Pharma Brief3 C Schaaber web


Gespräch mit Peter Wiessner über die UN-High Level Meetings

Peter Wiessner arbeitet für das Aktions­bündnis gegen AIDS, bei dem die Pharma-Kampagne Mitglied ist.

Gleich drei HLMs direkt hintereinander weg – der Tenor in der „Global Health Community“ war danach verhalten. Du warst bei den High Level Meetings (HLM) vor Ort, würdest Du diese Einschätzung teilen?

Gemeinsames Ziel der Gipfel in New York war es, die Weichen zur Bewältigung der akuten gesundheitsbezogenen Herausforderungen bis 2030 zu stellen, dem Zeitpunkt also, den die Weltgemeinschaft zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele gesetzt hat.

Die Ergebnisse der Gipfeltreffen bleiben weit hinter den Erwartungen zurück: Verabschiedet wurden schwache Texte voller unverbindlicher Absichtserklärungen, die nichts anderes als einen Minimalkonsens

der involvierten Staatengemeinschaft dar­stellen. Erklärungen, die niemanden weh tun, vor allem nicht der pharmazeuti­schen Industrie und den privilegierten Industrienationen: Das Menschenrecht auf Gesundheit gilt weiterhin weniger als das Recht der Industrie auf Gewinnmaximierung.

Während des Aushandlungsprozesses der Erklärungen wurden zu viele Zugeständnisse gemacht: So fehlt in der Abschlusserklärung zu UHC beispielsweise die Benennung der für die HIV-Prävention besonders relevanten Zielgruppen wie beispielsweise Männer, die Sex mit Männern haben, anderen LGBTIQ+ Communities, Drogengebrauchende und Sexarbeiter*innen.

Ganz offensichtlich haben sich hier jene Staaten durchgesetzt, die diesen Gruppen ihre Existenz, Rechte und Bedarfe absprechen. Dass so eine Gesundheitsversorgung für alle – der Grundgedanke von UHC – nicht erfolgreich umgesetzt werden kann, ist offensichtlich.

Andere Schwachstellen beziehen sich auf Formulierungen zu Frauenrechten, sexueller und reproduktiver Gesundheit, Wahrnehmung sexueller Identitäten und die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements in der Gesundheitsfürsorge und Prävention. Klarheit und Ehrlichkeit wurden hier eindeutig der Konsensfindung geopfert. Die Texte bleiben hinter getroffenen Vereinbarungen aus früheren Jahren zurück.

Am ehesten sah man bei dem HLM zu TB konkrete Fortschritte …

In der Tat stellt die Abschlusserklärung zu TB eine erfreuliche Ausnahme dar: Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben sich unter anderem dazu verpflichtet, zwischen 2023 und 2027 bis zu 45 Millionen Menschen eine lebensrettende Behandlung zukommen zu lassen, darunter bis zu 4,5 Millionen Kindern und bis zu 1,5 Millionen Menschen mit arzneimittelresistenter Tuberkulose. Für bis zu 45 Millionen Menschen soll der Zugang zu präventiven Behandlungsmöglichkeiten geschaffen werden. Dazu wurden konkrete Finanzierungszusagen getroffen: Die jährlichen Mittel für Tuberkulose sollen auf mehr als das Vierfache des derzeitigen Niveaus (5,4 Mrd. US$) erhöht werden, um bis 2027 jährlich 22 Mrd. US$ zu erreichen und bis 2030 auf 35 Mrd. US$ anzuwachsen. Die Mitgliedstaaten verpflichteten sich außerdem, bis 2027 jährlich 5 Mrd. US$ für die Tuberkuloseforschung und -innovation bereitzustellen – eine Verfünffachung des derzeitigen Betrags.

Warum ist es gerade bei TB so wichtig, dass es endlich schneller vorangeht?

Die katastrophalen Zahlen sprechen für sich: Nach Angaben der WHO starben im Jahr 2021 1,6 Millionen Menschen an TB. Global gesehen ist eine TB Ko-Infektion die Haupttodesursache für Menschen mit HIV. Die meisten Todesfälle wären vermeidbar. TB ist eine armutsassoziierte Erkrankung, die verhütet und behandelt werden kann. Um dies zu erreichen, müssen bisherige Anstrengungen aktiviert werden. Dies betrifft sowohl den Bereich der Forschung, aber auch strukturelle Maßnahmen, wie die Einbeziehung der mit TB lebenden Communities, die Stärkung von Gesundheitssystemen und gegen Stigma und Diskriminierung gerichtete Maßnahmen. Die Entwicklung neuer Medikamente mit verkürzter Behandlungsdauer und besserer Verträglichkeit und Impfstoffen gegen alle Formen der Tuberkulose sind nötig. Auch müssen die Verantwortlichen für Orte und Settings, in denen TB übertragen wird, endlich mit einbezogen werden: Gefängnisse, Unterkünfte, Minen etc..

Wie sah es mit der Beteiligung der deutschen Politik bei den HLMs vor Ort aus?

An dem Gipfel nahmen Bundeskanzler Olaf Scholz sowie die Bundeministerinnen Annalena Baerbock und Svenja Schulze teil. Gesundheitsminister Karl Lauterbach glänzte dagegen durch Abwesenheit. Das ist sehr bedauerlich, da dem Bundesgesundheitsministerium bei der Lösung der Herausforderungen der globalen Gesundheit eine wichtige Rolle zukommt, so ist das Ministerium zum Beispiel für die Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation zuständig. Die Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung Deutschlands als „Global Health Champion“ und der Unterstützung durch das Bundesgesundheitsministerium könnte größer kaum sein: Dies drückt sich auch durch die magere Unterstützung beispielsweise der Arbeit von UNAIDS aus.

Die letzten Jahre war auch stets eine deutsche Delegation mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen vor Ort …

Ich habe für das Aktionsbündnis gegen AIDS die Prozesse in New York beobachtet. Leider brach die Bundesregierung mit der bisherigen Tradition, eine offizielle Delegation mit Vertreter*innen der Zivilgesellschaft zusammenzustellen, obwohl sie durch uns mehrfach dazu aufgefordert wurde. Für uns hatte dies die Konsequenz, dass wir keinen Zugang zu den Räumlichkeiten der eigentlichen Treffen hatten. Uns und anderen Vertreter*innen der deutschen Zivilgesellschaft wurde dadurch die Möglichkeiten beschnitten, Forderungen direkt zu artikulieren oder auch, wie in früheren Jahren, mit der deutschen Vertretung bei den Vereinten Nationen Veranstaltungen durchzuführen.  Nicht nur in autokratischen Staaten, sondern auch bei uns in Deutschland verringern sich die Möglichkeiten des zivilgesellschaftlichen Engagements – Stichwort „Shrinking Spaces“ –. Wir sollten uns das als Zivilgesellschaft nicht länger bieten lassen.

Nach dem HLM ist vor dem HLM: Warum wird das nächste Meeting 2024 zu antimikrobiellen Resistenzen für globale Gesundheit wichtig sein?

Es ist gut, wenn sich die Vereinten Nationen Fragen der globalen Gesundheit widmen. Es sei hier daran erinnert, dass die Vereinten Nationen im Vergleich zum Zusammenschluss der G20, der G7 oder der BRICS-Staaten ein höheres Maß an Legitimität mitbringen. Ein Ende der Zusammenarbeit bei Fragen der globalen Gesundheit, beispielsweise der HIV, Tuberkulose und Malariabekämpfung, würde das Leben von Millionen Menschen leichtfertig aufs Spiel setzen. Im kommenden Jahr ist ein HLM zu antimikrobiellen Resistenzen (AMR) vorgesehen, ein Thema, das in der Gesundheitsversorgung, in der Tierhaltung, aber auch bei Hygienemaßnahmen, beispielsweise in Krankenhäusern, eine große Rolle spielt.

Wenn die Resistenzentwicklung nicht ge­stoppt wird, könnte es bald sein, dass heute noch heilbare Krankheiten morgen nicht mehr erfolgreich behandelt werden können. Es braucht dringend neue Antibiotika, eine Herausforderung, die staatlichen Einsatz braucht und die sicherstellen muss, dass a) Forschung im Bereich AMR unterstützt wird und b) neue Medikamente allen zur Verfügung stehen. Das UN HLM zu AMR gibt uns die Möglichkeit mit der Bundesregierung darüber in Diskussion zu treten. Dann hoffentlich wieder in einem transparenten Prozess der die Teilnahme der Deutschen Zivilgesellschaft an dem Treffen gewährleistet. Falls das Thema dann auch noch das Interesse unseres Bundesgesundheitsministers wecken sollte, könnte es im kommenden Jahr zu einem spannenden Austausch kommen!

Die Fragen stellte Max Klein

Artikel aus dem Pharma-Brief 8/2023, S. 6
Bild © privat


Gleich drei hochrangige Treffen zu Gesundheit fanden Ende September bei der 78. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York statt: Pandemievorsorge, Tuberkulose und Universal Health Coverage (UHC). Aber die Treffen endeten weitgehend ohne verbindliche Vereinbarungen (­siehe Interview auf der nächsten Seite). Wie Lancet-Chef Richard Horton es bissig formulierte: „Die einzigen Zusagen waren, sich wieder in New York zu treffen“.[1]

Dabei steht es um die Erreichung des UHC-Ziels schlecht, obwohl es ein zentrales Versprechen der nachhaltigen Entwicklungsziele „Leave no one behind“ ist. 2021 hatte rund die Hälfte der Weltbevölkerung keinen Zugang zu ausreichenden Gesundheitsdienstleistungen.[2]

Während der Ära der Millennium Entwicklungsziele (2000-2015) verbesserte sich die Abdeckung, jedoch eher langsam.[3] Seit Etablierung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung im Jahr 2015 sind die Fortschritte dann fast vollständig zum Stillstand gekommen. Im Zeitraum von 2015-2019 verzeichneten 108 von 194 Ländern keine signifikanten Verbesserungen oder gar Verschlechterungen in der Abdeckung von Gesundheitsdienstleistungen.

Covid-19 bremste den Fortschritt der universellen Gesundheitsversorgung weiter aus. Die globale Abdeckung verbesserte sich von 2019 bis 2021 nicht.

Zudem steigt der Anteil der Bevölkerung, welcher unter katastrophalen Gesundheitsausgaben leidet.[4] 2000 waren ca. 9.6% aller Menschen weltweit davon betroffen. Im Jahr 2019 stieg dieser Wert auf 13,5%.  (MP)

Artikel aus dem Pharma-Brief 8/2023, S. 5
Grafik: Tracking universal health coverage: 2023 global monitoring report © WHO and World Bank (2023)

 

[1] Horton R (2023) Offline: Political declarations—clichés and lies. Lancet; 402, p 1028

[2] WHO and World Bank (2023) Tracking universal health coverage: 2023 global monitoring report

[3] Gemessen am Service Coverage Index (SCI). Er bildet die durchschnittliche Versorgung mit wesentlichen Gesundheitsdienstleistungen ab. 14 Indikatoren aus den Bereichen reproduktive Gesundheit von Müttern, Neugeborenen und Kindern, Infektionskrankheiten, nicht-übertragbare Krankheiten und Zugang sowie Umfang von Gesundheitsdienstleistungen werden gemessen. Dabei werden Punkte von 0-100 vergeben. Je höher der Wert, desto besser die Abdeckung. www.who.int/data/gho/indicator-metadata-registry/imr-details/4834 [Zugriff 6.10.2023]

[4] Werden über 10% des Haushaltsbudgets für Gesundheit aufgewendet, so spricht man von katastrophalen Zahlungen.


Wie die Tabakindustrie zweimal Geld verdient

Die großen Tabakkonzerne investieren im großen Stil in die Pharmaindustrie. Dabei geht es auch um Produkte gegen Erkrankungen, die durch das Rauchen verursacht werden oder sich dadurch verschlimmern. Damit schaffen sich die Tabakhersteller ihren eigenen Markt. Das deckt eine Recherche von „The Investigative Desk“ auf, die in der Nederlands Tijdschrift voor Geneeskunde erschien.[1]

Der Tabakproduzent Philip Morris hat das Pharmaunternehmen Ventura aufgekauft, dass Inhalatoren und inhalierbare Medikamente gegen Asthma und chronische Lungenerkrankungen anbietet.

Bei Weitem kein Einzelfall: Die vier größten Tabakhersteller Philip Morris International/Altria, British American Tobacco (BAT), Japan Tobacco International (JTI) und Imperial Brands haben in den letzten Jahren massiv in medizinische Produkte investiert.

Tabak bleibt wichtig

Während in fast allen reichen Ländern wegen Aufklärung, Verboten und hohen Steuern die Raucher*innenquote zurückgeht, wächst der Tabakmarkt in Asien und Afrika. In Afrika wird erwartet, dass der Anteil der Raucher*innen von 15,8% im Jahr 2010 bis 2030 auf 21,9% steigt. Dafür sind im Wesentlichen die aggressiven Marketingstrategien der großen Vier verantwortlich, die auch vor illegalen Praktiken nicht zurückschreckten.[2]

Woran die Tabakaindustrie verdient

The Investigative Desk hat fast 90 Pharmaprodukte unter die Lupe genommen, hinter denen die Tabakkonzerne stehen. Ungefähr die Hälfte sind für Asthma, COPD, Arterienverkalkung, Herzinfarkte, Krebs und Diabetes gedacht – alles Erkrankungen, die durch Rauchen verursacht werden oder im Zusammenhang mit Rauchen häufiger auftreten.

Bevor Philip Morris 2021 Vectura übernahm, gab es in Großbritannien einen Aufschrei. Sarah Woolnough, Geschäftsführerin von Asthma UK und der British Lung Foundation, sagte: „Jedes Jahr sterben in Großbritannien 90.000 Menschen an Erkrankungen wie der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), die mit dem Rauchen in Verbindung gebracht werden. Es ist inakzeptabel, dass Unternehmen, die von den Verwüstungen, die Rauchen anrichtet, profitiert haben, dann mit den Behandlungen von Krankheiten, die sie verursacht haben, sogar noch mehr Geld verdienen können.“[3]

Der Pharmazweig von JTI entwickelte Medikamente gegen Psoriasis und atopische Ekzeme. Rauchen hat einen negativen Einfluss auf den Verlauf dieser Hautkrankheiten. 1999 erwarb JTI die exklusiven Rechte zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen Lungenkrebs von der amerikanischen Firma Corixa, sie wurden später an GlaxoSmithKline (GSK) abgegeben.

Die Tabakindustrie lässt ihre Kund*innen „zweimal durch die Kasse gehen“: einmal für die Zigaretten, die sie rauchen, und nochmals für Heilmittel gegen die Folgen. Tabakhersteller schaffen damit unethisch ihren eigenen Absatzmarkt.[1]

Jenseits von Nikotin

Die „Transforming Beyond Nicotine“ Strategie von Philip Morris umfasst nicht nur Ersatzprodukte für Zigaretten, sondern breite Investitionen im Pharmasektor. Das gilt für die Konkurrenten, deren Strategien „Beyond Smoke“ (Imperial Brands) oder „Wir erfinden uns selbst neu“ (JTI) heißen, gleichermaßen.

JTI war mit der Gründung einer Pharmasparte im Jahr 1987 Vorreiter. Größere Akquisitionen 1998 und 2000 brachten ein breites Portfolio von Medikamenten gegen verschiedenste Krankheiten. Philip Morris kaufte 2021 gleich drei Firmen auf, die inhalierbare Herzmedikamente, Nikotinkaugummi und mit Vectura eben Inhalatoren herstellen.

BAT und Imperial Brands wiederum investieren in medizinisches Cannabis, das unter anderem gegen Schmerzen in der Krebstherapie eingesetzt wird.

Die Verflechtungen mit der Pharmaindustrie sind eng. So hat AstraZeneca von JTI eine Lizenz zur Entwicklung einer Immuntherapie gegen Krebs bekommen. GlaxoSmithKline zahlt für die Verwendung eines Hilfsstoffes für seine Inhalationen Lizenzgebühren an Vectura.

Ärzt*innen in Großbritannien und den Niederlanden diskutieren, ob es ethisch vertretbar ist, von der Tabakindustrie produzierte Medikamente zu verschreiben oder es nicht besser ist, wo immer möglich, alternative Wirkstoffe einzusetzen.  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 6-7/2023 S. 8
Bild TabakPille (Montage) © Phacharason Mongkhonwikuldit © FotografiaBasica/iStock

 

[1] van den Berg I en de Jeu M (2023) De ‘Beyond Nicotine’-strategie. Ned Tijdschr Geneeskd; 167, p C5480

[2] Crosbie E et al. (2021) Tobacco supply and demand strategies used in African countries. Bull World Health Organ; 99, p 539 http://dx.doi.org/10.2471/BLT.20.266932

[3] Davies R (2021) Health charities voice concern at Philip Morris’s £1bn bid for Vectura. Guardian, 9 Aug www.theguardian.com/business/2021/aug/09/philip-morris-and-carlyle-face-possible-auction-contest-for-vectura [Zugriff 20.9.2023]


In vielen Ländern des Globalen Südens sind Bisse durch Giftschlangen ein großes Gesundheitsproblem. Wer gebissen wird, braucht schnell ein Antivenom Oft sind diese Gegengifte aber nicht verfügbar. Weil die Betroffenen meist arm sind, ist der Markt wenig lukrativ. Sanofi Pasteur zum Beispiel stellte 2015 die Produktion des nicht besonders gut verträglichen aber für Afrika äußerst wichtigen Antivenoms Fav Afrique ein. Produkte aus Indien wirken wiederum in Ländern wie Äthiopien, Kenia oder Sambia nicht so gut, weil sie auf die Gifte von Schlangen im Produktionsland angepasst sind.

Memento-Medienpreisträgerin Clara Hellner hat sich kürzlich mit ihrem Stipendium in Kenia umgeschaut, wo versucht wird, eine lokale Produktion von Antivenomen aufzubauen. Daraus entstand ein Interview für Die Zeit mit dem Tiermediziner George Omondi Oluoch, der das 2017 eröffnete Kenya Snakebite Research and Intervention Center in Nairobi leitet,[1] eine Reportage bei Reportagen[2] und eine längere Hörfunksendung für den Deutschlandfunk.[3]  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 6-7/2023, S. 15
Bild Schlange © Estellez/iStock

[1] Hellner C (2023) Schlangenbisse in Kenia: „Die Situation ist katastrophal“. Die Zeit 19. Juli www.zeit.de/gesundheit/2023-07/schlangenbisse-kenia-schwarze-mamba-gegengift/komplettansicht

[2] Hellner C (2023) Gift & Gegengift. Reportagen; #72, September https://reportagen.com/reportage/gift-gegengift (Paywall)

[3] Hellner C et al. (2023) Schlangenbisse in Kenia: Afrika braucht eigenes Gegengift. Deutschlandfunkt, 11. Juli www.deutschlandfunkkultur.de/schlangenbisse-in-kenia-toedlich-aber-nicht-lukrativ-dlf-kultur-0a011926-100.html


Ein Kommentar von Christopher Knauth

Am 30. November letzten Jahres hat die EU-Kommission einen Entwurf für eine globale Gesundheitsstrategie der EU vorgestellt,[1] der Pharma-Brief berichtete darüber.[2] Dieser ersetzt eine erste Mitteilung der Kommission zu Globaler Gesundheit von 2010,[3] die vom Rat damals zeitnah in offizielle EU-Politik umgesetzt wurde.[4] Die neue Mitteilung spricht besonders gegenüber den Ländern des Globalen Südens eine andere Sprache als ihre Vorgängerin und macht „Global Health“ zu einem Instrument europäischer Geopolitik.

Ein Blick zurück macht die Unterschiede deutlich. Für die Länder des Globalen Südens bedeutete die 2010er Kommunikation zu Globaler Gesundheit von 2010 (fortan: KOM2010) einen bedeutenden Fortschritt der EU-Politik hin zu einem umfassenden Verständnis von Gesundheit, Gesundheitssystemstärkung und „Global Health“. Vorausgegangen waren die Nullerjahre, in denen die EU Ihre Gesundheitspolitik für den Globalen Süden im Wesentlichen auf die selektive Bekämpfung sogenannter Armutskrankheiten (speziell AIDS, Malaria und Tuberkulose) beschränkt hatte.[5],[6] Dieser Ansatz hatte sich auch in den im Jahre 2000 von der UN verabschiedeten Millenniumsentwicklungszielen widergespiegelt, in denen Gesundheit auf drei Ziele (Senkung von Müttersterblichkeit, Kindersterblichkeit, Bekämpfung der drei Krankheiten) reduziert worden war. In der Folge wurden mit wesentlicher Beteiligung privater Stiftungen sogenannte „globale Gesundheitsinitiativen“ gegründet (Global Fund, GAVI), die die Rolle der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Governance Globaler Gesundheit zusätzlich schwächten [7],[8] (siehe Kasten).

Ihr Ansatz war durch Finanzierung und Bereitstellung technischer Lösungen (Medikamente, Moskitonetze, Impfstoffe) „Leben zu retten“, ohne zu berücksichtigen, dass es funktionierender und für alle zugänglicher Gesundheitssysteme bedarf, diese an die Patient*innen zu bringen. Dieser selektive Ansatz hatte die Nullerjahre zu einem verlorenen Jahrzehnt für die Gesundheitssysteme im Globalen Süden gemacht.

Kehrtwende bei der EU

Die KOM2010 machte ausdrücklich benannte fundamentale Rechte, europäische Werte und die Herausforderungen globaler Gesundheit zu ihrem Ausgangspunkt. Jeder Mensch habe das Recht auf Zugang zu Gesundheitsvorsorge und ärztlicher Versorgung. Gesundheit werde von sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Faktoren beeinflusst, die zunehmend von der Globalisierung bestimmt würden. Voraussetzung für die Verbesserung der Gesundheitssituation sei mehr soziale Gerechtigkeit. Explizit wurde dabei auf den WHO-Bericht von 2008 über die sozialen Determinanten von Gesundheit Bezug genommen.[9] Der habe gezeigt, dass Fortschritte nur dann erzielt werden können, wenn sich die bisherigen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und geschlechtsspezifischen Kräfteverhältnisse ändern.

Das entscheidend neue an der KOM2010 war ihr Ansatz zu einer umfassenden Gesundheitssystemstärkung (GSS): „Die EU sollte vor allem die Stärkung von Gesundheitssystemen unterstützen, um sicherzustellen, dass deren wesentliche Elemente – medizinisches Personal, Zugang zu Medikamenten, Infrastruktur und Logistik sowie […] Verwaltung – leistungsfähig genug sind, um eine gerechte und qualitativ hochwertige Grundversorgung für alle zu gewährleisten“. Diese Formulierung wurde fast wortgleich in die Schlussfolgerungen des Rates aufgenommen und damit offizielle EU-Politik.[3] Besonders wichtig ist festzuhalten, dass sich die EU nicht nur allgemein zu GSS bekannt hat, sondern explizit deutlich machte, dass eine Stärkung in allen ihren Komponenten notwendig ist, um nachhaltig zu sein. In den 2010er Jahren war GSS schnell zu einem Modebegriff geworden, wobei „Geber*innen“ von Gesundheitsprojekten im Globalen Süden für sich in Anspruch nahmen „das System zu stärken“, auch wenn sie nur selektiv in einer seiner Komponenten intervenierten. Eine klare Trennung selektiver Maßnahmen von einer nachhaltigen systemischen Unterstützung ist deshalb erforderlich.[10]

Die Ratsbeschlüsse betonten die Verantwortung nationaler Regierungen für die Gesundheit ihrer Bevölkerung. Hierzu forderte die KOM2010 einen wirkungsvollen Politikdialog zu Gesundheitssystemen und ihrer Finanzierung. Drittländer sollten dabei unterstützt werden, national mehr Mittel für Gesundheit zu mobilisieren, eine faire Gesundheitsfinanzierung oder soziale Sicherungssysteme zu stärken. Damit verbunden war ein klares Bekenntnis zu den 2005 in Paris verabschiedeten „Aid Effectiveness Principles“,[11] dem „Alignment“, der Ausrichtung der Hilfe an der (Gesundheits-)politik des Partnerlandes sowie die finanzielle Unterstützung ihrer Umsetzung. Das führte zu einem klaren Bekenntnis der EU zu Budgethilfe als „bevorzugte Option“ der Finanzierung. Für manche Politiker*innen in der EU hatte dies jedoch einen entscheidenden Nachteil: Der Verlust von „Sichtbarkeit“ der EU. Der ins nationale Budget des Partnerlandes eingezahlte Euro schwenkt keine blaue Fahne mit gelben Sternchen.

Schließlich betonte die KOM2010 die multisektorielle Natur von Gesundheit (Klimawandel, Migration, Ernährungssicherheit, Handel, fragile Staaten, Health Security) und verwies auf die Notwendigkeit von Politikkohärenz für Gesundheit. Hier sei die klare Position der KOM2010 zu Zugang zu Arzneimitteln hervorgehoben: „Im Bereich des Handels sollte die EU auf die effektive Anwendung der TRIPS-Bestimmungen hinwirken, damit unentbehrliche Arzneimittel leichter zugänglich und erschwinglicher werden. Die EU sollte zudem die prioritären Maßnahmen der globalen Strategie und des Aktionsplans für öffentliche Gesundheit, Innovation und geistiges Eigentum unterstützen. […] Die EU sollte weiterhin sicherstellen, dass ihre bilateralen Handelsabkommen keine Klauseln enthalten, die den Zugang zu Arzneimitteln untergraben könnten. Der Generikawettbewerb und ein rationaler Medikamenteneinsatz sind für die Nachhaltigkeit der Gesundheitssysteme von großer Bedeutung“.

Mit dem umfassenden Ansatz der KOM2010 zu Gesundheit und Gesundheitssystemstärkung war die EU der Weltgemeinschaft vorausgegangen, die einen solchen erst 2015 mit dem „nachhaltigen Entwicklungsziel 3“ zu Gesundheit und Wohlergehen und seinen Unterzielen verabschiedete.

Die „geopolitische Kommission“ ab 2019

Mit ihrer ersten Rede als designierte Kommissionspräsidentin hatte Ursula von der Leyen die künftige Arbeit ihres Kollegiums als „geopolitische Kommission“ definiert.[12] Kommissionsvizepräsident und Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell verkündete, dass die EU die „Sprache der Macht“ lernen müsse, um ihre Werte und Interessen durchzusetzen. In seinem Werk „EU-Außenpolitik im Angesicht von COVID-19“ wurde er deutlicher:

„Die Ära eines versöhnlichen, wenn nicht gar naiven Europas ist in die Jahre gekommen. Tugendhafte ‚Soft Power‘ reicht in der heutigen Welt nicht mehr aus. Wir müssen sie um eine ‚Hard Power‘-Dimension ergänzen, und zwar nicht nur in Bezug auf militärische Macht und das dringend benötigte Europa der Verteidigung. Es ist an der Zeit, dass Europa in der Lage ist, seine Einflusshebel zu nutzen, um seine Vision der Welt durchzusetzen und seine eigenen Interessen zu verteidigen.“[13]

Was ist an der neuen EU-Politik anders?

Die Global Health Strategy 2022 (GHS 2022) definiert Global Health als wesentliche Säule der EU-Außenpolitik und geopolitisch entscheidenden Sektor. Die wichtigste Nachricht der Strategie sei, dass die EU die Absicht habe, ihre Verantwortung und „führende Rolle“ zu vertiefen, um höchstmögliche Gesundheit zu erzielen. Begründet wird die Notwendigkeit zu einer neuen Strategie mit der sich schnell ändernden geopolitischen Lage, einer Dreifachkrise von Klimawandel, Biodiversität und Umweltverschmutzung sowie dem fehlenden Fortschritt in Globaler Gesundheit und bei der Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele. Die zentrale These, die daraus resultiert, ist, dass sowohl was getan werden muss als auch wie es getan werden muss einer grundlegenden Änderung bedürfe. Was ist also neu am „was“ und am „wie“ im Ansatz der Kommission?

Als Global Health Prioritäten wurden definiert: (1) bessere Gesundheit und Wohlbefinden; (2) Stärkung von Gesundheitssystemen hin zu „Universal Health Coverage“ und (3) gesundheitlichen Bedrohungen vorbeugen und sie bekämpfen in Anwendung eines „One Health Ansatzes“.

Vorausgegangen war die Forderung, man müsse neben sogenannten „traditionellen“ Determinanten wie Armut und Ungleichheit zusätzlich auch andere Gründe wie Klimawandel, Umwelt, und Nahrungssicherheit adressieren. Es sei „neu“, dass die GHS2022 die ökonomischen, sozialen, und umweltbedingten Determinanten von Gesundheit angehe. Wie wir gesehen haben, ist diese Aussage falsch: die KOM2010 hatte das schon getan. Neu ist der sogenannte „One Health Ansatz“. Nach den Erfahrungen mit den Epidemien und Pandemien des 21. Jahrhunderts (Vogelgrippe, Ebola, COVID-19), bei denen Erreger ursprünglich aus dem Tierreich kamen, verfolgt „One Health“ die Integration von Umwelt-, Tier- und Humanmedizin. Das beinhaltet auch Maßnahmen zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen.

Nicht neu ist das Bekenntnis zur Gesundheitssystemstärkung mit dem Ziel Universal Health Coverage. Allerdings ist die Zahl der Länder, die darin von der EU unterstützt werden, seit den 2010er Jahren stark zurückgegangen, von 44 auf 17.[14] Neu unter dem „was getan werden muss“, ist die Präsentation von Primary Health Care mit „surge capacity“ (der Fähigkeit auf Krisen zu reagieren) sowie die Betonung von digitaler Gesundheit und künstlicher Intelligenz, wobei dort mehr Chancen als Risiken gesehen werden.

Bei dem „wie es getan werden muss“ ist wesentlich Neues zu erkennen. Die GHS2020 begründet einen Führungsanspruch der EU in Global Health mit dem Beitrag, den die EU zum Kampf gegen COVID-19 durch „Team Europe“ geleistet habe. Das scheint angesichts der Blockadehaltung der EU beim Zugang zu Impfstoffen und Medikamenten in der Pandemie allerdings ein eher zweifelhaftes Eigenlob.

Der von der von der Leyen Kommission verabschiedete Finanzrahmen 2021-2027 erklärt mit Bezug auf sein „Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit“ (Neighbourhood, Development and International Cooperation Instrument, NDICI): „Das Budget 2021-2027 wird die Effektivität und Sichtbarkeit Europäischer Außenpolitik erhöhen“. Wesentliches Mittel zur Erhöhung von Sichtbarkeit ist das „Branding“ von EU-Kooperation als „Team Europe Initiativen“, wobei die so bezeichneten Maßnahmen auch von Mitgliedsstaaten mitfinanziert werden sollen, um die Wirksamkeit zu erhöhen. Erinnern wir uns: Die EU war Vorreiter sogenannter „Aid Effectiveness Principles“ gewesen. Diese bedeuteten Ownership des Landes des Südens, „Alignment“, also Unterordnung unter deren nationale Strategien und „Harmonisierung“, das heißt alle Geber (auch nicht-EU-Staaten wie die USA, Großbritannien oder Australien) koordinieren sich zur Unterstützung einer nationalen Entwicklungs- oder Gesundheitsstrategie. Im Sinne der GHS 2022 sollen die Länder des Südens nun veranlasst werden, „Team Europe Initiativen“ eine privilegierte Sichtbarkeit zu verschaffen. Sollte die EU mit ihren Vorhaben, in den Ländern des Südens tatsächlich „Initiative“ ergreifen zu wollen und nicht den Vorgaben nationaler Entwicklungsstrategien folgen, würde das die Aid Effectiveness Principles völlig auf den Kopf stellen.

Die GHS 2022 fordert eine neue EU-interne Governance nach dem Prinzip „Gesundheit in allen Politiken“. Das Prinzip ist nicht neu, es entspricht dem, was zuvor „Politikkohärenz“ genannt worden war. Neu ist, dass Industrie-, Außen- und Sicherheitspolitik ausdrücklich einbezogen wurden. Bei der Handelspolitik wurde die klare Sprache der KOM2010 zu Zugang zu Medikamenten, generischem Wettbewerb und EU Handelsabkommen nicht wiederholt. Einzig wird die Absicht erklärt, die Implementierung des TRIPS-Waiver zu COVID Impfstoffen „zu verfolgen“ („monitor“) und dessen Ausdehnung auf Diagnostika und Therapeutika „konstruktiv zu diskutieren“. Eine solche Formulierung klingt eher nach einem internen Minimalkonsens innerhalb der Dienste der Kommission als nach Absicht und Entschlossenheit, Fortschritte im Sinne einer Überwindung des Patentschutzes und anderer geistiger Eigentumsrechte für essenzielle Gesundheitsgüter im Sinne von „Gesundheit in allen Politiken“ erzielen zu wollen.

In Sachen globaler Governance, wiederholt die GHS 2022 das Bekenntnis zur Führungsrolle der WHO. Allerdings verbindet sie das mit dem Anspruch auf einen „formalen Beobachterstatus“ für die EU bei der WHO, was bislang in deren Regularien nicht vorgesehen ist. Relativiert wird dieses Bekenntnis nicht nur durch die Hinweise auf das EU-Engagement in anderen Foren (G7, G20), sondern insbesondere durch den Ansatz zu Partnerschaften „auf Augenhöhe“ mit einem breiten Spektrum von „traditionellen“ und „nicht traditionellen“ Partnern. Damit sind öffentlich-private Partnerschaften, philanthropische Organisationen (z.B. die Gates Foundation oder der Wellcome Trust) und globale Gesundheitsinitiativen (z.B. Global Fund, Scale Up Nutrition, SUN) gemeint. Insbesondere müsse sichergestellt werden, dass der Privatsektor und die Gesundheitsindustrie angemessen berücksichtigt würden. Dabei wird betont, dass mit Gesundheitsindustrie nicht nur die Herstellung von Gütern (z.B. Pharmaka), sondern auch die Erbringung gesundheitlicher Dienstleistungen gemeint ist. Eine solche Formulierung ist geeignet, den „Markt“ der Länder des Südens auch für europäische private Krankenhauskonzerne oder Versicherungsunternehmen zu erschließen.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass zum Thema Finanzierung auf „neuen Wegen“ nicht nur die Einbeziehung der Europäischen Entwicklungsbanken als Teil von „Team Europe“ vorgeschlagen wird, sondern ausdrücklich auch zu privaten Investitionen ermuntert werden soll. Private Investitionen profitorientierter Dienstleister im Gesundheitswesen haben sich in den Ländern des Südens aber nicht als geeignetes Mittel erwiesen, den allgemeinen Zugang der Bevölkerung zu Gesundheitsversorgung zu verbessern und dem Ziel von „Universal Health Coverage“ näher zu kommen.[15]

Zielführend wäre die Stärkung öffentlicher Gesundheitssysteme. Die Finanzierung öffentlicher Gesundheitsversorgung tritt in der GHS2022 gegenüber den präferierten „neuen Wegen“ deutlich in den Hintergrund. Alte Forderungen nach Reformen des Managements öffentlicher Ausgaben werden wiederholt und es solle ein geringerer Schuldendienst angestrebt werden. Zur Steuerpolitik fallen der GHS 2022 lediglich „Ökosteuern“ ein. Ökosteuern ersetzen damit Vorschläge vergangener Jahre, „Sündensteuern“ auf Tabak und Alkohol zu erheben, um das öffentliche Gesundheitssystem zu finanzieren. Beide Vorschläge bedeuten vor allem eins: sie sind regressiv, das heißt sie treffen die Armen stärker als die Reichen. Seit 2010, aber insbesondere seit und mit Corona haben weltweit die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten dramatisch zugenommen.[16],[17] Wäre soziale Gerechtigkeit ein zentraler Wert der EU, wie noch in der Kommunikation von 2010 behauptet, dann hätte gerade die Steuerpolitik eine Reihe von Möglichkeiten geboten, soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten in und zwischen den Ländern des Nordens und des Südens zu bekämpfen: progressive Besteuerung von Vermögen und Einkommen, die effektive Bekämpfung von Steuervermeidung, Steuerflucht und Steuerparadiesen. Für die ärmsten Länder gilt allerdings, dass auch wenn sie ihr eigenes Steueraufkommen verbessern, die Mittel nicht reichen, Gesundheitssysteme zu stärken und nachhaltige soziale Sicherungssysteme aufzubauen, die „universal Coverage“ ermöglichen. In der 2022 Kommunikation lobt sich die Kommission selbst dafür, einen weiteren selektiven Global Fund (zusammen mit der G20) mit initiiert zu haben: den „Pandemic Fund“.[18] Dabei gibt es seit Jahren einen besseren Vorschlag: die Schaffung eines Globalen Fonds zur umfassenden Stärkung von Gesundheitssystemen weltweit.[19] Resiliente Gesundheitssysteme sind die beste Vorbereitung auf Pandemien.

Anfang 2021 hatte die Kommission ihre Generaldirektion „International Cooperation and Development (DEVCO)“ in „INTPA“, „Internationale Partnerschaften“ umbenannt. In der Sprache der EU ist an die Stelle von „Entwicklungshilfe“ („Aid“) das Konzept „gleichberechtigter Partnerschaften“ mit den Ländern des Südens getreten. Damit werden auch vergangene Verpflichtungen zu „Aid“ Effectiveness gegenstandslos. An die Stelle von Ownership des Partnerlandes und Unterordnung der Geber unter deren Entwicklungsstrategie tritt ein neues Konzept von „Co-Ownership“. „Co-Ownership“ zwischen dem Land des Südens und einer EU, die mit der Sprache der Macht ihre „Werte und Interessen“ durchsetzt. Bei den Werten vermissen wir in der neuen Kommunikation die Erwähnung und Umsetzung von sozialer Gerechtigkeit und bei den Interessen erkennen wir, dass es wesentlich um privatwirtschaftliche Interessen geht.

Christopher Knauth (Dr. med, MCommH) gehört zur 1981er Gründungs­gene­ra­tion der BUKO Pharma-Kampagne. In den 1990er Jahren arbeitete er am Heidelberger Institut für Tropenhygiene und Öffentliches Gesundheitswesen. Von 1999-2021 war er bei der EU-Kommission in der Entwicklungszusammenarbeit im Gesund­heitssektor tätig.

 Artikel aus dem Pharma-Brief 6-7/2023, S. 4
Bild Gesundheitsstrategie 2010 © EU-Kommission

[1] EU (2022) Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European economic and social committee and the committee of the regions. EU Global Health Strategy Better Health for All in a Changing World. https://health.ec.europa.eu/document/download/25f21cf5-5776-477f-b08e-d290392fb48a_en?filename=international_ghs-report-2022_en.pdf [Zugriff 7.9.2023]

[2] Pharma-Brief (2022) EU: Neuer Plan für Globale Gesundheit Fortschrittliche Politik oder nur schöne Worte? Nr. 10, S. 1

[3] EC (2010) Communication from the Commission to the Council, The European Parliament, The European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions. The EU role in Global Health COM (2010) 128 final. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:52010DC0128 [Zugriff 7.9.2023]

[4] EU Council (2010) Council conclusions on the EU role in Global Health 3011th Foreign Affairs Council meeting Brussels, 10 May http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/10/st09/st09644.en10.pdf [Zugriff 7.9.2023]

[5] Europäische Kommission (2000) Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament. Beschleunigte Aktion zur Bekämpfung der wichtigsten übertragbaren Krankheiten im Rahmen der Armutslinderung KOM (2000) 585 endgültig https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2000:0585:FIN:DE:PDF [Zugriff 7.9.2023]

[6] EC (2002) Communication from the Commission to the Council and the European Parliament. Health and Poverty Reduction in Developing Countries COM(2002) 129 final http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/en/com/2002/com2002_0129en01.pdf [Zugriff 7.9.2023]

[7] World Bank (1993) World Development Report 1993. Investing in health New York: Oxford University Press. https://openknowledge.worldbank.org/handle/10986/5976 [Zugriff 7.9.2023]

[8] Ausführlicher in Schaaber (2023) Pillen-Poker. Berlin: Suhrkamp, S. 192-191?

[9] WHO & Commission on Social Determinants of Health (2008) Closing the Gap in a Generation: Health equity through action on the social determinants of health (final report). www.who.int/publications/i/item/WHO-IER-CSDH-08.1 https://apps.who.int/iris/rest/bitstreams/65985/retrieve [Zugriff 7.9.2023]

[10] Chee G, Pielemeier N., Lion A. and Connor C. (2012) Why differentiating between health system support and health system strengthening is needed. Int J Health Plann Mgmt http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/hpm.2122/pdf [Zugriff 7.9.2023]

[11] OECD, DAC (2005) Paris Declaration on Aid Effectiveness. www.oecd.org/dac/effectiveness/parisdeclarationandaccraagendaforaction.htm [Zugriff 7.9.2023] http://www.oecd.org/development/effectiveness/34428351.pdf [Zugriff 7.9.2023]

[12] von der Leyen U (2019) The von der Leyen Commission: for a Union that strives for more. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/IP_19_5542 [Zugriff 7.9.2023]

[13] Borrell Fontelles J (2021) European foreign policy in times of COVID-19. https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/87a1969b-ac7f-11eb-9767-01aa75ed71a1/language-en [Zugriff 7.9.2023]

[14] Kickbusch I and Franz C (2020) Towards a synergistic global health strategy in the EU. https://repository.graduateinstitute.ch/record/298287?_ga=2.59052328.445080765.1674211702-791756807.1674211702 [Zugriff 7.9.2023]

[15] Hassane FN (2023) Investments in private healthcare are not helping Africans. Rather than investing in predatory for-profit healthcare companies, development finance institutions should use their funds to help improve universal public services across the continent. https://www.aljazeera.com/opinions/2023/7/11/investments-in-private-healthcare-are-not-helping-africans [Zugriff 7.9.2023]

[16] Berkhout E Galasso N and Lawson M (2021) The Inequality Virus Bringing together a world torn apart by coronavirus through a fair, just and sustainable economy. https://www.oxfam.org/en/press-releases/mega-rich-recoup-covid-losses-record-time-yet-billions-will-live-poverty-least [Zugriff 7.9.2023] https://oxfam.app.box.com/s/m7lab231vgyee3hti2qigu8qvc6o9wd1/file/764213341297 [Zugriff 7.9.2023]

[17] Chancel L et al. (2021) World Inequality Report 2022. https://wir2022.wid.world/www-site/uploads/2021/12/WorldInequalityReport2022_Full_Report.pdf [Zugriff 7.9.2023]

[18] WHO (2022) New fund for pandemic prevention, preparedness and response formally established www.who.int/news/item/09-09-2022-new-fund-for-pandemic-prevention--preparedness-and-response-formally-established [Zugriff 7.9.2023]

[19] Ooms G (2014) Financing Global Health Through a Global Fund for Health? http://www.chathamhouse.org/sites/default/files/public/Research/Global%20Health/0214GlobalFund.pdf [Zugriff 7.9.2023]


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