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US-Firma führt unkontrollierten Menschenversuch durch

In der kleinen Karibikrepublik St Kitts und Nevis testete das US-Unternehmen Rational Vaccines einen neuen Herpes-Impfstoff, ohne Prüfung durch eine Ethik-Kommission. Die Versuchspersonen waren BürgerInnen aus Industrieländern. Das hat Implikationen über den Einzelfall hinaus, denn zu den Investoren gehören Freunde und Berater von US-Präsident Trump, die von Kontrolle wenig halten.

20 BürgerInnen aus den USA und Großbritannien erhielten 2016 den experimentellen Herpes-Impfstoff.[1] Sie waren eigens für die Impfungen in die Karibikrepublik eingeflogen worden. Offensichtlich um die ethische Kontrolle der Tests zu umgehen. Die Versuche, die von Prof. Halford von der Southern Illinois University mit abgeschwächten lebenden Viren durchgeführt wurden, sind relativ risikoreich. Schlampige Handhabung kann zu Infektionen Dritter führen und für die Testpersonen sind sie natürlich auch nicht ohne Gefahren.

Die Universität brüstete sich noch Anfang 2017 auf ihrer Website mit einem euphorischen Artikel mit dem Titel „Game Changer“[2] mit Halfords Forschung: „Der Versuch war auf Einfachheit, Geschwindigkeit und Effizienz ausgelegt. [..] die positiven Ergebnisse haben in der online-Community der Herpespatienten Enthusiasmus und Optimismus ausgelöst.“[3]

Heute will die Southern Illinois University (SIU) mit der Sache nichts mehr zu tun haben. Der Artikel wurde gelöscht. Halford war seit 2007 bis 2017 an der SIU angestellt und hatte sich mit den Möglichkeiten einer Herpes Impfung beschäftigt. Seine Forschungen waren auch von den staatlichen National Institutes of Health gefördert worden.[4] Als er Aussichten auf kommerziellen Erfolg sah, gründete er mit Beteiligung von Kapitalgebern „Rational Vaccines“.

Obwohl die Universität zwei Impfstoffkandidaten an die Firma lizensiert hatte, sieht sie sich nicht in der Verantwortung. Halford hätte die Versuche nicht im Auftrag der Universität, sondern seiner Firma durchgeführt. Deshalb sei keine Genehmigung durch die Ethik-Kommission nötig gewesen.[1] Auf Nachfragen sagte die Sprecherin Karen Carlson: „[Wir] werden die Gelegenheit nutzen, unsere internen Prozesse zu überprüfen, damit wir sicher sein können, vorbildliche Verfahren zu haben.“[1]

Rational Vaccines spielte die Risiken herunter. Der Hollywood-Filmmacher Agustin Fernández III, der die Firma gemeinsam mit Halford gegründet hatte, behauptete, der Forscher habe die nötigen Vorkehrungen getroffen. Halford, der den Impfstoff an Fernández und sich selbst testete, kann man nicht mehr fragen, er starb im Juni 2017.

Testflüge

Dass US-BürgerInnen eigens nach St. Kitts geflogen wurden, damit sie die Impfdosen erhalten, ist eine besondere Provokation. Denn die US-Zulassungsbehörde FDA verlangt die Genehmigung aller Versuche an Menschen durch eine Ethik-Kommission, egal wo in der Welt sie stattfinden. Das und die Möglichkeit der Überwachung der Versuche durch die Behörde sind zwingende Voraussetzung für eine spätere Zulassung in den USA.

Robert Califf, im Januar 2017 von Trump entlassener FDA-Chef, sagte, ihm sei sonst kein Fall bekannt, bei dem US-ForscherInnen ohne Ethik-Kommission gearbeitet hätten: „Es gibt eine Tradition, Experimente an Menschen zu überwachen, und die gibt es aus guten Gründen. […] Es mag [in St Kitts] legal sein, ohne Überwachung zu arbeiten, aber es ist falsch.“[1]

Karibikinsel protestiert

Die Regierung von St. Kitts und Nevis ist aber keineswegs mit dem Versuch einverstanden und hat eine offizielle Untersuchung eingeleitet. Nicht nur die Tests seien illegal gewesen, sondern auch der Import des nicht zugelassenen Impfstoffs hätte gemeldet werden müssen.[5]

Tabubruch

Die Journalistin Marisa Taylor, die die Hintergründe recherchierte, hält das Vorgehen der Firma für politisch motiviert: „Der neue FDA-Chef Scott Gottlieb, der enge finanzielle Verflechtungen mit der Pharmaindustrie hatte, hat vor seiner Ernennung die FDA wegen übertriebenem Verbraucherschutz zum Schaden von medizinischen Innovationen scharf kritisiert.“[1] Zu den Investoren bei Rational Vaccines gehört auch Peter Thiel, Mitbegründer von PayPal, der Trump im Wahlkampf unterstützte und ihn bei der Auswahl der Kandidaten für den FDA-Chefposten beriet. Fernández hofft, dass der gegen grundlegende ethische Regeln verstoßende Versuch politischen Druck auf die FDA ausübt, den Impfstoff genauer anzuschauen.

Außerdem mit von der Partie ist Bartley Madden, ehemaliger Credit Suisse Banker und Berater des konservativen Heartland Institute. Madden bezeichnete die Versuche als „Testfall.“ „Die FDA steht im Weg und Amerikaner werden davon hören und Veränderungen verlangen.“[1] (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 7/2017, S. 3
Bild Saint Kitts at Dawn © Martin Falbisoner

 

[1] Taylor M (2017) Offshore Human Testing Of Herpes Vaccine Stokes Debate Over U.S. Safety Rules. Kaiser Health News. 28 Aug.

[2] Bahnbrechend

[3] Sandstrom S (2017) Game Changer. Aspects; 40, No. 1. Der Artikel wurde nach dem 1.3.2917 aus dem Web entfernt. https://web.archive.org/web/20170301073112/http://www.siumed.edu/pubs/aspects/40-1/coverstory.html

[4] Halford WP et al (2010) Herpes Simplex Virus 2 ICP0− Mutant Viruses Are Avirulent and Immunogenic: Implications for a Genital Herpes Vaccine. PLoS ONE; 5,p e12251

[5] Taylor M (2017) St. Kitts Launches Probe Of Herpes Vaccine Tests On U.S. Patients. Kaiser Health News. 31 Aug.


Kein Zika Impfstoff

In den Labors der US-Armee wurde ein erfolgversprechender Impfstoffkandidat gegen Zika entwickelt. Sanofi wollte ihn zur Marktreife bringen.

Das US-Gesundheitsministerium sagte 43 Mio. US$ für die Weiterentwicklung zu und versprach weitere 130 Mio. US$ für größere Testreihen.[1] Diesen Sommer wollte Sanofi mit der Armee eine exklusive Vermarktungslizenz vereinbaren – die Voraussetzung um den Impfstoff später teuer verkaufen zu können. Nach heftigen Protesten von WissenschaftlerInnen und NGOs ruderte die Regierung zurück. Nun steigt Sanofi aus der Kooperation aus. Dabei spielt wohl auch eine Rolle, dass die Bedrohung durch Zika stark nachgelassen hat. Das verschlechtert die Gewinnaussichten. Einen ähnlichen Fall gab es vor der Ebola-Epidemie in Westafrika 2016. Damals wurde die öffentliche Forschung zu Ebola nur noch auf niedrigem Niveau finanziert und vielversprechende Wirkstoffe konnten mangels Projektmitteln nicht weiter erforscht werden. Lediglich ein staatliches kanadische Forschungsinstitut hatte genügend Dosen eines Impfstoffkandidaten eingelagert. So konnte beim Ausbruch der Epidemie – der auch für plötzlichen Geldsegen im Bereich Forschung sorgte  – eine Studie begonnen werden.[2],[3] (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 7/2017, S. 2

 

[1] Sagonowsky E (2017) Sanofi pulls out of Zika vaccine collaboration as feds gut its R&D contract. FiercePharma 1 Sept. www.fiercepharma.com/vaccines/contract-revamp-sanofi-s-zika-collab-u-s-government-to-wind-down

[2] Grady D (2014) Ebola Vaccine, Ready for Test, Sat on the Shelf. New York Times 23 Oct. https://nyti.ms/2jKFR2f

[3] Geisbert WC (2017) First Ebola virus vaccine to protect human beings? Lancet; 389, p 479


Wettstreit der Interessen

Die Forschungslücke bei Antibiotika ist groß. Neue Wirkstoffe müssen günstig sein und sollen möglichst wenig angewendet werden, das macht sie für die Industrie wenig interessant. Wie man dennoch die Forschung und Entwicklung voranbringen kann, sollte das Projekt DRIVE-AB klären. VertreterInnen der öffentlichen Forschung, der Industrie und NGOs wollten gemeinsam die Machbarkeit verschiedener Modelle prüfen. Die Abschlusskonferenz zeigte, wie stark die Präferenzen von den unterschiedlichen Interessen geprägt sind.

Das Ziel von DRIVE AB war ambitioniert: Wie kann man die Innovation stimulieren und dabei gleichzeitig den nachhaltigen Gebrauch und die globale Verfügbarkeit neuer Antibiotika sicherstellen? Das Projekt mit einer Laufzeit von 3 Jahren verfügte über ein Budget von 9,1 Mio. €, davon 2/3 von der Europäischen Kommission und 1/3 von Pharmaunternehmen in Form von Arbeitsleistung („in kind contribution“).[1] Dass hier sehr unterschiedliche Positionen aufeinander prallen, überrascht nicht. Kurz vor Ende des Projekts, als die politischen Empfehlungen formuliert werden sollten, ist mit ReAct ein wichtiger zivilgesell­schaftlicher Projektpartner ausgestiegen. Anlass war ein Manuskript mit vorläufigen Empfehlungen von DRIVE AB, dass bei Lancet Infectious Diseases zur Veröffentlichung eingereicht worden war. Es enthielt Positionen, über die es innerhalb des Projekts sehr unterschiedliche Meinungen gab. Das war im Artikel aber nicht zu erkennen. So entstand der falsche Eindruck, die Beteiligten hätten einen Konsens erzielt.[2]

Von Seiten DRIVE AB wurde betont, dass man Konsens erzielen möchte, aber im Abschlussbericht auch Minderheitenmeinungen veröffentlicht würden.[3] Der Bericht liegt noch nicht vor, trotzdem war der Dissens auf der Abschlusskonferenz in Brüssel (5.-6.9.2017) deutlich zu erkennen.

Push oder Pull?

35 Modelle für Forschungsanreize wurden in verschiedenen Arbeitsgruppen geprüft. Schlussendlich werden vier davon empfohlen. Zwei so genannte Push Mechanismen sollen die Forschung anschieben: Für die direkte Forschungsförderung seien laut Berechnung der WissenschaftlerInnen jährlich mindestens 550 Mio. US$ nötig. Das Geld solle vor allem in die Grundlagenforschung fließen, um die Pipeline mit neuen Wirkstoffen zu füllen. Weiterhin müsse es eine Koordination der verschiedenen Projekte mit einem aktiven Portfolio-Management geben, um die Forschung möglichst zielgerichtet und effizient zu gestalten.

Als Pull Mechanismen bezeichnet man Maßnahmen, die Unternehmen eine Belohnung in Aussicht stellen, wenn sie ein Produkt entwickeln. Auch hier werden zwei Modelle empfohlen. Ein „market entry reward“ ist ein Geldbetrag, der ab der Markteinführung bis zum Ende des Patentschutzes gezahlt wird. Die Simulationsberechnungen von DRIVE AB beruhen auf einem market entry reward in Höhe von 1 bis 1,5 Mrd. US$, wobei die Pharmaindustrie bemüht war, diesen Betrag weit höher anzusetzen. Das letzte Modell „long term continuity model“ zielt auf solche Antibiotika ab, die schon länger auf dem Markt sind, aber nicht mehr ausreichend produziert werden. Ein finanzieller Anreiz soll Firmen zur Produktion bewegen.

Ziehen alle an einem Strang?

„Antibiotikaresistenz ist perfekt für ein Public Private Partnership“, so Pierre Meulin von der Innovative Medicines Initiative (IMI) in seiner Eröffnungsrede.[4] Doch schon bei der Diskussion um die Kostenmodelle war nicht zu übersehen, wie schwierig es ist, die Forderung nach günstigen Medikamenten mit Gewinninteressen zusammen zu bringen. David Findley von GlaxoSmithKline verdeutlichte die kommerzielle Position: „Return on investment ist wichtig, sonst gibt es kein Investment und die Modelle funktionieren nicht“. Doch welcher Gewinn für die Investoren ist gerechtfertigt? DRIVE AB versuchte diese Frage über einen Umweg zu beantworten. Modellrechnungen sollten klären, wie man den Wert eines neuen Antibiotikums bestimmen könne. Doch die vorgestellten Berechnungen verdeutlichten vor allem, dass man hier zu Ergebnissen in relativ beliebiger Höhe kommen kann, je nachdem was man in die Simulation einbezieht – ein wenig zielführender Ansatz.

Kleine und mittlere Unternehmen

Nicht nur die großen Pharmaunternehmen spielen in dieser Diskussion eine Rolle. Es sind gerade kleinere Unternehmen, die derzeit beginnen, die Antibiotikapipeline wieder zu füllen. Sie sind auf Investoren angewiesen – häufig Risikokapital – weshalb sich auch hier die Frage stellt, welchen „return on investment“ man potenziellen Investoren bieten kann.

Hier will das Projekt CARB-X andere Wege gehen. Kleine und mittlere Unternehmen können Geld für ihre Antibiotikaprojekte beantragen. Die US-Regierung und der Wellcome Trust stellen für die kommenden fünf Jahre 450 Mio. US$ bereit. Dabei handelt es sich um kein gewöhnliches Programm zur Investitionsförderung, denn das Geld ist an eine Bedingung gekoppelt: Wer gefördert werden will, muss einen Plan erarbeiten, wie er sein Produkt später verfügbar und nachhaltig nutzbar machen will.

Non-profit Ansatz

Dass man auch ohne Profitwartungen investieren kann, zeigt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Sie hat mit dem Projekt GARD-P eine Produktentwicklungspartnerschaft angestoßen, die nicht gewinnorientiert ist (siehe Pharma-Brief Spezial 1/2017). Das Konzept hat sich bereits bei den vernachlässigten Krankheiten bewährt: Die Entwicklung neuer Wirkstoffe wird vorwiegend mit öffentlichen Geldern finanziert. Wenn das Produkt auf den Markt kommt, sind die Entwicklungskosten bereits abgegolten und das Produkt kann preiswert verkauft werden – unterm Strich also die günstigste Lösung. Die Bundesregierung hat zugesagt, GARD-P in den kommenden fünf Jahren mit mindestens 51 Mio. € zu unterstützen.[5]

Das Projekt DRIVE AB verdeutlicht, dass Pharmaunternehmen durchaus bereit sind, wieder aktiver in die Antibiotikaforschung einzusteigen – aller­dings nur, wenn sie mit öffentlichen Geldern unterstützt wird und die Gewinnaussichten gut sind. Dass die Bundesregierung sich mit der Förderung von GARD-P für einen non-profit-Weg entschieden hat, ist zu begrüßen.  (CW)

Artikel aus dem Pharma-Brief 7/2017, S. 1

 

[1] http://drive-ab.eu/wp-content/uploads/2014/09/IMI-Key-Facts.pdf

[2] ReAct (2017) ReAct withdraws from IMI project DRIVE-AB. Mitteilung 20. Juli www.reactgroup.org/news-and-views/news-and-opinions/year-2017/react-withdraws-from-imi-project-drive-ab/

[3] DRIVE AB (2017) Statement on ReAct’s Departure from the DRIVE-AB Consortium http://drive-ab.eu/news/statement-on-reacts-departure-from-the-drive-ab-consortium/

[4] IMI ist selbst ein solches „Partnership“ zwischen Industrie und EU-Kommission und Förderer von DRIVE AB. Mehr zu IMI: Pharma-Brief (2014) Neue Sterne am Horizont. Nr. 5, S. 2

[5] BMBF (2017) Wichtiger Schritt im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen. Pressemitteilung 4. Sep. www.bmbf.de/de/wichtiger-schritt-im-kampf-gegen-antibiotika-resistenzen-4733.html


Ersatzprodukte: Profit statt Muttermilch

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, Babys mindestens sechs Monate ausschließlich zu stillen. Doch das geschieht nur bei 36% aller Säuglinge weltweit. Das liegt zum Teil an ungünstigen Bedingungen und fehlender Unterstützung für die Mütter. Eine wichtigere Rolle spielt aber das geschickte Marketing von Muttermilchersatzprodukten.

Die Firmen versuchen Mütter mit immer neuen Produkten zu ködern, die angeblich besser für ihre Babys sind. Changing Markets und drei weitere Organisationen[1] untersuchten, welche Produkte die vier größten Hersteller[2] in 14 Ländern quer über den Globus anbieten.[3] Über 400 verschiedene Zubereitungen für Kinder unter 12 Monaten wurden gefunden, Spitzenreiter war Danone mit 173 Produkten, dicht gefolgt von Nestlé mit 165.

Von der Brust weglocken

Die Hersteller machen sich dabei zunutze, dass die Anforderungen an Muttermilchersatz nur Mindeststandards sind. Mit immer neuen Produkten wird der Markt ausgeweitet. Dabei sind die Werbeaussagen meist eher blumig als wissenschaftlich gut belegt. Was bedeutet es, wenn behauptet wird: „dichter an Muttermilch seit je“? Oder wo sind die Beweise, dass Allergien verhindert werden oder die Babys besser schlafen? Die Studie legt nahe, dass eher gezieltes Marketing hinter den Sprüchen steht. Denn auffällig ist, dass je nach Markt das Produkt eines Herstellers zwar den gleichen Markennamen trägt, aber unterschiedliche Inhaltsstoffe enthält. Es ähnelt von der Zusammensetzung her eher den im Land erhältlichen Konkurrenzprodukten als dem der Marke anderenorts.

Und das Kalkül der Hersteller geht auf: 2015 wurden mit Muttermilch­ersatzprodukten 47 Mrd. US$ umgesetzt, bis 2020 soll der Markt noch einmal um die Hälfte wachsen, vorwiegend in Schwellenländern.[4] Dabei unterscheiden sich die Preise je nach Land erheblich. Eine 800g-Dose Aptamil Profutura von Danone kostet in Großbritannien 17 US$ und in Deutschland 24 US$, in China dagegen kostet die nur wenig größere 900g-Dose 55 US$. China ist schon heute der größte Absatzmarkt, 46% des Weltumsatzes werden dort erzielt.[1] Während in Deutschland, Großbritannien oder Frankreich das günstigste Muttermilchersatzprodukt 1-3% des monatlichen Einkommens kostet, muss man in China oder Indonesien 15% des Einkommens dafür aufwenden.

All das dient hauptsächlich der Gesundheit der Firmenbilanzen der großen Vier, die den Markt beherrschen.[1] Denn Tatsache bleibt, dass es sich um Ersatzprodukte handelt, die an das Stillen nicht heranreichen. Zudem stellt das International Baby Food Action Network jedes Jahr wieder fest, dass die Firmen massiv gegen den Kodex der WHO zu Muttermilchersatzprodukten verstoßen. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass sich durch optimales Stillen jährlich 820.000 Todesfälle bei Kleinkindern verhindern ließen. Eine wichtige Ursache: Wenn die Ersatzprodukte mit unsauberem Wasser angerührt werden, kann das zu Durchfall führen. Babys und Kleinkinder sterben dann häufig am Flüssigkeitsverlust.[5]  (JS)

Artikel aus dem Pharma-Brief 8-9/2017, S. 7
Coverbild: Milking it

 

[1] Globalization Monitor, Sum of Us, European Public Health Alliance

[2] Nestlé, Danone, Abbott, Mead Johnson Nutrition

[3] Changing Markets et al. (2017) Milking it. https://changingmarkets.org/campaigns/milking-it

[4] www.slideshare.net/Euromonitor/market-oveview-identifying-new-trends-and-opportunities-in-the-global-infant-forumla-market [Zugriff 30.10.2017]

[5] WHO (2017) Fact sheet Infant and young child feeding. Updated July 2017 http://who.int/mediacentre/factsheets/fs342/en/


… und was Big Business damit zu tun hat

Fettleibigkeit ist zur Seuche des neuen Jahrtausends geworden. Seit 1975 hat sich die Zahl der Übergewichtigen verdreifacht. 2016 waren mehr als 650 Millionen Erwachsene stark übergewichtig.[1] Mehr Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Folge. Die Nahrungsmittelindustrie ist wichtige treibende Kraft und Profiteur gleichermaßen. Das Beispiel Brasilien.

18,9% der brasilianischen Bevölkerung sind stark übergewichtig. Vor zehn Jahren waren es 11,8%. Das entspricht einer Steigerung von 60%.[2] In anderen lateinamerikanischen Län­dern ist die Lage ähnlich. Für die starke Zunahme der Übergewichtigen sind mehrere Faktoren verantwortlich: Ver­städt­erung, mehr sitzende Tätigkeiten, insgesamt weniger körperliche Bewegung. Für eine wachsende Zahl von ErnährungsexpertInnen ist die Übergewichtigkeit jedoch untrenn­bar mit dem Verkauf von verarbeiteten Lebensmitteln verbunden. Denn dieser Markt wuchs weltweit im Zeitraum von 2011 bis 2016 um 25% im Vergleich zu 10% in den USA. Die Welt­gesundheitsorganisation (WHO) unter­suchte im Jahr 2015 den Pro-Kopf-Verbrauch von Limonaden, salzigen und süßen Snacks, Corn Flakes & Co, Eiscreme, Energiedrinks, gesüßten Frucht- und Gemüsesäften, Eistees, Fast Food und anderen ungesunden Nahrungsmitteln. Innerhalb von 13 Jahren (2000-2013) nahm dieser in 13 lateinamerikanischen Ländern um 26,7% zu, während er in Nordamerika um 9,8% abnahm.[3] Für diesen Trend sind laut WHO Änderungen im internationalen Lebensmittelhandel verantwortlich. Globalisierung und die Deregulierung ermöglichen es multinationalen Nahrungsmittelkonzernen die nationalen Märkte weltweit zu durchdringen. So zeigen Daten aus 74 Ländern einen engen Zusammenhang zwischen Marktderegulierung und dem Verkauf von Fertigprodukten.

Verkaufsstrategien: Beispiel Nestlé

Der Schweizer Nahrungsmittelriese ist bei der Erschließung des brasilianischen Marktes besonders erfindungsreich.[4] So sind Nestlé-Produkte nicht nur in Lebensmittelgeschäften zu finden, sondern der Nahrungsmittelgigant beschäftigt tausende von VerkäuferInnen, die die Nestlé-Produkte direkt von Tür zu Tür verkaufen. Es sind ausnahmslos Frauen aus Armutsgebieten großer Städte wie Rio de Janeiro oder Sao Paulo. „Das Wesen unseres Programmes ist es, die Armen zu erreichen. Was es so erfolgreich macht, ist die persönliche Verbindung zwischen Verkäufer und Käufer,“ so Felipe Barbosa, Berater von Nestlé. Damit die Tür-zu-Tür-VerkäuferInnen erfolgreich sind, erhalten sie von der Firma ein Verkaufstraining, damit sie den Kund­Innen die Vorteile von Nestlé-Produkte schmackhaft machen können.[5]

Bis vor kurzem sponserte die Firma auch ein Binnenschiff, dass tausende Kartons mit Milchpulver, Schokoladenpudding, Keksen und Süßigkeiten in die entlegensten Winkel des Amazonas-Beckens brachte. Nachdem das Binnenschiff seinen Dienst einstellte, übernehmen nun private Bootbesitzer die Touren, um die Nachfrage der BewohnerInnen nach Nestlé-Produkten in diesen entlegenen Gebieten zu befriedigen.[4]

Zynismus á la Nestlé

Gerne präsentiert sich der weltweit größte Nahrungsmittelkonzern als führend in Sachen Gesundheit. „Nestlés Ziel ist es, die Lebensqualität zu verbessern und zu einer gesünderen Zukunft beizutragen. […] Wir wollen die Leute auch ermutigen, ein gesünderes Leben zu führen. Auf diese Weise tragen wir etwas zur Gesellschaft bei, während wir gleichzeitig den langanhaltenden Erfolg unserer Firma sichern.“ [6]

Um Profit zu erzielen, schreckt die Firma offensichtlich vor nichts zurück. Um den Produkten einen gesunden Touch zu geben, brüstet sie sich, diese mit Vitamin A, Eisen und Zink anzureichern. Denn genau daran leide die brasilianische Bevölkerung am häufigsten.[5] Dass viele Produkte aber so viel Zucker enthalten, dass sie die Empfehlungen der WHO bei weitem überschreiten – damit hat Nestlé offenbar kein Problem.

Gesundheit leidet

 Die veränderten Ernährungsgewohnheiten haben sich in Brasilien zu einem treibenden Faktor für Gesundheitsprobleme entwickelt. Übergewicht und damit häufig als Folge ein zu hoher Blutdruck, Krankheiten des Herz- und Kreislauf-Systems und Diabetes, haben sich zu neuen Seuchen entwickelt und führen häufig zum frühen Tod. Todesfälle durch Herz-Kreislauferkrankungen nahmen von 2005 bis 2016 um 15,7% zu, die Sterblichkeit an Diabetes stieg um 34,7% .[7]

Politik ohne Zähne

Alle Versuche der Politik, zum Wohl der öffentlichen Gesundheit stärker einzugreifen wurden früh im Keim erstickt. Im Jahr 2010 wollte die brasilianische Regierung Junk-Food-Werbung für Kinder einschränken. Das wurde von einer Koalition brasilianischer Nahrungs- und Getränkehersteller torpediert und das Gesetz verschwand in der Schublade. Außerdem ist der Kongress nun dabei, auch andere Regularien und Gesetze aufzuheben, die ein gesünderes Essen unterstützt hätten.[4]

2014 spendeten Nahrungsmittelkonzerne 158 Millionen US$ an Mitglieder des brasilianischen Kongresses – drei Mal mehr als noch im Jahr 2010. Vor 2015 waren viele Politiker an die Macht gekommen, die ordentlich Unterstützung von der Industrie erhalten hatten. Die größte Spende an einen Kongressabgeordneten belief sich auf 112 Millionen US$ und kam vom brasilianischen Fleischgiganten JBS, Coca-Cola spendete 6,5 Millionen und McDonald’s ließ 561.000 US$ fließen. Dann kam sogar ein ehemaliger Rechtsanwalt des Lebensmittelkonzern Unilever an die Spitze der brasilianischen Gesundheitsbehörde.

Es bleibt wenig Hoffnung, dass sich etwas ändern wird, solange Politik und Industrie so eng verquickt bleiben. Das ist nicht nur schlecht für den Einzelnen, sondern für die ganze Gesellschaft, die die steigenden Krankheitskosten schultern muss. (HD)

Artikel aus dem Pharma-Brief 8-9/2017, S. 5
Bild Es geht auch gesünder: Fischverkäufer am Strand von Recife, Brasilien © Adam Jones

 

[1] WHO (2017) Fact sheet Obesity and Overweight. www.who.int/mediacentre/factsheets/fs311/en/ [Zugriff 28.10.2017]

[2] EFE (2017) Brazil‘s obesity rate soars 60 pct. in a decade. 17. 4. www.efe.com/efe/english/life/brazil-s-obesity-rate-soars-60-pct-in-a-decade/50000263-3239805# [Zugriff 28.10.2017]

[3] PAHO/WHO (2015) Ultra-processed food and drink products in Latin America: Trends, impact on obesity, policy implications

[4] Jacobs A, Richtel M (2017) How Big Business Got Brazil Hooked on Junk Food. New York Times, 16. Sept www.nytimes.com/interactive/2017/09/16/health/brazil-obesity-nestle.html [Zugriff 28.10.2017]

[5] Webseite Nestlé. Door-to-door sales of fortified products – Brazil. www.nestle.com/csv/case-studies/allcasestudies/door-to-doorsalesoffortifiedproducts,brazil [Zugriff 28.10.2017]

[6] www.nestle.com/aboutus [Zugriff 28.10.2017]

[7] Institute for Health Metrics and Evaluation. Brazil. www.healthdata.org/brazil [Zugriff 28.10.2017]


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