradin gab es drei Studien, von denen zwei negativ ausgegangen waren. Bei Vorapaxar gab es Bedenken bei der Sicherheit von PatientInnen mit geringem Körpergewicht.

Zweite Chance

Bei vier Medikamenten führte die Bewertung dazu, dass die Hersteller Daten nachreichen oder in einem Fall eine zusätzliche Studie durchführen mussten. Diese Wiedereinreichungen führten natürlich zu weiteren Verzögerungen, die aber nicht einem Trödeln der Behörde, sondern der unklaren Datenlage geschuldet waren. Die zweite Chance kann man auch positiv sehen. Denn ansonsten hätte die FDA die Zulassungen ganz ablehnen müssen, so die Autoren. Sie betonen allerdings, dass es nicht Gegenstand ihrer Untersuchung war, die Sinnhaftigkeit der Zulassungen zu untersuchen.

Resümee

Marciniak und Serebruary warnen: „Die Zulassung weiter zu beschleunigen, indem man von den FDA-WissenschaftlerInnen verlangt, dass sie ihre Bewertung noch schneller durchführen, könnte nicht nur schwierig werden, sondern auch schädlich.“ Insbesondere die Absenkung der Standards, die im Ende letzten Jahres verabschiedeten „21st Century Cures Act“ vorgesehen ist, „könnte Patient­Innen und die Gesundheitsbudgets teuer zu stehen bekommen.“  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 7/2017, S. 6

 

[1] European Commission (2009) Pharmaceutical Sector Inquiry Final Report

[2] Schaaber J (2016) Macht Forschung die Arzneimittel so teuer? Pharma-Brief Spezial, Nr. 2, S. 9

[3] Marciniak T and Serebruany V (2017) Are drug regulators really too slow? BMJ;357, p j2867

[4] Der mittlere Wert von acht Monaten ist hier aussagekräftiger, da aufgrund eines Ausreißers von 54 Monaten der Durchschnitt zwölf Monate beträgt.