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Der Pharma-Brief 7-8/2022 widmet sich folgenden Themen:


Die Auswirkungen von Covid-19 auf die Versorgung in Peru, Ghana, Südafrika und NRW

Die Corona-Pandemie hat eine globale Gesundheitskrise entfacht. Sie ließ Versorgungssysteme kollabieren oder brachte sie an den Rand ihrer Belastungsgrenze. Weltweit hatte das massive Auswirkungen auf die Versorgung von PatientInnen und auch auf das Ziel eines universellen Zugangs zu einer guten Gesundheitsversorgung. Selbst in wohlhabenden Ländern wurden Operationen verschoben, um die vielen Covid-PatientInnen behandeln zu können. Weitaus ernster war die Lage in vielen armen Ländern. Besonders stark betroffen waren Routineimpfungen, die Diagnose und Behandlung nicht übertragbarer Kankheiten oder die Familienplanung. Stark gelitten hat aber auch die Kontrolle von Tuberkulose, HIV und Malaria. Gemeinsam mit Partner-Organisationen in Peru, Südafrika und Ghana haben wir die Lage untersucht. Dieser Pharma-Brief Spezial präsentiert die Ergebnisse. Und er ist zugleich ein Plädoyer, aus dieser Krise zu lernen.

Download: Pharma-Brief Spezial 1/2022 Globale Gesundheit in der Krise

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Viele ärmere Länder erleben eine sprunghafte Zunahme nicht-übertragbarer Erkrankungen. Krebs ist dabei eine der größten Herausforderungen. Nur wenige Menschen im globalen Süden haben bislang Zugang zu einer angemessenen Versorgung. Die deutsche Politik hat dieses Thema bislang eher am Rande behandelt. Dabei drängt die Zeit, möchte man eine gute Gesundheitsversorgung für alle Menschen weltweit erreichen – eines der globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Konkrete Handlungsansätze für eine aktivere Rolle Deutschlands in der globalen Krebsbekämpfung bietet ein neuer politischer Leitfaden. Er hebt die Relevanz gestärkter Gesundheitssysteme hervor und adressiert das Problem steigender Kosten von Krebsmedikamenten. Auf die Notwendigkeit global gerechter Forschung wird ebenso hingewiesen wie auf die zentrale Bedeutung von Prävention und Community Empowerment.

 Download: Pharma-Brief Spezial 2/2022 Krebsversorgung global - Ein Leitfaden[PDF]
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Die Provinz Westkap setzt auf gemeindebasierte Dienste bei der TB-Bekämpfung

Wenn die Menschen zu Hause bleiben sollen, muss die Gesundheitsversorgung zu ihnen kommen. So sieht es die Medizinerin Jennifer Furin von Ärzte ohne Grenzen. In enger Zusammenarbeit mit der Stadt Kapstadt und der Provinz Westkap hat sie die gemeindebasierte Versorgung während der Pandemie vorangetrieben.

Bitte erzählen Sie uns von ihrer Arbeit bei Ärzte ohne Grenzen.

Unser Team arbeitet sehr eng mit Ärzten, Krankenschwestern und Gemeindehelfern in Kapstadt und der Provinz Westkap zusammen. Wir haben damit vor etwa 20 Jahren begonnen, um den Zugang zu HIV-Tests und -Behandlungen zu verbessern. Und da Tuberkulose die häufigste Todesursache für Menschen mit HIV ist, haben wir unsere Aufmerksamkeit und Arbeit schnell auf die TB-Diagnose und -Behandlung gerichtet, wobei wir uns besonders auf resistente Formen der Tuberkulose konzentrieren.

Was waren vor der Pandemie die größten Herausforderungen, die den Zugang zu Gesundheitsdienst­leis­tun­gen und Behandlung einschränkten?

Es gibt immer noch ein großes Stigma, das die Menschen davon abhält, sich wegen TB behandeln zu lassen. Sie schämen sich und sind besorgt darüber, was Familie und Freunde denken könnten. Wenn sie Anzeichen und Symptome haben, verbergen sie das oft und haben Angst, sich in der Klinik vorzustellen. Das ist eines der größten Hindernisse.

Wie hat die Pandemie die bestehenden Herausforderungen verschärft?

Covid-19 ist wirklich eine Katastrophe, wenn es um TB-Dienste und die Inanspruchnahme von Pflege geht. Eines der Dinge, die ich hätte erwähnen sollen, ist, dass neben der Stigmatisierung auch die physischen Hindernisse für Familien, die Kliniken aufzusuchen, eine große Herausforderung darstellen. Die Fahrt bezahlen zu können, die Möglichkeit, sich von der Arbeit freizunehmen oder die Schule zu verpassen, um sich behandeln zu lassen, war schon immer ein Problem. Als Covid ausbrach, wurden diese Umstände noch schwieriger. Menschen, die am Rande des Existenzminimums lebten, verloren wirklich jedes noch so kleine sozioökonomische Polster, das sie vielleicht hatten. Dies wurde noch schwieriger, als Gesundheitseinrichtungen entweder wegen Covid-19 geschlossen wurden oder Personal, das normalerweise mit TB zu tun hatte, zur Arbeit an Covid-19 abgezogen wurde. Während also Covid-19 all diese Aufmerksamkeit zuteilwurde, stellten wir fest, dass Tuberkulose all die Fortschritte, die in den letzten zehn Jahren erzielt wurden, wieder verloren gingen.

Wie veränderte sich die Versorgung während des Lockdowns?

Während des Lockdowns waren die Menschen in ihren Häusern eingeschlossen – auch viele MitarbeiterInnen der Gesundheitsdienste. Und weil ÄrztInnen und Pflegekräfte an vorderster Front stehen, erkrankten viele von ihnen an Covid-19. Ein großer Teil unserer TB-Arbeit ist an Einrichtungen gebunden. Wenn diese Einrichtungen nicht funktionieren, weil die Krankenschwestern oder Ärzte krank sind oder weil die Einrichtungen für die Arbeit mit Covid-19 umfunktioniert wurden, gibt es für die Menschen keine Alternative, um TB-Behandlungen und -Versorgung zu bekommen. Wir beschlossen daher, die TB-Diagnose, Behandlung und Prävention aus den Kliniken und Einrichtungen herauszuholen und mehr in die Gemeinden zu verlagern. Und ich denke, dass wir deshalb in vielen Gegenden von Khayelitsha mehr TB-Fälle entdecken konnten. In den meisten anderen Teilen der Provinz ist die Fallfindung dagegen zurückgegangen.

Wie sah diese gemeindebasierte Arbeit aus?

In Khayelitsha haben wir in Zusammenarbeit mit der Stadt und der Provinz mit der häuslichen Pflege und dem häuslichen Screening begonnen. Wir wissen, dass es in Haushalten, in denen TB-Kranke leben, ein viel höheres Risiko für Tuberkulose gibt, weil die Menschen die gleiche Luft atmen. Und wir wissen auch, dass sich viele Bedingungen, unter denen Tuberkulose gedeiht, wie Überbelegung, Unterernährung und Armut, während Covid-19 verschlimmert haben. Aus diesem Grund konzentrierten wir uns auf Haushalte, in denen jemand neu mit TB diagnostiziert worden war. Wir gingen in diese Haushalte und boten dort Tests, Behandlungen und Präventionsmaßnahmen an. Dabei haben wir festgestellt, dass z. B. Kinder – normalerweise eine Hochrisikogruppe – bisher viel zu selten getestet wurden. In der Vergangenheit machten Kinder nur etwa 5% der TB-Fälle aus. Es ist uns gelungen, den Zugang zur Diagnose für Kinder zu verbessern. Bei den häuslichen Screenings machten Kinder dann 15 % der von TB Betroffenen aus. Das war ein großer Erfolg.

Was haben sie noch unternommen, damit die Menschen die Dienste und Behandlungen in Anspruch nehmen können?

Die Provinz-Behörde hat eine Art Echtzeit-TB-Dashboard erstellt. Wissen Sie, bei Covid wussten wir immer, was aktuell los war, und so wurde beschlossen, ein ähnliches Dashboard für Tuberkulose einzuführen. Jetzt wissen wir, wo es gut läuft und wo es nicht so gut läuft, so dass wir schnell reagieren können. Die Provinz und die Stadt haben sich auch sehr für integrierte Tests eingesetzt. Viele Symptome von Covid und TB sind identisch, und in der Anfangsphase der Pandemie konnten wir nur auf das eine oder das andere testen. Sie haben also eine tolle Arbeit geleistet, indem sie ein integriertes Screening und Tests sowohl für Covid-19 als auch für TB eingeführt haben. Ich denke, das ist etwas, worauf Western Cape wirklich stolz sein kann.

Wie schätzen Sie die erzielten Erfolge ein?

Wissen Sie, ich würde gerne sagen, dass es eine große Erfolgsgeschichte ist, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns. Denn Covid-19 hat auf alle Krankheiten – nicht nur auf TB – enorme Auswirkungen. Wir sehen z.B. einen Rückgang bei der Diagnose von Krebs und Herzinfarkten. Ich glaube, die Menschen haben große Angst, Gesundheitseinrichtungen aufzusuchen, denn dort findet eine Vielzahl von Übertragungen statt. Wir haben ihnen auch gesagt: Bleibt zu Hause!, nicht wahr? Und die Menschen haben darauf gehört.

Ich denke, es gibt noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Vor allem bei der Tuberkulose müssen wir noch viel mehr tun und viel mehr testen. Die Lehre daraus ist, dass wir, wenn wir TB wirklich beenden wollen, Dienste in der Gemeinde anbieten müssen. Die Menschen sind durch Covid gestresst, Familien müssen zusammenziehen, ihre Wohnungen sind überfüllt, sie haben nicht einmal fünf Rand übrig, um den Transport zur Klinik zu bezahlen. Die Leistungen für die TB-Diagnose und -Behandlung sind kostenlos, aber die Fahrt zur Klinik kostet, und der Arbeitsausfall schmälert das Einkommen. Ich denke, je mehr wir auf die sozioökonomischen Situation vieler Menschen hier in Khayelitsha und anderen Orten eingehen, indem wir die Dienste in die Gemeinden bringen, desto besser.

Wie weit hat die Pandemie die TB-Forschung und Versorgung in Süd­afrika zurückgeworfen?

Wissen Sie, es ist wirklich schwer, das zu beziffern. Ich denke, dass wir weltweit zum ersten Mal seit zehn Jahren einen Anstieg der Tuberkulose-Sterblichkeit erleben. Wir wissen, dass die Zahl der Menschen, bei denen Tuberkulose diagnostiziert wurde, weltweit und hier in Südafrika während Covid um etwa 30% zurückgegangen ist. Das liegt nicht daran, dass weniger Menschen an TB erkrankt wären. Die Stop TB-Partnerschaft schätzt, dass uns das alles etwa zehn Jahre zurückwirft.

Und dann gibt es noch die immateriellen Verluste, ich habe viele KollegInnen, die hervorragende Tuberkuloseärzte waren und an Covid gestorben sind. Wie soll man so etwas in Zahlen fassen? Sie waren wirklich treibende Kräfte. Wir wissen also, dass wir nicht nur versuchen müssen, das frühere Niveau wieder zu erreichen, sondern dass wir unsere Anstrengungen verdreifachen und vervierfachen müssen, um all die verlorenen Erfolge wieder wettzumachen.

Welche langfristigen Rückschläge sehen Sie für die TB-Bekämpfung in Südafrika?

Ich denke, wir beobachten eine Zunahme der Todesfälle, weil die Menschen, die zu uns kommen, viel später kommen. Wir beobachten eine Zunahme der Übertragungen, und ich denke, wir werden mehr Kinder, mehr Familienmitglieder und mehr Haushaltskontakte mit TB sehen.

Wie wirkt sich die Ungleichheit zwischen dem privaten und dem öffentlichen Gesundheitssektor auf den Zugang zur Behandlung in Südafrika aus?

Überall dort, wo es ein zweigleisiges System gibt, in dem wohlhabende Menschen Zugang zu anderen Leistungen haben als arme Menschen, ist das ein Problem. Und ich denke, wir haben das bei Covid gesehen. Wenn man wohlhabend ist, kann man schnell einen Impfstoff bekommen, man kann Remdesivir bekommen, man kann eine Behandlung bekommen, man kann ein Beatmungsgerät bekommen. Und wenn man nicht wohlhabend ist, kann man diese Dinge bekommen oder auch nicht.

Tuberkulose war schon immer eine Krankheit, die von Ungleichheit geprägt ist, und obwohl jeder, der atmet, dem Risiko ausgesetzt ist, an TB zu erkranken, wissen wir, dass Menschen, die in Armut leben, ein höheres Risiko haben. Wenn wir Gerechtigkeit wollen, geht es nicht nur darum, gleich viel Geld zu investieren, sondern mehr Geld in das öffentliche System zu stecken – in die Orte, von denen wir wissen, dass die Menschen weniger Möglichkeiten haben, Zugang zur Gesundheitsversorgung zu bekommen. Ich denke also, dass wir nicht nur gleich viel in Orte wie Khayelitsha investieren müssen, sondern mehr. Damit die Männer, Frauen und Kinder, die hier leben, die bestmögliche Versorgung erhalten.

Noch immer befinden wir uns in der Pandemie, es ist sogar von einer fünften Welle noch vor dem Winter die Rede. Was sind ihre Bedenken?

Ich denke, wir brauchen einen besseren Zugang zu Impfungen für alle. Für Menschen aller Altersgruppen. Die globale Situation in Bezug auf die Impfgerechtigkeit ist etwas, für das wir uns alle schämen sollten. Die wohlhabenden Länder verimpfen jetzt die vierte und fünfte Dosis der mRNA-Impfstoffe und einige Länder können nicht einmal mit der ersten Dosis impfen. Wir brauchen definitiv einen besseren Zugang zu Impfstoffen.

Aber ich denke, wir müssen aufhören, Covid als etwas zu betrachten, das verschwinden wird. Wir müssen herausfinden, wie wir damit umzugehen haben und weiterhin wichtige Gesundheitsdienstleistungen anbieten können. Wir haben während Covid einige harte, aber wichtige Lektionen gelernt. Und für mich waren die wichtigsten Lektionen die der gemeindenahen Gesundheitsversorgung. Ich bin sicher, dass eine weitere Pandemie zu unseren Lebzeiten kommen wird, und wenn wir unsere Einrichtungen schließen und die Menschen von den Einrichtungen abhängig machen, um medizinische Versorgung zu erhalten, wird sich das Ganze wiederholen, nur mit einem anderen Virus. Wir müssen also mehr gemeindenahe Pflege betreiben. Wir müssen mehr häusliche Tests, häusliche Behandlungen und all diese Dinge ermöglichen. So können wir die Welle rocken.

Artikel aus dem Pharma-Brief 5-6/2022, S. 6
Bild © Health-e


Nutzen von Antidepressiva überschätzt, weil Publikationen fehlen

Seit über zehn Jahren ist es bekannt: Anbieter lassen bei Medikamenten gegen Depressionen unvorteilhafte Studienergebnisse gern unter den Tisch fallen. Dadurch entsteht ein zu positives Bild der Wirksamkeit. Hat sich die Lage inzwischen gebessert?

Vernünftige Entscheidungen über die beste individuelle Therapie sind ohne vollständigen Einblick in die Fakten schwierig. Erfahren ÄrztInnen wirklich alle relevanten Fakten über Medikamente? Der Psychiater Erick Turner und seine KollegInnen machten sich 2008 auf die Spurensuche und nahmen zwölf Antidepressiva unter die Lupe, die in den Jahren davor in den USA auf den Markt gekommen waren. Sie verglichen die Bewertung des Nutzens durch die Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) mit den Aussagen über dieselben Studien in Fachzeitschriften, aus denen praktisch tätige MedizinerInnen ihr Wissen über neue Medikamente beziehen. Turner & Co. stießen auf eine große Informations­lücke.

Während die FDA nur rund die Hälfte der 74 eingereichten klinischen Studien als Wirksamkeitsbelege wertete, entstand in der Fachpresse der Eindruck, dass 94 Prozent der Studien positiv ausgegangen seien.[1]

Wie konnte eine so große Differenz in der Wahrnehmung entstehen? Bei der Hälfte der Studien hatte das Medikament nicht besser als ein Placebo abgeschnitten, aber nur bei elf Prozent wurde über dieses Ergebnis korrekt berichtet. Die meisten Studien kamen gar nicht ans Licht der Öffentlichkeit, bei anderen wurden die Ergebnisse einfach uminterpretiert.

Antidepressiva: Wissen wir jetzt mehr?

Jetzt kommt vom selben AutorInnenteam ein Update.[2] Es hat sich dafür die Dokumentationen von vier neueren Antidepressiva angeschaut, für die der FDA 30 Studien vorlagen. Wesentliche Ergebnisse blieben gleich: Wieder schnitten in Kenntnis aller Daten bei der Hälfte der Studien die Wirkstoffe nicht besser als ein Placebo ab. Und Berichte über alle positiven Studien fanden sich in der Fachpresse.[3] Immerhin wurden jetzt 47 Prozent der negativen Studien korrekt veröffentlicht, gegenüber nur elf Prozent in der Analyse von 2008.

Dabei gab es aber deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Wirkstoffen: In der neuen Analyse wurden für zwei der vier Präparate sämtliche Studien veröffentlicht, egal ob positive oder negative Ergebnisse vorlagen.

Bei den beiden anderen Medikamenten hingegen fehlten für acht von 15 negativen Studien korrekte Veröffentlichungen: Für sechs gab es gar keinen Artikel, und die Ergebnisse zu zwei Studien wurden in einer zusammenfassenden Veröffentlichung falsch dargestellt. Sie waren dort nur gemeinsam ausgewertet worden, um ein besseres Ergebnis vorzutäuschen. Da auch mit diesem Trick die Wirksamkeit immer noch nicht eindeutig belegt werden konnte, wurde auch noch die Analysemethode nachträglich gezielt geändert, um Vorteile vorzutäuschen.

Während 2008 noch elf Studien mit negativem Ausgang in den Veröffentlichungen zu positiven Ergebnissen umgeschrieben wurden, sind verzerrende Darstellungen laut Update mit nur noch zwei falsch berichteten Studien seltener geworden.

Was sich geändert hat

Diese Verbesserungen geschahen aber nicht freiwillig, sondern sind vermutlich das Ergebnis von regulatorischen Eingriffen, die für mehr Transparenz sorgen sollen. Den Anfang machte die Schaffung eines öffentlichen Registers für klinische Studien in den USA, die im Jahr 2000 unter dem Namen

ClinicalTrials.gov online ging. Sie machte es schwerer, die Existenz von Studien zu verschweigen. 2004 verkündeten die HerausgeberInnen der größten medizinischen Fachzeitschriften, keine Artikel über Studien mehr zu publizieren, wenn diese nicht registriert sind. 2007 wurde durch ein Gesetz in den USA die Eintragung von Studien in das Register verpflichtend. Auch der öffentliche Druck, der durch mehrere Publikationen zum Thema „Unterschlagen von unvorteilhaften Ergebnissen“ entstanden ist, hat sicher geholfen.

Turner & Co. warnten trotz der Fortschritte vor übertriebener Euphorie. Das Glas sei mit Verschweigen der Hälfte der negativen Studien immer noch halbleer, in der Gesundheitsversorgung sei nur die ganze Wahrheit akzeptabel. Wenn der Nutzen von Anti­depressiva überschätzt wird, unterbleiben womöglich andere wirksame, medikamentenfreie Behandlungen wie zum Beispiel Psychotherapien.  (JS)

 

Eine Vorfassung dieses Artikels erschien in „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ 4-2022.
Artikel aus dem Pharma-Brief 5-6/2022, S. 4

 

Die Grafik zeigt den Publikationsbias anhand der Signifikanzschwelle, dem P-Wert von 0,05 = .05 (durchgezogene Linien). Links die älteren Ergebnisse von 2008 (12 Antidepressiva, 101 Untersuchungsarme*) und rechts die neueren Ergebnisse von 2022 (4 Antidepressiva, 48 Untersuchungsarme).

Jeder Kreis stellt eine Studie dar, die Größe ist proportional zur TeilnehmerInnenzahl. Wenn es keinen Unterschied zwischen der Einschätzung der FDA (waagerechte Achse) und der Studienveröffentlichung (senkrechte Achse) gibt, befindet sich der Kreis auf der gestrichelten diagonalen Linie.

Im grauen Bereich unter der vergleichenden Grafik sind die unpublizierten Studien dargestellt, hier gibt es logischerweise keinen Vergleich mit der Veröffentlichung.

Gelb markiert sind die Studien, wo sich die Einschätzung der FDA so weit von der Studienveröffentlichung abweicht, dass die Signifikanz verloren geht und alle unveröffentlichten Studien. Alle gelben Kreise stehen also für eine für Außenstehende nicht erkennbare Verzerrung der Wahrnehmung zugunsten der Medikamente.

Quelle: Turner 2022 https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1003886.g001

*             Die Studien machten teilweise mehr als einen Vergleich, also nicht nur Wirkstoff gegen Placebo, sondern auch noch gegen einen anderen Wirkstoff oder gegen unterschiedliche Dosen desselben Wirkstoffs. das erklärt, warum es mehr Studienarme als Studien gibt.

 

[1] Turner EH et al. (2008) Selective Publication of Antidepressant Trials and Its Influence on Apparent Efficacy. N Engl J Med; 358, p 252 https://doi.org/10.1056/NEJMsa065779

[2] Turner EH et al. (2022) Selective publication of antidepressant trials and its influence on apparent efficacy. PLoS Med; 19, p e1003886 https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1003886

[3] In der ersten Untersuchung von 2008 waren von 37 positiven Studien alle bis auf eine veröffentlicht worden.


Hier finden Sie eine separate Auflistung des Pharma-Brief Spezial. Dies sind Sonderausgaben, die sich auf unterschiedliche Themenschwerpunkte konzentrieren.

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