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Pandemie und Lockdown brachten massive Einschränkungen

Südafrika hatte von allen afrikanischen Ländern mit Abstand die höchsten Infektionsraten und Todesfälle durch COVID-19. Fast 90.000 Menschen starben, trotz rigider Lockdown-Maßnahmen.[1] Viele Bereiche der Gesundheitsversorgung wurden durch die Pandemie eingeschränkt, etwa die Behandlung und Früherkennung von TB, HIV oder Krebs. Stark beeinträchtigt waren auch Dienste für sexuelle und reproduktive Gesundheit.

Südafrika war und ist von der Pandemie schwer betroffen. Nachdem am 5. März 2020 der erste Krankheitsfall durch SARS-CoV-2 bekannt geworden war, stieg die Infektionskurve rasant. Bereits am 27. März verhängte die Regierung „einen der striktesten Lockdowns außerhalb Chinas“.[2] Neben der Schließung von Schulen, Universitäten und Geschäften gab es strenge Ausgangs- und Reisebeschränkungen. SüdafrikanerInnen konnten nicht einmal mehr ihren Hund spazieren führen, öffentliche Transportmittel benutzen oder im Freien Sport treiben. Das Haus verlassen durfte nur, wer Lebensmittel, Medikamente oder Kraftstoffe zum Heizen besorgen wollte. Ohne öffentliche Verkehrsmittel hatten arme Menschen jedoch kaum eine Chance, Gesundheitsdienste zu erreichen. Erst nach gut einem Monat gab es nach und nach Lockerungen.

Lockdown trifft besonders die Armen

Chitsamatanga und Malinga, die die Situation analysierten, kritisieren vor allem, dass die Regierung einen „One size fits all“ Ansatz verfolgte, wodurch marginalisierte Bevölkerungsgruppen besonders stark unter den Auswirkungen der Pandemie litten. Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen, Schul-, und Geschäftsschließungen, die in westlichen Ländern gut funktionieren, können in einem Land in dem rund 3 Millionen Menschen im informellen Sektor arbeiten und von „der Hand in den Mund“ leben, nicht eins zu eins übernommen werden.[2]

Schon vor der Pandemie gab es große Unterschiede bei der Qualität der Versorgung: So kommt im privaten Sektor ein Arzt auf etwa 500 Versicherte, im öffentlichen Sektor muss eine Ärztin dagegen 2.500 Menschen versorgen.[3] Weniger als 20% der Bevölkerung sind jedoch privat krankenversichert und können sich eine solche Vorzugsbehandlung leisten. Der strikte Lockdown verschärfte die Ungleichheiten und blockierte den Zugang zu vielen Bereichen der Gesundheitsversorgung.

HIV und TB: Versorgung blieb auf der Strecke

Zum Beispiel HIV und Tuberkulose: Südafrika zählt zu den „Three High Burden“ Ländern, also zu den 20 Ländern mit der höchsten Krankheitslast an HIV/AIDS, Tuberkulose sowie multiresistenter TB.[4] Wegen der Covid-19 Pandemie wurden etliche Präventionsangebote und Versorgungsleistungen für die Betroffenen eingeschränkt oder ganz ausgesetzt. Zwar ergab eine Untersuchung unter 65 Primärkliniken, dass die Behandlungsprogramme für Personen, die bereits eine antiretrovirale Therapie (ART) erhielten, größtenteils aufrecht erhalten wurden. Es gab aber mit Beginn des Lockdowns einen deutlichen Rückgang bei den HIV-Testungen (um 48%). Die Zahl der HIV-Infizierten, die eine Behandlung starteten, reduzierte sich im April 2020 ebenfalls um fast die Hälfte (46%). Zwar hat sich die Lage später wieder verbessert, doch im Juli 2020 waren noch immer nicht die Test- und Behandlungszahlen aus dem Zeitraum vor der Pandemie erreicht. Die Unterbrechung beim Testen und der vielfach verzögerte Behandlungsbeginn werde die HIV-Infektionen in die Höhe treiben, schätzen ExpertInnen. Allein zwischen Juli und September 2020 sind geschätzt 11.000 HIV-Infektionen unentdeckt geblieben. Dadurch sei auch ein Anstieg von HIV-Infektionen bei Neugeborenen zu erwarten.[5] 

Bei Tuberkulose kam es aufgrund der Pandemie ebenfalls zu starken Einschränkungen. TB-Stationen wurden zum Teil in Covid-19 Stationen umgewandelt und Personal wurde zur Testung und Behandlung des SARS-CoV-2 Virus abgezogen. Laut den Laboren des staatlichen Gesundheitssystems haben die Einschränkungen der höchsten Lockdown-Stufe 5 im ersten Pandemiemonat zu einem Rückgang der Anzahl von TB-Tests um 48% geführt. 33% weniger Tuberkulose-Fälle als zuvor wurden diagnostiziert.[6]

Verhütungsmittel wurden knapp

Mehr als zwei Drittel aller Südafrikaner beziehen Kondome aus öffentlichen Gesundheitseinrichtungen, wo sie kostenlos verteilt werden. Die Schließung vieler Stationen und der landesweite Lockdown machten das unmöglich. In einer Studie gaben knapp 23% der Befragten an, in dieser Zeit keinen Zugang zu Kondomen gehabt zu haben.6 Das dürfte nicht nur die Anzahl ungewollter Schwangerschaften sondern auch von sexuell-übertragbaren Erkrankungen in die Höhe getrieben haben.

Nicht einmal 10% der SüdafrikanerInnen, die verhüten, nutzen die Pille. Langzeitkontrazeptiva werden häufig genutzt, doch auch sie waren schwerer zugänglich. In der Provinz Gauteng wurden während des Lockdowns 48% weniger Hormonimplantate eingesetzt und 10% weniger Intrauterinpessare (IUCD).[7] Das Gesundheits-JournalistInnen Netzwerk Health-e News berichtet zudem über gravierende Versorgungsengpässe bei Verhütungsspritzen im Juli 2020.[8] Zudem wurden während der Pandemie wesentlich seltener Abtreibungen durchgeführt, Frauen wurden von den Kliniken abgewiesen.[9] Das wird höchst wahrscheinlich zur vermehrten Nutzung riskanter Abtreibungspraktiken geführt haben.[10]

In der bevölkerungsreichsten Provinz Guateng ist die Anzahl der Geburten durch minderjährige Mütter um 60% gestiegen. 2019 brachten 14.577 unter 18jährige Frauen ein Kind zur Welt – zwischen April 2020 und März 2021 waren es 23.000.[11] In einer Befragung von 15 bis 25-jährigen Frauen und Mädchen gaben etwa 14% an, dass seit der Pandemie mehr Gewalt in ihrem Zuhause herrscht. Das Risiko und die Angst vor körperlicher und seelischer Gewalt sowie sexuellen Missbrauchs sei durch die Pandemie deutlich gewachsen.[12]

KrebspatientInnen: schlechter versorgt als zuvor

Bei der Versorgung von PatientInnen mit nicht-übertragbaren Krankheiten (NCDs) gab es bedingt durch die Pandemie ebenfalls gravierende Einschnitte. Zum Beispiel bei Krebs: In 28 % der untersuchten Krankenhäuser in Südafrika wurden Tumor-Operationen ganz gestrichen oder reduziert. Auch Vorsorgemaßnahmen wurden eingeschränkt und es gab u.a. deutlich weniger Screenings oder HPV-Impfungen zum Schutz vor Gebärmutterhalskrebs[13]. Weil MitarbeiterInnen von onkologischen Stationen abgezogen bzw. bei der Versorgung von COVID-PatientInnen eingesetzt wurden, konnten Versorgungsleistungen für Krebs-PatientInnen zum Teil nicht mehr angeboten werden. Hinzu kam ein Mangel an Krebsmedikamenten und anderen wichtigen Medizinprodukten aufgrund unterbrochener Lieferketten, der Schließung der Landesgrenzen und einer verringerten Produktion. Nicht zuletzt die Krebsforschung wurde in Südafrika erheblich zurückgefahren.[14]

Mit unserem Projekt „Globale Folgen der Pandemie“[15] werden wir weiterhin im Auge behalten wie sich die Lage der Gesundheitsversorgung in Südafrika und anderen Ländern entwickelt. Mehr dazu können Sie im kommenden Frühjahr auch in einem Pharma-Brief Spezial lesen.  (SB/CJ)

Artikel aus dem Pharma-Brief 10/2021, S.4
Straßenkreuzung STAY HOME © Discott K

[1] John Hopkins University of Medicine (2021) Global Map. Coronavirus resource center https://coronavirus.jhu.edu/map.html [Zugriff 23.11.21]

[2] Chitsamatanga, B and Malinga, W (2020) ‘A tale of two paradoxes in response to COVID-19’: Public health system and socio-economic implications of the pandemic in South Africa and Zimbabwe. Cogent Social Sciences 7 (1869368), p 1-19

[3 ]Medical Brief (2018) Africa Check puts together the numbers on doctor-patient ratios. www.medicalbrief.co.za/africa-check-puts-together-numbers-doctor-patient-ratios/ [Zugriff 23.11.21]

[4] WHO (2020) Global Tuberculosis Report 2020. Geneva

[5] Dorward J et al. (2021) The impact of the COVID-19 lockdown on HIV care in 65 South African primary care clinics: an interrupted time series analysis. Lancet HIV 8, p e158

[6] USAID (2020) USAID/South Africa Tuberculosis South Africa Project (TBSAP) Midterm Evaluation Report. Silver Spring

[7] Bolarinwa, O (2021) Factors associated with limited access to condoms and sources of condoms during the COVID-19 pandemic in South Africa. medRxiv, p. 1-19. doi: https://doi.org/10.1101/2020.09.11.20192849

[8] Health-E News (2021) Contraception in SA: What you need to know https://health-e.org.za/2021/09/27/contraception-in-sa-what-you-need-to-know/ [Zugriff 2.12.21]

[9] Aussage von Bibi-Aisha Wadvalla / Managing Director von Health E-News im Gespräch mit der BUKO Pharma-Kampagne im August 2021

[10] Adelekan T et al. (2020) Early Effects of the COVID-19 Pandemic on Family Planning Utilisation and Termination of Pregnancy Services in Gauteng, South Africa: March–April 2020. Wits Journal of Clinical Medicine; 2, p 145

[11] 2019: 14.577; April 2020 - März 2021: 23.000Save the children (2021) Teen pregnancies in South Africa jump 60% during COVID-19 pandemic. https://reliefweb.int/report/south-africa/teen-pregnancies-south-africa-jump-60-during-covid-19-pandemic [Zugriff 23.11.21]

[12] Mathews C. et al. (2021): HerStory 2: Process evaluation of the combination HIV prevention intervention for adolescent girls and young women (AGYW), Global Fund grant period 2019 to 2022. Report 1/5: Overview of findings and combined recommendations, 1-92.

[13] Nnaji, C.; Moodley, J. (2021): Impact of the COVID-19 pandemic on cancer diagnosis, treatment and research in African health systems: a review of current evidence and contextual perspectives. Ecancer Medical Sciences 15 (1170), p. 1-10

[14 ]Addai, B.;  Ngwa, W. (2021): COVID-19 and cancer in Africa. Sciences 371 (6524), p. 25-27. DOI: 10.1126/science.abd1016

[15] https://bukopharma.de/de/globale-folgen-der-pandemie