Die WTO, der m-RNA-Hub und der Pandemievertrag
Im ersten Teil "Zur Zukunft global gerechter COVID-Bekämpfung" thematisierten wir die COVAX-Initiative und den Covid-19 Technology Access Pool. In diesem zweiten Rückblick gehen wir auf die WTO (Welthandelsorganisation) und den mRNA-Hub ein und wenden uns der Debatte um einen Pandemievertrag zu.
Misstrauen um den mRNA-Hub
Die Covid-19-Impfstoffentwicklung macht deutlich, welches Potenzial mRNA als Plattformtechnologie hat, neben Infektionskrankheiten auch für nicht-übertragbare Erkrankungen. Zugleich sind Wissen und Produktionsmöglichkeiten in diesem Bereich extrem im globalen Norden konzentriert – ein Problem, dem der im Juni 2021 in Südafrika gegründete mRNA-Hub Abhilfe schaffen möchte.[1] Deutschland unterstützt das Vorhaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO), allerdings nur mit ungewöhnlicher öffentlicher Zurückhaltung. Dies ist umso erstaunlicher, bedenkt man, dass die nun scheidende WHO Chefwissenschaftlerin Soumya Swaminathan den Hub als eine der größten Errungenschaften ihrer dreijährigen Amtszeit ansieht.[2]
Ein Grund für die Leisetreterei der Bundesregierung, die stattdessen eher bilaterale Kooperationen betont, mag in der delikaten Rolle privater Pharma-Firmen liegen, deren Lobbyeinfluss zuletzt Abgeordnetenwatch öffentlich machte.[3] Bei einer Bundestagsveranstaltung am 23. November verwiesen die zwei frischgebackenen Preisträger der Deutschen Afrika-Gesellschaft, Dr. Sikhuile Moyo und Prof. Tulio de Oliveira[4], abermals darauf, dass mRNA-erfahrene Firmen wie Biontech und Moderna den Hub konsequent ablehnen. Stattdessen versuchen sie, selektiv in einigen Ländern eigene und deutlich weniger weitreichende Projekte durchzuführen – damit ziehen sie quasi in die entgegengesetzte Richtung, wie Charles Gore vom Medicines Patent Pool beschreibt, der ebenfalls Teil der Hub-Struktur ist: „Es geht nicht darum, dass Unternehmen aus den Industrieländern Niederlassungen in Afrika gründen. […] Es geht darum, dass afrikanische Unternehmen einen Technologietransfer erhalten, um selbst in der Lage zu sein, dies zu tun.“ [5]
Biontech meldete für das letzte Jahr einen Umsatz von 19,5 Milliarden US-Dollar, Mitkonkurrent Moderna lag mit 18,5 Milliarden nahe dran.[6] Mittlerweile stehen sich die zwei Firmen (plus Pfizer als Lizenznehmer) in den USA mit Klage und Gegenklage bezüglich möglicher Patentverletzung bei mRNA-Impfstoffen gegenüber.[7] Der mRNA-Hub indes ist mittlerweile eine Plattform, um die sich ein reges globales Netzwerk für Technologietransfer gebildet hat.[8]
WTO: Rotierend in der Sackgasse
Geistiges Eigentum bei Covid-19 war 2022 natürlich ebenfalls bei der Welthandelsorganisation (WTO) ein wichtiges Thema. Der auch unter dem Einfluss Deutschlands bis zur Unkenntlichkeit verwässerte Vorstoß von Indien und Südafrika für einen temporären „Patent-Waiver“ bei Covid-19 wurde im Juni 2022 verabschiedet (wir berichteten: Rückschritte beim Zugang zu Arzneimitteln und minimale Verbesserungen). Der damalige Beschluss bezog sich lediglich auf Impfstoffe, über Therapeutika und Diagnostika sollte im Verlauf des Jahres separat entschieden werden.
Bei den jüngsten WTO-Verhandlungen zeigte sich jedoch, dass die ursprünglich angepeilte Deadline am 17. Dezember 2022 wohl nicht eingehalten wird. Abermals ein Ergebnis der Blockadetaktik reicher Staaten, wie das Third World Network feststellt: „Es scheint zu einer ständigen Praxis in der WTO geworden zu sein, dass Beschlüsse, die darauf abzielen, den Entwicklungsländern und den am wenigsten entwickelten Ländern auch nur eine begrenzte Flexibilität einzuräumen, aus dem einen oder anderen Grund immer wieder mit einem Veto belegt werden.“[9] Dieses abermalige Aufschieben ist insofern dramatisch, als dass der Bedarf für Covid-19-Diagnostika und -Therapeutika im globalen Süden dringlich ist und zugleich eine regionale Produktion einfacher, als bei Impfstoffen.[10] Welche offizielle Position Deutschland dieses Mal in den EU-Block, der stellvertretend bei der WTO verhandelt, eingebracht hat, war übrigens bislang nicht offiziell zu erfahren – trotz Nachhakens zivilgesellschaftlicher Akteure wie der Pharma-Kampagne bei verschiedenen Gelegenheiten.
WHO Pandemievertrag: Blick in die Zukunft
Wie ist es zu schaffen, dass schädliche Hängepartien wie bei der WTO im Falle einer kommenden Ausnahmesituation besser vermieden werden? Ansatzpunkte dafür könnte ein sogenannter Pandemievertrag geben, der entsprechende Arbeitsprozess wurde im Dezember 2021 durch die WHO lanciert,[11] das finale Ergebnis soll bindend sein.[12]
In der 49. Kalenderwoche trafen sich in Genf die Mitgliedsstaaten zu einer weiteren Verhandlungsrunde, basierend auf einem ersten konzeptuellen, 32-seitigen Entwurf. Bereits im Vorfeld des Dezember-Meetings hatten Stimmen aus dem globalen Süden angemahnt, der Prozess müsse inklusiver gestaltet werden und die Ressourcen für intensive Beteiligung, sprich Einflussnahme, seien höchst ungleich verteilt.[13]
In seiner jetzigen Form wäre der Vertrag eine echte Zäsur im Feld globaler Gesundheit, beispielsweise bei Themen wie Zugang zu Medikamenten, IP, Forschungsauflagen und Transparenz.[14] Es handelt sich aber noch um eine frühe Textversion, die nun bis zu einem weiteren Treffen Ende Februar 2023 überarbeitet wird – der Auftakt zu einem Verhandlungsmarathon, welcher laut Plan im Mai 2024 zum Abschluss kommen soll.[15] Eine progressive Dynamik in der Debatte rund um den Pandemievertrag wäre ein Lichtblick inmitten der ansonsten eher trüben Aussichten für eine global gerechtere Pandemiebekämpfung. Zugleich birgt das Ganze aber auch Risiken, wie stellvertretend die People´s Vaccine Alliance unterstreicht: „Ein Vertrag könnte mit der Gier und Ungleichheit brechen, die die globale Reaktion auf COVID-19, HIV/AIDS und andere Pandemien erschwert hat. Oder er könnte künftige Generationen an die gleichen katastrophalen Ergebnisse fesseln.“[16]
Text: Max Klein
Bild Ngozi Okonjo-Iweala © commons.wikimedia, World Trade Organization
Bild WHO, Weltkugel und Global Health Watch © commons.wikimedia, Giovanni Maki, Public Library of Science
[1] Die Funktionsweise des mRNA-Hubs wurde bei der Memento-Preisverleihung 2022 durch Richard Gordon vom South African Medical Research Council anschaulich vorgestellt: Memento Preisverleihung 2022 Keynote
[2] www.science.org/content/article/who-s-departing-chief-scientist-regrets-errors-debate-over-whether-sars-cov-2-spreads [Zugriff 8.12.22]
[3] Pharma-Brief 7-8/2022, S. 3
[4] www.dw.com/de/deutscher-afrika-preis-2022-geht-an-afrikanische-corona-forscher/a-63504526 [Zugriff 12.12.22]
[5] www.aljazeera.com/features/2022/11/30/racing-to-develop-africas-next-gen-vaccines-before-new-pandemic [Zugriff 12.12.22]
[6] www.swissinfo.ch/ger/wirtschaft/die-schweiz-wehrt-sich-gegen-lockerung-des-patentschutzes/48113194 [Zugriff 8.12.22]
[7] www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/biontech-pfizer-moderna-widerklage-corona-impfstoffpatent-101.html [Zugriff 8.12.22]
[8] www.devex.com/news/south-africa-s-mrna-hub-confronts-old-problems-and-new-directions-104398 [Zugriff 12.12.22]
[9] www.twn.my/title2/health.info/2022/hi221201.htm [Zugriff 12.12.22]
[10] https://healthgap.org/u-s-torpedoes-extension-of-wto-trips-decision-to-include-tests-and-treatments-and-hides-behind-the-facade-of-needing-to-study-the-obvious/ [Zugriff 12.12.22]
[11] https://bukopharma.de/de/publikationen/pharmabrief/pharma-brief-archiv/172-2021-artikel/599-pb2021-10-3-who-pandemie-vertrag [Zugriff 12.12.22]
[12] www.reuters.com/business/healthcare-pharmaceuticals/how-world-health-organization-might-fight-future-pandemics-2022-11-17/ [Zugriff 12.12.22]
[13] www.reuters.com/business/healthcare-pharmaceuticals/who-pandemic-pact-talks-begin-poor-countries-back-foot-2022-12-07/ [Zugriff 12.12.22]
[14] www.politico.eu/article/new-pandemic-playbook-draft-treaty-far-reaching-rules-countries/ [Zugriff 12.12.22]
[15] www.thinkglobalhealth.org/article/wrangling-over-international-pandemic-pact-has-begun [Zugriff 12.12.22]
[16] www.voanews.com/a/pandemic-treaty-plans-being-worked-on-at-who-/6865080.html [Zugriff 12.12.22]