Pharma Brief3 C Schaaber web


Im Mai 2020 hatte Kanzlerin Merkel die (zu entwickelnde) Corona-Impfung noch als globales öffentliches Gut bezeichnet, das allen auf der Welt zur Verfügung stehen müsse. Doch diese Aussage blieb ein leeres Versprechen. Kaum waren die Impfstoffe auf dem Markt, war davon nicht mehr die Rede. Abgeordnetenwatch hat mittels des Informationsfreiheitsgesetzes Unterlagen aus Ministerien und Kanzlerinnenamt erstritten, die auf den Sinneswandel ein neues Licht werfen.[1] Sie zeigen: Spätestens seit dem Vorstoß von Indien und Südafrika für einen Patent-Waiver bei der WTO vom Oktober 2020 reagierte Big Pharma mit massiver Lobbyarbeit.

Im Februar 2021 schrieb Pfizer an den damaligen Wirtschaftsminister Altmaier, dass geistiges Eigentum „ein entscheidender Bestandteil für das Entstehen von Innovationen“ sei. Im Mai wandte sich der Verband forschender Arzneimittelhersteller (Vfa) an Kanzlerin Merkel und Justizministerin Christine Lambrecht. Die MinisterInnen positionierten sich anschließend öffentlich gegen den Waiver.

Am 6. Mai 2021 telefonierten Angela Merkel und Biontech-Gründer Uğur Şahin. Noch am selben Nachmittag erhielt die Kanzlerin eine E-Mail von dem Pharma-Chef aus Mainz. „Liebe Frau Merkel”, schreibt Şahin, „haben Sie herzlichen Dank für Ihre Unterstützung. Anbei der Text, den wir derzeit in unserer Kommunikation verwenden, mit den Argumenten, warum eine Freigabe von Patenten nicht sinnvoll ist.“ Am 24. Juni 2021 konstatierte Merkel im Bundestag: „Eine politisch erwirkte Freigabe der Patente halte ich für den falschen Weg.“ Stattdessen führt sie klassische Argumente der Pharmalobby an. Die künftige Entwicklung von Impfstoffen sei nur dann gewährleistet, „wenn der Schutz des geistigen Eigentums nicht außer Kraft gesetzt wird.“

Vor der im November 2021 geplanten Konferenz der WTO über eine Patentfreigabe (die dann wegen Corona in den Juni 2022 verschoben wurde), flutete die Industrie die Bundesregierung geradezu mit dringlichen Bitten, wie Abgeordnetenwatch herausfand.

Insofern hat die 180-Grad-Wende von Wirtschaftsminister Habeck, der in der Opposition noch im Juni 2021 einen Patent-Waiver befürwortete,[2] durchaus Vorläufer. Habeck hatte an seinem ersten Amtstag (8.12.2021) ein Gespräch mit „der obersten Leitungsebene“ von Biontech geführt. Über den Inhalt gäbe es keine Aufzeichnungen oder Notizen, ließ das Ministerium Abgeordnetenwatch wissen.  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 7-8/2022, S.3
Bild © David Benbennick

[1] Röttger T (2022) Impfpatente: Wie die Pharmalobby die Bundesregierung auf Linie brachte. Abgeordnetenwatch 2. Sept. www.abgeordnetenwatch.de/recherchen/lobbyismus/impfpatente-wie-die-pharmalobby-die-bundesregierung-auf-linie-brachte  [Zugriff 5.9.2022]

[2] Pharma-Brief (2022) Zähes Ringen um Impfstoff-Patente. Nr. 2, S. 4